Jan Fabre Eine tot-normale Frau (Een doodnormale vrouw) Deutsch von PETRA SERWE F 1597
Bestimmungen über das Aufführungsrecht des Stückes Eine tot-normale Frau (F 1597) Dieses Bühnenwerk ist als Manuskript gedruckt und nur für den Vertrieb an Nichtberufsbühnen für deren Aufführungszwecke bestimmt. Nichtberufsbühnen erwerben das Aufführungsrecht aufgrund eines schriftlichen Aufführungsvertrages mit dem Deutschen Theaterverlag, Grabengasse 5, 69469 Weinheim, und durch den Kauf der vom Verlag vorgeschriebenen Rollenbücher sowie die Zahlung einer Gebühr bzw. einer Tantieme. Diese Bestimmungen gelten auch für Wohltätigkeitsveranstaltungen und Aufführungen in geschlossenen Kreisen ohne Einnahmen. Unerlaubtes Aufführen, Abschreiben, Vervielfältigen, Fotokopieren oder Verleihen der Rollen ist verboten. Eine Verletzung dieser Bestimmungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Über die Aufführungsrechte für Berufsbühnen sowie über alle sonstigen Urheberrechte verfügt der S. Fischer Verlag, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt/Main
Maria Martens gewidmet 3
Sage ich Die Widerspiegelungen in meinen Augen lassen mich an zahllose Möglichkeiten denken Ich sage Meine Widerspiegelungen in meinen Augen lassen mich an zahllose Unmöglichkeiten denken Was meine Augen färbt ist nicht die Entdeckung dessen, was geschieht Sonder die Entdeckung dessen, was nicht geschieht Übertreibst du nicht? Er spricht wieder zu mir Er kennt seine eigene Phantasie nicht Ich habe mich befreit von ihm Er wollte unten liegen Ja, ich habe mich losgelöst von seinem quallenartigen, gespielten Widerstand Er wollte sogar unten liegen als ich festgebunden was an einem fallenden Baum der lichterloh brannte Nach Hunderten von schlechten Intrigen unangebrachten Verfolgungen und überinszenierten Prozessen die von ihm in Szene gesetzt wurden Er wollte unten liegen... (Lacht) Andere Male wurde ich mit vier großen steinernen Katzen an meine Armen und Beinen in tiefe Wasser geworfen Selbst dann sprang er mir noch hinterher und schwamm in die Finsternis um dort unter mir zu liegen Er wollte unten liegen... (Lacht) Ich will doch oben liegen, sagt er Ich sage Schweig und hör zu Ich bin der zunehmende Mond Ich bin der Vollmond Ich bin der abnehmende Mond Ich, und niemand anders Andere die nur Theater spielten haben meinen Namen benutzt Krank wurden sie 4
weil sie meinen Namen missbrauchten Die Wahnvorstellungen, die sie singen wollten sangen sie falsch Sie wollten aus oben unten machen Wolltest du nicht unten liegen? Du wolltest unten liegen Genau Ja, ja Du wolltest unten liegen Die Angst und der Wahn machten ein pathetisches Schlachtopfer aus dir Du übertreibst Ich glaube dir nicht, sagt er Oh, er spricht wieder zu mir Er kennt seine eigene Phantasie nicht (Lacht) Ich bin offen für dich Bleib hier bei mir, sagt er Er redet zuviel und hört mich nicht Und denkt dass er viel denkt Er stellt sich alles möglich vor Diese Unterstellungen Diese bekannten Vorbereitungen Diese bekannten Rezepte Hast du wieder Pläne entwickelt? Ich bin weg Ich bin unterwegs und will mich verlaufen Ich bin offen für dich Bleib hier bei mir, sagt er Ich antworte nicht mehr Ich gebe seinem Wahn nicht nach Vorstellungen die nur ein vages Zeichen einer gestohlenen Phantasie sind Ich will dich Bleib hier Geh nicht weg, sagt er Warum bleibst du nicht hier? Es ist so schön warm mit uns beiden, sagt er Er spricht wieder zu mir Warum gehst du fort? sagt er Ja, ja, und ich denke wie ein Mann Bitte keine Fragen 5
kein Gespräch keine Diskussion kein Streit Ich will nichts mehr analysieren Nichts mehr verstehen Ich hätte gern noch einen Körper Damit ich den vernichten lassen kann Kann er jenen anderen Körper vernichten? Ich denke, nicht Sonst würde ich hier bleiben Dann bleib doch hier, sagt er Ich weiß, wonach eine Frau verlangt, sagt er Ich werde versuchen... Ja, ja, sage ich Ich denke wie ein Mann der vergewaltigt wird und merkt, dass er es genießt Ich bin verwirrt, sagt er Aber wenn du willst werde ich so denken, sagt er Sollte er allein es wissen? Er allein sollte Zugang haben zur Ausschweifung? Bring mich nicht zum Lachen Bring mich zum Weinen, wenn du kannst Ich kenne die geheimnisvollen Mysterien einer Frau, sagt er, du willst wieder lernen zu fürchten Ist es Angst die du in deinen Augen erkennen willst? Er glaubt, Phantasie zu besitzen Ja, das denkt er Warum bist du fort gewesen? Warum bleibst du nicht hier? Ich bewundere dich, sagt er Er hört nicht auf Ich höre nicht zu Ich war 133 Jahre verheiratet mit jemandem, der glaubt dass ich aus seinem Körper erschaffen wurde Er wurde eine Mutter Manchmal kann ich darüber lachen Aber wenn du kannst, bring mich zum Weinen Bring mich bitte zum Weinen 6
