Jugendkriminalität in Augsburg Ein Positionspapier des Kriminalpräventiven Rates Augsburg, Arbeitskreis Jugendkriminalität und Jugendschutz Stand: Oktober 2012 Allgemeine Situation Jugendkriminalität ist immer wieder ein schlagzeilenträchtiges mediales und politisches Thema. Ausgehend von spektakulären Einzelfällen wird ein zum Teil erheblich verzerrtes Bild vom Ausmaß jugendlicher Delinquenz aufgezeigt. Die Berichterstattung geht meist mit Forderungen nach einem verschärften Jugendstrafrecht und allgemein mehr Härte gegenüber jungen Menschen einher. Dabei ist Jugendkriminalität kein Phänomen unserer Zeit. Die sogenannte Age-Crime-Kurve, d.h. die höhere Bereitschaft zu Regelverstößen im Jugendalter, hat universelle Gültigkeit. Von den auffällig gewordenen Jugendlichen verübt aber nur ein geringer Prozentsatz schwere Straftaten. Für den Umgang mit mehrfachauffälligen Jugendlichen müssen, anstelle von Aktionismus, langfristige Strategien entwickelt werden. Hierzu bedarf es u.a. einer Betrachtung der Risikofaktoren, welche von der kriminologischen Forschung wie folgt benannt werden: geringer ökonomischer Status, geringer Bildungsstatus, innerfamiliäre Gewalterfahrungen sowie Gewalt befürwortende Männlichkeitsnormen. Ausgehend von allgemeinen Phänomenen der Jugenddelinquenz möchte dieses Papier die spezielle Situation in Augsburg in den Blick nehmen und daraus die notwendigen Strategien ableiten. Situation in Augsburg Statistik: Allgemein liegt der Anteil der Jugendlichen bei allen Tatverdächtigen 2012 bei 10,7% (2011: 10,7%), bei den Heranwachsenden waren es 2012 10,1% (2011: 10,4%) 1 Zur näheren Veranschaulichung die Zahlen aus 2012 zu ausgewählten Delikten (Anteil der Straftaten aus den einzelnen Deliktsbereichen begangen durch Jugendliche und Heranwachsende): Deliktsbereich Anteil Jgdl. Anteil Heranw. Ladendiebstahl 21,8% 5,2% Zweiraddiebstahl 38,7% 9,2% Diebstahl von/aus Automaten 36,4% 7,3% Erschleichen von Leistungen 15,4% 18,1% Gefährliche Körperverletzung 12,9% 17,3% Raub 18,4% 13,5% Sachbeschädigung 21,9% 13,3% Rauschgiftdelikte 15,6% 15,6% 1 Sicherheitsbericht 2012 des Polizeipräsidiums Schwaben Nord
Das Polizeipräsidium Schwaben Nord bearbeitet für das Stadtgebiet Augsburg derzeit 28 Jugendliche/Heranwachsende als Intensivtäter. Intensivtäter im Sinne der Rahmenvorgabe in Augsburg sind: Kinder, Jugendliche und Heranwachsende (8 Jahre bis einschließlich 20 Jahre), die fünf und mehr Straftaten innerhalb eines halben Jahres begangen haben, davon mindestens eine Gewaltstraftat und bei denen nach Würdigung des Einzelfalles wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass diese auch weiterhin Straftaten im erheblichen Ausmaß bzw. von erheblicher Bedeutung begehen werden. Hierbei sind insbesondere folgende Erkenntnisse von Bedeutung: o Tatbeteiligungen, persönliches Umfeld (evtl. Gruppenzugehörigkeit) o Familiäres und weiteres soziales Umfeld, besondere Lebensbedingungen o Suchtverhalten o Schulischer/beruflicher Werdegang und Situation o Bereits erfolgte jugendrichterliche Sanktionen und Maßnahmen der Jugendhilfe Weitere Risikobefunde: o Alkohol: Es ist hinlänglich bekannt, dass der zunehmende Alkoholkonsum von Jugendlichen ein Trend ist, der an Augsburg nicht vorübergegangen ist. Hierzu einige bayernweite Zahlen 2 : Tatverdächtige unter Alkoholeinfluss: Jugendliche Heranwachsende 1996: 5,2% 1996: 10,7% 2006: 15,7% 2006: 26,8% Bei den Gewaltdelikten unter Alkoholeinfluss lag der Anteil der Heranwachsenden 1996 bei 26,2%, 2006 lag er bei 51,2% Interessante Hinweise liefern auch die Zahlen zu den Tageszeiten: Zwischen 12:00 und 18:00 standen 2006 7,8% der Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss. In der Zeit zwischen 00:00 und 06:00 standen 2006 48,6% der Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss. o Schulschwänzer Schule schwänzen ist als Risikofaktor für Delinquenz bekannt. Das städtische Schulverwaltungsamt hat 2008 folgende Bußgeldbescheide wegen Schule schwänzen verhängt 3 : Berufschule: 344 Hauptschule: 199 Realschule: 0 Gymnasium: 0 2 Kriminologische Forschungsgruppe der Polizei, Dr. Johannes Luff, Alkohol und Kriminalität 3 Statistik des Schulverwaltungsamtes Augsburg, Stand: 21.01.2009
