Kontaktlernen zum Einsatz in innovativen Lehrgebieten



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6. TAG DER LEHRE 24. NOVEMBER 2005 FACHHOCHSCHULE ULM Kontaktlernen zum Einsatz in innovativen Lehrgebieten Wolfram Reiners Zusammenfassung Die neue Lehrmethode Kontaktlernen beruht darauf, dass sich Studierende innerhalb eines vorgegebenen Szenarios oder Themengebietes ein einfach messbares Ziel selbst stecken. Die Lehrenden konzentrieren sich, neben der Auswahl, Ausarbeitung und der Vorgabe des Szenarios, im Wesentlichen auf die laufende methodische Unterstützung der Studierenden, so dass diese ihre Ziele auch erfolgreich erreichen können. Sie unterstützen die Studierenden bei der Zielerreichung methodisch und stellen in unstrukturierter Form Wissenselemente bereit, welche im Szenario benötigt und vermittelt werden sollen. Dieses und anderes Wissen wird von den Studierenden auf dem Weg zur Erreichung des Projektzieles dann selbstmotiviert aufgefunden und angeeignet. Das Kontaktlernen eignet sich besonders für hochgradig innovative Lehrgebiete, welche einer ständigen, rasanten Entwicklung unterliegen. E- Medien eignen sich durch ihre netzwerkartige Strukturierung und Multimedialität besonders gut als Wissensträger beim Kontaktlernen. Die Lehrmethode des Kontaktlernens lässt sich damit besonders gut mit E-Learning kombinieren, das Kontaktlernen wird dabei zum Lehr-Container zur effektiven Nutzung von E-Medien. Einführung Die neue Lehrmethode Kontaktlernen wurde innerhalb der Lehrveranstaltung Online Marketing an der Fachhochschule Furtwangen entwickelt. Das Lehrgebiet Online Marketing ist innerhalb des E-Business angesiedelt und beschäftigt sich mit der Nutzung des Internets zur Vermarktung von Dienstleistungen und Produkten. Die Lehrinhalte sind alle sehr neu und unterliegen einer ständigen, rasanten Entwicklung. Entsprechend ist aktuelle Literatur praktisch nicht verfügbar. Es handelt sich beim Online Marketing somit um ein hochgradig innovatives Lehrgebiet. Der Innovationsgrad des Lehrgebietes kann man gut am Beispiel der Suchmaschinenoptimierung (SEO = search engine optimisation) verdeutlichen, einem Teilgebiet des Online Marketing. Die SEO beschäftigt sich damit, Webdokumente unter geeigneten Such- und Stichwörtern (Keywords) bei Suchmaschinen so zu platzieren, dass diese von Nutzern dieser Suchmaschinen möglichst häufig gefunden und besucht werden. Beispiele für große Suchmaschinen sind Google, Yahoo, Lycos oder MSN Search. Jede Suchmaschine verwendet einen spezifischen Algorithmus, um die Webdokumente bei bestimmten Keywords in eine Rangreihe zu bringen und nachfolgend entsprechend seinen Nutzern anzuzeigen. Um der Manipulation der Webdokumente durch seine Ersteller entsprechend dem Algorithmus vorzubeugen, werden die Algorithmen durch die Suchmaschinenbetreiber meist geheim gehalten und häufig geändert. Soll nun die Kunst des SEO gelehrt werden, so liegt es nahe, dass der Lehrende nicht auf gesichertes, publiziertes Wissen in diesem Gebiet zurückgreifen kann. Doch selbst wenn Lehrtexte vorhanden 81

