Fernsehqualität aus der Perspektive des Rundfunkprogrammrechts

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Transkript:

Fernsehqualität aus der Perspektive des Rundfunkprogrammrechts Torsten Maurer/Joachim Trebbe 1 Problemstellung In Deutschland findet eine kontinuierliche Analyse von Fernsehprogrammen im Rahmen von drei Studien statt, die unterschiedliche Forschungsperspektiven zugrunde legen. (1) Seit 1985 wertet Udo Michael Krüger im Auftrag der ARD/ZDF-Medienkommission mit wechselnden Stichprobenkonzepten Programmaufzeichnungen von ARD/Das Erste, ZDF, RTL, Sat.1 und ProSieben aus. Ziel des Vergleichs von öffentlich-rechtlichen und privaten Programmangeboten ist die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Kontext der deutschen Medienpolitik. (2) Die GfK-Zuschauerforschung codiert seit 1992 im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung täglich die Sendeprotokolle von ca. 20 Programmen. Hierbei ist es das Ziel, Programmdaten für die identifizierbaren Programmgattungen, Programmgenres und Sendungsformate zu gewinnen, die von den Fernsehveranstaltern für das Programm-Controlling genutzt werden. (3) Hans-Jürgen Weiß und Joachim Trebbe analysieren seit 1997 im Auftrag der deutschen Landesmedienanstalten kontinuierlich die acht deutschen Fernsehvollprogramme auf der Grundlage aufgezeichneter Programmstichproben (»ALM-Studie«). Ausgangspunkt dieser Studie sind die Aufsichtsaufgaben der Landesmedienanstalten über den privaten Rundfunk. 37

Fernsehqualität aus der Perspektive des Rundfunkprogrammrechts Die jeweiligen Perspektiven der drei Untersuchungen schlagen sich dabei nicht erst in der unterschiedlichen Nutzung und Interpretation der ermittelten Programmdaten nieder, sondern zeigen sich vielmehr bereits in unterschiedlichen Analysekonzepten bzw. in unterschiedlichen Konzepten von Programmqualität. In der Debatte um die Qualität von Medienangeboten ist bereits hinlänglich thematisiert worden, dass Medienqualitäten nicht als absolut gegebene Medieneigenschaften zu verstehen sind (vgl. z. B. Hasebrink 1997). Qualität meint vielmehr die Relationen zwischen Mediencharakteristika einerseits und auf Medienleistungen bezogene Wertmaßstäbe andererseits, wobei Letztere ihre Begründung erst aus der jeweils spezifischen Urteilerperspektive erhalten. So sind Wertmaßstäbe oder Qualitätskriterien für Fernsehprogrammangebote und ihre Erhebung im Kontext empirischer Inhaltsanalysen ebenfalls vom Urteilerstandpunkt abhängig. Im Fall der Fernsehprogrammanalysen begründen sich die Kriterien in den ersten beiden genannten Studien aus der Perspektive der Programmveranstalter. Bei der ALM-Studie werden die Qualitätskriterien aus den normativen Vorgaben abgeleitet, deren Einhaltung bei den privaten Fernsehvollprogrammen durch die Landesmedienanstalten überwacht wird (RStV 35 Abs. 1) 1. Eine vergleichende Diskussion der drei Programmanalysen im Hinblick auf die zugrunde gelegten Qualitätskriterien soll in diesem Beitrag nicht vorgenommen werden und sollte unseres Erachtens auch besser von außen erfolgen. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es vielmehr, die Möglichkeiten und Grenzen einer an Qualitätskriterien orientierten Fernsehprogrammforschung am Beispiel der ALM-Programmforschung aus der Innensicht dieser Studie zu diskutieren. Erörtert werden im Folgenden die Qualitätsperspektive der ALM-Studie, ihre Begründung und ihre Operationalisierung. Dabei wird es einerseits um die Herleitung konkreter Vorstellungen von Programmqualität aus dem Rundfunkprogrammrecht gehen, zum anderen um ihre Überführung in Analysedimensionen, zu denen mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung kontinuierlich intersubjektiv überprüfbare Programmdaten erhoben werden. An ausgewählten Untersuchungsbeispielen soll gezeigt werden, dass der Dimensionierung und Operationalisierung von»programmqualität«eine zen- 1 Rundfunkstaatsvertrag vom 31. August 1991 in der Fassung des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages, in Kraft seit dem 1. April 2005. 38

