Dialytrichia mucronata und fragilifolia



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Dialytrichia mucronata und fragilifolia 1 Ein Beitrag zur Morphologie und Ökologie von Dialytrichia mucronata (BRID.) BROTH. und Dialytrichia fragilifolia (BIZOT & J. ROUX) F. LARA in Rheinhessen (Rheinland-Pfalz, Deutschland) Albert Oesau Zusammenfassung: OESAU, A. (2007): Ein Beitrag zur Morphologie und Ökologie von Dialytrichia mucronata (BRID.) BROTH. und Dialytrichia fragilifolia (BIZOT & J. ROUX) F. LARA in Rheinhessen (Rheinland-Pfalz, Deutschland). D. mucronata ist eine submediterran-subozeanisch verbreitete Art und wächst in Deutschland in luftfeuchten Auenwäldern am Rhein und an einigen seiner Nebenflüsse. BIZOT & ROUX (1968) trennten in Südfrankreich die Varietät fragilifolia ab, die von LARA (2005) in den Artrang erhoben wurde. Dieses Taxon wurde bereits 1998 in Rheinhessen gefunden, konnte jedoch erst aufgrund der Veröffentlichung von LARA (2005) bestimmt werden. Damit ist das bisher nur von Südfrankreich und der Iberischen Halbinsel bekannte D. fragilifolia eine für Mitteleuropa neue Moosart. Die Merkmale dieser Art werden anhand rheinhessischen Materials beschrieben und ein Schlüssel zur Trennung der beiden Dialytrichia-Arten vorgestellt. Abstract: OESAU, A. (2007): A contribution to the morphology and ecology of Dialytrichia mucronata (BRID.) BROTH. and Dialytrichia fragilifolia (BIZOT & J. ROUX) F. LARA in Rheinhessen (Rhineland Palatinate, Germany). D. mucronata is a submediterranean-suboceanic species occuring in moist flood plain forests accompanying the river Rhine and some of its tributary streams in Germany. In Southern France BIZOT & ROUX (1968) separated the variety fragilifolia, which LARA (2005) raised to species level. This taxon has already been discovered in Rheinhessen 1998. Identification was possible after the publication of LARA (2005). D. fragilifolia, which is known up to now only from Southern France and the Iberian Peninsula, can be considered as a new species within Central Europe. Species character is described by means of the local material and a key to distinguish the two Dialytrichia-species is given. 1. Einleitung In der Veröffentlichung von GUERRA, CANO & ROS (2005) über die spanische Moosflora kennzeichnete F. LARA die Gattung Dialytrichia. Dabei wurden neben D. mucronata umfangreiche Beschreibungen einschließlich detaillierter Abbildungen der nahe verwandten D. fragilifolia vorgestellt. Die Existenz dieses Taxons ist bereits seit längerer Zeit bekannt. So stellten BIZOT & ROUX 1968 in Südfrankreich die Varietät Dialytrichia mucronata var. fragilifolia auf. SÉRGIO & SIM-SIM (1984) beschrieben sie aus Portugal. Nachdem ZANDER (1993) nachwies, dass die Varietät fragilifolia nach den Regeln des Internationalen Codes der botanischen Nomenklatur nicht gültig publiziert wurde (LARA 2005), wurde dieses Taxon neu bearbeitet und aufgrund gravierender Unterschiede zu D. mucronata in den Artrang erhoben. Auf der Basis

2 Oesau dieser Beschreibung wurde das aus Rheinhessen vorliegende Material überprüft und festgestellt, dass dort sowohl D. mucronata als auch D. fragilifolia vorkommen (teste F. LARA). Somit wird die letztere, bisher nur aus Südfrankreich und dem Westen der Iberischen Halbinsel gemeldete Art, erstmalig für Mitteleuropa genannt. Hierauf wurde bereits kurz hingewiesen (OESAU 2005, 2006). Es erfolgte jedoch noch keine morphologische Kennzeichnung der Art und ihres ökologischen Verhaltens im Untersuchungsgebiet. Dieses soll im Vergleich zu D. mucronata an dieser Stelle anhand rheinhessischen Materials nachgeholt werden. 