Vor der Lebenswirklichkeit darf man die Augen nicht verschließen.



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Transkript:

Wolfgang Bosbach MdB Rede am 16.01.2008 zur Jugend- und Gewaltkriminalität im Zuge der Aktuellen Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Bekämpfung der Jugendkriminalität hinsichtlich Prävention, Straffälligenhilfe und Ausstattung der Jugendgerichte Vor der Lebenswirklichkeit darf man die Augen nicht verschließen. Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zwei ganz kurze Bemerkungen zu Ihnen, Frau Künast. Erstens. Stichwort Druck machen beim Erlernen der deutschen Sprache : So etwas galt noch vor fünf Jahren als Zwangsgermanisierung und latenter Rassismus. (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) - Doch, doch, doch! Als wir schon vor Jahren gesagt haben: Das Erlernen der deutschen Sprache in Wort und Schrift ist der Schlüssel zu Integration, da galt das noch als latenter Rassismus. (Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass das der Schlüssel ist, haben wir nie bestritten! Sie wollten das Geld dafür nicht ausgeben!) Zweitens. Wir machen keine Politik auf dem Rücken von Opfern. Wir wollen dafür sorgen, dass es in Deutschland weniger Opfer gibt. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Trotzdem danke schön für diese Aktuelle Stunde, die wir den Grünen verdanken. Sie gibt Anlass zu folgenden Klarstellungen. Erstens. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass in Deutschland in den letzten Jahren ein Politiker derart massiv kritisiert und persönlich diffamiert wurde wie der hessische Ministerpräsident Roland Koch, (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der arme Herr Koch!)

nicht etwa deshalb, weil er etwas Falsches gesagt hat, sondern weil er Dinge anspricht, die in den Augen der politischen Linken politisch nicht korrekt sind. Das ist das Vergehen von Roland Koch. Er spricht offen und sachlich das Thema Jugendgewalt an. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Er spricht offen und sachlich an, dass wir einen überdurchschnittlich hohen Anteil von ausländischen Tätern haben, was Sie, Frau Künast, in Ihrer Rede dankenswerterweise gar nicht bestritten haben, und dass politischer Handlungsbedarf besteht. (Christine Lambrecht (SPD): In Hessen sicherlich!) Zweitens. Eine vernünftige Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Ich finde es gut, dass auch Sie sagen: Wir haben ein Problem. - Nur kommen wir zu unterschiedlichen politischen Schlussfolgerungen. Sehen wir uns einmal die Entwicklung an! (Der Redner zeigt ein Schaubild) Das ist die Kriminalitätsentwicklung seit 1993 insgesamt. Beim Anteil der jungen Erwachsenen an den Tätern gibt es einen erheblichen Anstieg: plus 80 Prozent. Der Anstieg bei den Jugendlichen: 35 Prozent. Der Anstieg bei den Heranwachsenden: 48 Prozent. - Vor dieser Lebenswirklichkeit kann man natürlich die Augen verschließen. (Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer regiert denn seit neun Jahren in Hessen?) Aber eine solche Politik können wir uns im Interesse des Landes nicht erlauben. Jetzt sehen Sie sich einmal die Entwicklung bei den Gewaltdelikten an! (Der Redner zeigt ein weiteres Schaubild - Christine Lambrecht (SPD): Wir sehen aber nichts!) Gefährliche und schwere Körperverletzung, Gewaltkriminalität im Durchschnitt und vorsätzliche Körperverletzung: Anstieg von 180 000 auf 370 000 Delikte in nur 14 Jahren. - Das darf man nicht nur thematisieren; das muss man thematisieren. In Wahlkämpfen spricht jedenfalls die Union über das, was für die Zukunft des Landes wichtig ist, und über die Probleme, die den Menschen auf den Nägeln brennen; die innere Sicherheit gehört dazu.

