Hauptsache Gebet! Predigt zum Jahresfest der Diakonie Neuendettelsau am Sonntag Rogate, 1. Mai 2016, in St. Laurentius über 1. Timotheus 2, 1-6a Liebe Festgemeinde, liebe Freunde der Diakonie Neuendettelsau, Schwestern und Brüder, ich freue mich sehr, als Ortspfarrer von Neuendettelsau am Jahresfest der Diakonie Neuendettelsau die Predigt im heutigen Festgottesdienst halten zu können, und überbringe gerne die Grüße unserer Kirchengemeinde. Wir freuen uns darüber, dass wir unsere Zusammenarbeit intensivieren und uns künftig öfters gegenseitig zum Kanzeltausch einladen wollen. (Ich bin schon gespannt auf Ihre Gastpredigt, lieber Bruder Hartmann, an unserem Kirchweihgottesdienst Anfang Juli.) Damit wieder zusammen wächst, was zusammen gehört hat. Und zusammen gehört. Freilich, die Herausforderungen, denen die Diakonie Neuendettelsau in diesen Tagen zu begegnen hat, sind ungleich umfangreicher als die einer Kirchengemeinde: Wie ist das Gesundheitswesen künftig zu finanzieren? Wie kann Inklusion für alle Beteiligten zum Segen werden? Wie können die Flüchtlinge bei uns eine neue Heimat finden? Wie ist der demographische Wandel zu gestalten? Wie ist der Angst vor Altersdemenz zu begegnen? Welchen Beitrag kann der christliche Glaube leisten, damit wir wieder eine zuversichtliche Grundhaltung in unserer Gesellschaft und in unserem persönlichen Leben gewinnen. Welche Kraft zur Gestaltung der Gegenwart liegt in der Rückbesinnung auf das Erbe Wilhelm Löhes? Dem es in unvergleichlicher Weise mit Gottes Hilfe gelungen ist, Antworten auf die Nöte seiner Zeit zu finden? Leben gestalten: christlich. offen. modern. so lautet das Motto dieses Tages. Und, so denke ich, bringt mit dem Dreiklang christlich offen modern genau diese Spannung zum Ausdruck: Welche Tradition ( christlich ) gilt es zu bewahren, um Antworten auf die Herausforderungen unserer Tage ( offen, modern ) zu finden. Auf dem Hintergrund dieser Fragen gewinnt der Predigttext aus der Feder des Apostel Paulus für den heutigen Sonntag Rogate ein ganz besonderes Gewicht. Denn mit dem heutigen Abschnitt macht er seinem Schüler Timotheus klar, worauf es in erster Linie ankommt, um den Herausforderungen seiner Zeit zu begegnen. Hauptsache, lieber Timotheus, so könnte man Paulus verstehen, Hauptsache ist, dass die Hauptsache die Hauptsache bleibt. Vor allem, sagt Paulus und er meint nicht Gesundheit!
Vor allem, sagt Paulus und er meint nicht die Familie! Vor allem, sagt Paulus und er meint nicht einen sicheren Arbeitsplatz! Vor allem, sagt Paulus und er meint auch nicht, dass jeder Geschäftsbereich schwarze Zahlen schreiben muss. Vor allem Frieden Nein! Auch hier ist der Apostel anderer Meinung. 1. Vor allem, zuallererst das Gebet Ein Blick zurück, zum Anfang: Jesus war auferstanden. Die Jünger verkündigten das Evangelium. Gemeinden entstanden, zunächst in Jerusalem, dann im gesamten Mittelmeerraum. Es gab viel zu tun: Arme mussten versorgt werden. Witwen hatten Hunger. Die Diakonie war eine der ersten Erfindungen der jungen Christenheit. Die Jerusalemer Gemeinde brauchte dringend Geld. Das Wort Kollekte tauchte auf. Und mit ihm die Sammelbüchse. Überall fehlten Mitarbeiter. Der Stellenplan ist eine Zumutung! Wie sollen wir denn das alles nur schaffen: Gehet hin in alle Welt! Macht alle Menschen zu Jüngern von Jesus, indem ihr predigt und tauft. Und habt dabei alle Völker und Rassen im Blick! Da wuchs sehr schnell der Unmut unter den Christen: Ach, es gibt ja soo viel zu tun! Wir könnten uns zerreißen! Wir hätten gern tausend Zungen, viele Hände, besonders flinke Füße. Was könnten wir an Gutem tun, wenn wir genügend Mittel hätten! Zeugen müssten wir sein in den gewöhnlichen Häusern und in den Vorstandsetagen! Die Sklaven auf den Galeeren müssten wir ebenso erreichen wie die im Bergwerk. Und die Juden richtig! Denn auch die