2. Material und Methoden Seit dem Jahre 1992 werden Rheinufer und begleitende Auen und Auenwälder zwischen Worms und Bingen bryologisch untersucht. Dabei wird die ca. 90 km lange Strecke abschnittsweise zu allen Jahreszeiten begangen. Die dort auftretenden und der Gattung Dialytrichia nahestehenden Arten der Gattung Cinclidotus wurden bereits vorgestellt (OESAU 1998). D. fragilifolia wurde zwar schon 1998 gefunden, jedoch damals noch nicht von D. mucronata getrennt. Dieses erfolgte erst aufgrund der Publikation von LARA (2005). Für die folgende morphologische Kennzeichnung von D. mucronata wurden Populationen aus dem Untersuchungsgebiet und dem Mittelrheintal herangezogen, wo diese Art bis in den Raum Bonn an vielen Lokalitäten beobachtet werden konnte. Von D. fragilifolia stand nur Material aus Rheinhessen zur Verfügung. Inwieweit dieses Taxon außerhalb Rheinhessens weitere Standorte im Rheintal hat, sollte überprüft werden. Ob der bei PHILIPPI (1968) zitierte Fund KORNECK s von D. mucronata bei Hamm gegen Ibersheim, Kreis Worms mit dem eigenen Fund von D. fragilifolia bei Worms-Ibersheim identisch ist, konnte nicht geklärt werden. Im Einzelnen stammen die zur Untersuchung herangezogenen Proben von folgenden Lokalitäten: 1. Dialytrichia mucronata Herbar-Nr. Fundorte Datum Standort TK 1: 25.000 14092 Budenheim, auf der Haderaue 3.8.2002 auf Populus nigra 5914/4 14219 Oppenheim, in der Eiskarb 13.9.2002 auf Populus nigra 6116/1 23370 Namedy, Namedyer Wert 18.5.2006 auf Salix alba 5510/1 23371 Brohl, Rheinuferpromenade 18.5.2006 Uferbefestigung 5509/2 23372 Oberwinter, am Rheinpegel 18.5.2006 Uferbefestigung 5309/3 23647 St. Goar, an den Schiffsanlegestellen 15.6.2006 Uferbefestigung 5812/1 23650 St. Goarshausen, Schiffsanlegestelle 15.6.2006 Uferbefestigung 5812/1 2. Dialytrichia fragilifolia Herbar-Nr. Fundorte Datum Standort TK 1: 25.000 10 492 Heidesheim, in der Alten Sandlach 5.2.2000 auf Salix alba 5914/3 14 123 Budenheim, auf der Haderaue 3.8.2002 auf Populus nigra 5914/4 14 787 Worms-Ibersheim, Ibersheimer Wert 22.3.2003 auf Salix fragilis 6216/3 3. Ergebnisse 3.1 Zur Morphologie Das wichtigste Differenzierungsmerkmal der beiden Dialytrichia-Arten ist die Beschaffenheit des Blattrandes. Der Blattrand von D. mucronata ist immer mehr oder weniger glatt, der Blattrand von D. fragilifolia immer unregelmäßig gekerbt (Abb. 1, vgl. auch LARA 2005, 2006). Diese Kerbung erstreckt sich über das gesamte Blatt, schwächt sich aber gegen den Blattgrund ab. Die Kerben sind bereits mit einer stärkeren Lupe zu erkennen. Die beiden Arten können außerdem an der unterschiedlichen Zerbrechlichkeit der Blätter getrennt werden. Die Blätter von D. mucronata zerfallen nur selten, meistens nur an wenigen Trieben und nicht über den gesamten Bestand (Abb. 1). PHILIPPI (1968) fand zerbrochene Blattflächen bei D. mucronata vor allem an Pflanzen feuchter und demnach häufig überfluteter Standorte. Dort bestanden die Blätter im oberen Teil nur

Dialytrichia mucronata und fragilifolia 3 noch aus Rippe und Wulstrand. Ähnliche Auflösungserscheinungen der Blattfläche können auch bei Cinclidotus-Arten beobachtet werden. PHILIPPI (1968) nimmt an, dass die Brüchigkeit der Blätter wie bei Cinclidotus-Arten eine Folge des strömenden Wassers ist. Bisher lagen allerdings nur von D. mucronata Daten zur Abhängigkeit vom Wasserstand vor. FRAHM & ABTS (1993) fanden sie an periodisch und kurzzeitig überfluteten Standorten im und oberhalb des Hochwasserbereichs. PHILIPPI (1972) berechnete eine mittlere Überflutungsdauer dieser Art im Jahr von 30 Tagen. MANZKE & WENTZEL (2003) sowie PHILIPPI (1968) beobachteten im Oberrheingebiet auch Vorkommen, die nie überschwemmt werden. Derartige Standorte oberhalb des Zugriffs fließenden Wassers befinden sich nach letzterem Autor wesentlich häufiger in südlichen