sind, so werden diese innerhalb kürzester Zeit wieder veraltet sein. Ähnlich verhält es sich mit den anderen Gebieten des Online Marketing, wie zum Beispiel Affiliate Marketing, Paid Advertising, Viral Marketing, E-Mail Marketing oder Online Marktforschung. Der hohe Innovationsgrad des Lehrgebietes ist der erste Grund, warum hier traditionelle Lehrmethoden nicht erfolgsversprechend sind, sondern eine neue Lehrmethode angezeigt ist. Der zweite Grund für die neue Lehrmethode besteht darin, dass die Wissensvermittlung durch das traditionelle Darbieten von Lehrmaterial durch den Lehrenden selbst oder durch Lehrtexte für das Lernen und dauerhafte Behalten des Lehrstoffes wenig effektiv ist. REINERS (in Vorbereitung) stellt die wichtigsten Erkenntnisse der gedächtnispsychologischen Forschung der letzten hundert Jahre verständlich dar. Werden Studierende gefragt, welche Lernmethoden sie für besonders effektiv für ihre Behaltensleistung halten, dann ergibt sich folgendes Bild: Sie glauben, dass sie bei der Darbietung des Lehrmaterials besonders aufmerksam zuhören sollen, dass sie Lehrtexte besonders aufmerksam und gründlich lesen sollen, dass sie das Lernmaterial häufig wiederholen sollen, sich darüber abfragen lassen sollen und eine ruhige Lernumgebung brauchen. Erstaunlich ist jedoch, dass diese Laientheorien des Gedächtnisses den Erkenntnissen der gedächtnis-psychologischen Forschung nur wenig gerecht werden. Diese Einsichten sollen hier kurz skizziert werden. Es ist sinnvoll, sich das Gedächtnis als Mehrspeichermodell vorzustellen. Im Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis befinden sich die aktuell bewussten Gedächtnisinhalte. Diese sind nahe dem sensorischen Inputsystemen im Gedächtnis codiert, also meist verbal-phonologisch oder bildhaft. Seine Inhalte sind uns Menschen leicht abrufbar, jedoch zerfallen sie schnell. Dies mag der Grund dafür sein, dass Studierende während einer Lehrveranstaltung den Eindruck haben, die Inhalte verstanden und dauerhaft gelernt zu haben. Wenn man jedoch wenige Tage nach dem Lernen nachfragt, dann können diese nur sehr lückenhaft oder gar nicht mehr reproduziert werden. Sie wurden offensichtlich nicht so in das Langzeitgedächtnis übertragen, dass sie auch einfach abrufbar sind. Die Codierungsform von Lernmaterial im Langzeitgedächtnis unterscheidet sich nämlich vom Arbeitsgedächtnis. Sie ist, neben der bildhaften Codierung, vornehmlich semantisch. Die semantische Netzwerktheorie des Gedächtnisses (COLLINS & QUILLIAN, 1969; ANDERSON, 1976) ist die Grundlage für ein Vorstellungsmodell, wie eine optimale semantische Codierung der Gedächtnisinhalte erreicht werden kann. So sollten z. B. Gedächtnisinhalte tief verarbeitet (elaboriert) werden. Um dies zu erreichen, sollten sich die Lernenden vertiefte Gedanken über die Bedeutung und die Implikationen des Lernmaterials machen (CRAIK & LOCKHART, 1972). Eine andere wirksame Möglichkeit der Elaboration besteht in der richtigen mentalen Organisation des Lerninhaltes. Der Lerninhalt sollte in eine sogenannte kognitive Struktur gegliedert werden. Für den Gedächtnisabruf ist die hierarchische oder netzwerkartige Gliederung besonders effektiv (BOWER et al., 1969). Ebenso spielt der Lern- und Abrufkontext eine wichtige Rolle. Wenn der Kontext beim Abruf aus dem Langzeitgedächtnis dem Lernkontext ähnlich ist, dann gelingt es uns Menschen nämlich leichter, Gelerntes zu erinnern (GODDEN & BADDELEY, 1975). Hieraus kommt vermutlich auch der Effekt zustande, dass zeitlich verteiltes Lernen zu besseren Gedächtnisleistungen führt, als massiertes Lernen (MADIGAN, 1969). Allgemein ist nach TULVING & THOMSON (1973) eine hohe Variabilität der Lernkontexte beim Lernen anzustreben, denn diese bedeutet auch eine hohe Variabilität von 82

