Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht Materialien zum Propädeutikum am 10.12.2012 Fall : Prinzessin Caroline vs. Paparazzi wesentlich vereinfacht nach 1. BGHZ 131, 332 = NJW 1996, 1128 = LM H. 6/1996 Art. 2 GrundG Nr. 66 = JZ 1997, 39 2. BVerfGE 101, 361 = NJW 2000, 1021 ff. = AfP 2000, 76 = DVBl 2000, 353 = EuGRZ 2000, 71 = FamRZ 2000, 409 = VersR 2000, 773 3. EGMR III. Sektion, Urteil v. 24.06.2004, NJW 2004, 2647 ff. = JZ 2004, 1015 = GRUR 2004, 1051 = DVBl. 2004, 1091. In Nr. 34 der Illustrierten Bunte vom 19. 8. 1993 erschien ein Artikel unter dem Titel Vom einfachen Glück mit mehreren Fotos. Berichtet wird über Prinzessin Caroline von Hannover (früher: von Monaco) (im folgenden: C). Ein Photo zeigt C mit umgehängter Korbtasche beim Gang auf den Markt in einer deutschen Stadt. Zum Photo gehört der Begleittext: Hausfrau Caroline Casiraghi. Sie liebt es, selbst einzukaufen. Der größer gedruckte seitliche Begleittext lautet: Am Mittwoch ist Markttag. Le Style Caroline wird weltweit kopiert. Ihre Riemchen-Sandalen, mit denen sie zum Blumenmarkt geht, ihr Pareo, den sie als Rock trägt. Das Photo ist heimlich aus mehreren hundert Metern Entfernung unter Verwendung eines sehr großen Teleobjektivs aufgenommen worden. C übt im Fürstentum Monaco kein Amt aus. Nach Angaben von C wird sie rund um die Uhr von Paparazzi verfolgt. C wehrt sich gegen die Publikation des Photos und fordert vom Verlag V, bei dem die Bunte erscheint, Unterlassung und Schmerzensgeld. Gesetz betreffen das Urheberrecht an Werken [ ] der Photographie (KUG) 22 Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet [ ] werden. 23 Abs. 1: Ohne die nach 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden: 1.Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte [ ] Abs. 2: Die Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf eine Verbreitung [ ], durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten [ ] verletzt wird. Europäische Menschenrechtskonvention Artikel 8: Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
2 HENNE MATERIALIEN ZUM CAROLINE-FALL Lösungshinweise: Teil 1: Die frühere Lösung der deutschen Gerichte (BGH, vom BVerfG damals insoweit bestätigt) Anspruch des C gegen V aus 823 I BGB in Verbindung mit Artikel 1 + 2 Grundgesetz I. Liegt eine rechtswidrige Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) durch einen Eingriff in den Privat- und Intimbereich vor? [Anm.: Verletzung und Rechtswidrigkeit werden zusammen in einem Prüfungspunkt behandelt] 1. Das Recht am eigenen Bild ist Teil des APR; auch Schutz der Ehre 2. Einwilligung 1 für Photo ist notwendig, vergleiche 22 KUG, hier (-) 3. ABER: nicht nötig, falls C eine Person der Zeitgeschichte gemäß 23 KUG ist Zur absoluten Person der Zeitgeschichte Zur Zeitgeschichte gehören vor allem Bilder von solchen Personen, die als absolut zeitgeschichtlich anzusehen sind. Zu diesem Kreis von Personen gehört die Kl. [= C]. [ ] Für die Einordnung einer Person als absolut zeitgeschichtlich ist maßgebend, daß die öffentliche Meinung Bildwerke über sie als bedeutsam [ ] findet, der Allgemeinheit demgemäß ein durch ein echtes Informationsbedürfnis gerechtfertigtes Interesse an einer bildlichen Darstelllung zuzubilligen ist. Dazu gehören vor allem Monarchen, Staatsoberhäupter sowie herausragende Politiker. Zu diesem Personenkreis zählt auch die Kl. [= C] als älteste Tochter des regierenden Fürsten von Monaco. BGH NJW 1996, 1128 (1129) C ist absolute Person der Zeitgeschichte 4. ABER: berechtigtes Interesse von C gemäß 23 II KUG? Zum berechtigten Interesse gemäß 23 II KUG Ob dies der Fall ist [also 23 II KUG zu bejahen ist], muß durch eine Güter- und Interessenabwägung bestimmt werden, in der im Einzelfall darüber zu befinden ist, ob - das durch die Pressefreiheit geschützte Informationsinteresse der Allgemeinheit (Art. 5), auf das sich die Bekl. [= der Verlag der Zeitschrift] berfuen kann, gegenüber - dem Persönlichkeitsrecht, dessen Schutz die Kl. [= C] für sich in Anspruch nimmt, den Vorrang genießt. [Dabei] kommt dem Schutz der Privatsphäre ein besonderer Stellenwert zu. [Auch Personen der Zeitgeschichte] brauchen es grundsätzlich nicht zu dulden, daß von ihnen im Kernbereich 1 Zur Reichweite von Einwilligung in derartigen Fällen vgl. auch HENNE, Wohnungsbewerbung des Maklers mit Detailfotos im Internet Persönlichkeitsrechte des Mieters, Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht (NZM) 2002, S. 160 f.
