Österreichisches Verfassungsrecht

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LPS Verfassungsrecht 2.0.fm Seite 2 Dienstag, 6. Oktober 2009 9:39 09 4.4. Bundes- und Landesbehörden 4.5. Die Gemeinden 4.6. Grundsätze des Verwaltungshandelns 4.7. Die Gerichte 5. Garantien der Verfassung : Die Kontrolle staatlichen Handelns 5.1. Die Unabhängigen Verwaltungssenate 5.2. Sonstige Institutionen 5.3. Der Verwaltungsgerichtshof 5.4. Der Verfassungsgerichtshof 5.5. Der Rechnungshof 5.6. Die Volksanwaltschaft 6. Einen immer engeren Zusammenschluss : Verfassungsrecht und 6. Europäische Union 7. Abstimmung des gesamten Bundesvolkes : Die Änderung der Verfassung Demokratische Republik Bundes- Verfassungsgesetz Rechtsquellen 1. Eine demokratische Republik : Einleitung Im Anfang ist beinahe schon alles gesagt. Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus lautet Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes (BGBl 1930/1). Dieser Artikel spricht die beiden fundamentalen Grundsätze der Verfassung aus: In der Demokratie ist das Volk souverän und die Republik kennt keine Untertanen, in ihr legen Bürgerinnen gemeinsam und gleichberechtigt die Regeln und Prinzipien des Staatslebens fest. Die demokratische Republik respektiert die Bindung aller staatlichen Macht an den Willen des Volkes durch die Gesetzgebung der vom Volk gewählten Parlamente und sie respektiert die Unhintergehbarkeit der Individualität jedes einzelnen Menschen durch die Garantie von Grundrechten. Die österreichische Verfassung lässt sich als Ausformulierung dieser in Art 1 ausgesprochenen Grundsätze der Volkssouveränität und der Menschenrechte verstehen. Als das Bundes-Verfassungsgesetz im Jahr 1920 beschlossen wurde, waren weder Volkssouveränität noch Menschenrechte neue Ideen, aber auf österreichischem Boden erst seit Kurzem anerkannt: Die Monarchie war erst 1918 abgeschafft und das Wahlrecht von Frauen erstmals 1919 ausgeübt worden. Die im Bundes-Verfassungsgesetz aufgestellten Prinzipien der demokratischen Republik haben sich aber trotz der zerrütteten wirtschaftlichen und ideologischen Lage der Ersten Republik und über den zwischen 1933 und 1945 herrschenden Faschismus und Nationalsozialismus hinaus erhalten. Nach der Befreiung Österreichs wurde diese Verfassung im Dezember 1945 wieder in Kraft gesetzt und gilt, wenn auch mit einigen Änderungen, bis heute fort. Wenn von der österreichischen Verfassung die Rede ist, greift der Verweis auf das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 aber zu kurz. Dieses Gesetz ist zwar die wichtigste, aber nicht die einzige Quelle 2 LPS LINDE Praktiker Skripten Basic

LPS Verfassungsrecht 2.0.fm Seite 3 Dienstag, 6. Oktober 2009 9:39 09 des Verfassungsrechts. Anders als in Deutschland, wo die gesamte Verfassung in einem Gesetz, dem Grundgesetz, vereinigt ist, gibt es österreichisches Verfassungsrecht in verschiedenen Erscheinungsformen. Bevor auf diese Vielfalt näher eingegangen wird, soll noch der Begriff des Verfassungsrechts näher erläutert werden. Verfassungsrecht ist das höchste Recht im Staat. Es steht über allen anderen Rechtsnormen, über allen einfachen Gesetzen, Verordnungen, Urteilen und Bescheiden. Diese Überordnung findet darin ihren Ausdruck, dass die anderen Rechtsnormen dem Verfassungsrecht nicht widersprechen dürfen, da sie sonst rechtswidrig sind und vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden können. Das niederrangige Recht muss sich also daran halten, was das höherrangige Recht anordnet. Da Verfassungsrecht den höchsten Rang im Stufenbau des Rechts hat, bildet es den Rahmen für die gesamte übrige Rechtsordnung. Für die Entstehung von Verfassungsrecht bedarf es eines Beschlusses des Nationalrates mit einer Mehrheit von zwei Dritteln. Auf diese Weise können nicht nur Bundesverfassungsgesetze (BVG) erzeugt, sondern auch einzelne Teile, Paragraphen oder Absätze eines einfachen Bundesgesetzes können in Verfassungsrang gehoben werden (sogenannte Verfassungsbestimmungen). Das österreichische Verfassungsrecht ist dadurch einigermaßen zersplittert, als wichtigste Rechtsquellen lassen sich aber nennen: Das bereits erwähnte Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920 (im Folgenden kurz: B-VG, Bundesgesetzblatt 1930/1 in der Fassung der letzten Änderung BGBl I 2009/47). Die Artikel des B-VG werden im Folgenden ohne Nennung des Gesetzes zitiert, Art 18 verweist also auf Artikel 18 des B-VG. Die Europäische Menschenrechtskonvention (im Folgenden kurz: MRK, BGBl 1958/210 idf BGBl III 2002/179) samt ihren Zusatzprotokollen. Das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (im Folgenden kurz: StGG, RGBl 1867/142 idf BGBl 1988/684). Das Finanz-Verfassungsgesetz (im Folgenden kurz: F-VG, BGBl 1948/45 idf BGBl I 2007/103). Diese Einführung in das österreichische Verfassungsrecht setzt voraus, dass die Leserin zumindest über eine aktuelle Ausgabe des B-VG verfügt. Die Rechtsnormen, auf die ich verweise, enthalten immer über den vorliegenden Text hinaus führende Informationen. Begriff des Verfassungsrechts Entstehung von Verfassungsrecht LPS LINDE Praktiker Skripten Basic 3

LPS Verfassungsrecht 2.0.fm Seite 4 Dienstag, 6. Oktober 2009 9:39 09 Alle staatlichen Funktionen können sowohl von Männern als auch von Frauen ausgeübt werden. Um diese Neutralität der Verfassung zu betonen, ist im folgenden Text entgegen der (männlichen) Konvention nur von Frauen als Amtsinhaberinnen die Rede. Die Formulierungen sind aber geschlechtsneutral zu verstehen. Parlamente 2. Ihr Recht geht vom Volk aus : Die Gesetzgebung Zur Gesetzgebung sind vom Volk direkt gewählte Parlamente berufen, auf Bundesebene der Nationalrat, die Landtage in den Ländern. Gesetzgebung des Bundes Grundsätze Wahlrecht Gleichheit 2.1. Der Nationalrat Der Nationalrat ist das Organ der Gesetzgebung des Bundes. Er ist von der Verfassung als die zentrale Institution des Staates vorgesehen. 2.1.1. Die Nationalratswahlen Die Grundsätze für Wahlen zum Nationalrat sind im B-VG enthalten. Genauere Bestimmungen über die Durchführung des Wahlverfahrens finden sich in einem einfachen Bundesgesetz, der Nationalrats-Wahlordnung (BGBl 1992/471, im Folgenden kurz: NRWO). Wahlberechtigt sind alle Frauen und Männer, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und am Wahltag das 16. Lebensjahr vollendet haben (aktives Wahlrecht). Wählbar sind alle Wahlberechtigten, die am Wahltag mindestens 18 Jahre alt sind (passives Wahlrecht). Vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen sind nur Personen, die von einem inländischen Gericht zu einer mehr als einjährigen unbedingten Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind. Dieser Ausschluss endet sechs Monate nach Verbüßung der Strafe ( 22 Abs 1 NRWO). Die Verfassung nennt fünf Grundsätze des Wahlverfahrens: das gleiche, unmittelbare, persönliche, geheime und freie Wahlrecht (Art 26 Abs 1). Die Gleichheit des Wahlrechts legt fest, dass jede Stimme gleich viel zählen muss. Jeder Mensch hat eine Stimme und jede Stimme muss grundsätzlich den gleichen Einfluss auf die Mandatsverteilung haben. Weder ein großes Vermögen (wie im Wahlrecht der österreichischen Monarchie des 19. Jahrhunderts) noch eine große Kinderzahl oder andere Eigenschaften dürfen den Wert einer Stimme erhöhen. 4 LPS LINDE Praktiker Skripten Basic