erfolgreichen Gedächtnisabrufkontexten. Eine hohe Variabilität des Lernkontextes kann man eben durch verteiltes Lernen erreichen. Neuere Erkenntnisse aus der Erwachsenenbildung SCHANK und CLEARY (1995) beschäftigten sich mit der Frage, wie der Mensch natürlich lernt, ohne vorher vom vorherrschenden Schulsystem sozialisiert und beeinflusst worden zu sein. Hierzu beobachteten sie Kinder und wie diese natürlich lernen. Die wesentlichen Schlussfolgerungen der Autoren bestehen darin, dass Menschen eine natürliche Neugierde für handlungsrelevante Lerninhalte besitzen, welchen bei den heute vorherrschenden Lehrmethoden wenig Rechenschaft getragen wird. Ebenso ist das learning-by-doing ein wichtiger Erfolgsfaktor des erfolgreichen Lernens bzw. des langfristigen Behaltens. SCHANK und CLEARY entwickeln daraus eine Lernmethode für Erwachsene, welche sie das Goal-Based Scenario nennen. Die Lernenden erhalten bei dieser Methode nicht den Lehrstoff in der üblichen, sequentiellen Form dargeboten, so wie dies bei einem Vortrag, im Unterricht oder bei einem Lehrbuch der Fall ist. Vielmehr wird den Lernenden ein komplexes Ziel gesetzt, an welchem sie am Ende der Lektion ankommen sollen (oft wird für die Zielerreichung mehrere Tage bis Wochen benötigt). Ist der Lerngegenstand zum Beispiel effektive Lerntechniken, dann könnte ein solches Ziel zum Beispiel darin bestehen, innerhalb von zwei Wochen einen Vortrag über effektive Lerntechniken auszuarbeiten und diesen dann zu halten. Der Lehrer überlässt den Lernenden dabei weitgehend, wie und in welcher Reihenfolge sie sich das notwendige Wissen hierfür erarbeiten. Er beschränkt sich auf die Rolle, vorher Lehrmaterialien zu sammeln und den Lernenden in ungeordneter Form zur Verfügung zu stellen. Außerdem unterstützt er die Lernenden auf Nachfrage, bei Schwierigkeiten und gibt methodische Hinweise. Beispielhaft hierfür könnten Ratschläge sein, wie die Lernenden auf ihrem Weg zur Zielerreichung vorgehen sollten. Auf diese Weise lernen die Studierenden auf dem Weg zum Ziel alles notwendige Faktenwissen. Sie suchen sich durch ihre natürliche Neugierde angetrieben das Wissen praktisch selbst zusammen und elaborieren dieses, stellen es also zum Beispiel in eine Ordnung, damit es für ihre Zielerreichung dienlich ist. SCHANK und CLEARY'S Methode verspricht dabei, dass ein Lerninhalt, welcher auf diese Weise erarbeitet wurde, später praktisch nicht mehr vergessen wird. Das Kontaktlernen Beim Kontaktlernen werden die Ziele, Fragestellungen und Aufgaben zu einem vorgegebenen Themengebiet (z. B. Suchmaschinenoptimierung) innerhalb vorgegebener Szenarien (z. B. Erhöhung des Nutzertraffic einer vorgegebenen Website) von den Studierenden selbst entwickelt. Auf dem Weg zum Ziel stellt nicht der Lehrende die Fragen oder gibt konkrete Aufgaben vor. Vielmehr stellen sich innerhalb des Projektszenarios diese Fragen und Aufgaben auf dem Weg zur Erreichung des Projektzieles den Studierenden selbst. Zur Lösung der Aufgaben und zur Bearbeitung der Fragestellungen entwickeln die Studierenden Pläne und führen diese durch. Sie werden durch den Lehrenden hierbei methodisch unterstützt, in unserem Falle durch die Vermittlung und Anwendung grundlegender Techniken des Projektmanagement (insbesondere: Zielplanung, Zieloperationalisierung, Work Breakdown Structure, Deliverables Plan, Risk and Issue Watchlist). Hierbei liegt der Schwerpunkt auf dem Tun, d. h. die Studierenden bleiben nicht bei der theoretischen Behandlung der Thematik stehen, sondern führen diese auch 83

