DIE WELT DER Konventioneller Baumwoll-Anbau verbraucht Unmengen an Wasser und Pestiziden. Immer mehr Unternehmen stellen daher auf nachhaltigere oder gar Bio-Baumwolle um. Doch diese Entscheidung birgt zahlreiche Herausforderungen für die Modeanbieter, greifen sie doch massiv in die gesamte Beschaffungkette ein. Foto: Fotolia / chones 260 Nr. 41 _ 2016
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Foto: Remei AG/Joerg Boethling/agenda Bio-Baumwolle: Zwei Drittel des weltweiten Organic Cotton-Aufkommens stammen aus Indien. Wussten Sie, dass jährlich weltweit rund drei Billionen Kleidungsstücke produziert werden und die Hälfte des verwendeten Materials Baumwolle ist? Am gesamten Faseraufkommen hat Baumwolle einen Anteil von 27 %. Rund 24 Millionen Tonnen werden weltweit produziert, angebaut auf nur 2,4% aller Agrarflächen, verbraucht werden aber dabei geschätzt 25 bis 35 % aller Pestizide und Insektizide, die überhaupt im Einsatz sind. Um ein Kilogramm Baumwolle zu ernten, werden um die 10000 Liter Wasser benötigt. Außerdem sind 70 % der Baumwolle genverändert. Erschreckende Zahlen? Baumwolle ist tatsächlich alles andere als umweltfreundlich. Abgesehen von den verheerenden Auswirkungen auf die Böden, das Grundwasser und die restliche Umwelt, stehen zumeist hinter dem Anbau abseits der Großkonzerne in den USA und Australien hunderttausende Kleinbauern, die wenige Hektar Land unter widrigen Bedingungen bewirtschaften, abhängig von Regenzeiten sind. Die sich verschulden, um Samen, Dünger und Pestizide kaufen zu können ihre einzige Chance, dem Druck des Marktes standhalten zu können. Druck, der auch von den Baumwoll- Alternativen kommt: 55 % des weltweiten Faservolumens entfallen auf Polyester, das rund 20 % günstiger ist als Baumwolle. Ebenfalls nicht förderlich für die Zukunft der Baumwolle: Immer mehr junge Menschen ziehen in den Entwicklungsländern vom Land in die Großstädte. Landwirtschaft zu betreiben, genießt kein hohes Ansehen und verspricht kein gutes Einkommen. Es muss sich etwas ändern, darin sind sich immer mehr Marktteilnehmer einig. Der Anbau von konventioneller Baumwolle hat schwierige soziale und ökologische Folgen. Es gibt aus unserer Sicht keinen anderen Weg, als auf nachhaltige Baumwolle umzustellen, sagt zum Beispiel Nanda Bergstein, Head of Vendor Relations and Sustainability Non Food bei Tchibo. Als Vorreiter in Sachen Bio-Baumwolle gilt der Outdoor-Anbieter Patagonia aus Kalifornien, der bereits von 20 Jahren komplett auf Organic Cotton, sprich auf Bio-Baumwolle umgestellt hatte. Für Öko-Labels wie Armedangels ist dies ebenso selbstverständlich. Aber auch immer mehr große Ketten wie C & A und H & M setzen auf nachhaltige Baumwolle. Ihr Ziel ist es, bis 2020 nur noch diese zu verwenden. Gerade hat auch der irische Discounter Primark angekündigt, auf Sicht keine konventionelle Baumwolle mehr einsetzen zu wollen. Ernsting s family hat die erste GOTS-zertifizierte (Global Organic Textile Standard) Babymode-Linie herausgebracht (siehe auch ab Seite 252), ebenso Kik. Das Thema hat den Mainstream erreicht. Dennoch gelten nur 9 % des Baumwoll-Aufkommens weltweit als nachhaltig angebaut. Weniger als 1% stammen aus biologischem Anbau. Hier ist deutlich zu unterscheiden: Bio-Baumwolle verzichtet auf jegliche Pestizide, Dünger oder genverändertes Saatgut. Die Baumwolle ist handgepflückt. Der Bauer muss im Jahr nach der Baumwolle auf seinem Acker andere Pflanzen ökologisch anbauen, mindestens