30.10.2012 ARS ANTIQUA AUSTRIA GUNAR LETZBOR VIOLINE UND LEITUNG SAISON 2012/2013 ABONNEMENTKONZERT 2



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30.10.2012 ARS ANTIQUA AUSTRIA GUNAR LETZBOR VIOLINE UND LEITUNG SAISON 2012/2013 ABONNEMENTKONZERT 2

Dienstag, 30. Oktober 2012, 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal GUNAR LETZBOR VIOLINE UND LEITUNG HEINRICH IGNAZ FRANZ BIBER (1644 1704) JOHANN HEINRICH SCHMELZER (CA. 1620 1680) ARS ANTIQUA AUSTRIA GUNAR LETZBOR VIOLINE UND LEITUNG Sonata Nr. 1 A-Dur für Violine und B. c. Adagio Presto Variatio Presto Finale Presto Ciaccona für Violine und B. c. (aus der Leopoldinischen Handschriftenbibliothek) Gunar Letzbor studierte Komposition, Dirigieren und Violine in Linz, Salzburg und Köln. Die Bekanntschaft mit Nikolaus Harnoncourt und Reinhard Goebel veranlasste ihn, sich eingehend mit der Interpretation und Spielpraxis Alter Musik auseinanderzusetzen. Er musizierte in den Ensembles Musica Antiqua Köln, Clemencic Consort, La Follia Salzburg, Armonico Tributo Basel und der Wiener Akademie und war in den vier letztgenannten mehrere Jahre lang erfolgreich als Konzertmeister tätig. GIOVANNI BUONAVENTURA VIVIANI (1638 CA. 1692) ANTONIO BERTALI (1605 1669) GEORG MUFFAT (1653 1704) HEINRICH IGNAZ FRANZ BIBER Adagio Allegro Adagio Allegro Adagio Symphonia Seconda (aus: Capricci Armonici op. 4) Adagio Fuga Adagio Aria Ciaccona per violino solo Pause Sonata D-Dur für Violine und B. c. Adagio Allegro Adagio Allegro Adagio Sonata Nr. 3 F-Dur für Violine und B. c. Bei Konzertreisen durch Europa, die USA und Japan tritt Gunar Letzbor regelmäßig erfolgreich als Solist in Violinkonzerten und Recitals in Erscheinung. Er ist Gründer von ARS ANTIQUA AUSTRIA. Mit den sieben Musikern dieses Ensembles versucht er, der klanglichen Vielfalt österreichischer Barockmusik durch Erarbeitung eines spezifisch österreichischen Barockstreicherklanges Ausdruck zu verleihen. Mittlerweile wurden seine CD-Aufnahmen mit den Violinsonaten und den Rosenkranz-Sonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber ebenso wie seine Einspielungen mit Werken von Johann Heinrich Schmelzer, Pavel Josef Vejvanovský, Georg Muffat, Romanus Weichlein, Benedikt Anton Aufschnaiter, Wolfgang Amadeus Mozart, Antonio Caldara, Giovanni Battista Bononcini und Giovanni Buonaventura Viviani mehrfach ausgezeichnet. und Solist an junge Musiker weiter. Für seine Interpretation der Capricci Armonici von Giovanni Buonaventura Viviani wurde ihm 2002 ein Cannes Classical Award verliehen. Besonderes Aufsehen erregte die Ersteinspielung der Violinsolosonaten von Johann Joseph Vilsmayr und Johann Paul von Westhoff. Adagio Presto.Aria Variatio Presto Adagio Allegro Adagio Variatio Das Konzert wird am Freitag, den 21. Dezember 2012, um 20 Uhr auf NDR Kultur gesendet. Gunar Letzbor ist ein begehrter Lehrer für Barockvioline und unterrichtete unter anderem an den Musikhochschulen in Lübeck und Wien. Als Dozent in Sommerseminaren für Aufführungspraxis bzw. Spielpraxis alter Instrumente gibt er seine Erfahrungen aus seiner Tätigkeit als Ensembleleiter 02 PROGRAMMABFOLGE VIOLINE UND LEITUNG 03