Torsten Maurer/Joachim Trebbe trale Rolle zukommt, wenn es um die Darstellung, Diskussion und Beurteilung von Fernsehprogrammangeboten in medienpolitisch relevanten Handlungskontexten geht. Abbildung 1: Die Systematik einer normativ-analytischen Programmforschung Quelle: Weiß/Trebbe 1994: 18. 2 Dimensionen von Qualität in der ALM-Studie Grundsätzlich verlangt eine Programmforschung, die Bezug auf das deutsche Rundfunkprogrammrecht nimmt und als normativ-analytisch bezeichnet werden kann (vgl. Weiß 1993: 41), danach, dass sich die Ergebnisse der empirischen Untersuchung eindeutig auf die Kategorien der gesetzlichen Programmnormen zurückbeziehen lassen. Erst damit ist ein Vergleich der Programmrealität mit den gesetzlichen Anforderungen möglich (vgl. Weiß 1992: 43). Ein solcher Soll/Ist-Vergleich kann jedoch nur dann vollzogen werden, wenn schon am Anfang der Untersuchung die Interpretation der programmbezogenen Rechtsnormen in sozialwissenschaftlichen Bezügen erfolgt der klassische Untersuchungsablauf, bestehend aus der Formulierung von Hypothesen, der Operationalisierung, der Datenerhebung und dem Hypothesentest, schließt sich hier an (s. Abb. 1). Der Begriff der Interpretation ist dabei bewusst gewählt, da die Unbestimmtheit der programmbezogenen Rechtsbegriffe einen so großen Spielraum für deren Übersetzung in empirisch mess- 39

Fernsehqualität aus der Perspektive des Rundfunkprogrammrechts bare Kategorien eröffnet, dass weniger von einer systematischen Ableitung als vielmehr von einer ihrerseits begründungsbedürftigen Interpretation gesprochen werden muss (vgl. Weiß/Trebbe 1994; Bruns/Marcinkowski 1997: 44 ff.). Die rundfunkrechtlichen Anforderungen an Fernsehvollprogramme die im vorliegenden Kontext einer normativ-analytischen Programmforschung als Kriterien von Programmqualität begriffen werden finden sich in unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, zu denen Art. 5 GG, die Rechtsprechung des BVerfG, der Rundfunkstaatsvertrag oder die Landesmediengesetze gehören. Dabei sind unterschiedliche Formulierungen in den diversen Rechtstexten aus einer Makroperspektive weniger bedeutsam als die grundlegenden, auf die Gesamtstruktur der Programme bezogenen Zielsetzungen der Gesetzgeber. So wird etwa mit wechselndem Wortlaut die Förderung deutscher und europäischer Produktionen ebenso gefordert wie ein wesentlicher Anteil an Eigenproduktionen. Es gibt Regelungen zum Jugendschutz, zum Sponsoring, zur Werbung etc., deren Einhaltung als Qualitätsmerkmal zu gelten hat. Als zentrale Kriterien der Qualität von Fernsehprogrammangeboten, denen sowohl aus einer kommunikationswissenschaftlichen als auch aus einer normativen Perspektive eine besondere Bedeutung zugewiesen wird, lassen sich vor allem die Vielfalt, die journalistische Professionalität bzw. Objektivität und die Relevanz identifizieren (vgl. Schatz/Schulz 1992; McQuail 1992; Hagen 1995; Maurer 2005a). Von diesen Kriterien sind es insbesondere die Vielfalt und die Relevanz, die im Mittelpunkt der ALM-Studie stehen, 2 wobei im Hinblick auf die Vielfalt der Unterscheidung zwischen struktureller und inhaltlicher Vielfalt gefolgt wird (vgl. BVerfGE 87, 181; Schatz/Schulz 1992: 693 ff.). Das Gebot der strukturellen Vielfalt wird in der ALM-Studie zuerst auf die Relation von informierenden, bildenden, beratenden und unterhaltenden Programmsparten bezogen, die als konstituierende Elemente von Rundfunkvollprogrammen gesehen werden (RStV 2 Abs. 2). Des Weiteren wird darunter die Vielfalt an Programmformaten im Bereich der Fernsehpublizistik verstanden (s. Abb. 2). In den Bereich der Fernsehpublizistik fallen dabei je- 2 Im Grundsatz erlaubt das Modell der ALM-Studie auch die (themenbezogene) Analyse der journalistischen Professionalität mit Aspekten wie Neutralität, Ausgewogenheit, Vollständigkeit oder Richtigkeit. Im Rahmen der als Längsschnittanalyse konzipierten Programmanalyse ist sie jedoch nicht Gegenstand der Routineanalysen. 40