und gib mir das Erleben, nach dem ich verlange Du übertreibst Ich glaube dir nicht, sagt er Er wiederholt sich Er spricht wieder zu mir Er kennt seine eigene Phantasie nicht (Lacht) Ich wiederhole mich Vielleicht ist die Wiederholung ein Versuch... Meinen Körper zu vernichten Jenen anderen Körper Jenen Körper, der vernichtet werden will Bist du wieder zurück? Bleib hier bei mir Ich denke dass du bei mir bleiben musst Ich weiß, was du willst, sagt er Er glaubt zu wissen was ich will Wenn es nur wahr wäre Ich habe keine Lügen meiner Reflexe nötig Ich will mehr erfahren Und was wahr ist überlasse ich der Weisheit meines Körpers Ich will die Nutzlosigkeit eigener Gefahren aber finde nichts als die Ruhelosigkeit eigener Gebärden Ich will nichts anderes als die Sinnlosigkeit von 1000 strengen Lehrern In einem einzigen gefährlichen Meister der unberechenbar ist Du hast Angst? sagt er Ich habe keine Angst Ich bin nur enttäuscht von der Jungfräulichkeit und der Kraft deiner Phantasie Kraft? Es ist eher ein Vergewaltigen dieser unbezwingbaren, spontanen Körperlichkeit bei der alles aus mir herausfließt Eine Scheißerei, die mich total leer macht Eine selig machende Leere So dass ich nur noch eine Hülle bin 7
aus Fleisch Es ist eine Art Schlaf den ich wünsche Eine Ruhe, nach der ich verlange Eine brennende Hitze Eine glühende Schlacke aus Bewusstsein die verlöscht und dann wieder aufglüht die verlöscht und aufglüht verlöscht und aufglüht verlöscht und aufglüht in der Hülle der fleischlichen Lähmung in der ich wohne In jenem Moment in dieser seligen Leere versteht ich vage dass dort etwas wartet Etwas wie ein Tier im Dunkeln ein Genuss ein Schmerz Schmerz, das ist das Tier in Raserei Jener stumme Moment Jenes Unvermögen Die Beweglichkeit der Isolation Nach dieser vernichtenden Ruhe verlange ich Kann er meinen anderen Körper nach dem ich verlange, vernichten? Sollte er die Unmöglichkeit des puren Zufalles darstellen? Ich will die Willkür Eine totale Willkür Ich will die Demütigung spüren Ohne ein Drama daraus zu machen Ich will die Prüfung bestehen Ohne in Klischees zu verfallen Ich will die Qualen erfahren Ohne in Rituale eingeweiht zu werden Ich will das Misslingen erleiden Ohne die Fangnetze der Selbstgenügsamkeit aufspannen zu lassen von ihm Er wollte unten liegen... (Lacht leise) Und er wollte aus oben unten machen... (Lacht) Er spricht wieder zu mir Ich habe es dir schon gesagt 8
Ich will doch oben liegen, sagt er Der Weg, den ich nehme endet niemals In meinem Kreis aus 4 Himmelsrichtungen gibt es vieles, was verloren geht in der Fragwürdigkeit dessen, was geglaubt wird Weil jedes Ding Weil jede Frau zugleich alt und neu ist Alles passt sich an und klagt während das Unauslöschliche aufs Neue versprochen und niemals gegeben wird Die Augen schauen im Dunkeln besser als im grellen Licht Ich verstehe dich nicht, sagt er Du hörst nicht zu Ich will nicht zuhören Ja, ich will Ich will zuhören, sage ich Ja, ich will gehorchen Ich will leer sein damit ich alles aufnehmen kann was mir aufgetragen wird Untertänig will ich sein Das will ich doch oder etwa nicht? Nein, ich will nicht zuhören Ich will nicht gehorchen Bei Ungehorsam bekommen ich... (Lacht) Ich bin nicht passiv und zwinge niemanden 9
zu Aktivität Von Zeit zu Zeit will ich überleben und liefere mich aus dieser schallend lachenden Lust die mir der Schmerz der Hitze, nach der ich verlange, gibt Diese Hitze in meinem Körper Erschütterung Empfänglichkeit Aufstand und Abkehr Aber, geh bitte noch weiter Geh bitte noch weiter Wage Besitz den kühlen Mut zum sogenannten Hässlichen Besitz den kalten Schneid zum sogenannten Schlechten Denn ich fühle ein unendliches Heimweh nach der Wirklichkeit Hör nicht auf Geh bitte noch weiter Geh bitte noch weiter Es ist ein leidenschaftlicher Versuch diese schwer erreichbare Stelle zu erkunden Die unnennbare Wirklichkeit zu entdecken Dort existiere ich Dort bin ich vollständig Dort lebe ich Und dort breche ich radikal mit der Sprache, die du sprichst Oder mit der Sprache, die du glaubst zu sprechen Oder damit zu denken, dass du eine Sprache sprichst Hör nicht auf Hör nicht auf Geh bitte noch weiter Hör mir zu Wo bist du gewesen? Bleib hier bei mir, sagt er Ich denke wie du Wenn du das willst kann ich denken wie eine Frau Ach ja, was er denken nennt Ach ja, was will man... Ich hörte etwas... 10
