Wettbewerb um Drittmittel und Auswirkungen auf die Forschung - Empirische Ergebnisse aus Deutschland und Österreich

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Transkript:

Wettbewerb um Drittmittel und Auswirkungen auf die Forschung - Empirische Ergebnisse aus Deutschland und Österreich Sechste Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung zum Thema Wettbewerb und Hochschulen Nicolas Winterhager INCHER-Kassel winterhager@incheruni-kasselde

1 Das P3-Projekt Gliederung 2 Wettbewerb um Drittmittel im Hochschulbereich 3 Auswirkungen auf die Forschung Riskante Forschung und Mainstreamforschung 4 Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit 2

1 Das P3-Projekt DFG-Forschergruppe Governance der Forschung Frage nach Governance und Forschung im Fokus Wie beeinflussen Regelungsstrukturen/Governance das Entscheidungsverhalten von Forschergruppen an Universitäten? 3

1 Das P3-Projekt 8 Forschergruppen aus Universitäten 2 Länder: Österreich und Deutschland 2 Felder: Biotechnologie und Mittelalterforschung (Mediävistik) ca 3 Forscher pro Gruppe 24 Forscher leitfadengestützte Interviews (Entscheidungsverhalten) Kurzfragebögen (Grunddaten) 4

2 Wettbewerb um Drittmittel im Hochschulbereich Governancedimension Wettbewerb Die Drittmitteleinnahmen der Universitäten haben sich in Deutschland und Österreich seit 1995 verstärkt 5

Grundmittel und Drittmittel der Hochschulen in Deutschland (Statistisches Bundesamt) 1995 Drittmittel Grundmittel 2008 Drittmittelanteil 1995: 12 % 2008: 21 % 6

Grundmittel und Drittmittel der Hochschulen in Österreich (ohne medizinische Universitäten) (BMWF) 1995 Drittmittel Grundmittel 2009 Drittmittelanteil 1995: 7 % 2009: 17 % 7

2 Wettbewerb um Drittmittel im Hochschulbereich Drittmittel haben für die Universitäten in Deutschland und Österreich eine hohe Bedeutung! Anteil von Drittmitteln an den Gesamteinnahmen: Deutschland 2008: 13,35% (alle Hochschulen, ohne Studiengebühren) Österreich 2009: 15,15% (alle Universitäten, ohne med Universitäten) Gilt das für die ausgewählten Forschergruppen auch? Grunddaten der Kurzfragebögen 8

Anteil der Drittmittelforschung an der gesamten Forschung (Zeitanteil, in Prozent) 80 % Drittmittelforschung Drittmittelforschung sonstige Forschung 80 % Drittmittelforschung 9

Anteil der Drittmittelforschung an der gesamten Forschung (Zeitanteil, in Prozent) Mediävistik (4 Forschergruppen) Drittmittelforschung Sonstige Forschung 65% der Zeit für Drittmittelforschung 10

Anteil der Drittmittelforschung an der gesamten Forschung (Zeitanteil, in Prozent) Biotechnologie (4 Forschergruppen) Drittmittelforschung Sonstige Forschung 95% der Zeit für Drittmittelforschung 11

2 Wettbewerb um Drittmittel im Hochschulbereich Im Hochschulsystem allgemein, aber auch für die von uns untersuchten Forschergruppen spielen Drittmittel eine bedeutende Rolle Keine Unterschiede zwischen den Ländern Deutliche Unterschiede zwischen den Disziplinen Biotechnologen sind hochgradig abhängig von Drittmittelforschung, bei den Mediävisten wird Forschung auch über die staatliche Grundfinanzierung bewerkstelligt 12

3 Auswirkungen auf die Forschung Riskante und Mainstreamforschung riskant: Ergebnisoffen, Erfolg nicht vorhersehbar mainstream: Ergebnisse absehbar/wahrscheinlich, aufgrund von Erfahrung Je stärker die Forschergruppen auf Drittmittel angewiesen sind, desto höher ist die Orientierung an Mainstreamthemen der Forschung (vgl von Görtz,Heidler, Jansen 2010) 13

`Forschometer Riskante und Mainstreamforschung (Zeitanteil) Mainstreamforschung 55 % 65 % Riskante Forschung 14

`Forschometer Riskante und Mainstreamforschung (Zeitanteil) Mainstreamforschung 70 % 40 % Riskante Forschung 15