ARS ANTIQUA AUSTRIA BESETZUNG ARS ANTIQUA AUSTRIA VIOLINE UND LEITUNG Gunar Letzbor ORGEL/CEMBALO Erich Traxler VIOLONE Jan Krigovsky COLASCIONE Daniel Oman LAUTE Hubert Hoffmann BAROCKGITARRE Pierre Pitzl Im Mittelpunkt des Repertoires dieses ungewöhnlichen Ensembles steht die österreichische Musik des Barock, deren typischer Klang durch die Mischung aus Hofmusik und Volksmusik mit einer tänzerischen Note charakterisiert ist. Die ersten Jahre standen für ARS ANTIQUA AUSTRIA neben Konzertauftritten im Zeichen der musikwissenschaftlichen Aufarbeitung des Schaffens österreichischer Barockkomponisten. Aus dem reichen Fundus wiederentdeckter Werke entstanden enthusiastisch rezensierte Ersteinspielungen u.a. mit Werken von Romanus Weichlein, Heinrich Ignaz Franz Biber, Benedikt Anton Aufschnaiter, Georg Muffat und Franz Josef Aumann. Seit dem Jahr 2002 übernimmt ARS ANTIQUA AUSTRIA die Gestaltung eines eigenen Konzertzyklus im Wiener Konzerthaus, seit 2008 auch im Brucknerhaus Linz. Zudem ist das Ensemble federführend in der auf mehrere Jahre ausgelegten Konzertreihe Klang der Kulturen Kultur des Klanges mit insgesamt 90 Konzerten in Wien, Prag, Budapest, Bratislava, Krakau, Venedig, Ljubljana, Mechelen und Lübeck. Gastspiele führten ARS ANTIQUA AUSTRIA u. a. zu den Berliner Tagen für Alte Musik, dem Festival van Vlaanderen, zum KlangBogen Wien, an die Bayerische Staatsoper sowie zu den Salzburger Festspielen. Auch in den USA und Japan ist das Ensemble ein gern gesehener Gast. Die CD-Einspielung mit vier Kantaten von Francesco Conti wurde bereits eine Woche nach der Präsentation mit einem Diapason d Or ausgezeichnet. Im Jahr 2002 erhielt Gunar Letzbor zusammen mit ARS ANTIQUA AUSTRIA einen Cannes Classical Award für die Einspielung der Capricci Armonici von Giovanni Buonaventura Viviani. 04 BESETZUNG ARS ANTIQUA AUSTRIA 05

DIE ALLERKUNSTREICHSTEN GEIGEN EINHEIMISCHE UND ITALIENISCHE VIOLINVIRTUOSEN AN ÖSTERREICHS HÖFEN Eigentlich war der Barock ja die Zeit der italienischen Vorherrschaft in der Musik. Und in Italien lagen auch die Ursprünge der Violine: Seit sie um 1540 ihre bis heute kaum veränderte Form erhielt, stammten die besten Geigenbauer, -spieler und -komponisten aus Italien. Ihre Kunst war an allen Fürstenhöfen Europas gefragt, setzte die Standards, denen man nacheiferte. Dennoch gab es in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Österreich einige einheimische Geiger, die ihre Vorbilder im Hinblick auf Spieltechnik und Originalität noch übertrafen. Komponierende Virtuosen wie Johann Heinrich Schmelzer und Heinrich Ignaz Franz Biber lernten sicher manches von ihren italienischen Kapellkollegen, wirkten jedoch durch deren Vermittlung auch auf die Entwicklung in Italien zurück. Über Biber urteilte noch hundert Jahre später der englische Musikgelehrte Charles Burney: Von allen Geigern des vergangenen Jahrhunderts scheint er der beste gewesen zu sein, und seine Soli sind bei weitem die schwierigsten und wunderlichsten seiner Zeit. Urteilt man nach seinen Violinsonaten, dann müssen Bibers geigerische Fertigkeiten tatsächlich erstaunlich gewesen sein. Wer sie ihm vermittelte, ist allerdings bis heute ungeklärt möglicherweise studierte er bei Antonio Bertali oder auch bei Johann Heinrich Schmelzer in Wien. Gesichert ist jedenfalls, dass Biber, der 1644 im böhmischen Wartenberg (heute Stráž pod Ralskem) geboren wurde, spätestens 1668 seine erste Stelle antrat: Er wurde Kammerdiener und Musiker bei Karl von Liechtenstein-Kastelkorn. Der musikbegeisterte Fürstbischof von Olmütz (Olomouc, Mähren) unterhielt in seiner Sommerresidenz in Kremsier (Kroměříž) eine vorzügliche Kapelle, in der Biber den Violin Bass und Viola da gamba gespilt noch zimblicher gestalt auch etwas componirt habe von der Geige ist in diesem