(Beifall bei der CDU/CSU - Christine Lambrecht (SPD): Wer ist da Ministerpräsident?) Dritter Punkt. Wir brauchen uns nicht über die Dinge zu streiten, die völlig unstreitig sind. (Christine Lambrecht (SPD): Zu wenig Polizei!) Die beste Politik gegen Kriminalität ist Prävention. (Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hat der Koch auch gestrichen! - Gegenruf der Abg. Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): Quatsch!) Erziehung zu Gewaltlosigkeit und Toleranz sind für die Prävention ganz wichtig - ebenso wie die Vermittlung von Werten, das Erziehen von Kindern im besten Sinne des Wortes. Aber wir müssen auch über diejenigen reden, die Intensivtäter sind, die als junge Menschen 50, 70, 100 Straftaten begangen haben und bei denen auch das 98. Erziehungsgespräch keine Wirkung zeigt. Wir müssen über diejenigen sprechen, die zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sind und, wenn sie aus dem Gerichtssaal kommen, die Frage ihrer Kumpel: Was hast du bekommen? mit Nichts beantworten. Über die müssen wir reden! Es gibt leider und nicht bestreitbar Fälle, in denen auch jede Menge sozialtherapeutische Mühe nicht genügt; (Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum machen die Richter nichts?) die Betreffenden muss man leider hinter Schloss und Riegel bringen, und zwar deshalb, damit sie anderen Menschen nicht schweren Schaden zufügen können. Das ist der Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Wie war das mit der Resozialisierung?) Vierter Punkt. Darf man in Wahlkämpfen darüber reden? Die politische Linke ist empört. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Gegenruf des Abg. Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Zuhören!) Nun schauen wir uns doch einmal an, was der große Staatsmann Schröder, der heutige Vertreter von Gasprom, zu diesem Thema gesagt hat! Gerhard Schröder vor zehn Jahren zum Thema Jugendkriminalität - er ist in diesem Haus ja wohl noch zitierfähig -: (Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor zehn Jahren? Ich bitte Sie!)

Verbrechensbekämpfung kann man nicht Sozialarbeitern überlassen. Wir haben lange über die Ursachen von Kriminalität diskutiert und zu wenig über deren Bekämpfung. (Christine Lambrecht (SPD): Genau! Richter, Staatsanwälte, und die fehlen in Hessen!) Gerhard Schröder zur Ausländerkriminalität: Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein bei ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell! Raus, und zwar schnell! Jetzt will ich Ihnen einmal Folgendes sagen: Wenn Gerhard Schröder so plump über Jugendkriminalität spricht, dann meinen Sie, das sei ein wichtiger Beitrag zur inneren Sicherheit. Wenn Roland Koch sich differenziert äußert, (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sagen Sie, das sei plumper Populismus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerhard Schröder sagt, jeder Ausländer, der eine Straftat begeht, müsse raus. Wenn Roland Koch sagt: Wir müssen die zu hohen Hürden für die Abschiebung ausländischer Straftäter senken, dann meinen Sie, das sei Rassismus. Genau so geht es nicht! Sie diktieren uns nicht, worüber wir in Wahlkämpfen sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Koch soll seine Hausaufgaben machen!) Schlussbemerkung. Die Linke sagt: Wir wissen besser als die Union, wie man Kriminalität bekämpft. (Beifall des Abg. Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) - Christine Lambrecht (SPD): Aber allemal!) Frage: Warum tun Sie es dann nicht? Warum verweigern Sie Ihren Landeskindern standhaft den Nachweis der politischen Kompetenz? Die sichersten Bundesländer sind - in dieser Reihenfolge -: Bayern, (Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!)

Baden-Württemberg Thüringen, Hessen, (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Wer hat die Statistik gefälscht?) allesamt unionsregiert. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Bosbach, kommen Sie bitte zum Schluss. Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Warum sind Sie in heller Aufregung? Erstens, weil Sie genau wissen, dass die Menschen wissen, dass die innere Sicherheit bei der Union in guten Händen ist, und zweitens, weil Sie die große Sorge haben, dass Sie mit Ihren Themen nicht ankommen, weil die Menschen wissen, was wichtig ist, und dass sie sich am 27. Januar auch entsprechend entscheiden werden. (Christine Lambrecht (SPD): Umfragen!) Das ist Ihre Sorge. (Beifall bei der CDU/CSU - Christine Lambrecht (SPD): Warten wir einmal ab! Die Zeit ist reif für einen Wechsel!)