Gebieten wie dem Gardasee oder im Westen Europas wie in der Bretagne. Bei den Blättern von D. fragilifolia beginnt der Zerfall oft durch einen Riss am Blattrand, wobei die Bruchstellen häufig in den Kerben des Blattrandes ansetzen. Die Lamina zerfällt vorwiegend im oberen Bereich, die Rippe bleibt häufig auf ihrer gesamten Länge stehen. Stehen gebliebene Wulstränder konnten im Untersuchungsgebiet nicht festgestellt werden. Dieses beobachteten auch schon BIZOT & ROUX (1968). Die Pflanzen machen dann den Eindruck, als wenn sie durch einen mehr oder weniger starken Raupenfraß gelitten hätten. Im Blattquerschnitt ist zu erkennen, dass die Blattränder der beiden Dialytrichia-Arten unterschiedlich stark verdickt sind und sich an ihrem Aufbau eine verschiedene Anzahl von Zellen beteiligen. So ist der Blattrand bei D. fragilifolia in der Blattmitte meistens nur zweizellschichtig und wird aus etwa (3) 4-5 (6) Zellen gebildet, bei D. mucronata liegen 2-3 Zellschichten und etwa (6) 8-10 (14) Zellen vor (Abb. 1). Schließlich soll auf die unterschiedliche Größe der Blätter hingewiesen werden. Diese sind bei D. mucronata etwa (2,5) 2,8-3,2 (3,8) mm lang, bei D. fragilifolia (1,6) 2,0-2,6 (2,8) mm, bei letzterer Art also deutlich kleiner. Aufgrund der beschriebenen Merkmale kann folgender Schlüssel für die beiden im Untersuchungsgebiet vorkommenden Dialytrichia-Arten aufgestellt werden: 1. Blattränder glatt, Blätter nicht oder kaum brüchig und deshalb gewöhnlich vollständig, Blattrand im Querschnitt 2-3 zellschichtig und aus 8-10 Zellen bestehend, Blattlänge 2,8-3,2 mm...d. mucronata 2. Blattränder gekerbt, Blätter brüchig und deshalb oft unvollständig, Blattrand im Querschnitt 2-zellschichtig und aus 4-6 Zellen bestehend, Blattlänge 2,0-2,6 mm...d. fragilifolia Beobachtungen an D. fragilifolia seit dem Jahre 2000 an den bekannten rheinhessischen Vorkommen zeigten, dass diese Art seither nicht überflutet wurde. Trotzdem wurden regelmäßig zerbrochene Blattflächen gefunden. Die Veränderung der Lamina kann also nicht von fließendem Wasser verursacht worden sein. Um die Ursache der Blattschäden zu ermitteln, wurden die Beobachtungen seit dem Herbst 2006 intensiviert und zusätzlich einige Polster von D. mucronata in einen größeren Bestand von D. fragilifolia transplantiert. Es zeigte sich, dass zwar bei beiden Arten fortlaufend vollständige Blätter heranwuchsen, dass diese aber bei D. fragilifolia nach heftigen Regen- oder Hagelschauern in der bekannten Art und Weise zerbrachen. Die unter gleichen Bedingungen wachsende D. mucronata blieb ohne jegliche Blattschäden. Die Vermutung von BIZOT & ROUX (1968), dass die Blätter während des Wachstums zerreißen, konnte im Untersuchungsgebiet nicht beobachtet werden. 3.2 Zur Ökologie D. fragilifolia und D. mucronata gelten als Hygrophyten und besiedeln im Untersuchungsgebiet luftfeuchte Lebensräume in Auenwäldern am Rhein. Dort wachsen sie an den Stämmen von Populus nigra, Salix alba und Salix fragilis. D. mucronata besiedelt auch Steine der Rheinuferbefestigung außerhalb der eigentlichen Auenwälder. BIZOT & ROUX (1968) nennen Vorkommen in Südfrankreich an Acer monspessulanum, Quercus pubescens, Quercus robur und Populus alba. Die bemerkenswertesten begleitenden Moosarten im Untersuchungsgebiet sind Anomodon viticulosus, Didymodon sinuosus, Leskea polycarpa, Tortula latifolia, Tortula pagorum und Zygodon viridissimus. BIZOT & ROUX (1968) notierten als häufige Begleitarten Cratoneuron filicinum und Leskea polycarpa. Diese Arten weisen eine mittlere Feuchtezahl nach DÜLL (2001) von 4,3 auf, d.h., es handelt sich um Moose, die mäßig frische bis länger trockenfallende Plätze besiedeln und besonders an Tau- und Nebelfeuchte angepasst sind.