Torsten Maurer/Joachim Trebbe ne Sendeformen»zur Darstellung, Analyse und Kommentierung aller nur denkbaren öffentlichen und privaten, politischen und unpolitischen Themen, Ereignissen, Problemen etc. der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen [...] Welt«(Weiß/Trebbe 2001: 57). Abbildung 2: Qualitätsdimensionen und Qualitätsindikatoren der ALM-Studie Die aus der Medium- und Faktorfunktion abgeleitete Forderung nach inhaltlicher Vielfalt meint grundsätzlich die Bandbreite der unterschiedlichen Meinungen und Informationen, die im Programm dargestellt werden. In der ALM-Studie wird inhaltliche Vielfalt primär als Berichterstattung über unterschiedliche Themenbereiche innerhalb der Fernsehpublizistik gemessen, da davon ausgegangen wird, dass inhaltliche Vielfalt primär in informierenden Programmangeboten zu realisieren ist (vgl. Hoffmann-Riem/Schulz 1998: 160). Ebenfalls im fernsehpublizistischen Programmsegment ist im vorliegenden Kontext das Kriterium der Relevanz verortet. So wird den verschiedenen Themenbereichen in unterschiedlichem Maße eine gesellschaftliche Relevanz beigemessen und der Berichterstattung über politische bzw. gesellschaftlich kontroverse Themen kommt hierbei die höchste Relevanz zu. 41

Fernsehqualität aus der Perspektive des Rundfunkprogrammrechts 3 Konzeption und Methode der ALM-Studie Im Rahmen der ALM-Studie werden diejenigen acht Fernsehvollprogramme analysiert, die mit einem Marktanteil von insgesamt über 70 Prozent den größten Teil des deutschen Fernsehmarktes ausmachen. 3 Dazu gehören drei Programme der RTL Group (RTL, RTL II und VOX), drei Programme der ProSiebenSat.1 Media AG (Sat.1, ProSieben und kabel eins) und die beiden öffentlich-rechtlichen Programme ARD/Das Erste und ZDF. Von den genannten Vollprogrammen wird im Frühjahr und Herbst jeden Jahres eine natürliche Programmwoche aufgezeichnet und analysiert. 4 Der Studie liegt ein zweistufiges Analyseverfahren zugrunde. Die im ersten Untersuchungsschritt durchgeführte Programmstrukturanalyse ermöglicht die Rekonstruktion des Grundgerüsts der untersuchten Fernsehvollprogramme. Hierbei wird zunächst das Sendungsangebot von werblichen Angeboten (Spotwerbung, Teleshopping, Sponsoring) und On-Air-Promotion abgegrenzt. Anschließend werden die Sendungen weiter kategorisiert, wobei vor allem zwischen vier großen Programmsparten unterschieden wird: der fiktionalen Unterhaltung (Filme, Serien etc.), der non-fiktionalen Unterhaltung (Shows, Musik etc.), den Sportsendungen und Sportübertragungen und der Fernsehpublizistik (Nachrichten- und Magazinsendungen, Reportagen etc.). Die Untersuchungseinheiten der Codierung sind auf dieser Analysestufe die Sendungen. Nach ihrer Zuordnung zu einer der vier Sparten werden die Sendungen zudem unter formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten weiter codiert. Dazu gehört beispielsweise bei der fiktionalen Unterhaltung die Erfassung, ob es sich um Filme, Fernsehserien, Zeichentrickserien etc. handelt und welchem Genre (Spannung, Komödie etc.) diese zuzuordnen sind. 3 Marktanteile für das erste Halbjahr 2005; Zuschauer ab 3 Jahre (Quelle: medien aktuell Nr. 28 vom 11.7.2005). 4 Zum Stichprobenkonzept vgl. die Beiträge von Trebbe (2005) und Weiß (2005). Nähere Informationen zu der jeweils aktuellen Stichprobe finden sich auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (http://www.alm.de > Medienforschung«>»TV-Programmforschung«). 42