These: Drittmittelforschung ist in der Regel Mainstream Bei den Mediävisten ist Forschung über Grundfinanzierung noch zu bewerkstelligen, daher können auch riskante Perspektiven eher verfolgt werden 16

Riskante und Mainstreamforschung Leitfadeninterviews: Forscher behaupten, dass wirklich riskante Forschung nur über Grundfinanzierung zu bewerkstelligen sei, Drittmittelforschung muss sich am Mainstream orientieren Grund: Konservatismus der Gutachter der Förderorganisationen (kein Risikokapital) Man muss in dem gleichen Feld schon einige Erfahrung vorweisen können, quasi die Ergebnisse vorab kennen, sonst kommt man mit dem Antrag nicht durch (Biotechnologe, Deutschland) 17

Riskante und Mainstreamforschung Alle Forschergruppen beklagen eine allgemeine Tendenz, dass innovative Ideen abgewürgt würden, weil die Geldgeber kein Wagniskapital einsetzen wollen diese leicht abgehobenen spinnerten Gelehrten, die einfach mal was ganz Neues ausprobieren, die haben da ganz schlechte Karten Und die ganz neuen zündenden Ideen kommen ja meistens von irgendwelchen Einzelgängern (Mediävist, Deutschland) Missverhältnis zwischen dem Wunsch nach riskanter Forschung (Reputationsstreben) und den äußeren Bedingungen 18

Riskante und Mainstreamforschung Wie reagieren Forscher auf den Konservatismus der Geldgeber/Gutachter und dem gleichzeitigen Wunsch nach riskanter Forschung? Es lassen sich einige Gegenstrategien der Forscher erkennen, um trotzdem riskante Forschungsperspektiven verfolgen zu können a) Ausbalancieren b) Verschachteln c) Anwendungsforschung 19

Riskante und Mainstreamforschung a) Ausbalancieren Teilprojekte mit sicherem und mit unsicherem Ausgang integrieren Man versucht das zu balancieren Man muss auf jeden Fall 1, 2 Teilprojekte haben, die relativ sicher sind, und dann kann man sich nebenbei vielleicht noch ein riskanteres leisten, wo man dann in Kauf nehmen muss, dass da möglicherweise überhaupt nichts rauskommt Aber dann hat man die anderen, die man vorweisen kann (Biotechnologe, Österreich) 20

Riskante und Mainstreamforschung b) Verschachteln Beim laufenden Projekt, Vorarbeit für das Nächste leisten Zweckentfremdung der Mittel Das bedeutet dann für die tägliche Arbeit, dass man noch gezielter abstimmen muss, welche Vorarbeit man im laufenden Projekt bereits für das nächste mögliche Projekt leisten muss, so dass sich die Projekte sozusagen ineinander schachteln und sich gegenseitig vererben (Biotechnologe, Österreich) 21

Riskante und Mainstreamforschung c) Anwendungsforschung Der Mangel an Grundfinanzierung wird über Drittmittel aus der Anwendungsforschung ein Stückweit aufgefangen Industrie- oder Stiftungsgelder umshiften, um grundlagenorientierte Anforschung zu betreiben (riskant) 22

Riskante und Mainstreamforschung Biotechnologie Anwendungsforschung hauptsächlich Industrieforschung im Bereich Medikamentenentwicklung, DNA-Sequenzanalyse Mediävistik Anwendungsforschung im Bereich Ausstellungen, Festspiele, Jubiläen, TV und Radiosendungen 23

4 Zusammenfassung Der Drittmittelzwang hat Auswirkung auf das Verhältnis von riskanter und Mainstreamforschung Ergebnisoffene Forschung ist schwieriger zu bewerkstelligen (nur über Grundfinanzierung möglich) Konservatismus der Gutachter Die Forscher entwickeln jedoch Strategien, um diesen Tendenzen entgegenzuwirken 24

4 Zusammenfassung Gegenstrategien: Mangel an Grundfinanzierung über Anwendungsforschung auffangen riskante Forschungsperspektiven, Anforschung Verschachteln und Vererben von Projekten Ausbalancieren Die Forschergruppen zeigen sich erfinderisch Fazit Forschungssystem folgt eigener, rein wissenschaftlicher Logik, wird vom Wettbewerb irritiert, lässt sich aber nicht determinieren! 25

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Nicolas Winterhager INCHER-Kassel winterhager@incheruni-kasselde