4 Oesau Abb. 1: Dialytrichia mucronata (1-6) und D. fragilifolia (7-12): 1,7: Habitus, 2, 8: Blätter, 3, 9: Blattränder, 4, 10: Blattquerschnitte in der Blattmitte, 5, 11: Zellen in der Blattmitte, 6, 12: Zellen an der Blattbasis. Maßstäbe: Habitus 25 mm, Blätter 1 mm, Blattränder 50 µ, Blattquerschnitte 100 µ, Zellen in der Blattmitte und am Blattgrund 30 µ. Herkunft der Pflanzen: 1-6 St. Goar, an den Schiffanlegestellen, TK 5812/1, Herbar- Nr. 23647; 7-12: Worms-Ibersheim, Ibersheimer Wert, TK 6216/3, Herbar-Nr. 14787.

Dialytrichia mucronata und fragilifolia 5 SÉRGIO & SIM-SIM (1984) stellten in Portugal auffällige Unterschiede in den ökologischen Ansprüchen der beiden Arten fest. So werten sie zwar D. mucronata eindeutig als Hygrophyt, beobachteten aber an D. fragilifolia mesophiles und sogar xerophiles Verhalten. D. mucronata wurde z.b. von Didymodon sinuosus, Leskea polycarpa und Rhynchostegium riparioides begleitet, während D. fragilifolia zusammen mit Cryphaea heteromalla, Leucodon sciuroides und Pterogonium gracile wuchs. Zur Beobachtung der Bestandesentwicklung wurden in den Jahren 2003 2007 die Bedeckungsgrade von D. fragilifolia an jeweils 10 Trägerbäumen in Rheinhessen geschätzt. Es zeigte sich, dass der Umfang des Bestandes zwar gewissen Schwankungen unterlegen ist, dass er sich aber im genannten Zeitraum nicht erkennbar veränderte. Auf einer Stammfläche von jeweils 2 m 2 betrug der mittlere Bedeckungsgrad der fünf Untersuchungsjahre 8%. 3.3 Zur Gefährdung D. mucronata kommt in Deutschland am Rhein und an einigen Nebenflüssen in den Ländern Nordrhein- Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Baden-Württemberg vor (LUDWIG et al. 1996, CASPARI et al. 2000, MANZKE & WENTZEL 2003). DÜLL (1989) stellte die Verbreitung dieser Art anhand einer Deutschlandkarte dar. Der Gefährdungsgrad wird für diese Art in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich angegeben, in Rheinland-Pfalz ist die Art stark gefährdet (Gefährdungsgrad 2). Für D. fragilifolia liegt noch keine Einschätzung der Gefährdung vor. Es ist auch noch nicht möglich, diese bei mangelhafter Datenlage für Rheinland-Pfalz oder gar für Deutschland anzugeben. Für Rheinhessen wird der Gefährdungsgrad 2 (stark gefährdet) vorgeschlagen. Die Bestände befinden sich zwar in Gebieten, die eine Beeinflussung wenig wahrscheinlich machen, die Trägerbäume sind jedoch in vielen Fällen überaltert und drohen zusammenzubrechen. Eine Verbreitung auf jüngere Bäume in der Umgebung findet zwar statt, aber offensichtlich nur sehr zögernd. Die Ursache mag am Fehlen von Sporophyten liegen, eine Verbreitung durch die Bruchstücke der Blätter dürfte lokal begrenzt sein. 4. Diskussion Eine Zuordnung der beschriebenen D. mucronata-form mit stark zerbrechlicher Lamina und gekerbtem Rand zur Varietät fragilifolia ist in Deutschland offenbar bisher nicht erfolgt. KOPERSKI et al. (2000) erwähnen eine derartige Varietät nicht. Eine Bewertung dieses Taxons im Artrang nach der Publikation von LARA (2005), wurde ebenfalls nicht bekannt. Es ist aber zu vermuten, dass D. fragilifolia auch außerhalb Rheinhessens gefunden wird. Auch im weiteren mitteleuropäischen Raum scheinen derartige Formen vorzukommen, wurden bisher aber noch nicht differenziert. So bildet z.b. LANDWEHR (1984) in seinem holländischen Moosatlas D. mucronata mit gekerbten und im Querschnitt wenigzelligen Blatträndern ab. Den Abbildungen könnte Material von D. fragilifolia zugrunde gelegen haben. SIEBEL & DURING (2006) übernahmen diese Abbildungen einschließlich der Legende in die Moosflora von Holland und Belgien. 5. Danksagung Ich danke Herrn F. LARA, Madrid, auch an dieser Stelle für die Bestätigung der Bestimmung von D. fragilifolia. Herr Prof. Dr. J.-P. FRAHM führte mich freundlicherweise an einige Fundorte von D. mucronata im Mittelrheintal. 6. Literatur BIZOT, M. & ROUX, C. (1968): Dialytrichia mucronata (BRID.) BROTH. var. nov. fragilifolia. - Revue Bryologique et Lichénologique 36: 109-110. Paris. CASPARI, S., MUES, R., SAUER, E., HANS, F., HESELER, U., HOLZ, I., LAUER, H., SCHNEIDER, C., SCHNEIDER T. & WOLFF, P. (2000): Liste der Moose des Saarlandes und angrenzender Gebiete mit Bemerkungen zu kritischen Taxa, 2. Fassung. Abhandlungen der Delattinia 26: 189-266. Saarbrücken. DÜLL, R. & MEINUNGER, L. (1989): Deutschlands Moose. Teil 1. 368 S. Bad Münstereifel. FRAHM, J.-P. & ABTS, U.W. (1993): Veränderungen in der Wassermoosflora des Niederrheins 1972-1992. Limnologica 23: 123-130. Berlin.