Torsten Maurer/Joachim Trebbe Mit der Programmstrukturanalyse ist das Ziel einer präzisen Trennung von Informations- und Unterhaltungsangeboten, die im Hinblick auf die Beurteilung der strukturellen Vielfalt zu erfolgen hat, noch nicht vollständig erreicht. Es werden zwar in diesem ersten Untersuchungsschritt einige klar abgrenzbare Unterhaltungselemente der Fernsehprogramme identifiziert. Offen bleibt jedoch, wie das auf dieser Analysestufe ja nur formal, d. h. unter Gattungs- bzw. Formatgesichtspunkten eingegrenzte Programmsegment der Fernsehpublizistik in diese Dichotomie einzuordnen ist. Aus diesem Grund werden alle Sendungen, die im ersten Untersuchungsschritt der Fernsehpublizistik zugeordnet wurden, im zweiten Untersuchungsschritt einer weiteren Analyse unterzogen, in der die Ermittlung der Themenstruktur im Mittelpunkt steht. Hierzu dient ein Codier-Schema, mit dem die einzelnen Beiträge der Fernsehpublizistik vier Themensegmenten zugeordnet werden (s. Abb. 3): der politischen Publizistik (Themen aus dem Bereich des politisch-administrativen Systems und gesellschaftlich kontroverse Sachthemen), der Sachpublizistik (nicht-politische und nicht gesellschaftlich kontroverse Sachthemen), der Lebensweltpublizistik (nicht-politische und nicht gesellschaftlich kontroverse Themen aus der individuellen Lebenswelt der Nutzer) und der Unterhaltungspublizistik (nicht-politische und nicht gesellschaftlich kontroverse Human-Touch-Themen). 5 5 Ergänzend dazu werden die Sportbeiträge und Serviceangebote erfasst, die insbesondere zum Standardangebot von Nachrichtensendungen und Tageszeitmagazinen gehören. 43

Fernsehqualität aus der Perspektive des Rundfunkprogrammrechts Abbildung 3: Das Analysemodell der ALM-Studie Hinter dieser Systematik steht die Zielsetzung, die empirisch ermittelten Angebote der untersuchten Programme im Bereich der Fernsehpublizistik den normativen Kategorien des Rundfunkprogrammrechts zuordnen zu können. Von Bedeutung ist dabei insbesondere die Unterscheidung von informierenden, bildenden und beratenden Angeboten auf der einen und unterhaltenden Angeboten auf der anderen Seite. Generell ist dabei anzumerken, dass die zentralen Kategorien des Rundfunkprogrammrechts zwar von Programmangeboten ausgehen. Ihren normativen Charakter erhalten sie in der Regel jedoch durch Anforderungen an Leistungen bzw. individuelle und gesellschaftliche Funktionen des Programmangebots, die mit inhaltsanalytischen Verfahren bekanntermaßen nicht zu identifizieren sind. Analysen zur strukturellen und inhaltlichen Vielfalt sowie zur Relevanz von Fernsehprogrammangeboten sind daher von vornherein auf die Ermittlung grundlegend notwendiger, aber nicht hinreichender Voraussetzungen für erwartete/geforderte Programmfunktionen beschränkt. Die Ergebnisse von Programmanalysen sind»indikatoren dafür, ob Rundfunkveranstalter durch die Struktur und die Inhalte ihrer Programmangebote bestimmte Programmfunktionen zu verwirklichen su- 44

Torsten Maurer/Joachim Trebbe chen bzw. ob [...] zumindest von der Angebotsseite her Chancen dafür gegeben sind, dass diese Funktionen tatsächlich eintreten«(weiß 1992: 50, Herv. i. Orig.). So wird die politische Publizistik dem Funktionsbereich Information und Meinungsbildung zugeordnet. Dieses ist der Bereich, dem im vorliegenden Kontext eine öffentliche bzw. gesellschaftliche Relevanz unterstellt wird. Der Funktionsbereich Information und Bildung wird von der Sachpublizistik, Information und Beratung von der Lebensweltpublizistik bedient. Die Unterhaltungspublizistik wird dem Funktionsbereich Information und Unterhaltung zugeordnet. Die Kategorie der Unterhaltungspublizistik, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen mag, ist bewusst gewählt: Sie bezieht sich auf diejenigen Programmangebote, über deren Unterhaltungs- bzw. Informationscharakteristik man streiten kann oder auch nicht. In der ALM- Studie wird davon ausgegangen, dass diese»x-tainment-formate«je nach Fragestellung und Analyseperspektive sowohl den Unterhaltungsangeboten als auch den Informationsleistungen eines Programms zugerechnet werden können. 4 Ausgewählte Untersuchungsergebnisse Auf der Grundlage der Frühjahrsstichprobe des Jahres 2005 (11.-17.04.) werden nachfolgend exemplarische Ergebnisse zu den drei Qualitätskriterien strukturelle Vielfalt, inhaltliche Vielfalt und Relevanz vorgestellt. Der Fokus wird dabei allein auf die sechs untersuchten privaten Programmanbieter gerichtet, um sich an dieser Stelle auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten der privaten Programme bzw. der Programmfamilien konzentrieren zu können. 4.1 Strukturelle Vielfalt Betrachtet man als einen Teilaspekt der strukturellen Vielfalt zunächst die Relationen zwischen den drei Programmsparten fiktionale Unterhaltung, non-fiktionale Unterhaltung und Fernsehpublizistik, so fällt auf den ersten Blick auf, dass alle Programmsparten in allen Programmen besetzt sind allerdings in sehr unterschiedlichen Relationen zueinander (s. Abb. 4). In diesem Zusammenhang können Programme als strukturell vielfältiger angesehen werden, die etwa gleiche Anteile in den drei Programmsparten aufweisen und eine eindeutige Schwerpunktsetzung vermeiden. 45