drei Jahre lang, bevor er das Bio-Zertifikat bekommt. Schädlinge und Unkraut werden natürlich vertrieben, z.b. durch andere Pflanzen, die dazwischen gesetzt werden oder durch einen Sud aus Knoblauch und Chili, gedüngt wird mit Kuhdung. Bedeutend ist zudem ein reduzierter Wasserverbrauch, so wird Regenwasser genutzt. Die NGO Textil Exchange hat ausgerechnet, dass bereits mit dem weltweiten Bio-Baumwollaufkommen pro Jahr das Wasser aus über 87200 Schwimmbädern gespart wird sowie 315 Tonnen Pestizide. Derzeit gibt es weltweit fast 194000 Bio-Baumwollbauern, die 350000 Hektar Land bewirtschaften, zu zwei Dritteln in Indien, und die im vorigen Jahr rund 112 500 Tonnen Bio-Baumwolle produziert 262 Nr. 41 _ 2016
Foto: Cotton made in Africa Cotton made in Africa: 2015 bauten rund 750000 Kleinbauern knapp 400000 Tonnen Baumwolle für die Initiative an. haben. Elke Hortmeyer von der Bremer Baumwollbörse ist sich sicher, dass die Produktion nicht stark zulegen wird. Dafür ist der Anbau zu arbeitsintensiv. Außerdem würde man pro Hektar nur höchstens rund 800 Kilogramm Baumwolle erhalten, auf konventionellen Feldern z.b. in Australien sind es 2000, so die Expertin. Zudem sei die Qualität der Fasern mitunter ein Problem, weil sie eine kürzere Stapellänge haben und vielleicht nicht ganz weiß sind. Optimischer dagegen ist Thomas Gemmecke von der Remei AG, einem Schweizer Konzern, der Bio-Baumwoll-Garn, Bio-Bekleidung sowie die Lizenzkollektion Naturaline beschafft und vertreibt: In zehn Jahren müsste ein Anteil von 5 bis 8 % möglich sein. Nachhaltige Baumwolle, z.b. als Mitglied über die Better Cotton Initiative (BCI) zu beziehen, unterliegt nicht ganz so strengen ökologischen Kriterien: So dürfen u.a. bestimmte Düngemittel und Pestizide benutzt werden. Generell verfolgt die BCI einen ganzheitlichen Ansatz. Sie will die Bedingungen für Umwelt und Mensch verbessern sowie die wirtschaftlichen Erträge steigern. Waren es 2010 erst 28500 Kleinbauern, so sind inzwischen 1,5 Millionen Farmer von BCI lizensiert und liefern pro Jahr von 3,4 Millionen Hektar Land rund 2,6 Millionen Tonnen nachhaltigere Baumwolle. 2020 will BCI 30% der weltweiten Baumwoll-Produktion stellen. Die Initiative zählt inzwischen über 700 Mitglieder. 46 davon sind Retailer und Marken, deren Einkaufsvolumen an Better Cotton sich von 2014 auf 2015 auf 251000 Tonnen verdoppelt hat. Einer davon ist C & A. 60 % der Kollektionen bestehen aus Baumwolle. Davon wiederum ist ein Drittel Bio-Baumwolle, 40 % sind Better Cotton. Seit zehn Jahren konzentrieren wir uns auf nachhaltige Baumwolle, weil die Baumwoll-Industrie solch einen großen Einfluss auf die Umwelt und die sozialen Bedingungen von Kleinbauern hat, sagt Jeffrey Hogue, Chief Sustainability Officer bei C & A. Das Thema ist komplex und emotional. Die Industrie der Baumwollproduktion ist kleinteilig und auf 77 Länder der Welt verteilt. Vielen Bauern fehlt das Wissen für nachhaltigen Anbau. Hier setzen zahlreiche Initiativen wie CottonConnect oder Cotton made in Africa (CmiA) an, die vor allem Hilfe zu Selbsthilfe geben. Sie schulen Kleinbauern; die ausgebildeten Farmer können höhere Erträge erzielen und sparen Geld, weil sie keine teuren Pestizide mehr kaufen müssen. Gerade Kleinbauern können leichter auf die neuen Anbaumethoden umstellen, als große Betriebe. Daneben gibt es einen nachhaltigen Baumwoll-Anbau, der jedoch nicht zertifiziert ist. Nachhaltige Baumwolle ist ausreichend am Weltmarkt vorhanden, sie