Fühlen, Riechen, Schmecken die versteckten Sinne

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Transkript:

Fühlen, Riechen, Schmecken die versteckten Sinne VL Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, Dipl.-Psych. S. Raisig, Humboldt Universität Berlin, WS 2008/2009

Überblick Fühlen somatosensorisches System: Funktionen, Reize und Rezeptoren räumliche Auflösung und kortikale Repräsentation Riechen olfaktorischer Sinn: Funktion; olfaktorischer Code Adaptation, Habituation Identifikation, Klassifikation Schmecken gustatorischer Sinn: 4 Geschmacksqualitäten Zusammenwirken der Sinne: Aroma

Somatosensorische Sinnessysteme Hautsinne Tastwahrnehmung, Temperaturwahrnehmung, Schmerzwahrnehmung lebensnotwendig: schützt vor Verletzungen Rezeptoren auf der Haut Stellungssinn Wahrnehmung der Stellung und feinmotorischen Bewegungen des Kopfes und der Gliedmaßen Rezeptoren in Muskeln und Gelenken, Sehnen und Haut Motorik: Auswertung der Efferenzkopien über motorische Signale eng verknüpft mit vestibulärem System

Somatosensorische Sinnessysteme Informationsaufnahme passiv oder aktiv passiv: Wahrnehmung der Umgebungstemperatur passive / zufällige Berührungen Stellungswahrnehmung der Gliedmaßen aktiv aktives Berühren & Tasten zur Exploration der Umwelt, Erkennung von Gegenständen haptische Wahrnehmung

Erkennen von Gegenständen durch aktive Exploration 3 beteiligte Systeme 1. sensorisches System: Beschaffenheit des Gegenstandes 2. motorisches System: bewegt Finger und Hände 3. kognitives System: fügt Informationen zusammen Lederman & Klatzky (1990): Explorative Handbewegungen

weitere Funktionen der haptischen Wahrnehmung Erkennen von Oberflächen (z.b. Brailleschrift) Aufbau des Körperschemas (Anorexie) Soziale Funktionen (z.b. Mutter-Kind-Interaktion, Sozialpsychologie)

Rezeptoren Mechanorezeptoren in der Haut: schnell leitende Fasern freie Nervenendigungen oder Nervenendstrukturen Merkelrezeptoren Meissner-Körperchen Ruffini-Körperchen Pacini-Körperchen 4 Subsysteme: reagieren auf Reize zwischen 0,3 und 500 Hz

Rezeptoren Adaptationsverhalten slow adapting, SA rapidly adapting, RA langsam (SA) antworten während gesamter Dauer der Reizung schnell Beginn und Ende der Reizung

taktile rezeptive Felder bestimmen räuml. Auflösung: taktile Unterscheidungsfähigkeit zwei Druckpunkte als getrennt erkannt, wenn RF verschiedener Mechanorezeptoren berührt werden Merkelzellen (SA1): beste räumliche Auflösung Auflösungsvermögen unterschiedlicher Hautbereiche abhängig von 1. Größe der rezeptiven Felder 2. Dichte der RF (Vallbo & Johansson, 1978)

kortikale Repräsentation taktile Information gelangt über Thalamus zum somatosensorischen Kortex neben motorischem Kortex Kortexoberfläche: topologisch angeordnete Karte der Körperoberfläche sensorischer Homunculus kortikale Vergrößerung

Homunculus

motorischer Kortex motorischer Homunculus kortikale Kartierung im motorischen Kortex

Riechen Geruchssinn Moleküle gasförmiger Substanzen erreichen Riechsinneszellen in der Nase Sinneszellen = Chemorezeptoren / Moleküldetektoren Neurogenese

Riechen Bedeutung / Funktionen Komponente des Schmeckens (Anosmie) Warnsystem (Torwächterfunktion) kommunikative Komponente (Duftstoffe als Lockmittel) emotionale Komponente (Erinnerungen) menschlicher Geruchssinn besser als sein Ruf: 1. sehr empfindliche Riechsinneszellen 2. kann bis zu 10 000 Gerüche unterscheiden 3. Unterschiedschwelle ähnlich wie beim Sehen oder Hören 4. Erkennung von Gerüchen

Riechapparat Bulbus olfactorius (Riechkolben) über Axone gelangt Signal zum Bulbus olfactorius Riechsinneszellen oder Geruchsrezeptorneurone Geruchsrezeptoren Geruchsstoff bindet an Geruchsrezeptoren Transduktion in neuronales Signal

