Zweiter Bericht von Rahel Pfeiffer, 30.03.14 Liebe Familie, Freunde und Unterstützer, La mulţi ani! Dieser rumänische Gruß ist mir in den letzten sieben Monaten sehr oft begegnet und hat mich anfangs öfter verwirrt. Denn er bedeutet sowohl Alles Gute zum Geburtstag, Alles Gute zum Namenstag, Einen schönen Nationalfeiertag, Frohe Weihnachten, Ein gutes Neues Jahr, als auch jeden anderen Gruß, den man einmal im Jahr ausspricht. Wörtlich heißt es nämlich so viel wie auf viele Jahre. Wenn ich überlege, wie oft ich La mulţi ani! in der Zwischenzeit gehört habe, merke ich, dass ich jetzt schon ganz schön lange in Rumänien bin. Ich habe nicht nur viele Geburtstage der Kinder hier im Tageszentrum Rusciori miterlebt, sondern auch andere Feste und Ereignisse. Was alles so los war Am 1. Dezember ist hier in Rumänien Nationalfeiertag. Wir haben dazu für die Eltern eine Feier in der Dorfhalle veranstaltet, bei der die Kinder Gedichte vorgetragen haben und unsere Tanzgruppen einen traditionellen Roma-Tanz und einen rumänischen Volkstanz aufführten. Im Dezember hatten wir dann viel zu tun mit dem Basteln von Dankeskarten an Spender aus Deutschland, Österreich und auch Rumänien,von denen die Weihnachtsgeschenke für die Kinder kamen, sowie dem Plätzchenbacken und Lebkuchenhäuserbauen. Außerdem haben wir jeden Tag mit den Kindern Weihnachtslieder geübt, die wir dann bei den Eltern im Dorf und bei verschiedenen Organisationen in der Stadt vorgetragen haben. Dieses sogenannte Colinde-Singen ist hier eine Tradition, die mit Sternsingern bei uns verglichen werden kann, nur eben vor Weihnachten. Für die Kinder war es sehr aufregend, vor allem, als wir nach Sibiu gefahren sind. Die Art und Weise, wie die Kleineren über jedes Hochhaus gestaunt haben, hat mir wieder einmal deutlich vor Augen geführt, dass sie in einer ganz anderen Nach dem Colinde-Singen auf dem Weihnachtsmarkt Welt leben.
In den Weihnachtsferien selbst war das Zentrum geschlossen. Ich und meine drei Mitbewohner hatten über die Feiertage viel Besuch von anderen Freiwilligen und Weihnachten war insgesamt sehr schön, auch wenn es natürlich ungewohnt war, ohne meine Familie zu feiern. Ein paar Tage vor Silvester bin ich mit einer anderen Freiwilligen meiner Organisation, die in Sibiu in einem Schülerheim arbeitet, auf eine Rundreise in einige andere Städte aufgebrochen. Wir haben ein paar schöne Tage damit verbracht, mit dem Bus von einer Stadt zur anderen zu fahren und uns immer einfach ganz spontan zu entscheiden, was wir als nächstes unternehmen. Dann sind wir nach Brasov, einer anderen Stadt in Siebenbürgen, gefahren und haben dort Silvester verbracht. Ich fand es schon in Deutschland immer leicht übertrieben mit den ganzen Feuerwerkskörpern und war überrascht herauszufinden, dass es hier in Rumänien fast noch mehr Trubel ums neue Jahr gibt. In der Nähe von Brasov liegt Bran, eine sehr hübsche kleine Burg, die als Dracula- Schloss bekannt ist. Was ziemlicher Unsinn ist, da der Fürst Vlad Ţepeş, das historische Vorbild für Dracula, kein einziges Mal auch nur einen Fuß in die Burg gesetzt hat. Aber der Ausflug, den wir dorthin unternommen haben, hat sich trotzdem gelohnt. Bran hat sogar einen (heute mit Touristen überfüllten) Geheimgang...