brauchen den Messias. Und auch der Mittelstand, die Kaufleute und die Handwerker müssen die Botschaft von Christus erfahren! Und dann noch beten!? Immer! Und überall! Und zu allererst!? Und nicht erst dann, wenn alles andere nicht mehr hilft. Paulus hat wohl sehr schnell gemerkt, dass Christen über dem Tun das Beten zu vergessen drohen. Oder gar verschlafen, so wie die Jünger im Garten Gethsemane. Darum ermahnt der Apostel seinen Freund und Mitarbeiter Timotheus und auch uns heute. Denn Beten ist kein Hobby, das man tun, aber auch lassen kann. So wie ein Kind selbstverständlich mit seinem Vater spricht, sollten auch Christen selbstverständlich mit ihrem himmlischen Vater sprechen. Nicht aus Zwang oder Pflichtgefühl, sondern weil es eigentlich das Selbstverständlichste ist auf der Welt. Wilhelm Löhe hat einmal so ausgedrückt: Das Gebet ist für eine Seele so notwendig wie das Atmen für den Leib. Es ist das Atmen der Seele. Eine Seele, welche nicht betet, ist tot. Ich aber wünsche, dass eure Seelen leben; darum muss ich auch wünschen, dass sie atmen, das ist Beten (Brevier, S. 73). 2
3 Und dennoch sind wir heute versucht, alle möglichen Einwände vorzubringen: Mein Terminkalender ist übervoll! So heißt es nicht nur von verantwortlicher Seite. Auch Rentner haben keine Zeit. Und Kinder auch nicht. Wir alle hetzen von Termin zu Termin. Wo sollen wir da noch das Beten unterbringen!? Reicht nicht das Gebet im Gottesdienst, bei der Vesper, in den Stillen halben Stunden, bei den Andachten zu Sitzungsbeginn oder in den Wohngruppen? Ist das nicht genug? Mitten hinein in unser Ächzen sagt uns ein Mann, der wahrlich genug zu tun hatte: Zuerst, vor allem das Gebet! In Laufe der Kirchengeschichte begegnen uns immer wieder Menschen, die zuerst und vor allem gebetet haben. Martin Luther sagte einmal: Wenn ich besonders viel zu tun habe, muss ich viel beten. In den Klöstern: bevor die Arbeit oder die Wissenschaft beginnt: das Gebet. In unseren Häusern: ganz zu Beginn des Tages, vor dem Frühstück, vor der Zeitung, vor dem Griff nach dem Haustürschlüssel und dem Zündschlüssel: das Gebet. Zuallererst und vor allem: das Gebet. Völlig zweitrangig, ob laut und öffentlich, oder leise im stillen Kämmerlein: Hauptsache, dass gebetet wird! Ihr Eltern, ihr Paten, ihr Großeltern, ihr alle, die ihr Verantwortung tragt im Kleinen wie im Großen in Gemeinde und Diakonie: egal, ob mit erhobenen Händen oder auf Knien, egal ob mit flachen oder gefalteten Händen: Hauptsache, dass gebetet wird! 2. Aber für wen, um was sollen wir beten? Der Apostel Paulus wird hier konkret. Er war Kind seiner Zeit. Und betete deshalb für die Könige. Er wusste, dass die damalige Welt kein Friedensreich war. Deshalb betete er um ein ruhiges und stilles Leben, damit das Evangelium nicht gehindert werde. Schwertergeklirr hatte er oft genug gehört. Spuren von Krieg und Gewalt waren im römischen Reich überall sichtbar. Da schreibt er: Betet für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit. D.h. selbst für den römischen Kaiser Nero, weiß Gott: kein Christenfreund, soll gebetet werden. D.h. nicht nur die, die uns wohl gesonnen sind, gehören in unsere Fürbitte, sondern gerade die, die uns das Leben schwer machen. Ja, es darf und soll in unseren Gottesdiensten für die Obrigkeit gebetet werden: für unsere Regierung und den Frieden im Nahen Osten. Für unsere Bürgermeister, unsere Landräte, unseren Ministerpräsidenten, unsere Bundeskanzlerin, unsere gewählten Volksvertreter. Um faire Wirtschaftsstrukturen und Gerechtigkeit. Für freie Meinungsäußerung und für die Christen in der Verfolgung. Für den Rektor und das Direktorium der Diakonie, für unsere Bischöfe und die Synodalen unserer Kirche, für Pfarrer und Kirchenvorsteher selbst wenn wir uns mit ihnen schwer tun mögen. Meckerer gibt es immer genug. Beter gibt es immer zu wenige!