Schreiben des Bischofs merkwürdigerweise nicht die Rede. Bereits 1670 Heinrich Ignaz Franz Biber, Kupferstich aus dem Notendruck der Sonaten für Violine und Basso continuo, links vor dem Bildnis auf der Notenrolle der Beginn der Sonata Nr. 1 A-Dur Kaiser Leopold I., zeitgenössisches Ölgemälde nutzte der junge Musiker eine Reise zu dem be - rühmten Tiroler Geigenbauer Jakob Stainer, um sich ohne Abschied und Erlaubnis aus dem Dienst zu entfernen. Wenig später findet man ihn auf der Gehaltsliste des Salzburger Erzbischofs Maximilian Gandolph, zunächst in einer ähnlich untergeordneten Position wie in Kremsier, doch schon 1679 als Vizekapellmeister und 1684 als Kapellmeister. Biber trat als Geiger mehrfach vor Kaiser Leopold I. auf und wurde dafür mit einer güldenen Gnadenkötte belohnt vielleicht jener, die sein Porträt in der Ausgabe seiner Violinsonaten ziert. 1690 erhob ihn der Kaiser sogar in den Adelsstand, weil er durch seine Application in der Music zu höchster Perfection gekommen sei und durch verschiedentlich gethane Künstliche compositiones seinen Namen bey Vielen höchstbekannt gemacht habe. DIE SCHWIERIGSTEN UND WUNDERLICHSTEN SOLI Heute ist Biber vor allem noch für seine Rosenkranz- oder Mysterien-Sonaten berühmt vermutlich weil er in ihnen eine seiner geigerischen Spezialitäten besonders konsequent umsetzte: Fast jeder Sonate liegt eine andere Skordatur zugrunde, also eine Verstimmung der Geigensaiten auf ungewöhnliche Tonhöhen. Die Skordatur erleichtert das Spiel bestimmter Doppelgriffe und Akkorde und verleiht dem Instrument auch einen anderen Klang. Zu Bibers Lebzeiten erschienen die Rosenkranz-Sonaten allerdings gar nicht im Druck. Viel bekannter waren damals die acht Violinsonaten, die er 1681 in Salzburg stechen und in Nürnberg publizieren ließ. Charles Burney bezog sich in seinem Wort von den schwierigsten und wunderlichsten Soli auf diese Werke, von denen im heutigen Konzert Nr. 1 und Nr. 3 erklingen. Sie zeigen, dass Biber auch ohne das spektakuläre Mittel der Skordatur höchst phantasievoll für die Geige zu schreiben wusste. Gerade die erste Sonate in A-Dur zeigt besonders deutlich den für Biber so charakteristischen im - provisatorisch-freien Stil. Am Anfang scheint es, als wolle der Geiger sein Instrument ausprobieren oder die Tonart erkunden: Er stimmt den Grundton an, spielt dann eine schnelle Dreiklangsfigur. Diese Abfolge wiederholt er mehrfach, bevor der erste neue Ton (ein gis) ins Spiel kommt und schließlich eine absteigende A-Dur-Tonleiter virtuoses Passagenwerk in Gang setzt all das über einem einzigen Begleitakkord. Der nächste Ab - schnitt, im Adagio-Tempo, enthält eine weitere Biber-Spezialität: das Doppelgriff-Spiel. Die Melodie erklingt weitgehend zweistimmig, bevor sie erneut durch schnelle Figurationen abgelöst wird. Zweistimmig (mit eingestreuten Akkorden über drei oder vier Saiten) ist auch der folgende Presto- 06 PROGRAMM PROGRAMM 07

Abschnitt angelegt; sein tänzerischer Rhythmus verdeckt fast die kunstvolle kontrapunktische Schreibweise: Die beiden Stimmen verfolgen sich wie in einem Kanon. Nun schließt sich der zweifellos gewichtigste Teil der Sonate an. Er trägt den Titel Variatio, doch Biber hätte auch Ciaccona darüber schreiben können. Mit diesem italienischen Wort (oder dem französischen Chaconne ) bezeichnete man etwa nach Johann Gottfried Walthers Musicalischem Lexicon von 1732 einen Tanz, und eine Instrumentalpièce, deren Baß-Subjectum oder thema gemeiniglich