Fernsehqualität aus der Perspektive des Rundfunkprogrammrechts Abbildung 4: Strukturelle Vielfalt: Programmsparten im Gesamtprogramm (Gesamtsendezeit in Prozent/Frühjahr 2005) 1 20% 40% 48% Fiktionale Unterhaltung 31% 35% 56% 14% Non-fiktionale 10% 1% 11% Unterhaltung 17% 6% 40% (25%) 25% (8%) 22% (6%) Fernsehpublizistik 2 33% (21%) 29% (9%) 12% (4%) RTL RTL II VOX SAT.1 ProSieben kabel eins 1 Bei den an 100 Prozent fehlenden Programmangeboten handelt es sich zum einen um Sportsendungen, denen in den privaten Vollprogrammen des Jahres 2005 nur eine marginale Rolle zukommt. Zum anderen handelt es sich um Trailer, Werbung etc. 2 Die weiße Fläche in der Sparte Fernsehpublizistik gibt ebenso wie die in Klammern angegebene Prozentzahl den Anteil der Unterhaltungspublizistik an der Gesamtsendezeit an. Im Hinblick auf die Konzentration bestimmter Sparten werden große Unterschiede zwischen den sechs Programmen deutlich. Das eine Extrem markiert dabei kabel eins, das mehr als die Hälfte der gesamten Sendezeit eines durchschnittlichen Programmtages mit fiktionalen Unterhaltungsangeboten bestreitet (56 %), während die Fernsehpublizistik gerade zwölf Prozent ausmacht. Auf der anderen Seite steht RTL, wo das Schwergewicht auf fernsehpublizistischen Angeboten liegt (40 %) und der fiktionalen Unterhaltung vergleichsweise geringe Bedeutung zukommt (20 %). Die übrigen Programme bewegen sich zwischen diesen beiden Polen, stets liegen aber die fiktionale Unterhaltung oder die Fernsehpublizistik auf den Rangplätzen 1 und 2, während die non-fiktionale Unterhaltung geringe Prozentanteile aufweist. Neben den Unterschieden zwischen den Einzelprogrammen fällt die Verteilung der Programmsparten innerhalb der Senderfamilien ins Auge. So zeigt sich hier, dass es bezogen auf den Anteil (potenziell) informierender Pro- 46