4 Es ist auch heute nicht vermessen, Gott um ein ruhiges und stilles Leben zu bitten. Und es ist jedes Mal ein Grund zum Dank, wenn wir in Frieden und Freiheit glauben und uns zum Gottesdienst versammeln können! Doch damit niemand denkt, Paulus habe nur die oberen Zehntausend im Blick, erinnere ich an einen Satz aus unserem Predigttext: Vor allen Dingen tut Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen. Für alle Menschen: das ist stark! Da ist keine(r) ausgeschlossen. Da gibt es keine Lieblings-Gebetsanliegen. Und keine hoffnungslosen Fälle, für die sich das Beten nicht lohnt. Keine Einengung auf bestimmte Anliegen und Personen! Christen dürfen ALLE Menschen im Blick haben, nicht nur die oberen Zehntausend, sondern insbesondere die Not leiden an Leib und Seele. Das unterscheidet uns von Interessenvertretern! Dass keiner verloren geht, sondern alle in Christus das Heil finden in Zeit und Ewigkeit. 3. Gebet von Löhe lernen Was für ein Mensch war Wilhelm Löhe? Klar, Dorfpfarrer von Neuendettelsau. Aber auch Macher, Planer, Stratege! Auch Seelsorger, Liturg, Manager, Ökonom und gar ein Fundraiser, wie man heute sagen würde. Aus heutiger Sicht ist das Wachstum und die Dynamik des von Löhe Initiierten enorm. Doch vergessen wir nicht, dass das Entscheidende in seinem Leben und im Wachsen seiner Werke der Faktor Gott war. In seiner inneren Bilanz schrieb Löhe einmal sinngemäß, dass alles anders gekommen sei, als er wollte; aber alles so gekommen sei, wie Gott es gefügt habe. Als Pfarrer und Theologe war Löhe zuerst und vor allem ein Beter. Man kann von ihm das Danken lernen. Wie wichtig war ihm der Dank an Gott für alles, was er schenkt! Und das, obwohl ihm doch so früh seine geliebte Frau genommen wurde. Und man kann von Löhe lernen, wie die Ehrfurcht vor Gott beim Beten aussieht. Er schreibt einmal: Beten heißt mit Gott reden. Wenn man mit einem König dieser Welt reden darf, so demütigt man sich. Wenn man mit Gott redet, so noch viel mehr; denn vor Gott sind alle Könige der Welt nur Staub und Asche. Es gibt keine höhere Würde, als mit Gott reden zu dürfen. Und man kann bei Löhe die Anbetung des Dreieinigen Gottes lernen. Die Kirche betet singend an. Und der Herr wohnt unter ihren Lobgesängen mit Seinen Sakramenten. 4. Vom Segen der Fürbitte Der junge Timotheus verdankt seine Reife im Glauben der Fürbitte seiner Mutter und seiner Großmutter, wie Paulus an anderer Stelle schreibt. Wieviel Segen die Diakonie Neuendettelsau und unsere Kirchengemeinde den treuen Betern/innen mit und ohne Haube verdankt, die vielleicht gar nicht mehr ihr Haus / ihr Zimmer verlassen können, aber mit ihrer treuen Fürbitte uns tragen, das lässt sich nur erahnen. Ihnen allen, die diesen Gottesdienst
5 mit uns feiern hier in St. Laurentius oder in den Häusern der Diakonie, sei herzlich gedankt für alle treue Fürbitte, durch die dieses Werk immer noch bestehen und wachsen darf. Das Jahresfest der Diakonie fällt in diesem Jahr auf den Sonntag Rogate. Möge uns dieser Sonntag Rogate daran erinnern: Hauptsache ist, dass die Hauptsache die Hauptsache bleibt! Pfr. Jürgen Singer