aus vier Tacten in 3/4 bestehet, und, so lange als die darüber gesetzte Variationes oder Couplets währen, immer obligat, d.i. unverändert bleibet. Die vier Akkorde des Bass-Themas sind in Bibers Komposition zuerst zweimal alleine im Generalbass zu hören, bevor die Geige eine wieder mehrstimmig ausgearbeitete Melodie darüber setzt. Sie ergeht sich danach in immer virtuose ren Variationen, die bis zu halsbrecherisch schnellen Zweiunddreißigstel-Läufen führen. Im Finale be - ruhigt sich das Geschehen ein wenig der Satz knüpft an die Orgelpunkt-Improvisation des Beginns an. Die Sonate Nr. 3 in F-Dur eröffnet Biber wieder mit einem Wechselspiel zwischen kurzen Motiven und schnellen Tonleiterfiguren, zu denen aber dieses Mal als drittes Element noch tänzerische Passagen treten. Es folgt eine Aria mit zwei Va riationen, bevor die Langsam-Schnell-Kontraste des Beginns noch einmal aufgenommen werden. Erneut bildet eine großartige, als Variatio be - zeichnete Chaconne den Schwerpunkt des Werks. Ihr folgt nur noch eine kurze, rauschende Coda mit einem höchst überraschenden Schluss. GESANGLICHE LINIE, HYPNOTISCHER SOG Der Generation vor Biber gehörte Johann Heinrich Schmelzer an. Er galt nach dem Zeugnis des Wiener Hofchronisten J. J. Müller als der berühmte und fast vornehmste Violist in ganz Europa, der (laut einem anderen Zeitgenossen) auff seiner allerkunstreichsten Geigen den Welt Wundern selbsten verwunderlich worden sei. 1623 im niederösterreichischen Scheibbs geboren, fand Schmelzer vermutlich bereits in jugendlichem Alter Aufnahme in die kaiserliche Hofkapelle in Wien, die ihn 1649 offiziell als Geiger anstellte. 1665 wurde er Ballettkomponist am Hof, 1671 Vizekapellmeister, und im folgenden Jahr verlieh ihm Kaiser Leopold, der selbst ein begabter Komponist war, den Adelstitel von Ehrenruef. Die Urkunde hebt seine langjährigen Dienste in der Hoff musica bey tag und nacht zu unserem gnädigsten Wohlgefallen, und seinem selbsteigenen ruhmb und lob hervor. 1679 erhielt Schmelzer sogar als erster Nicht-Italiener das Amt des kaiserlichen Hofkapellmeisters, doch diese Ehre konnte er nur wenige Monate lang genießen: Er starb im Februar oder März 1680 in Prag an der Pest. In seinen Balletten notierte Schmelzer von Chaconne-Sätzen meist nur die ersten Takte; das Übrige wurde von den Musikern improvisiert. Eine vollständig ausgeschriebene Ciaccona in A zählte aber offenbar zu den Werken, die Kaiser Leopold besonders schätzte; er bewahrte sie deshalb in prachtvoller Abschrift in seiner Schlafkammerbibliothek auf. Das Stück entspricht wie Bibers Variatio -Sätze genau der Definition in Walthers Lexikon: Ein vier Dreiviertel-Takte langer Bassgang wird beständig wiederholt, während die Violine wechselnde Melodien und Umspielungen beiträgt. Schmelzers Ciaccona ist eher gesanglich angelegt und spieltechnisch weniger anspruchsvoll als Bibers Sätze. Dafür bringt sie allerdings besser den chaconne-typischen, fast hypnotischen Sog zur Geltung, der durch die immer wiederkehrende Basslinie entsteht. DIE HEIMKEHR DER SONATE Ein Mittler zwischen Italien und Österreich war der gebürtige Florentiner Giovanni Buonaventura Viviani. Er kam mit 18 Jahren als Geiger nach Innsbruck, wo schon sein Verwandter Antonio Maria Viviani wirkte. Nach dem Tod von Erzherzog Ferdinand Karl 1663 wurde er zwar, wie die meis ten seiner italienischen Kollegen, von dem sparsa meren neuen Regenten Sigismund Franz entlassen. Doch Sigismund Franz starb schon zwei