aber verstand ihn nicht Oder ich sah ihn nicht Oder ich bin blind und taub, wie er Ein gespaltenes Ding bin ich Unvollständig Ich bin weder dies noch das Halb hier, halb irgendwo anders wo ich Unsinn rede Ein Misserfolg? Eine Fehlgeburt? Weil er in die 8 Sabbats schaut, die er nicht kennt Weil er in die Sonne schaut bis Blindheit ihn überfällt Und ich schaue zu den 13 Esbats, die ich kenne Und ich schaue zum Mond der mich mit meinem Wahn zurücklässt Kann nur das Glänzen der Sterne uns retten in der Dunkelheit? Er dort, ich hier Existieren erfordert einen Widerspruch Alles ist möglich oder alles war möglich In der Erinnerung bin ich nicht erreichbar Aber in allem bleibt er nahe Und das will ich nicht verstehen Sogar wenn ich ihn denken höre Die Kraft, die sie hat besitze ich nicht Aber ich kann eine Frau gebären und wenn ich es für notwendig halte kann ich sie zerbrechen Über diesen Gedanken muss ich lächeln Was er Denken nennt Denken, nenne ich Prüfen der Wörter in meinem Körper Die Sprache in meinem Körper auf die Probe stellen befragen abhören belauern Die Erfahrung und die Bedeutung durch Schweiß und Wunden sichtbar machen Aber nicht, indem die Sprache in meinem Körper von der einen Vorstellung zur anderen geschoben wird Dann wird es Theater Das Inszenieren bekannter Vorfälle die ein Spiegel 11
dessen sind, was er denken nennt Denn er weiß dass jede Inszenierung, die er sich ausdenkt lächerlich ist Zwischen ihm und mir herrscht anscheinend ein Missverständnis Ein Unverständnis, das unbegreiflich wird Aber annehmbar für mich Weil er verhext ist durch mich Verhext durch das Bedürfnis zu leben Er zischt zwischen den Zähnen dass ich entkommen will dem, was er denkt zu verstehen aber nicht begreift Meine Sprache brennt Meine Zunge verbannen Wenn ich nach Innen schaue Wie die Veränderung bezahlt und von einem Vergessen Mit Feuer werde ich umhängt Die Asche zu weit gestreut um sie aufzufangen in meiner Lust voll mit Löchern Wer sind wir? Sind wir froh? Wir sind froh und schwierig zu unterscheiden Wenn du willst kann ich denken wie wahnsinnige Philosophen Wenn du willst kann ich denken wie Genies des Bösen Wenn du willst kann ich denken so wie Huren ihre Röcke hochziehen sagt er Er ist doch lustig Er kann lesen Er besitzt den Humor eines neugeborenen Kindes Er ist so lieb 12
Ich würde ihm sofort die Brust geben Aber dann muss ich ihn aufessen Ihn in das Verschlingen mitnehmen Wie alberne, gehörnte Ungeheuer die ich aus meinen Lustmündern breche und die aus meinem Magen nie mehr entkommen Das Kind in mir wird verletzt indem seinem Alter oder seiner Hilflosigkeit zuviel Aufmerksamkeit geschenkt wird Alles kennt seine Grenzen und seine Zeit Tief in seinem Herzen weiß ein Kind, dass es kein Kind ist Ich schaue zu dir, und ich sehe eine Katze die mich auslacht Ich schaue zu einer Katze, und ich sehe dich die sich über mich schieflacht Das macht mir nichts aus Ich will deine Augen lachen sehen Ich will lustig sein, für dich Du darfst mich aufessen Geht auch die Liebe der Frau durch den Magen? Beginn des Make-up-Rituals Ich sage Ha, du willst über Kochen reden Alles werde ich essen Ich werde dir aus der Hand fressen, sagt er Ich sage Verletz mich nicht! Indem du zuviel Aufmerksamkeit dem Sein meiner Augen dem Spiel der Keuschheit schenkst Wie du gesagt hast; alles kennt seine Grenzen und seine Zeit Aber vergiss nicht nichts bleibt im Zustand der Souveränität Tief in ihrem Herzen weiß eine Katze, dass sie keine Katze ist Tief in ihrem Herzen weiß eine Frau, dass sie keine Frau ist Du willst, dass wir sprechen über Essen über Rezepte Ich weiß, ich kann etwas vorbereiten Das kannst du auch Du kannst alles vorbereiten Aber das ist auch dein Problem Sind wir froh und schwierig zu unterscheiden? Ich sage schön 13