6 Oesau LARA, F. (2005): Dialytrichia (SCHIMP.) LIMPR. In: GUERRA, J., M.J. CANO & ROS, R.M. (Edit.): Flora Briofítica Ibérica. Pottiaceae: Timmiella, Bryoerythrophyllum, Cinclidotus, Dialytrichia: 22-27. Murcia. LARA, F. (2006): Dialytrichia (SCHIMP.) LIMPR. In: GUERRA, J., M.J. CANO & ROS, R.M. (Edit.): Flora Briofitica Ibérica. Vol. III. S. 264-269. Murcia. KOPERSKI, M., SAUER, M., BRAUN, W. & GRADSTEIN, S.R. (2000): Referenzliste der Moose Deutschlands. Schriftenreihe für Vegetationskunde, Heft 34: 1-519. Bonn. LANDOLT, J. (1984): Nieuwe Atlas Nederlandse Bladmossen. 568 S. Zutphen. LUDWIG, G., DÜLL, R., PHILIPPIL, G., AHRENS, M., CASPARI, S., KOPERSKI, M., LÜTT, S., SCHULZ, F. & SCHWAB, G. (1996): Rote Liste der Moose (Anthocerophyta et Bryophyta) Deutschlands. Schriftenreihe für Vegetationskunde H. 28: 189-306. Bonn-Bad Godesberg. MANZKE, W. & WENTZEL, M. (2003): Zur Moosflora des Kühkopfes und der Knoblochsaue (Nördliche Oberrheinniederung, Hessen): Die Moose der Kopfweiden. Hessische Floristische Briefe 52: 40-61. Darmstadt. OESAU, A. (1999): Zur Verbreitung und Soziologie von Wassermoosen im Rhein zwischen Worms und Bingen. Fauna und Flora in Rheinland-Pfalz 9: 7-19. Landau. OESAU, A. (2005): Rheinland-Pfalz. In: BAUMANN, M. (2005): Bemerkenswerte Moosfunde in Deutschland 2005. Limprichtia 29: 161-170. Bonn. OESAU, A. (2006): Die Moosflora der Stadt Worms am Rhein. Mainzer naturwissenschaftl. Archiv 44: 167-193. Mainz. PHILIPPI, G. (1968): Zur Verbreitung einiger hygrophytischer und hygrophiler Moose im Rheingebiet zwischen Bodensee und Mainz. Beiträge zur naturkundlichen Forschung in Südwest-Deutschland 28: 61-81. Karlsruhe. PHILIPPI, G. (1972): Die Moosvegetation der Wälder in der Rheinaue zwischen Basel und Mannheim. - Beiträge zur naturkundlichen Forschung in Südwest-Deutschland 31: 5-64. Karlsruhe. SÉRGIO, C. & SIM-SIM, M. (1984): Dialytrichia mucronata (Brid.) Broth. au Portugal et a Madère, taxonomie, écologie, adaption à la sécheresse. Cryptogamie, Bryologie, Lichénologie 5: 87-98. Paris. SIEBEL, H. & DURING, H. (2006): Beknopte Mosflora van Nederland en België. 559 S. Utrecht. ZANDER, R.H. (1993): Genera of the Pottiaceae: Mosses of harsh Environments. Bulletin of the Buffalo Society of Natural Sciences 32: 1-378. Buffalo. Anschrift des Verfassers: Albert Oesau, Auf dem Höchsten 19, D-55270 Ober-Olm