o Jugendarbeitslosigkeit: Im Stadtgebiet Augsburg waren arbeitslos nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren 4 im Jahresdurchschnitt 2005 2.319/Monat im Jahresdurchschnitt 2006 1.749/Monat im Jahresdurchschnitt 2007 1.371/Monat im Jahresdurchschnitt 2008 902/Monat Januar 2009 937 Februar 2009 1.058. Als Tendenz ist zumindest von 2005 bis einschließlich 2008 eine deutliche Minderung zu erkennen. Welche Auswirkungen die Wirtschaftskrise und andere Faktoren für die Zukunft haben werden, bleibt zu beobachten. o Lebenslagen und Migration Schlechte Bildungs- und Arbeitsmarktchancen, fragile familiäre Konstellationen und vor allem Armut und soziale Exklusion sind als kriminogene Faktoren bekannt. Entscheidend für gelingendes Aufwachsen ist weniger die Herkunft als vielmehr die soziale Lage, in der sich der Jugendliche und dessen Familie befindet. Der Armutsbericht der Bundesregierung nennt eine Armutsrisikoquote bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund von 32,6 %, bei Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund liegt diese bei 13,7 % 5. Eine kulturbedingte Besonderheit lässt sich jedoch im Bereich der gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen ausmachen. Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen 6 stellte hierzu fest, dass 2,2% der befragten deutschen Jugendlichen, aber 16,8% der Jugendlichen mit Migrationshintergrund solche Männlichkeitsnormen befürworten. Im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung sind Jugendliche mit Migrationshintergrund aus genannten Gründen im Gewaltbereich stärker belastet. Thesen: Aufgrund der besonderen Problematik im Bereich des Alkoholmissbrauchs wurde eine Projektgruppe Alkoholprävention eingerichtet, die ein Gesamtkonzept zur Prävention von Alkoholmissbrauch erarbeitete, das im März 2011 einstimmig durch den Augsburger Stadtrat zustimmend zur Kenntnis genommen wurde. Noch lange sind nicht alle Maßnahmenvorschläge umgesetzt. Dies sollte baldmöglichst vorangetrieben werden. Die gesonderte Fallbehandlung von Intensivtätern sowohl bei der Polizei als auch bei der Staatsanwaltschaft hat sich bewährt. Verbesserungen in der Zusammenarbeit mit der Verwaltung, insbesondere der Jugendgerichtshilfe und der Fahrerlaubnisbehörde, sind anzustreben. Es fehlen zudem koordinierte geeignete Maßnahmen zur pädagogischen Betreuung dieser Personengruppe. Auf das Gesamtkonzept zum Umgang mit jugendlichen Intensivtätern wird verwiesen. 4 Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Bestand an Arbeitslosen unter 25 Jahren differenziert nach SGB- Trägerschaft, Nürnberg, Zeitreihe 5 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, April 2005 6 Baier, Dirk/Pfeiffer, Christian/Windzio, Michael: Jugendliche mit Migrationshintergrund als Opfer und Täter
Die institutionsübergreifende Zusammenarbeit im Umgang mit auffälligen Jugendlichen muss ausgebaut und verbessert werden. Ein koordiniertes Netzwerk aus Sozialarbeitern, Lehrern, Polizei und Jugendamt soll Synergien schaffen und Doppelbetreuungen vermeiden. Um eine vernünftige Zusammenarbeit zu erreichen, bedarf es einer grundlegenden Klärung datenrechtlicher Vorschriften. In einigen deutschen Städten gibt es bereits einen hohen Anteil an traumatisierten Kriegsflüchtlingen in den Kriminalstatistiken. Auch Augsburg beherbergt Kriegsflüchtlinge. Diese kommen beispielsweise aus dem Irak und Afghanistan. Im Stadtgebiet Augsburg leben insgesamt 1.263 Personen aus dem Irak, davon sind 296 zwischen 14 und 27 Jahre alt. Aus Afghanistan leben 84 Personen in Augsburg., Um dieser besonders hohen Belastungen ausgesetzten Zielgruppe gerecht zu werden, sollten sich Beratungsstellen und andere Hilfsangebote verstärkt mit dem Thema Traumabewältigung beschäftigen. Der hohe Anteil an Schulverweigerern in den Berufschulen und Hauptschulen braucht sinnvollere Antworten als den Erlass von Bußgeldbescheiden. Diese sind ultima ratio. Hier gilt es, ein abgestimmtes Konzept zu entwickeln, welche Maßnahmen wann und von wem zu ergreifen sind, wenn sich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene der Schule entziehen. Bei der Festlegung der Maßnahmen ist ein differenzierter Umgang mit Schulvermeidern und Schulschwänzern vorzunehmen. Miteinbezogen gerade für den