LPS Verfassungsrecht 2.0.fm Seite 5 Dienstag, 6. Oktober 2009 9:39 09 Die Unmittelbarkeit des Wahlverfahrens bedeutet, dass die Abgeordneten im Nationalrat direkt gewählt werden können. Ausgeschlossen ist damit ein System wie bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen, wo von den Wählerinnen nicht die zukünftige Präsidentin selbst, sondern eine bestimmte Zahl von Electors gewählt wird, die wiederum die Präsidentin wählen. Die Stimmen sind weiters nur persönlich abzugeben, eine Wählerin darf sich bei der Wahlhandlung nicht vertreten lassen. Wer zum Zeitpunkt der Wahl nicht selbst vor der zuständigen Wahlbehörde im Wahllokal erscheinen kann (wegen Krankheit, Reise oder eines Aufenthalts im Ausland), hat die Möglichkeit, die Stimme mittels Briefwahl abzugeben (Art 26 Abs 6). Die Stimmabgabe muss geheim erfolgen. Niemand soll erfahren können, wen eine Person gewählt hat. Die Geheimhaltung ist durch entsprechende Vorkehrungen während des Wahlvorganges (Wahlzellen, undurchsichtige Kuverts etc) sicherzustellen. Auf die geheime Ausübung des Stimmrechts kann auch nicht verzichtet werden: Selbst wenn jemand den Stimmzettel offen ausfüllen will, ist das von der Wahlbehörde zu untersagen (vgl 68 Abs 2 NRWO). Die Freiheit des Wahlverfahrens verbietet es einerseits, dass auf die Wählerinnen Druck ausgeübt wird, wem sie ihre Stimme zu geben haben. Das Strafgesetzbuch (BGBl 1974/60, im Folgenden kurz: StGB) enthält deshalb besondere Vorschriften, die Behinderung, Täuschung oder Bestechung im Zuge einer Nationalratswahl unter Strafe stellen ( 261 ff StGB). Andererseits bedeutet Freiheit der Wahl auch Freiheit der Wahlwerbung: Alle Staatsorgane haben sich während des Wahlkampfes in ihrer Funktion als Staatsorgane neutral zu verhalten, insbesondere dürfen staatliche Mittel nicht einseitig zur Unterstützung einzelner Parteien eingesetzt werden. Der Nationalrat besteht aus 183 Mitgliedern ( 1 Abs 1 NRWO), bei der Nationalratswahl sind also 183 Mandate zu vergeben. Dazu werden die Mandate auf 43 Regionalwahlkreise nach der Zahl der Bürgerinnen verteilt. Im Wahlkreis 2 B Villach waren beispielsweise bei der Nationalratswahl im Jahr 2008 drei Mandate zu vergeben, im Wahlkreis 9 D Wien Süd sieben Mandate. Zur Vergabe von Restmandaten existieren darüber hinaus noch neun Landeswahlkreise (die neun Bundesländer) und ein Ausgleich auf Bundesebene. In Art 27 Abs 1 ist die Gesetzgebungsperiode des Nationalrates mit fünf Jahren festgelegt. Es müssen also mindestens alle fünf Jahre Nationalratswahlen stattfinden. Aber auch vorgezogene Wahlen sind Unmittelbarkeit Persönliche Stimmabgabe Geheime Stimmabgabe Freiheit der Wahl 183 Mandate Gesetzgebungsperiode LPS LINDE Praktiker Skripten Basic 5

LPS Verfassungsrecht 2.0.fm Seite 6 Dienstag, 6. Oktober 2009 9:39 09 Wahlbehörden Wählerevidenz Wahlvorschlag Ermittlungsverfahren möglich, dann nämlich, wenn es der Nationalrat selbst durch einfaches Gesetz beschließt (Art 29 Abs 2) oder wenn er von der Bundespräsidentin aufgelöst wird (Art 29 Abs 1). In jedem Fall wird die Neuwahl von der Bundesregierung ausgeschrieben, das heißt, die Bundesregierung legt den Wahltag und die für die Wahl relevanten anderen Fristen fest (vgl Art 27 Abs 2). Vor jeder Wahl werden nun Wahlbehörden gebildet, die den Wahlvorgang organisieren (Art 26a). Das sind im Wesentlichen die Personen, die den Wahltag im Wahllokal verbringen und die Ausgabe der Stimmzettel, die Ausweiskontrolle und die Auszählung der Stimmen durchführen. Diese Personen werden von den an der Wahl teilnehmenden Parteien nominiert (vgl 14 NRWO). Damit wird sichergestellt, dass sich die Parteien gegenseitig kontrollieren können und die Wahl ordnungsgemäß abläuft. Zur Koordinierung der einzelnen Wahlbehörden eines Wahlsprengels existieren auch Gemeinde-, Bezirksund Landeswahlbehörden, die in gleicher Weise besetzt sind. Die Bundeswahlbehörde führt während der Wahl die Oberaufsicht, ihre Vorsitzende ist die Bundesministerin für Inneres, und ihr gehören neben den von den Parteien entsendeten Mitgliedern auch zwei (unabhängige) Richterinnen an ( 12 NRWO). Jede Gemeinde hat eine