Jahre später, und mit ihm erlosch die Tiroler Linie der Habsburger. Das Land fiel an den musikliebenden Kaiser Leopold, der Viviani 1672 als Hofkapellmeister in Innsbruck einsetzte. Offenbar bot dem Italiener dieses Amt aber nicht genügend Entfaltungsmöglichkeiten, denn er gab es 1676 wieder auf, um in seinem Heimatland u. a. in Venedig, Rom, Mailand, Neapel und zuletzt in Pistoia als Geiger, Komponist, Opernproduzent und Kapellmeister zu wirken. Kaiser Leopold nahm es ihm nicht übel und erhob ihn 1678 dennoch in den Adelsstand. Man vermutet, dass durch Vivianis Vermittlung Heinrich Ignaz Franz Bibers Violinsonaten auch dem großen Arcangelo Corelli bekannt wurden, der sich durch sie bei der Komposition seiner in ganz Europa berühmten Sonaten op. 5 beeinflussen ließ. Recht bekannt wurde zweifellos auch Vivianis eigene Reihe op. 4, die unter der Sammelbezeichnung Capricci Armonici 20 Violinsonaten mit so unterschiedlichen Einzeltiteln wie Symphonia, Toccata, Sonata, Aria, Introduttione, Balletto und Capriccio vereinte. Immerhin ließ der Komponist sie zwischen 1676 und 1678 gleich dreimal drucken: zuerst in Augsburg, dann Rom und schließlich in Venedig. Anders als Bibers Sonaten mit ihren improvisatorischen Eröffnungen und großen Variationensätzen folgt Vivianis Symphonia Seconda weitgehend dem Muster der italienischen Kirchensonate: An eine langsame Einleitung schließen sich ein fugierter schneller Satz und ein zweites Adagio an. Das übliche rasche Finale er - setzt Viviani allerdings durch eine gesangliche Aria. DER LANGE ARM DES HOFKAPELLMEISTERS Aus seiner Heimatstadt Verona zog es Antonio Bertali schon früh nach Wien, wo er sein Leben lang blieb. Vermutlich 1624 trat er in die kaiserliche Hofkapelle ein, wirkte dort zunächst als Geiger, seit den 1630er Jahren auch als Komponist, und 1649 stieg er zum Hofkapellmeister auf. Wie es im musik- und repräsentationsfreudigen Habsburgerreich offenbar üblich war, wurde auch Bertali für seine Dienste mit einem Adelsprädikat belohnt Kaiser Leopolds Vorgänger Ferdinand III. verlieh es ihm 1654. Von Bertalis Werken, darunter Kirchenmusik, Opern und Instrumentalsätze, sind leider die meisten verloren gegangen. In ihrer Zeit übten Die Wiener Hofburg, innerer Burgplatz. Ölgemälde von Samuel van Hoogstraten, 1652 08 PROGRAMM PROGRAMM 09

sie aber einen großen Einfluss aus, der sich über In das heutige Konzert passt Muffat, weil er zwölf NDR DAS ALTE WERK IMPRESSUM ganz Deutschland und bis nach Schweden, England und Frankreich erstreckte. Bertali war möglicherweise Heinrich Ignaz Franz Bibers Lehrer und höchstwahrscheinlich der seines späteren Nach- Nachfolgers Johann Heinrich Schmelzer. Jahre lang, von 1678 bis 1690, im Dienst des Salzburger Erzbischofs stand und damit als Komponist in direkter Konkurrenz zu Biber. Muffat war allerdings kein Geiger, sondern Organist, und er hinterließ auch nur eine Violinsonate, die D-Dur- ABONNEMENTKONZERT Abo-Konzert 3 Mittwoch, 21. November 2012, 20 Uhr Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK BEREICH ORCHESTER UND CHOR Seine Ciaccona in C-Dur kann es an Ideenreichtum Komposition unseres Programms. Sie mutet auf ihre Art kaum weniger exzentrisch an als Bibers Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal AL AYRE ESPAÑOL Rothenbaumchaussee 132 20149 Hamburg durchaus mit Bibers später entstandenen Variati- Sonaten. Ihr auffälligster Satz ist zweifellos das Eduardo López Banzo Cembalo und Leitung dasaltewerk@ndr.de