2 SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff Donnerstag, 16.08.2012 Jeder Satz ein Schatz Die Sinfonien von Wolfgang Amadeus Mozart (4) Keine Lust auf Sinfonie so muss wohl die Diagnose lauten ab etwa 1775 bei Mozart. Nach der fruchtbaren Zeit mit etwa 30 Sinfonien kam nun eine Flaute. Salzburg war zu eng geworden, zu klein für Mozart. Er musste raus. So reiste er 1777 im September nach Mannheim. Dort am kurpfälzischen Hof gab es eines der besten Orchester Europas. Dort wollte er eine Stelle finden. Unsere Reise geht heute auch via Mannheim nach Paris. Willkommen dazu! In Mannheim wurde Oper gespielt, Ballett und Kammermusik und Mannheim war eines der führenden Zentren der Sinfonie. Bis heute ist das Mannheimer Crescendo legendär, soll es doch angeblich die Hörer damals von den Stühlen gerissen haben... Musik 1: Track 1 6:29 Ignaz Holzbauer Sinfonie D-Dur op. 3, Nr. 4 I. Allegro L Orfeo Barockorchester Ltg.: Michi Gaigg CPO, 999 585-2, 8492 Eine der aufregendsten Sinfonien, die der Mannheimer Hofkapellmeister Ignaz Holzbauer geschrieben hat: Seine D-Dur-Sinfonie op. 3, Nr. 4. Das L Orfeo Barockorchester haben Sie gehört mit dem ersten Satz. Holzbauer war Wiener und er bestimmte die Geschicke der Mannheimer Kapelle über fast 25 Jahre. Mozart schätzte ihn sehr, bewunderte das Feuer in seiner Musik. Noch Jahre später, in der Zauberflöte, lassen sich Anklänge an Holzbauers deutsche Oper Günter von Schwarzburg finden. Mozart hatte sie in Mannheim erlebt.
3 Er fühlte sich wohl unter den Mannheimer Musikern. Er genoss ihre Offenheit. Mannheim war besonders. Der soziale Status der Musiker war viel höher als in Salzburg. Das Orchester war international besetzt, viele Musiker kamen aus Böhmen. Es gab eine hauseigene Nachwuchspflege im Spielen und im Komponieren, eben die Mannheimer Schule. Und die führenden Solo-Musiker in Mannheim, konnten regelmäßig nach Paris reisen und dort als Virtuosen Erfolge feiern. Besonders gut verstand sich Mozart mit Christian Cannabich, dem Orchesterchef in Mannheim. Vater Leopold hatte empfohlen, sich bei dem Herrn Cannabich einzuschmeicheln. Wolfgang Amadeus hat das getan. Er war oft zu Gast bei Cannabich, und hat manchen späten Abend, wie er schrieb, beym Cannabich, seiner gemahlin und Dochter... ganz leichtweg gereimmet [...]; und zwar lauter Sauereyen. Mozart war inzwischen ein erwachsener Mann von 21 Jahren, Vater Leopold war nicht mehr mitgereist. Nur die Mutter begleitete ihn. Mozart unternahm viel mit den Mannheimer Kollegen. Aber er wirkte nicht gerade zielstrebig, wenn es darum ging, eine Stelle zu bekommen. In diesem lebendigen Sinfonie-Labor Mannheim hat er keine einzige Sinfonie geschrieben. Nur einmal hat er im privaten Rahmen eine Sinfonie aufgeführt, die er im Gepäck hatte. Ein zusammen gestückeltes Werk: Die Ouvertüre zu Il re pastore mit neuem Finale. Immerhin: Ein reizvolles Stück und noch dazu mit einem typisch Mannheimer Anfang: Tutti-Schläge und danach ein Crescendo aus dem Pianissimo. Musik 2: CD 11/ Track 1-3 8:10 Sinfonie C-Dur KV 208&102 Ouvertüre Il re pastore & Finale Academy of Ancient Music Ltg.: Christopher Hogwood L oiseau-lyre, 452 496-2, LC0171