Wählerevidenz zu führen, in der alle österreichischen Staatsbürgerinnen verzeichnet sind, die älter als 14 Jahre und vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen sind sowie in der Gemeinde ihren Hauptwohnsitz haben ( 2 Wählerevidenzgesetz, BGBl 1973/601). Auf der Grundlage dieser Datenbank werden vor den Wahlen die Listen der Stimmberechtigten, die Wählerverzeichnisse ( 23 NRWO), erstellt. Um bei der Mandatsverteilung berücksichtigt zu werden, müssen die Parteien für den entsprechenden Wahlkreis einen Wahlvorschlag vorlegen (Regional-, Landes- und Bundeslisten). Zur Wahl stehen nun, entgegen der verbreiteten Meinung, nicht die politischen Parteien selbst, auch wenn ihre Kurzbezeichnungen (SPÖ, ÖVP, GRÜNE etc) auf den Stimmzetteln aufscheinen. Genau genommen steht unter dieser Parteibezeichnung aber eine Liste von Personen zur Wahl: Diese Personen sind, falls auf die Partei genügend Stimmen entfallen, gewählt, auch wenn sie der politischen Partei nicht oder (später) nicht mehr angehören. Nach Abschluss der Wahlhandlung am Wahltag, der ein Sonn- oder Feiertag sein muss, werden die Stimmen von der jeweiligen Wahlbehörde ausgezählt. Die Verteilung der Mandate erfolgt in drei Ermittlungsverfahren: Zuerst werden die Mandate in den Regionalwahlkreisen vergeben. Dazu wird die Anzahl der im jeweiligen Landeswahlkreis abgege- 6 LPS LINDE Praktiker Skripten Basic

LPS Verfassungsrecht 2.0.fm Seite 7 Dienstag, 6. Oktober 2009 9:39 09 Ein Beispiel: Bei der Nationalratswahl 2008 wurden in Kärnten 344.541 gültige Stimmen abgegeben. Da in Kärnten 13 Mandate zu vergeben sind, betrug die Wahlzahl 26.504. Im Regionalwahlkreis Villach erreichte das BZÖ mehr als diese Stimmenanzahl (nämlich 28.292), deshalb wurde in diesem Wahlkreis ein Mandat dem BZÖ zugewiesen. Im zweiten Ermittlungsverfahren, auf Landesebene, werden die im Landeswahlkreis erreichten Stimmen durch die Wahlzahl geteilt und den Parteien entsprechend Mandate zugewiesen, jedoch abzüglich der bereits in einem Regionalwahlkreis erreichten Mandate. Am zweiten (und dritten) Ermittlungsverfahren nehmen nur Parteien teil, die entweder bundesweit mindestens vier Prozent der Stimmen erzielt oder in einem der Regionalwahlkreise ein Mandat ( Grundmandat ) erreicht haben. Ein anderes Beispiel von der Nationalratswahl 2008 in Kärnten: Auf die SPÖ entfielen in Kärnten 96.702 Stimmen, somit landesweit drei Mandate. Da der SPÖ nur in einem Regionalwahlkreis (Kärnten Ost) bereits ein Mandat zugewiesen wurde, gelten die ersten beiden Kandidatinnen der SPÖ-Landesliste als gewählt. Das dritte Ermittlungsverfahren findet auf Grundlage des bundesweiten Wahlergebnisses statt. Hier werden alle 183 Mandate unter Anwendung des d Hondtschen Verfahrens aufgeteilt, die schon in einem Regionaloder Landeswahlkreis erzielten Mandate allerdings zuvor abgezogen. Exkurs: Das d Hondtsche Verfahren. Dieses Verfahren dient der Berechnung der Mandatsverteilung auf Grund eines Wahlergebnisses nicht nur bei der Nationalratswahl, sondern auch bei vielen anderen Wahlen (etwa auch bei Betriebsratswahlen). Zur Ermittlung der Mandatsverteilung werden die auf die einzelnen Parteien entfallenden Stimmen nebeneinander aufgeschrieben, darunter die Hälfte dieser Stimmen, darunter ein Drittel, dann ein Viertel usw. Sind nun beispielsweise neun Mandate zu vergeben, entfallen sie auf die neun höchsten Zahlen dieser Tabelle. benen gültigen Stimmen durch die Anzahl der in diesem Landeswahlkreis zu vergebenden Mandate geteilt, das Ergebnis bildet die Wahlzahl. Jede Parteiliste enthält nun so viele Mandate in einem Regionalwahlkreis, wie die Wahlzahl in der Gesamtzahl der Stimmen für die Partei in diesem Wahlkreis enthalten ist. Regionalwahlkreis Landeswahlkreis Bundesweiter Ausgleich Mandatsverteilung LPS LINDE Praktiker Skripten Basic 7