Institut für systemische Beratung Leitung: Dr. Bernd Schmid Schloßhof 3 D- 69168 Wiesloch Tel. 0 62 22 / 8 18 80 Fax 5 14 52 info@systemische-professionalitaet.de Entwicklungs-Geschichten-Erzählen von Bernd Schmid Name des Coaching-Tools: (Entwicklungs-)Geschichten erzählen oder story telling oder telling inspiring stories Kurzbeschreibung: Dieses Tool eröffnet Coach und Coachee die Möglichkeit, mit Problembeschreibungen wie mit Lösungsansätzen spielerisch umzugehen und dabei ihre intuitiven Kompetenzen zum Einsatz zu bringen. Es eröffnet einen parallelen Prozess auf einer metaphorischen Ebene, wodurch sich die Beteiligten von festgefahrenen Sicht- und Vorgehensweisen lösen und in gemeinsamer partnerschaftlicher Kreativität neu finden können. Anwendungsbereiche: Diese Methode kann im Coaching-Prozess dann am besten eingesetzt werden, wenn eine spielerische Belebung des Coaching hilfreich wäre, wenn intuitive Suchprozesse den Horizont erweitern sollen. Dies ist besonders empfehlenswert, wenn sich der Coachee zu sehr in der Betrachtung bestimmter Bühnen und Vorgänge verfangen hat und Lösungen nur auf dieser Ebene sucht. Sie ist auch dann angezeigt, wenn Problemanalyse und Lösungsoptionen zu oberflächlich analytisch zu werden drohen. Der Wechsel auf die metaphorische Ebene wirkt Beschränkungen entgegen und eröffnet sowohl innerhalb der Personen als auch in der Coaching - Beziehung das Zusammenspiel von bewusst-methodischen und unbewusst-intuitiven Vorgehensweisen.
Entwicklungs-Geschichten-Erzählen 2 Zielsetzung/Effekte: Es sollen über die Lösung eines aktuellen Einzelproblems (horizontale Betrachtungen) hinaus inspirierende und vielschichtige Lernprozesse ausgelöst werden, die auf vielen anderen Bühnen wirksam werden (vertikale Betrachtung) und bei vielen anderen Problemen bedeutsam sind (qualitativer Transfer). Das Spektrum der eigenen Wirklichkeitsbeschreibungen öffnet sich und kreative Herangehensweisen an Lösungen werden stimuliert. Dem unbewusste Erkennen von hinter der aktuellen Situation stehenden Steuerungsmustern beziehungsweise deren kreativer Weiterentwicklung wird die Tür geöffnet und sie werden Teil der Kommunikation. Die für komplexe Fragestellungen und Prozesse notwendige Toleranz gegenüber Unbestimmtheit und die Offenheit für spielerische kreative Impulse können wieder gewonnen werden. Der Wechsel zu dieser Arbeitsweise kann auch die Beziehungsdefinition zwischen Coachee und Coach aus einem hierarchisch-rationalen Analysemodus befreien und in Richtung eines spielerisch-partnerschaftlichen Experimentierens verändern. Ausführliche Beschreibung: In komplexen Situationen erfolgen Beziehungsgestaltung und Abstimmung so vielschichtig, dass sie sich einer ausschließlich bewussten Steuerung ohnehin entziehen. Die Arbeit mit Metaphern verstört die Magie festgefahrener Wirklichkeitsvorstellungen und Herangehensweisen. Perspektivenwechsel, vielschichtige Wirklichkeitszugänge und intuitive Suchprozesse werden angeregt. Dieser Zusammenhang kann bei Bedarf mit dem Dialogmodell der Kommunikation illustriert werden (siehe Schmid 2004 S. 70 ff). Ergänzend dazu kann die Arbeit mit inneren Bildern hilfreich sein (siehe Schmid 2004a und 2006).