Torsten Maurer/Joachim Trebbe grammangebote in den Familien Sender in Erst-, Zweit- und Drittstellung gibt und sich die beiden Programmfamilien RTL Group und ProSiebenSat.1 Media AG in vergleichbarer Art»aufgestellt«haben. Die Programme in Erststellung (RTL und Sat.1) liefern jeweils das umfangreichste Angebot an Fernsehpublizistik und senden im geringsten Umfang fiktionale Unterhaltungsangebote. Dieses Verhältnis der beiden Sparten zueinander kehrt sich bei den anderen Sendern schrittweise um. Bei den Programmen in Drittstellung schließlich (VOX und kabel eins) hat die Fernsehpublizistik die geringste und die fiktionale Unterhaltung die größte Bedeutung. Mit den zuvor dargestellten Anteilen der drei Sparten ist jedoch die Frage nach dem Anteil unterhaltender und informierender Programmangebote noch nicht zufrieden stellend beantwortet, die unweigerlich mit der Diskussion um die Qualität von Fernsehangeboten verknüpft ist. Typisch für die medienpolitische Debatte in Deutschland ist dabei, dass die begrifflichen und empirischen Grundlagen der Unterscheidung zwischen Fernsehinformation und Fernsehunterhaltung alles andere als geklärt sind. Hier bietet die ALM- Studie die bereits erwähnte Möglichkeit an, jenes Programmangebot gesondert zu behandeln, dessen Unterhaltungs- bzw. Informationscharakter strittig ist: die Unterhaltungspublizistik. Je nachdem, ob man eher den Unterhaltungs- oder Informationscharakter dieses Segments betont, ergibt sich bei einigen Programmen ein gänzlich anderes Bild. Am deutlichsten wird dieses an den Programmen, die innerhalb der Familien in Erststellung positioniert sind, also quasi als Aushängeschilder der informationsorientierten Berichterstattung gelten. So sind 25 von 40 Prozent des gesamten fernsehpublizistischen Angebots bei RTL aus dem Bereich der Unterhaltungspublizistik, bei Sat.1 sind es 21 von 33 Prozent. Eindeutig dem Informationssegment zuzuordnen wären damit nur noch 15 Prozent der Gesamtsendezeit bei RTL und zwölf Prozent bei Sat.1. Neben der Relation von informierenden und unterhaltenden Angeboten ist die Bandbreite an Formaten innerhalb der Fernsehpublizistik der zweite Teilaspekt von struktureller Vielfalt. Hier zeigt sich, dass im Vergleich der privaten Vollprogramme untereinander mit RTL und Sat.1 jene beiden Programme die größte Formatvielfalt haben, die das größte fernsehpublizistische Angebot insgesamt bereitstellen (s. Abb. 5). Beide Programme bieten in nennenswertem Umfang Nachrichten (jeweils 4 %), Magazine (jeweils 13 %), Reportagen/Dokumentationen (7 bzw. 1 %) sowie Interview- und Talkformate 47

Fernsehqualität aus der Perspektive des Rundfunkprogrammrechts (6 bzw. 8 %) an. Zudem ist das Angebot an sonstigen Formaten relativ groß (RTL: 10 %, Sat.1: 7 %). Der quantitative Umfang der fernsehpublizistischen Angebote fungiert somit als Rahmen und damit notwendige Bedingung für die vielfältige Ausgestaltung mit unterschiedlichen Programmformaten. Abbildung 5: Strukturelle Vielfalt: Formate der Fernsehpublizistik (Gesamtsendezeit in Prozent/Frühjahr 2005) 50 40 30 Andere Formate Interview-/Talkformate Reportagen/Dokumentationen Magazinsendungen Nachrichtensendungen 20 10 0 RTL RTL II VOX SAT.1 ProSieben kabel eins Ein größerer Umfang an Fernsehpublizistik geht jedoch nicht zwangsläufig mit einer größeren Formatvielfalt einher. Vielmehr setzen die Programme in Zweit- und Drittstellung sehr viel stärker ihr Schwergewicht auf ein bestimmtes Format. In der RTL Group sind es die Reportagen/Dokumentationen (RTL II: 16 %, VOX: 14 %) und bei ProSieben konzentriert sich das fernsehpublizistische Angebot auf das Magazin-Format (21 von 29 %). Bei ProSieben werden damit, ebenso wie bei kabel eins, neben den Magazinen nur noch zwei andere Formate angeboten: Nachrichten (ProSieben und kabel eins jeweils 1 %) und Reportagen/Dokumentationen (ProSieben: 7 %, kabel eins: 6 %). 4.2 Inhaltliche Vielfalt und Relevanz Betrachtet man, wie die Programme den fernsehpublizistischen Rahmen thematisch ausfüllen, so zeigt sich zunächst einmal, dass alle sechs Sender die Themenbereiche politische Publizistik, Sachpublizistik, Lebensweltpublizistik 48

Torsten Maurer/Joachim Trebbe und Unterhaltungspublizistik anbieten (s. Abb. 6). 6 Versteht man unter»inhaltlich vielfältig«aber nicht allein die Frage, ob Themen überhaupt vorkommen, sondern geht vielmehr davon aus, dass die verschiedenen Themenbereiche auch in nennenswertem Umfang vorhanden sein müssen, bietet sich ein differenzierteres Bild. Abbildung 6: Inhaltliche Vielfalt: Themen der Fernsehpublizistik (Gesamtsendezeit in Prozent/Frühjahr 2005) 50 40 30 Restliche Themen Unterhaltungspublizistik Lebensweltpublizistik Sachpublizistik Politische Publizistik 20 10 0 RTL RTL II VOX SAT.1 ProSieben kabel eins So wird auch hier mit dem Umfang und den Formaten der fernsehpublizistischen Berichterstattung in den einzelnen Programmen das Potenzial festgelegt, das für eine vielfältige und substantielle inhaltlich-thematische Ausgestaltung zur Verfügung steht. Ein wesentlicher Anteil von Informationssendungen am Gesamtprogramm und eine strukturelle Absicherung von Programmformaten ist die notwendige, jedoch nicht hinreichende Voraussetzung für die Erfüllung des inhaltlichen Vielfaltgebots. Bei kabel eins als dem Programm mit dem geringsten Anteil an Fernsehpublizistik wird z. B. ersichtlich, dass ein geringer Umfang fernsehpublizistischer Sendungen kaum Platz dafür lässt, eine inhaltlich vielfältige Berichterstattung anzubieten. Von den zwölf Prozent der Gesamtsendezeit, die bei kabel eins den fernsehpublizistischen Angeboten eingeräumt werden, entfallen auf die Lebensweltpubli- 6 Der Themenblock»Restliche Themen«umfasst vor allem An- und Abmoderationen, Vorspanne etc. innerhalb der Fernsehpublizistik. 49