onssätzen aufnehmen. Bertali macht sich beispiels- mittlere Adagio, in dem neben unvermittelten María Espada Sopran weise die Ostinato-Struktur (die Bass-Wiederho- Moll-Dur-Wechseln auch verschiedene enharmo- Carlos Mena Countertenor NDR Das Alte Werk im Internet: lungen) des Tanzes zunutze, um seine Zuhörer mit nische Vertauschungen vorkommen: So deutet Fernando Guimarães Tenor www.ndr.de/dasaltewerk unerwarteten harmonischen Wendungen zu über- Muffat zum Beispiel den Melodieton Eis der Geige Luigi de Donato Bass raschen: Ungefähr nach einem Drittel der Spiel- (die große Terz des Cis-Dur-Dreiklangs) in ein F ALESSANDRO SCARLATTI Leitung: Rolf Beck dauer lenkt er die Basslinie ganz plötzlich von (die kleine Terz von d-moll) um und kostet dann Il martirio di Santa Teodosia C-Dur nach A-Moll, um sie dann in einer verwirrenden Modulation (über F-Dur, d-moll, B-Dur, g-moll ebenso genüsslich den Wechsel von Ais nach B und von His nach C aus. Man fragt sich, wie solche 19 Uhr: Einführungsveranstaltung mit Habakuk Traber im Kleinen Saal der Laeiszhalle Redaktion NDR Das Alte Werk: Angela Piront und Es-Dur) zurück in die Grundtonart zu führen. Harmonien in der damals üblichen mitteltönigen EIN KOSMOPOLIT IN SALZBURG Mehr noch als die übrigen Komponisten unseres Stimmung überhaupt gespielt werden konnten. Auf der Geige ist das zwar kein Problem, wohl aber auf dem begleitenden Cembalo. Denn bevor Redaktionsassistenz: Annette Martiny Programms, die italienische und süddeutsch- sich verschiedene temperierte Stimmungen Redaktion des Programmheftes: österreichische Musizierpraxis verbanden, war durchsetzten und schließlich die heutige gleich- Dr. Juliane Weigel-Krämer Georg Muffat ein Kosmopolit: Seine Vorfahren stufige Stimmung üblich wurde, konnte man auf stammten aus England und Schottland, und er Tasteninstrumenten nur in wenigen Tonarten rein Der Text von Jürgen Ostmann selbst wurde in Savoyen geboren. Mit zehn kam spielen. Vielleicht hatte Muffat ja Zugang zu einem ist ein Originalbeitrag für den NDR. er nach Paris, wo er sechs Jahre lang bei Jean- der chromatischen Cembali, die experimentier- Baptiste Lully, dem dominierenden Komponisten des französischen Barock, in die Lehre ging. Wei- freudige Instrumentenbauer mit 24 und mehr Tasten pro Oktave ausstatteten, um dieses Pro- Fotos: [M] Rudolf Schmutz; Douglas Schwartz (Titel); tere Stationen seiner Laufbahn waren das Elsass, blem zu lösen. Solche Instrumente gab es nach- Douglas Schwartz Corbis (S. 03) Ingolstadt, Wien, Prag, Salzburg, Rom, erneut Salz- weislich auch in Prag, wo er das Stück im Juli Ars Antiqua Austria (S. 05); akg-images (S. 06); burg und schließlich Passau. So überrascht es 1677 komponierte. akg-images Rabatti Domingie (S. 07); kaum, dass Muffat durch seine Kom positionen und akg-images Erich Lessing (S. 09) erklärenden Kommentare zum Vorbereiter des Jürgen Ostmann sogenannten vermischten Geschmacks wurde. NDR Markendesign Diese Kombination französi scher und italienischer Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg Elemente sollte die deutsche Musik des 18. Jahr- Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. hunderts entscheidend prägen. Druck: Nehr & Co. GmbH Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. 0180 1 78 79 80 (bundesweit zum Ortstarif, maximal 42 Cent pro Minute aus dem Mobilfunknetz), online unter ndrticketshop.de Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. 10 PROGRAMM KONZERTVORSCHAU / IMPRESSUM 11