4 Mozart blieb von November bis Mitte März in Mannheim. Er hatte auch wohl einige erfolgreiche Konzerte. Aber der Zeitpunkt der Reise war denkbar ungünstig. Denn Kurfürst Carl Theodor verließ zum Jahreswechsel seine moderne Residenzstadt, um die Erbfolge als bayerischer Kurfürst anzutreten. Schon bald siedelte auch die Kapelle nach München um. Das großartige Kapitel der Mannheimer Sinfonie war mit einem Schlag beendet. Als Mozart sich dann auch noch verliebte und immer mehr Geld ausgab, befahl Leopold in einem energischen Brief: Fort mit Dir nach Paris. Und das bald. Setze Dich großen Leuten an die Seite Von Paris aus geht der Ruhm und Name eines Mannes durch die ganze Welt. Die Mannheimer Musiker hatten Paris-Erfahrung und so wusste Mozart schon, dass man mit nur einer Sinfonie viel Geld verdienen konnte. In Paris rangen zwei Orchester und Konzert-Unternehmen um die Gunst des Publikums. Freunde aus Mannheim führten Mozart mit dem Direktor der Concerts spirituels zusammen. Für diese vier Musiker schrieb Mozart dann seine Sinfonia concertante für vier Bläser deren Aufführung kam jedoch nicht zu Stande. Aber es kam ein zweiter Auftrag: Eine Sinfonie. Mozart schrieb sie in drei Sätzen, ohne Menuett. Im ersten Satz der Pariser Sinfonie erfüllt Mozart die Erwartungen des Publikums. Er hat einen Satz ganz im Mannheimer Geschmack geschrieben, der damals in Paris so beliebt war: Für ein großes Orchester mit besonders großem Streicherapparat.
5 Mozart wusste, was das Publikum wollte: nämlich in einer gewohnten Form neue, überraschende Ideen erleben. In Paris war es üblich, dass das Publikum an Stellen, die besonders gut ankamen, spontan applaudierte. Mozart hatte dem Publikum eine solche besonders effektvolle, empfindsame Stelle komponiert. Beispiel 1: Track 5 < 1:39 1:52 > 00:13 Mozart schrieb über die Pariser Sinfonie an seinen Vater: Die Sinfonie fing an. Gleich mitten im Allegro war eine Passage, die ich wohl wußte, daß sie gefallen müßte. Alle Zuhörer wurden davon hingerissen, und es war ein großes Applaudissement. Eben haben wir die Stelle gehört, von der Nikolaus Harnoncourt annimmt, dass dort das Pariser Publikum spontan applaudiert hatte. Eine Stelle, die zweimal auftaucht im ersten Satz. Der englische Musikforscher Stanley Sadie glaubt dagegen an eine andere Passage wenig später. Denn Mozart hatte im Brief geschrieben: weil ich aber wusste, wie ich sie schriebe, was das für einen Effect machen würde, so brachte ich sie auf die lezt noch einmahl an. Sadie hat eine Stelle im ersten Satz identifiziert, die tatsächlich dreimal erscheint, in der Exposition, dann wieder in der Reprise und noch einmal in der Coda. Beispiel 2: Track 5 < 2:07 2:20 > 00:13 Hier nun der ganze erste Satz aus Mozarts Pariser Sinfonie mit dem Scottish Chamber Orchestra unter Leitung von Sir Charles Mackerras.
6 Musik 3: 9931837 Track 5 7:37 Sinfonie Nr. 31. D-Dur KV 297 Pariser I. Allegro assai Scottish Chamber Orchestra, Ltg. Sir Charles Mackerras LINN RECORDS, CKD 350, LC11615 Im Zusammenhang mit der Pariser Sinfonie erleben wir Mozart, wie er ganz gezielt für einen Publikumsgeschmack komponiert. Und wie er auch einen Auftraggeber zu befriedigen versucht. Der Direktor der Concerts spirituels fand den langsamen Satz, den Mozart zunächst geschrieben hatte, als zu gewichtig und verlangte einen neuen, anderen, leichteren Satz. Heute wird im Konzertbetrieb meist der von Le Gros abgelehnte Satz gespielt, ein knapp 6minütiges Andantino im 6/8-Takt. In dieser SWR 2 Musikstunde nun aber die leichtere und auch kürzere Alternative: ein Andante im ¾-Takt. Musik 4: 9931837 Track 7 3:25 Sinfonie Nr. 31. D-Dur KV 297 Pariser II. Andante Scottish Chamber Orchestra, Ltg. Sir Charles Mackerras LINN RECORDS, CKD 350, LC11615 Fast kommt einem dieser Satz schubertisch vor. Kein Wunder, war doch Franz Schubert ein glühender Mozart-Verehrer...