tatsächlich durch. Dieser Ansatz unterstützt die natürliche Neugier und den natürlichen Tatendrang der Studierenden. Lernen findet beim Kontaktlernen auf zwei Arten statt. Einmal dadurch, dass auf dem Weg zur Zielerreichung Wissen benötigt wird und dieses somit auch von den Lernenden aufgefunden wird. Die Rückmeldung, dass dieses Wissen richtig und hilfreich ist, ergibt sich ganz natürlich daraus, dass die Lernenden ihrem Ziel ein Stück näher gekommen sind. Zum anderen findet Lernen aber auch durch Misserfolg statt, z. B. wenn Teilziele innerhalb des Projekts nicht erreicht werden können, weil die entsprechenden Fragestellungen nicht erfolgreich bearbeitet werden konnten. Durch Nacharbeit lernen die Studierenden, anfängliche Misserfolge in Erfolge umzuwandeln. Der Name Kontaktlernen kommt daher, dass die Lernenden mit dem Lehrmaterial durch Zielplanung, Handlungsplanung und Handlungsdurchführung in einen engen Kontakt kommen. Das Kontaktlernen baut auf der Methode von SCHANK und CLEARY (1995) auf, führt diese jedoch noch einen Schritt weiter, da auch das Ziel von den Studierenden entscheidend selbst entwickelt wird. Durch das selbstgegebene Ziel entsteht noch zusätzlich eine besondere motivationale Dynamik bei den Lernenden. Der Lehrende konzentriert sich, neben der Auswahl, Ausarbeitung und der Vorgabe des Szenarios, im Wesentlichen auf die laufende methodische Unterstützung der Lernenden, so dass diese ihre Ziele auch erfolgreich erreichen können. Der Lernende verbleibt beim Kontaktlernen nicht in der passiven Rolle des Informationsaufnehmenden, so wie dies in der traditionellen Gedächtnispsychologie meist angenommen wurde. Ein wichtiger Teil effektiven Lernens besteht offensichtlich in der aktiven Ausführung des Lerninhaltes. Dabei geht es vornehmlich um die Handlungsplanung und die motorische Durchführung dieser Handlung. REINERS (in Vorbereitung) geht daher von einem weiteren Gedächtnissystem aus, welches beim Lernen gebildet und genutzt wird, und nennt dieses das planerisch-motorische Gedächtnis. Diese Gedächtnisstruktur sitzt im Langzeitgedächtnis und hat die unschätzbare Eigenschaft, dass darin codierte Lerninhalte praktisch nicht mehr vergessen werden, also jederzeit schnell abrufbar sind. Wirkungsweise des Kontaktlernens Die Wirkungsweise des Kontaktlernens kann durch die nachfolgenden Mechanismen begründet werden: 1. Kontextabhängigkeit des Gedächtnisses. Der Abruf von Gedächtnisinhalten ist abhängig vom Kontext, in dem die Inhalte in das Gedächtnis codiert wurden. Ein ähnlicher Kontext verhilft beim Gedächtnisabruf, während ein sehr unterschiedlicher Kontext diesen behindert. Kontaktlernen ist immer in einen Kontext eingebunden. 2. Script-Lernen. Scripte sind kurze Sequenzen, was in bestimmten Situationen zu tun ist. Das Kontaktlernen vermittelt solche Scripte für praxisrelevante Situationen. Damit wird den Studierenden relevantes, prozedurales Können vermittelt (z. B. Erfolgreicher Umgang mit Beziehungsproblemen innerhalb eines Projektteams ). 3. Schema-Lernen. Schemata sind komplexe Gedächtnisinhalte zu einem bestimmten Themenbereich. Mit der Aneignung von geeigneten Schemata für praxisrelevante Situationen erhalten die Studierenden ein aktives, gesprächs- 84

fähiges und diskussionsfähiges Wissen, d. h. die Lerninhalte können in der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt reproduziert werden. 4. Lernen von Handlungswissen. Das Kontaktlernen unterstützt die erfolgreiche Aneignung von Handlungsregulatoren (z. B. Erstellung und Ausführung einer Strategie ). Solche Handlungsregulatoren können nur optimal gelernt werden, wenn ihre Konsequenzen auch praktisch erfahren werden. Diese Handlungsregulatoren sind für die Studierenden sehr wertvoll, da sie universal einsetzbar sind, d. h. auch in andere Situationen und Kontexte transferiert und erfolgreich angewendet werden können. Kontaktlernen im E-Zeitalter Unter dem Begriff E-Learning wird