EIN LAND AUS DER RETORTE Der Schweizer Fotograf Fabian Stamm reiste mehrmals nach Kurdistan im Norden des Irak. Seine Bilder zeigen den dortigen Alltag. Eingang des Vergnügungsparks «Dream City» in Dahuk, einem kurdischen Disneyland
Es gibt Orte, die immer irgendwie im Ungefähren bleiben. Man weiss zwar, dass es sie gibt, aber wer könnte auf einer Weltkarte, ohne zu zögern, mit dem Finger auf sie zeigen? Die Autonome Region Kurdistan ist so ein Ort, ein eigenes Land schon fast. Mit einer Bevölkerung, die seit 1920 einen unabhängigen Staat will, nirgendwo wirklich willkommen ist und deshalb überall dort leben muss, wo sie knapp erwünscht ist, in der Türkei etwa, in Syrien, im Iran und eben im Norden des Irak. Der irakische Diktator Saddam Hussein liess die Kurden auf seinem Staatsgebiet mehr oder weniger gewähren, als kurdische Unabhängigkeitsrebellen während des Ersten Golfkriegs aber die Stadt Arbil eroberten, griff Saddam die kurdische Bevölkerung mit Giftgas an. Zehntausende Kurden wurden ermordet, viele wurden verschleppt, die Bilder der vergasten Kinder in der Stadt Halabja wird man nie vergessen. Nach Saddams Sturz ist es in dem kurdischen Teilstaat stetig bergauf gegangen. Das Land im Land hat ein eigenes Parlament, die Esel im Strassenbild muss man suchen, es gibt Wohnsiedlungen, die besser aussehen als alles, was man aus den Pariser Vororten kennt, und Pärke, die es durchaus mit dem Hyde Park in London aufnehmen können. Kurdistan, schreit es einem förmlich entgegen, Kurdistan ist keine hinterwäldlerische Berg- und Zwergregion, sondern ein ernst zu nehmendes Land. Die irakischen Kurden haben mit der Türkei Frieden geschlossen, es ist ihnen ge lungen, ausländische Investoren für ein Gebiet zu gewinnen, das von oben im Winter zumindest nicht viel anders aussieht als das, was das Weltraumauto «Curiosity» neulich vom Mars gefunkt hat. Die relative Harmonie ist inzwischen allerdings bedroht. Grosse Ölvorkommen sind der Grund. Die kurdische Regionalregierung erlaubt ausländischen Firmen die Förderung des Rohstoffes mit einer höheren Gewinnmarche, als es der Irak gestattet. Exxon Mobil, Chevron und Total, berichtete «Time» kürzlich, haben alle mit den Kurden Verträge abgeschlossen, obwohl die Regierung in Bagdad drohte, Firmen nicht mehr ins Land zu lassen, die in Kurdistan nach Öl bohren. Die Kurden jedoch wollen immer mehr Öl fördern und es mithilfe einer neuen Pipeline über die Türkei verkaufen. Der Irak aber beharrt eisern auf seinem Ölhandelsmonopol. Ende dieses Jahres soll die Pipeline von Kurdistan in die Türkei erstellt sein. Bagdad droht, den Bau der Rohrverbindung mit allen Mitteln zu stoppen. Vergangenen November marschierten 60 000 kurdische und irakische Soldaten in Richtung Kirkuk, um sich dort in die Erde zu graben und ihre Waffen aufeinander zu richten. Einen Monat später feuerten die Kurden auf einen irakischen Helikopter, Bombenattentate in der Region nahmen zu. Es herrschen in wieder einmal ideale Bedingungen für einen Bürgerkrieg. Noch allerdings vergnügen sich junge Kurden in den neu erstellten Amüsierparks von Arbil, wer zu Geld gekommen ist, zieht in eine Gated Community nach südafrikanischem Vorbild, und über die langen Kämpfe der älteren Generation informiert man sich, Softeis verspeisend, im Foltermuseum von Sulaymaniya. Der 30-jährige Schweizer Fotograf Fabian Stamm hat Kurdistan wiederholt bereist und dieses wie aus der Retorte entstandene Land fotografiert. Seine Bilder zeigen Alltagssituationen aus dem kurdischen Nordirak. Szenen, wie man sie auch aus Europa kennt. Irritierend jedoch, dass die Menschen auf Stamms Bildern alle so aussehen, als wären sie Laiendarsteller in einem Stück namens Normalität. Ganz so, als ob sie es sich noch nicht gewohnt wären, so zu leben, wie die Architekten ihres noch jungen Landes es sich vorgestellt haben. Fabian Stamm ist mit dieser Arbeit Gewinner des ersten «Globetrotter World Photo»-Preises, sie entstand im Rahmen von dessen Förderungsprogramm. Der Fotograf Manuel Bauer war Mentor des Projektes, als Medienpartner freuen wir uns, die Arbeit des Fotografen in unserem Heft zu publizieren. Die Bilder von Fabian Stamm können vom 14. bis 28. März in der Europaallee Passage an der Lagerstrasse 4 in Zürich besichtigt werden. Die Autonome Region Kurdistan (grau unterlegt) im Norden des Irak, die seit 1920 für einen unabhängigen Staat kämpft Türkei Syrien Dahuk Iran Arbil Irak Sulaymaniya Bluejeans neben kurdischer Traditionskleidung: An einem Fest in Arbil will sich jeder einen Zuschauerplatz sichern. 32 33
Ohne Öl geht nichts im gesamten Irak, dank dem Ölvorkommen konnte die kurdische Wirtschaft so schnell aufgebaut werden. Ausserhalb von Sulaymaniya werden Pipelines verlegt. 34 35
Das ist Elena, Tochter eines Projektleiters in der Ölbranche, zu Hause in Dahuk. Ihre Familie sind assyrische Christen, eine geschützte Minderheit in Kurdistan und verfolgt im übrigen Irak. Das ehemalige Red-Security-Gefängnis in Sulaymaniya ist heute ein Museum. Früher wurden in den schalldichten Räumen Gefangene gefoltert, jetzt erinnern Gipsfiguren daran. 36 37
Zwei Guerilla-Rekrutinnen in Koya, zwischen Arbil und Sulaymaniya: Die Demokratische Partei Kurdistans betreibt hier ein Ausbildungszentrum, um sympathisierenden Kurden aus dem nahen Iran eine Anlaufstelle zu bieten. 38 39
Eine junge Studentin namens Kurdistan trinkt Zuckerrohrsaft in einer Saftbar auf dem Basar von Sulaymaniya. Saftbars sind im Gegensatz zu Kaffeehäusern auch für Frauen und junge unverheiratete Paare ein Treffpunkt. Die Reichensiedlung «German Village» entstand ausserhalb von Sulaymaniya am Fusse des Gohizha Mountain nach europäischem Vorbild. 40 41
Inlineskater im Azadi-Park in Sulaymaniya, früher befand sich hier eines der Foltergefängnisse Saddams, heute trifft man hier auf Chilbi und Fressbuden. Junge Kurden nutzen den grössten Park Kurdistans zum «Schaulaufen». 42 43