7 Auch das Finale der Pariser Sinfonie erzählt noch einmal davon, wie Mozart nun ziemlich keck mit den Hörerwartungen des Publikums gespielt hat. Mozart berichtete seinem Vater: Weil ich hörte, daß hier alle letzten Allegros, wie die ersten, mit allen Instrumenten zugleich und meistens unisono anfangen, so fing ich mit den zwei Violinen allein piano nur acht Takt an darauf kam gleich ein Forte, mithin machten die Zuhörer, wie ich es erwartete, beim Piano sch! Dann kam gleich das Forte. Sie das Forte hören und die Hände klatschen war eins. Musik 5: 9931837 Track 8 3:32 Sinfonie Nr. 31. D-Dur KV 297 Pariser III. Allegro Scottish Chamber Orchestra, Ltg. Sir Charles Mackerras LINN RECORDS, CKD 350, LC11615 Trotz des Erfolgs dieser einen Sinfonie, war der Paris-Aufenthalt kein Erfolg. Mozart ist nicht besonders berühmt geworden. Zudem war seine Mutter in Paris gestorben. Der Weg zurück nach Salzburg muss Mozart besonders schwer gefallen sein. Er zögerte die Rückkehr hinaus, blieb noch mal in Mannheim, doch dann musste er zurück in die Enge der Stadt an der Salzach und des Hofdienstes. In Salzburg erst scheint er die Eindrücke der Zeit in Mannheim und Paris musikalisch wirklich verarbeitet zu haben. Eines seiner größten Werke entsteht als Quintessenz von Mannheimer Orchestertechnik und Pariser Virtuosenbegeisterung: Die Sinfonia concertante für Violine und Viola in Es-Dur. Musik 6: Track 2 9:52 Sinfonia concertante Es-Dur KV 364 II. Andante
8 Jaap Schröder, Violine Marilyn McDonald, Viola Smithsonian Chamber Orchestra EMI, 7 49006 2, LC8586 Zwei Jahre noch bleibt Mozart in Salzburg, ehe der befreiende Bruch mit dem Fürsterzbischof geschieht. In diesen 2 Jahren schreibt Mozart noch drei Sinfonien. Sie orientieren sich nicht an der großen Publikumswirkung, wie die Pariser Sinfonie, sondern sie sind wieder auf die Salzburger Dimensionen zugeschnitten. Aber sie klingen anders, raffinierter, reifer als die Sinfonien vor der Reise. In der B-Dur-Sinfonie KV 319 begegnet uns dann auch wieder jenes Do-Re-Fa-Mi -Motiv aus der allerersten Sinfonie, das auch noch einmal in Mozarts letzter Sinfonie erscheinen wird, der Jupiter -Sinfonie. Um jene letzten und heute berühmtesten Mozart-Sinfonien wird es morgen gehen. Und auch dann werde ich wieder versuchen, mit der Auswahl der Aufnahmen möglichst ein breites Bild der guten Mozart-Interpretation zu liefern. Heute beenden Musiker die SWR 2 Musikstunde, die zu den besten Mozart- Interpreten zählen: Claudio Abbado und sein Orchestra Mozart. Musik 7: 9928611 CD I / Track 9 (6:18) Puffer! Sinfonie Nr. 33 B-Dur KV 319 I. Allegro assai Orchestra Mozart Claudio Abbado ARCHIV PRODUKTION, 477 7598, LC0113