Fernsehqualität aus der Perspektive des Rundfunkprogrammrechts zistik und die politische Publizistik gerade einmal knapp ein Prozent. Von inhaltlicher Vielfalt kann in diesem Fall keine Rede sein. Umgekehrt bietet ein relativ großer Anteil an Fernsehpublizistik natürlich keine Garantie für eine inhaltlich vielfältige Berichterstattung, er erhöht aber die Chancen auf eine solche. So zeigte sich bereits im vorangegangenen Abschnitt, dass RTL und Sat.1, als die Programme mit dem umfangreichsten fernsehpublizistischen Angebot, ihr Schwergewicht mit der Unterhaltungspublizistik eindeutig auf einen Themenbereich legen. Es verbleibt den beiden Programmen aber noch Zeit, die anderen Themen in nennenswertem Umfang zu berücksichtigen. Als der Themenbereich mit dem geringsten Umfang zeigt sich hier derjenige, dem im Kontext der ALM-Studie gesellschaftliche Programmrelevanz beigemessen wird und dem die zentrale Funktion der Meinungsbildung zukommt: die politische Publizistik. Bei RTL und Sat.1 entfallen auf dieses Themensegment jeweils ca. zwei Prozent der Gesamtsendezeit, bei den übrigen Programmen ist es im Höchstfall ein Prozent. Umgerechnet bedeutet dies beispielsweise, dass die Programme ProSieben und RTL II an einem durchschnittlichen 24-Stunden-Tag des Frühjahrs 2005 nur acht bzw. zehn Minuten für politische und gesellschaftlich kontroverse Themen verwenden, wobei in diesem Kontext noch nicht zwischen tagesaktueller und nicht-tagesaktueller Berichterstattung unterschieden wurde. 5 Fazit Im Rahmen einer quantitativen Inhaltsanalyse aus normativ-analytischer Perspektive zeigt sich, wie stark die Qualitätskriterien strukturelle Vielfalt, inhaltliche Vielfalt und Relevanz miteinander zusammenhängen. So wird mit der Programmstruktur der Rahmen definiert, der für die inhaltliche journalistische Ausgestaltung der Berichterstattung zu unterschiedlich relevanten Themenbereichen zur Verfügung steht. Beispielsweise ist es kabel eins kaum möglich, eine inhaltlich vielfältige und relevante journalistische Berichterstattung zu liefern, da schlicht und einfach die Programmformatierung keinen Platz dafür lässt. Am deutlichsten werden die Unterschiede zwischen den Programmen, wenn außergewöhnliche politische Ereignisse stattfinden (vgl. Maurer 2005b). Die streng unterhaltungsorientierten Programme haben in solchen Situationen nahezu keine Sendeformate, in denen auf aktuelle politische Ereignisse reagiert werden könnte. 50