Bereich der Schulvermeider (Schulangst, Schulphobie) sollten Anstalten der Kinder- und Jugendpsychiatrie, beispielsweise das Augsburger Josefinum, das sich mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Da laut Schulverwaltungsamt im Bereich der Augsburger Realschulen und Gymnasien 2008 keinerlei Verfahren gegen Schulverweigerer eingeleitet wurden, sollte die Frage geklärt werden, wie bei diesen Schulformen und Förderschulen mit diesem Thema umgegangen wird. Gewalthandlungen gehen weiterhin überwiegend von Jungen aus, doch auch Mädchengewalt nimmt zu. Daher sollen Präventionsangebote und Maßnahmen noch stärker geschlechtsspezifische Gesichtspunkte in den Mittelpunkt rücken. In Augsburg leben, mit einem Anteil von ca. 40 %, sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund. Mitarbeiter der Jugendhilfe und der sozialen Dienste sollen deshalb über entsprechende interkulturelle Kompetenzen verfügen. Hierzu sollen qualifizierte Fortbildungsangebote zur Verfügung gestellt werden. Jugendliche brauchen Treffpunkte; dies hat der AK Jugend bereits in seiner Sitzung vom 09.10.2007 festgestellt. Leider kommt es immer häufiger zu Konflikten zwischen Anwohnern und Nutzern von Grünanlagen, Spielplätzen und anderen öffentlichen Räumen. Hier setzt das neue Konzept Konflikte im öffentlichen Raum Intervention und Prävention an, welches am 24.04.2008 unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Arbeitskreises Jugend im Stadtrat beschlossen wurde. Seit Dezember 2008 trifft sich die Steuerungsgruppe, bestehend aus Fachleuten der Polizei, dem Amt für Grünordnung, dem SJR, der Mehrgenerationstreffpunkten, der Geschäftsführung des Kriminalpräventiven Rates, der kommunalen Jugendarbeit und Jugendhilfeplaner, um die gemeinsamen Abstimmungen auf gesamtstädtischer Ebene einzubringen. Zusätzlich werden Interventionsgruppen an den auffälligen Orten, wo sich noch keine Arbeitskreise befinden, aufgebaut, die sich aus Streetworkern, Dienststellenleitern der Polizei, offener Jugendarbeit, Schulen, Vereinen, Kommunaler Jugendarbeit, Kirche, Bürgerinitiativen, etc. zusammensetzen. Diese Gruppen nehmen eine fallbezogene Abstimmung in den Sozialregionen Süd, Mitte, Nord-West und Ost vor. Zudem haben die Interventionsgruppen den Aufgabenbereich Präventive Projekte zu initiieren. Mögliche Projekte dieser Art sind Spielplatzpaten und jugendliche Streitschlichter ähnlich den Streit-
schlichtern an Schulen. Insbesondere werden auch die Bedürfnisse der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen als Nutzer der öffentlichen Räume abgefragt. Präventions- und Interventionsprogramme zur Reduzierung der Jugendkriminalität mit Aussicht auf Erfolg sollten bei den in vielen Studien nachgewiesenen Risiko- und Schutzfaktoren ansetzen. Schutzfaktoren sind beispielsweise familiärer Zusammenhalt, Gelegenheit zur pro-sozialen innerfamiliären Mitwirkung, Honorierung innerfamiliärer Mitwirkung und eine stabile Werteordnung. Zur Stärkung dieser Schutzfaktoren sind frühpräventive Maßnahmen geeignet, die sich an Eltern, Kinder oder Erziehungspersonal richten und von der Schwangerschaft über die frühe Elternzeit bis hin zu Programmen in Kindergarten und Grundschule reichen. Ziele der Frühprävention sind die Stärkung der sozialen Kompetenz der Kinder und der Erziehungskompetenz der Eltern. Fazit: Die Situation im Bereich der Jungendkriminalität unterscheidet sich nicht sonderlich von anderen Städten vergleichbarer Größe. Für die Bevölkerung besteht keinerlei Anlass zur Beunruhigung. Die Auffälligkeiten sind in der Regel alterstypisch und ihnen kann mit den herkömmlichen Mitteln des Strafrechts begegnet werden. Freie Träger wie die BRÜCKE e.v. leisten hier seit Jahren bereits wertvolle Arbeit. Es gibt in Augsburg keine No-Go-Areas und keine Bandenstrukturen unter Jugendlichen. Sorgen bereiten der zunehmende Alkoholkonsum und eine kleine Gruppe so genannter Intensivtäter. Hierauf sollte die Kriminalpolitik der Stadt ein besonderes Augenmerk legen, denn angesichts der hohen Deliktbelastung dieser Zielgruppe könnten hier bei geeigneter Intervention auch sichtbare Erfolge zu erzielen sein. Ferner sollten vermehrt geeignete frühpräventive Projekte und Programme installiert und unterstützt werden.