Entwicklungs-Geschichten-Erzählen 3 Entwicklungs-Geschichten-Erzählen als Paar-Übung Die Methode Entwicklungs-Geschichten-Erzählen kann entweder in einem Vieraugengespräch oder als Paar-Übung in der Arbeit mit Gruppen verwendet werden. In diesem Fall bietet sie neben dem inhaltlichen Gewinn einen Beitrag zur Kommunikationskultur und belebt erfahrungsgemäß die Beziehungen. Im Folgenden wird die Methode als Paar-Übung geschrieben. Dann braucht sie circa 60 Minuten. Analog zu dieser Beschreibung kann sie aber auch in Coachinggesprächen unter vier Augen oder in anderen Settings verwendet werden. In diesem Fall ist der Coach Person B und die Wiederholung der Übung mit vertauschten Rollen entfällt. A + B bilden ein Paar 1. 5 min: A erzählt eine Szene die er/sie als einengend oder problematisch empfindet, und für die er/sie einen anderen Ausgang, neue Spielräume oder Lösungen sucht. B hört mit unfokussierter Aufmerksamkeit zu und registriert die eigenen Reaktionen und Einfälle. 2. 10 min: B beantwortet folgende Fragen laut für sich (Außenlautsprecher anstellen! - zum Mithören für A). 1. Welches sind wesentliche Figuren, Elemente, Vorgänge, Erlebnisse in der Szene?
Entwicklungs-Geschichten-Erzählen 4 2. Abhol-Geschichte: Wie kann ich das Erzählte parallel in einer anderen Geschichte abbilden (Situationen, Figuren, Ereignisabfolge, Erlebnisse)? 3. Ergänzungs-Geschichte: Was wäre eine andere, offenere Variante, eine weiterführende Ergänzung, befreiende Fortsetzung für die so erzählte Szene? B skizziert so Elemente eines Drehbuchs für eine Alternativinszenierungen. Wichtig ist weniger, dass dabei eine gelungene Geschichte herauskommt, sondern mehr, dass A miterlebt, wie B freimütig über die Konstruktion von Wirklichkeit, über die Elemente von bekannten Inszenierungen und über Möglichkeiten für neue Inszenierungen nachdenkt. 3. 5 min: B begibt sich in Erzählhaltung und erzählt A die Geschichte. Hierbei kann je nach Situation A durch eine kurze vorgelagerte Entspannungsübung oder Tranceinduktion in eine empfängliche Haltung eingeladen werden. Dies ist jedoch nicht notwendig. Für B. kann hilfreich sein, sich dem Sound eines Märchenerzählers anzunähern, z.b. dadurch, dass er/sie sich selbst an kindliche Erzählsituationen oder geleitete Fantasien erinnert. Eine kleine Pausenauflockerung öffnet die Situation für eine neue Dynamik 4. 20 min: Nun 1.) 3.) mit vertauschten Rollen. 5. 10 min: A + B tauschen Erlebnisse und Beobachtungen in beiden Rollen aus: Wie habe ich die Situation des Konstruierens und Erzählens als Zuhörer / als Erzähler erlebt? Keine Trefferquoten oder Stilnoten, sondern Erleben!
Entwicklungs-Geschichten-Erzählen 5 Erläuterungen: Sowohl für A als auch für B kann diese Übung ungewohnt sein. Dann ist es für beide hilfreich, die Übung als ein gemeinsames auflockerndes Experiment zu verstehen. Auch hilft die Ankündigung, dass Stockungen am Anfang normal sind und dass manchen Menschen eher im Konstruktionsteil der Geschichte, anderen eher im Erzähl-Teil der Geschichte etwas einfällt. Oft löst sich die erzählte Geschichte ganz von der konstruierten Vorlage. Der Konstruktionsteil verrät etwas vom gewünschten Entwicklungs-Programm oder von Komponenten dafür. Im Erzähl-Teil können vielschichtige Bedeutungen und eine poetische Komponente hinzukommen, in der sich die intuitiven schöpferischen Kräfte der Beteiligten versammeln. Das Erzählen selbst ist wichtig und darf nicht übersprungen werden, weil die Erzähl-Situation selbst schöpferische Kräfte weckt. Beispiel für einen präsentierten Vorgang und eine Abhol- bzw. Ergänzungsgeschichte : Begebenheit: Eine Coachee berichtet, dass sie sich nicht traut, anderen gegenüber Kompetenzen für sich in Anspruch zu nehmen, wenn sie sich nicht völlig sicher