Torsten Maurer/Joachim Trebbe Der zentralen Bedeutung, die der Relation zwischen informierenden, bildenden, beratenden und unterhaltenden Angeboten bzw. dem Kriterium der strukturellen Vielfalt zukommt, weil es den anderen Kriterien vorgelagert ist, muss in der normativ-analytischen Programmforschung wie der ALM-Studie Rechnung getragen werden: Die Zuordnung erfolgt nicht allein auf Grundlage einer Sendungsklassifikation, sondern es wird mit der Unterhaltungspublizistik auch das Themensegment innerhalb des fernsehpublizistischen Angebots der Programme identifiziert, das je nach Analyseperspektive den Unterhaltungsangeboten und/oder den Informationsleistungen eines Programms zugerechnet werden muss. Festhalten muss man in diesem Zusammenhang allerdings auch, dass mit der Ermittlung quantitativer Umfangswerte für Programmsparten, Programmgattungen und Programmgenres oder für die Themenfelder der Fernsehpublizistik nichts darüber gesagt ist, wie diese Programmsegmente im Hinblick auf die journalistische Professionalität ausgestaltet werden. Je kleiner jedoch die Fernsehpublizistik in quantitativer Hinsicht wird, desto geringer wird auch die Chance, dass sich hier in nennenswertem Umfang Programmqualität entfalten kann. So ist das Qualitätskonzept der ALM-Studie in doppelter Weise mit der Kategorie der Chance verknüpft. Zum einen geht es darum, durch Programmanalysen die reichlich, knapp oder gar nicht existierenden Voraussetzungen für die inhaltlich-journalistische Entfaltung programmrechtlich relevanter Programmangebote zu ermitteln (= Chancen für Angebotsqualitäten). Zum anderen wird damit im Sinne einer notwendigen, aber nicht hinreichenden Bedingung die Möglichkeit umrissen, dass diesen Programmangeboten bei entsprechender Nutzung programmrechtlich relevante Funktionen zukommen (= Chancen für Funktionsqualitäten). 51

Fernsehqualität aus der Perspektive des Rundfunkprogrammrechts 6 Literatur Bruns, T./Marcinkowski, F. (1997): Politische Information im Fernsehen. Eine Längsschnittstudie zur Veränderung der Politikvermittlung in Nachrichten und politischen Informationssendungen. Opladen. Hagen, L. M. (1995): Informationsqualität von Nachrichten. Messmethoden und ihre Anwendung auf die Dienste von Nachrichtenagenturen. Opladen. Hasebrink, U. (1997): Die Zuschauer als Fernsehkritiker? Anmerkungen zum vermeintlichen Mißverhältnis zwischen Qualität und Quote. In: Weßler, H./Matzen, C./Jarren, O./Hasebrink, U. (Hrsg.): Perspektiven der Medienkritik Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit öffentlicher Kommunikation in der Mediengesellschaft. Opladen, 201-215. Hoffmann-Riem, W./Schulz, W. (1998): Politische Kommunikation Rechtswissenschaftliche Perspektiven. In: Jarren, O./Sarcinelli, U./Saxer, U. (Hrsg.): Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Opladen, 154-172. Maurer, T. (2005a): Fernsehnachrichten und Nachrichtenqualität. Eine Längsschnittstudie zur Nachrichtenentwicklung in Deutschland. München. Maurer, T. (2005b): Marktversagen: Politische Information im privaten und öffentlichrechtlichen Fernsehen. In: Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): ALM Programmbericht 2005. Fernsehen in Deutschland. Programmforschung und Programmdiskurs. Berlin, 62-78. McQuail, D. (1992): Media Performance. Mass Communication and the Public Interest. London. Schatz, H./Schulz, W. (1992): Qualität von Fernsehprogrammen. Kriterien und Methoden zur Beurteilung von Programmqualität im dualen Fernsehsystem. In: Media Perspektiven 11/1992, 690-712. Trebbe, J. (2005): Stichprobenkonzepte der kontinuierlichen Fernsehprogrammforschung in Deutschland. Forschungslogische Probleme und forschungspraktische Lösungen. In: Gehrau, V./Fretwurst, B./Krause, B./Daschmann, G. (Hrsg.): Auswahlverfahren in der Kommunikationswissenschaft. Köln, 117-137. Weiß, H.-J. (1992): Programmforschung für die Landesmedienanstalten: Funktion, Aufgaben, Probleme. In: Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (Hrsg.): DLM-Jahrbuch 1992. Privater Rundfunk in Deutschland. München, 40-52. Weiß, H.-J. (2005): Konzeption und Methode der ALM-Studie. In: Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): ALM Programmbericht 2005. Fernsehen in Deutschland. Programmforschung und Programmdiskurs. Berlin, 213-228. Weiß, H.-J./Trebbe, J. (1994): Öffentliche Streitfragen in privaten Fernsehprogrammen. Zur Informationsleistung von RTL, Sat.1 und PRO7. Opladen. Weiß, H.-J./Trebbe, J. (2001): Fernsehinformation. Zur Methode kontinuierlicher Programmanalysen in einem medienpolitisch aufgeladenen Forschungsfeld. In: Wirth, W./Lauf, E. (Hrsg.): Inhaltsanalyse Perspektiven, Probleme, Potentiale. Köln, 49-71. 52