Im Februar war dann das Zwischenseminar meiner Organisation. In einer Stadt hoch im Norden an der Grenze zur Ukraine haben wir reflektiert, wie unser bisheriger Dienst so war und was wir noch vor uns haben. Außerdem haben wir in einem Museum über den Kommunismus in Rumänien so einiges Interessante über die jüngste Geschichte des Landes erfahren. Anfang März gibt es hier die Tradition, sogennante Märzchen zu verschenken. Diese kleinen Schleifchen mit Anhängern symbolisieren den Frühlingsanfang. Bei unserem Maskenball an Fasching Auch mit den Kindern haben wir wieder gebastelt und den Spendern Märzchen geschickt. In der Innenstadt Sibius gab es überall bunte Stände, an denen nicht nur Märzchen, sondern auch diverse andere Geschenke zum Frauentag verkauft wurden. Die Kinder Nachdem ich jetzt beschrieben habe, was seit meinem letzen Bericht alles so los war, will ich auch etwas genauer von der Arbeit mit den Kindern erzählen, die schließlich der Hauptgrund meines Freiwilligendienstes ist. Im Moment haben wir etwa 45 Kinder im Tageszentrum. Nachdem diesen Monat noch zwei Mädchen dazugekommen sind habe ich in der 3. Klasse, für deren Hausaufgabenhilfe ich verantwortlich bin, in der Zwischenzeit 11 Kinder. Das ist manchmal ziemlich stressig, weil sie sehr oft den Stoff nicht verstehen und nie wirklich gelernt haben, selbstständig zu arbeiten. Aber ich kann mich immer besser durchsetzen und auch so einiges erklären, was nicht nur damit zu tun hat, dass ich die Sprache besser beherrsche, sondern auch damit, dass die Kinder mich mögen und akzeptieren. Problematisch ist jedoch immer noch, dass ich es zwar gerade so schaffe, dafür zu sorgen, dass die meisten die Hausaufgaben gemacht haben, aber mich dabei nicht noch um die Kinder kümmern kann, die viel mehr Einzelunterstützung bräuchten. Das extremste Beispiel hierfür in meiner Klasse ist Cosmin. Er kann weder selbstständig lesen noch schreiben. Er kennt fast alle Buchstaben und kann gut abschreiben, weil er, während die anderen Hausaufgaben machen, nur die Aufgaben aus dem Buch abschreiben muss. Sein Lehrer macht sich nicht die Mühe, ihm eigene Aufgaben zu stellen, weil er eine ärztlich nachgewiesene Lernschwäche hat. In Mathe kann er einfache Plus- und Minus-Aufgaben rechnen, aber wenn die anderen das Einmaleins lernen, kommt er gar nicht mehr mit. Ich mache etwa einmal die Woche mit Cosmin Nachhilfe, wobei ich mich vor allem darauf konzentriere, ihm lesen beizubringen. Ich bin wirklich stolz darauf, dass er
kleinere Wörter schon ohne Hilfe entziffern kann. Obwohl er am Anfang allgemein riesige Probleme damit hatte, sich auch nur eine Minute lang auf etwas zu konzentrieren, schlägt er mich jetzt beim Memoryspielen jedes Mal. Ein weiteres Kind, das sich im Laufe des letzten halben Jahres sehr verändert hat, ist Dani aus der 1. Klasse. Er war am Anfang ein richtiger Raufbold, hat nie zugehört und sich ständig mit seinen Klassenkameraden geprügelt. Sein Vater ist seit ein paar Jahren wegen Alteisensammeln im Gefängnis und das Haus seiner Familie brannte vor etwa einem Jahr ab. Seither wohnt Dani mit seiner Mutter und seinen zwei Schwestern in einer einräumigen Hütte. In der Zwischenzeit ist er eines der schlausten Kinder seiner Klasse, malt sehr schön, ist meistens eher frech und kann trotzdem, wenn er es darauf anlegt, superlieb sein. Die Viertklässlerin Bibi ist eines der paar Kinder, die nicht aus einer Roma-Familie kommen. Man merkt leider auch wirklich einen deutlichen Unterschied, der dadurch entsteht. Weil sie von Zuhause bei allem Schulischen unterstützt wird, lernt sie sehr viel schneller. Sie hat immer die besten Noten, und das wird auch von ihr erwartet. So wird sie z.b. von unseren rumänischen Mitarbeitern beschimpft, wenn sie mal nicht perfekt abgeschnitten hat. Wenn eines der Kinder den anderen etwas vorlesen soll, wird immer sie ausgewählt. Sie hat ein eigenes Handy und einen Facebook-Account. Außerdem wird sie von den anderen Kindern bewundert, weil sie schon mal im Urlaub in Deutschland war. Als letztes möchte ich noch Alin vorstellen, einen fast komplett taubstummen 10- jährigen Jungen, der die Vorschulklasse besucht. Mehr als die Hälfte der Zeit kommt Alin gar nicht zur Schule. Wenn er jedoch da ist,
spielt er begeistert jedes Spiel, das er mitmachen kann. Er freut sich immer einen zu sehen und ist allgemein ein sehr fröhliches Kind. Am Anfang war er während der Hausaufgabenzeit und in den Stunden, in denen wir Englisch und Deutsch unterrichten, nirgendwo wirklich zugeteilt. Aber seit ich ihm ein paar mal etwas zu malen oder eine andere Beschäftigung gegeben habe, hängt er sehr an mir. Wenn er da ist, bleibt er jetzt, egal, was ich mit den anderen Kindern mache, immer bei mir. Manchmal ist es schwierig, wenn ich gerade keine Zeit für ihn habe oder nicht verstehe, was er will, aber ich lerne immer besser, seine Gesten zu deuten und meistens ist es mit ein bisschen Aufmerksamkeit ganz leicht, ihn wieder glücklich zu machen. Insgesamt ist es wohl das, was mir hier so gefällt. Dass ich das Leben der Kinder zum Besseren verändern kann, einfach, indem ich mich mit ihnen beschäftige. Anders als in Deutschland, wo ich im Schulalltag einfach nur gelernt habe, ohne zu erkennen, was es jemandem bringt, weiß ich hier nach jedem Arbeitstag, dass ich etwas Sinnvolles getan habe. Enttäuschend fand ich in den letzten Monaten nur, dass ich mich nach allem, was ich gehört habe, auf einen langen, tiefen Winter eingestellt hatte, und wir dann nur ein paar Tage Schnee hatten. Andererseits war es natürlich auch schön, nicht frieren zu müssen. Außerdem kann ich so schon draußen im Gras liegen, während ich diesen Bericht zu Ende schreibe Ich wünsche euch allen eine Frohe Osterzeit; La mulţi ani! Liebe Grüße, Rahel