verstanden, dass Wissen über elektronische Medien bereitgestellt und aufgenommen wird. Wesentliche Merkmale dabei sind, dass das Wissen in multimedialer Form dargestellt wird und jederzeit und von überall aus verfügbar ist ( Ubiquität ). Trotz der Vielzahl und der Mode von E-Learning-Projekten kann man sich kritisch fragen, warum E-Learning traditionellen Lehrformen überlegen sein sollte. Meist wird doch der Lehrstoff weiterhin sequentiell dargeboten, so wie bisher, nur eben ubiquitär. Was ist also der Vorteil von E-Learning? Oder geht es beim E-Learning vornehmlich um die Einsparung von Lehrkräften? Elektronische Medien haben einen besonderen Vorteil gegenüber traditionellen Medien, wie zum Beispiel dem Buch, Texten oder Filmen. Lehrinhalte lassen sich nämlich in elektronischen Medien netzwerkartig (also nicht-sequentiell) darstellen. Damit muss der Lerninhalt von den Lernenden nicht sequentiell aufgenommen werden, sondern er kann dann gefunden und genutzt werden, wenn er auch tatsächlich benötigt wird. Dies erfordert jedoch eine andersartige Strukturierung der Lehrsituation. Mann sollte dann in der Lehre nicht Wissen darbieten und lernen lassen, sondern man sollte komplexe Aufgaben mit einer klaren Zieldefinition bearbeiten lassen, zu derer Lösung die Aneignung des Wissens notwendig ist. E-Medien eignen sich durch ihre netzwerkartige Strukturierung und Multimedialität besonders gut als Wissensträger für diese Aufgabe. In diesem Sinne eignet sich die Lehrmethode des Kontaktlernens besonders gut in Kombination mit E-Learning. Das Kontaktlernen ist sozusagen der Container zur effektiven Nutzung von E-Medien. Darüber hinaus ist die Methode des Kontaktlernens besonders für innovative Lehrgebiete geeignet. Wie in der Einleitung begründet, ist die reine Vermittlung von Faktenwissen hier wenig sinnvoll. Vielmehr vermittelt das Kontaktlernen den erfolgreichen Umgang mit dem sich schnell entwickelnden Lehrgebiet. Literatur ANDERSON, J.R. (1976). Language, memory, and thought. Hillsdale, NJ: Erlbaum. ANDERSON, J.R. (1988). Kognitive Psychologie. Eine Einführung. Heidelberg: Spektrum der Wissenschaft. BOWER, G.H., CLARK, M.C., LESGOLD, A.M. & WINZENZ, D. (1969). Hierarchical retrieval schemes in recall of categorical word lists. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 8, 323-343. 85

COLLINS, A.M. & QUILLIAN, M.R. (1969). Retrieval time from semantic memory. Journal of Learning and Verbal Behavior, 8, 240-247. CRAIK, F.I.M. & LOCKHART. R.S. (1972). Levels of processing: A framework for memory research. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 11, 671-684. GODDEN, D.R. & BADDELEY, A.D. (1975). Context-dependant memory in two natural environments: On land and under water. British Journal of Psychology, 66, 325-331. MADIGAN, S.A. (1969). Intraserial repetition and coding processes in free recall. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 8, 828-835. REINERS, W. (in Vorbereitung). Effektives Lernen mit der esaa-methode. Eine leichtverständliche Darstellung der Erkenntnisse der modernen Gedächtnispsychologie und die Schlussfolgerungen daraus: Wie sollte man lernen, damit man gelernte Inhalte auch langfristig erinnern kann? SCHANK, R.C. & CLEARY C. (1995). Engines for Education. Hillsdale, New Jersey. Lawrence Erlbaum. TULVING, E. & THOMSON, D.M. (1973). Encoding specificity and retrieval processes in episodic memory. Psychological Review, 80, 352-373. Autor Prof. Dr. Wolfram Reiners (Projektleitung) Fachhochschule Furtwangen Hochschule für Technik und Wirtschaft wolf.reiners@3mfuture.com 86