HENNE MATERIALIEN ZUM CAROLINE-FALL 3 der Privatsphäre (etwa im häuslichen Bereich) ohne ihre Einwilligung Bildaufnahmen zum Zwecke der Veröffentlichung angefertigt werden. [Es kann] eine schützenswerte Privatsphäre auch außerhalb des öffentlichen Bereichs geben. Das ist dann der Fall, wenn sich jemand in eine örtliche Abgeschiedenheit zurückgezogen hat. [Hingegen sind die hier strittigen Photografien] an jedermann zugänglichen Orten der Öffentlichkeit aufgenommen worden. Die Kl. [= C] hat sich in diesen Fällen in die Öffentlichkeit begeben und ist ein Teil der Öffentlichkeit geworden. [C muß] hinnehmen, daß die Allgemeinehit ein berechtigtes Interesse daran hat zu erfahren, wo sie sich aufhält und wie sie sich in der Öffentlichkeit gibt, sei es beim Einkaufen auf dem Markplatz [ ] oder sonstigen Tätigkeiten des täglichen Lebens. BGH NJW 1996, 1128 (1129 f.) kein berechtigtes Interesse von C gemäß 22 KUG kein Anspruch von C Teil 2: Die Lösung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) (2004) I. Schutzbereich von Art. 8 EMRK betroffen? Der Gerichtshof wiederholt, dass der Begriff des Privatlebens [ ] das Recht am eigenen Bild umfasst. EGMR NJW 2004, 2647 (2648) Schutzbereich betroffen (+) II. Eingriff 1. Problem: Eingriff erfolgte nicht durch den Staat, sondern durch Private Verpflichtungen des Staates aus Art. 8 EMRK Der Gerichtshof wiederholt, dass Art. 8 EMRK im wesentlichen darauf abzielt, den Einzelnen gegen willkürliche Eingriffe des Staates zu schützen, den Staat aber nicht nur verpflichtet, solche Eingriffe zu unterlassen: Zu dieser negativen Verpflichtung können positive Verpflichtungen kommen [ ] Das gilt auch für den Schutz des Rechts am eigenen Bild gegen Missbrauch durch Dritte. Eingriff auch durch Dritte möglich 2. Ist der Eingriff durch die Freiheit der Meinungsäußerung gerechtfertigt?
4 HENNE MATERIALIEN ZUM CAROLINE-FALL Die größere Meinungsfreiheit bei Fragen von allgemeinem Interesse In den Fällen, in denen der Schutz des Privatlebens gegen die Freiheit der Meinungsäußerung abzuwägen war, hat der Gerichtshof stets darauf abgestellt, ob die Fotoaufnahmen [ ] zu einer öffentlichen Diskussion über eine Frage allgemeinen Interesses beitrugen (siehe kürzlich EGMR, Sammlung 2001-I, Nummern 59 ff. Tammer/Estland) 4. Geteilte Öffentlichkeit wann liegt eine Frage von allgemeinem Interesse vor? a. allgemeine Regel 2 Die geteilte Öffentlichkeit das Kriterium des EGMR Nach Auffassung des Gerichtshos ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen - einer Berichterstattung über Tatsachen auch umstrittene, die einen Beitrag zu einer Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft leisten und Personen des politischen Lebens zum Beispiel bei Wahrnehmung ihrer Amtsgeschäfte betreffen, - und einer Berichterstattung über Einzelheiten des Privatlebens einer Person, die zudem, wie hier, keine solchen Aufgaben hat b. im konkreten Fall: Mit der Publikation wollte der Verlag nur die Neugier eines bestimmten Publikums üaber das Privatleben [von C] befriedigen [, was] trotz des hohen Bekanntheitsgrades [von C] nicht als Beitrag zu irgendeiner Diskussion von allgemeinem Interesse für die Gesellschaft angesehen werden kann 5. Ablehnung der Auslegung von 23 KUG durch das BVerfG Der Gerichtshof kann der Auslegung des 23 I KUG durch die deutschen Gerichte mit ihrem Begriff der absoluten Person der Zeitgeschichte nur schwer folgen. [ ] Für eine Privatperson [wie C], bei der das Interesse des breiten Publikums und der Presse einzig auf ihrer Zugehörigkeit zu einem regierenden Haus beruht, während sie selbst keine amtlichen Funktionen hat, lässt sich eine solche Einordnung nicht rechtfertigen. [ ] Folglich ist Art. 8 EMRK verletzt worden. EGMR NJW 2004, 2647 (2650) (das Gericht hat die Frage einer gerechten Entschädigung als nicht entscheidungsreif angesehen) 2 zur (unbewußten) Anknüpfung des EGMR an Überlegungen des Politikwissenschaftlers Wilhelm Hennis aus den 1950er Jahren vgl. HENNE, Smend oder Hennis Bedeutung, Rezeption und Problematik der Lüth-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1958, in: Robert Chr. van Ooyen / Martin H.W. Möllers (Hrsg.), Das Bundesverfassungsgericht in politikwissenschaftlicher Sicht, Wiesbaden 2006, S. 81-90
HENNE MATERIALIEN ZUM CAROLINE-FALL 5 Teil 3: Der heutige Lösungsweg des BGH (vom BVerfG und vom EGMR akzeptiert) Es kommt eine Ausnahme vom Erfordernis der Einwilligung grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Berichterstattung ein Ereignis von zeitgeschichtlicher Bedeutung betrifft. [ ] Dabei darf allerdings der Begriff der Zeitgeschichte nicht zu eng verstanden werden [, vor allem] im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er [ ] ganz allgemein das Zeitgeschehen, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse und wird vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Auch durch unterhaltende Beiträge kann nämlich Meinungbildung stattfinden [ ]. BGH NJW 2007, 1977 (1978 f.)