Riechapparat in Glomeruli sind Axone der Riechsinneszellen über Synapsen mit Mitralzellen verbunden Konvergenz: ~ 100-1000 Riechzellen gleicher Duftstoffselektivität konvergieren auf eine Mitralzelle. über die Riechbahn ins Gehirn

Kodierung von Duftstoffen Riechsinneszellen für mehrere Duftstoffe empfindlich ein Duftstoff erregt mehrere Riechsinneszellen Duftstoff erregt Ensemble von Riechsinneszellen olfactorischer Code Geruchsqualität ist im Gesamtmuster der Reaktion vieler RSZ kodiert

Adaptation & Habituation Adaptation auf Rezeptorebene: Empfindlichkeit der Rezeptoren nimmt ab Duftstoff bindet an Geruchsrezeptor zieht sich in Zellwand zurück nach eineigen Minuten löst sich Duft vom Rezeptor Recycling Adaptationsgeschwindigkeit abhängig von Duftstoff Habituation kognitive Gewöhnung an einen Duft Geruch wird nicht mehr wahrgenommen durch Aufmerksamkeit rückgängig gilt nicht für Geruchssinn

Identifikation und Beschreibung von Duftstoffen Beschreibung von Düften schwierig - keine thalamische Verschaltung - Geruch RH, Sprache LH - Konkurrenz um Verarbeitungskapazität

zur Beschreibung von Duftstoffen: Basisgerüche? Vanille Jasmin Hans Henning: Geruchsprisma mit 6 Primärgerüchen alle anderen Düfte als Kombinationen Kiefer Zimt Eukalyptus John Amoore (1964): 7 Primärgerüche (blumig, ätherisch, moschusartig, kampferartig, schweißig, faulig, minzig) stereochemische Theorie: an Riechsinneszellen können nur bestimmte Moleküle andocken (Theorie nicht standhaft!)

Schmecken Geschmackssinn Moleküle gelöster Substanzen durch Geschmackssinneszellen auf Zunge aufgenommen Chemorezeptoren Bewertung von Speisen: Torwächterfunktion Neurogenese

Schmecken beginnt auf der Zunge Geschmacksrezeptoren werden von Geschmacksstoffen stimuliert Rezeptoren sind in Papillen auf der Zunge enthalten Wallpapillen Blätterpapillen Fadenpapillen Pilzpapillen

vier Grundqualitäten sauer, bitter, salzig, süß (metallisch, seifig, Glutamat?) molekularer Chemorezeptor für jede Grundqualität z.b. Salzigrezeptor Jede Geschmackswahrnehmung kann mit den vier Grundqualitäten beschrieben werden (ähnlich der Drei-Farben-Theorie) Genetische Grundlagen der Geschmackswahrnehmung PTC-Schmecker (Phenylthioharnstoff, bitter)

Kodierung von Geschmacksstoffen Einzelzellkodierung Wahrnehmungsqualität durch einzelnes Neuron bestimmt z.b. hochselektive Neurone im visuellen Kortex Populationskodierung Qualität durch Aktivitätsmuster vieler Neuronen determiniert Geschmack: Evidenzen für beide Kodierungsarten

Zusammenarbeit der Sinne beim Schmecken sind Geschmack- und Geruchssinn, Tastund Temperaturwahrnehmung und Sehen beteiligt Zusammenwirken von Geschmacks- und Geruchssinn Aromawahrnehmung Selbstversuch: Schmecken ohne Nase Geschmack nicht allein durch Stimulation der Geschmackssinneszellen auch abhängig von Erregung der Riechsinneszellen

Veränderung der Aromawahrnehmung 1. Alloästhesie (Veränderung der Empfindung) Abnahme des Aromas während der Mahlzeit Verschiebung von positiv zu negativ (Cabanac et al., 1971, 1979) Zusammenhang mit Sättigung 2. speisenspezifische Sättigung Bewertung von Speisen bevor und nachdem diese gegessen wurden (Rolls & Rolls, 1977) auch wenn Speisen nur gekaut wurden

Aromawahrnehmung: kortikale Areale kortikale Areale der Aromawahrnehmung verdeutlichen Zusammenwirken der Sinnessysteme laufen im orbitofrontalen Kortex zusammen enthält bimodale Neurone Zentrum der Aromawahrnehmung