ist, dass sie gut ankommen. Sie zeigt daher nur Gesichertes vor und schottet sich gegen weitergehende Offenheit ab. Abhol-Geschichte: In einem Wald lebte ein Zwerg in der Nachbarschaft anderer Zwerge. Er lud diese nur selten in seine Höhle ein und stellte sicher, dass sie nur den Vorraum, den er mit allerlei Vorzeigbarem ausgestattet hatte, zu sehen bekamen. Er wurde aber nie das Gefühl los, dass sich alle irgendwie langweilten. Ergänzungs-Geschichte: Eines Tages hatte er vergessen, dass er die anderen Zwerge eingeladen hatte. Diese kamen in seiner Abwesenheit zu seiner Höhle und fanden sie offen. Auf der Suche nach ihm stöberten sie in allen Räumen und bedienten sich schließlich selbst mit Speisen und Getränken. Als der Zwerg aus dem Wald zurückkehrte, hörte er Klänge fröhlicher Geselligkeit aus seiner Höhle. Er erschrak und bereitete sich auf die immer befürchtete Beschämung vor. Das Gegenteil trat ein: Die Freunde waren begeistert, welche interessanten Dinge sie im
Entwicklungs-Geschichten-Erzählen 6 hinteren Teil der Höhle kennen gelernt hatten. Ja, sie waren fast ein bisschen vorwurfsvoll, dass er sie bislang von den interessantesten Teilen seines Hauses fern gehalten hatten. Nun waren sie sehr inspiriert und wollten gerne bald wiederkommen. Voraussetzungen/Kenntnisse: Bereicherung durch Erzählungen sowie Verdichtungen in Metaphern sind Bestandteil aller sinnorientierten Kulturen. Viele Menschen haben hier unentdeckte Talente oder beziehen diese nicht in ihre professionelle Arbeit mit ein. Diese Übung geht speziell auf das Storytelling des Hypnotherapeuten Milton Ericson (siehe auch Schmidt 2005). Bei der Verarbeitung zu einer übertragbaren Methode standen Verständnisfiguren aus dem NLP (neuro-linguistisches Programmieren) Pate. Bei Vorkenntnissen in diesen Bereichen, speziell in der Arbeit mit geleiteten Phantasien, Trance oder dem schöpferische Dialog anhand von Träumen (Schmid 2005 S. 101 ff.) kann man diese Übung in eigene Vorgehensweisen einfügen. Man kann diese Art von storytelling aber auch ohne Vorerfahrung ausprobieren. Es kann vorkommen, dass die Beteiligten sich unter Kreativitätsstress setzen, was bekanntlich Einfälle blockiert. Wichtig ist hier ein Klima der Ermutigung, der Neugierde sowie des freundlichen und achtungsvollen Umgangs miteinander. Wenn spürbar wird, dass Teilnehmer unsicher sind, ob sie vermeintliche Erwartungen erfüllen können, hilft auch, darauf hinzuweisen, dass Menschen sehr unterschiedlich auf diese Übung reagieren, was völlig ok ist. Die Unterschiedlichkeiten in den persönlichen Stilen sind sogar eine der hilfreichen Informationen, die für wechselseitiges Verständnis gewonnen werden können. Manche Menschen haben z. B. bei der vorgeschalteten Konstruktionsarbeit wenig innere Bilder oder Einfälle, finden aber beim Erzählen dann doch hinein und sind dann nicht selten erstaunt über die Reichhaltigkeit und unvermutete Relevanz der Bilder.
Entwicklungs-Geschichten-Erzählen 7 Quellen / Weiterführende Literatur: Schmid, B. (2003): Systemische Professionalität und Transaktionsanalyse, EHP, Bergisch Gladbach Schmid, B (2004): Systemisches Coaching Konzepte und Vorgehensweisen in der Persönlichkeitsberatung, EHP, Bergisch Gladbach Schmid, B. und Messmer, A. (2005): Systemische Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung, EHP, Bergisch Gladbach Schmid, B. (2004a): Sinnstiftende Hintergrundbilder professioneller Szenen". In: Coaching Tools. Herausgegeben von Christopher Rauen. Managerseminare Verlag, Bonn 2004 Schmid, B. (2006): Passungsdialog anhand innerer Bilder" In: ChangeTools. Herausgegeben von Armin Rohm. Managerseminare Verlag, Oktober 2006 Schmidt, G. (2005) Einführung in hypnosystemische Therapie und Beratung, Carl Auer Verlag Heidelberg