Meyer Lehmann Schulze Die wilden Zwerge Unverkäufliches Leseexemplar. Bitte nicht vor dem 10.03.2009 rezensieren. Bilder von Susanne Göhlich
Das ist die Zwergengruppe im Kindergarten. Vor dem Frühstück. Die Kinder dürfen noch spielen, was sie wollen.
Anton regelt den Verkehr. Karolin kümmert sich um Elena. Elena weint mal wieder wegen Richard. Adrian hilft ihm dabei. Johannes übt Knoten. Richard hat heute seine Spritzpistole mitgebracht. Alex will die Pistole jetzt aber auch mal haben. Mara ärgert Richard. Selin kümmert sich um die Puppe Conni. Sara übt.
Frau Köhler hält das Chaos gleich nicht mehr aus. Was ist denn hier los?!, ruft sie. Jetzt wird aufgeräumt, aber ganz schnell! Heute kommt doch der neue Junge, was soll der denn von euch denken? Na gut, dann räumen sie eben auf. Anton schmeißt zwei Autos in die Autokiste und erzählt Adrian von dem schweren Unfall, bei dem der rote Jaguar fast verbrannt wäre. Adrian parkt sorgfältig die restlichen hundert Autos in der Kiste. Johannes muss seinen Knoten leider wieder aufmachen. Mara zieht sich die Hose hoch. Dann sammelt sie die Filzstifte ein und tut sie an einen sicheren Ort. Karolin setzt die Puppe ordentlich in die Puppenecke. Elena hört auf zu weinen und putzt sich die Nase. Richard versteckt seine Pistole, damit Alex sie nicht findet. Selin hilft Mara die Stifte wegzuräumen. Sara räumt die Tische frei.
Endlich können sie frühstücken. Alex beißt feste in sein Mohrenkopfbrötchen. Frau Köhler zieht es ihm wieder aus dem Mund. Zuerst der Morgenspruch. Alle fassen sich an den Händen und sagen: Wir danken für das leckere Essen, der Schöpfer hat uns nicht vergessen. Nun schlucken wir unser Frühstück runter, so werden wir Zwerge erst richtig munter.
Als sie gerade in voller Lautstärke Guten Appetit brüllen, geht die Tür auf und Frau von Bergen kommt rein. Das ist die Kindergartenleiterin. Sie hat den Neuen an der Hand. Aber nur kurz, dann lässt der Junge sie los und bleibt ruhig neben ihr stehen. Na, dann komm mal rein und setz dich, sagt Frau Köhler. Wo gibt s denn noch ein Plätzchen für den Konstantin? Bei allen Mädchen. Da hörst du gleich, was die Zwerge für kräftige Stimmen haben, Konstantin, sagt Frau von Bergen und lacht ihr komisches Lachen, das immer ein bisschen zu laut klingt. Dann sagt sie, dass das hier der Konstantin ist, schon fast fünf Jahre alt und neu in der Stadt, frisch umgezogen mit seinen Eltern. Konstantin sagt nichts. Er guckt nur. Alle gucken zurück. Karolin gewinnt. Sie hat am schnellsten neben sich Platz gemacht und ihm einen Stuhl und einen Teller geholt. Frühstück hat er keins dabei. Aber alle geben ihm was ab, und deshalb hat er plötzlich einen Riesenberg Zwergen-Spezial-Frühstücksmix auf dem Teller.
Von Anton eine Ecke Nutella-Weißbrot, von Elena einen großen Löffel trockenes Schokomüsli, von Adrian eine Cocktailtomate, von Richard einen angebissenen kleinen runden Käse, von Johannes ein halbes Toastbrot mit Mettwurst, von Alex ein Stück halb abgelecktes Mohrenkopfbrötchen, von Selin eine Babymöhre von Mara einen fast leer gelöffelten Aprikosen-Joghurt, von Karolin ein halbes Vollkornbrot mit Bio-Nutella, und von Sara zwei Apfelschnitze und eine Mini-Salami. Das schafft er gar nicht alles.
Karolin sagt zu Konstantin: Hast du schon mein leckeres Nutellabrot gegessen, Konni? Das ist Bio-Nutella. Konstantin schüttelt den Kopf. Ich heiße nicht Konni, sagt er dann und steckt sich das Stück Mohrenkopfbrötchen von Alex in den Mund. Wirst du nicht Konni genannt, Konstantin?, fragt Frau Koslowski. Konstantin schüttelt den Kopf. Frau Koslowski erklärt den Zwergen, dass Konstantin einen alten Kaisernamen hat und dass es auch eine Stadt gibt, die früher mal nach diesem Kaiser benannt wurde: Konstantinopel. Jetzt heißt die Stadt aber Istanbul, sagt sie.
Da war ich schon zweimal! Dann kenn ich dich ja schon!, ruft Selin. Richard stupst Konstantin an und sagt: Konstantinopel-Popel! Alex lacht am lautesten, und Frau Köhler schimpft mit Richard. Der macht auf einmal ein komisches Gesicht und fuchtelt an seinem Hemd herum. Dann fischt er sich eine zermatschte Cocktailtomate vorne raus. Auf seinem Hemd breitet sich ein wässrig roter Fleck aus. Iiiieh!, kreischen die Mädchen. Richard blutet! Frau Koslowski wischt an Richard herum. Konstantin sitzt ruhig daneben, guckt woanders hin und grinst ein ganz klein wenig mit dem linken Mundwinkel. Warst du das, Istanbul?, fragt Selin. Ihre dunklen Augen glitzern. Konstantin sagt nichts. Aber vielleicht grinst er noch ein ganz klein wenig mehr mit dem linken Mundwinkel.
Später auf dem Spielplatz passiert es wieder: Elena hat es geschafft, sich das gelbe Bobbycar zu ergattern. Das ist ihr Lieblingsfahrzeug im Kindergarten. Leider ist es auch Richards Lieblingsfahrzeug. Da kommt er schon angerannt, schubst sie einfach runter, setzt sich drauf und düst mit Karacho auf die Mädchen zu, die neben dem Kletterbaum stehen. Die Mädchen müssen ganz schnell wegspringen.
Elena liegt im Sand und weint. Richard spielt nun auf dem ganzen Spielplatz Kinderüberfahren. Sonst stoppen die Erzieherinnen ihn immer sofort. Aber heute reden sie am Zaun mit der Hortfrau und kriegen es nicht mit. Und immer, wenn ein Kind zu ihnen hin rennen und Bescheid sagen will, wird es sofort von Richard gejagt. Geh da runter, sagt Konstantin nur. Was?! sagt Richard. Geh da runter, sagt Konstantin wieder und sieht Richard immer nur weiter in die Augen. Plötzlich passiert etwas, was noch nie passiert ist. Ein Junge stellt sich Richard einfach in den Weg. Es ist Konstantin. Er steht ganz ruhig da und sieht Richard in die Augen. Auf dem Spielplatz wird es ganz still.