wird nur meist nicht als solche ausgewiesen. Das ist das eigentliche Problem, sagt Edelgard Baumann von der Nonprofit-Marketingorganisation Cotton Council International. Das bestätigt auch Elke Hortmeyer: Ein großer Teil der Baumwolle ist heute schon ok, hat aber kein Zertifikat. Doch das ist den Bekleidungsanbietern wichtig. Und dies aus gutem Grund: Nur zertifizierte Baumwolle lässt sich zurückverfolgen. Zertifizierungen sind wichtig, um Unternehmen einstufen zu können. Wir brauchen Standards, die transparent sind, sagt Thomas Gemmecke. Es ist für keine Marke ratsam, etwas zu behaupten, was sie nicht nachweisen kann. Daher beschaffen wir nur Baumwolle aus zertifizierten Quellen. Wir wollen eine stabile, nachverfolgbare, transparente Baumwoll-Kette, und wir wollen für unsere Kunden glaubwürdig sein, so Hogue. C & A mische auch keine Bio-Baumwolle mit anderer Baumwolle. Wo Bio draufsteht, soll nur Bio drin sein. Immer wieder werde zudem auf Genmanipulationen getestet; ein ganz großes Thema in der Baumwollproduktion. Denn nicht immer kann sich ein Bauer vor genverändertem Saatgut abschirmen, Wind und Bienen lassen sich nun mal nicht einzäunen. Zudem ist es oft 264 Nr. 41 _ 2016
Foto: Primark/James McCauley CottonConnect: Kanchan und ihr Mann Ghaushyan Kanzariya aus Maypur Village in Indien prüfen ihre Baumwollpflanzen. schwierig, saubere Saaten zu bekommen. Wir müssen jede Charge darauf testen lassen, ob die Baumwolle wirklich Bio ist ohne genveränderte Organismen. Im vorigen Jahr haben wir dadurch 22 % der Ernte verloren, berichtet Aly Kanoute aus Burkina Faso, der dort über 10000 Kleinbauern betreut. Mit den ersten Stufen der Lieferkette beschäftigen sich Einkäufer einer Retail-Kette oder eine Modemarke zumeist nicht. Vor allem für große Konzerne eine Sisyphos-Aufgabe: zu wissen, von wem Stoffe, Garne, Fasern stammen. Kaum einer der großen Hersteller weiß wirklich, welche Baumwolle in allen Bereichen im Einsatz ist, da die Lieferketten zu kompliziert sind, sagt Edelgard Baumann. Die Umstellung auf Bio-Baumwolle ist eine strategische Entscheidung, betont Gemmecke. Das Unternehmen berät dazu andere Anbieter. Ebenso wie CmiA. Bei der Umstellung auf nachhaltige Baumwolle greift ein Unternehmen in die Kette ein, das zieht Diskussionen nach sich, davor haben viele Angst, sagt Christian Barthel, Director Supply Chain Management bei der Aid by Trade Foundation, die die Initiative 2005 ins Leben gerufen hat. Tchibo ist das Thema angegangen. Unter anderem unterstützt der Konzern das Appachi-Projekt in Indien, wo der Farmer Mani Chinnaswamy seine eigene ökologische Baumwollsaat gezüchtet hat und indischen Kleinbauern beim Anbau hilft. Dieses Jahr kamen die ersten Kleidungsstücke aus dieser Baumwolle in die Läden, im kommenden Jahr soll es eine ganze Kollektion sein. Dazu haben wir die Lieferkette auf den Kopf gestellt: Zuerst der Rohstoff, dann das Produkt, berichtet Nanda Bergstein. Suchten sich bislang Produkt- Manager und Lieferanten die entsprechende Baumwolle für das zu fertigende Produkt, entwickeln sie nun vom Rohstoff her kommend je nach Eigenschaft das Kleidungsstück dazu. Auch der Discounter Primark hat sich einer Initiative, CottonConnect, angeschlossen, um die Baumwoll-Lieferkette nachzuvollziehen, wie Katharine Stewart, Leiterin des Primark-Ethic Teams, sagt. CottonConnect unterstützt u.a. indische Farmerinnen beim Anbau nachhaltiger Baumwolle. Primark hat einen Teil der Baumwolle gekauft und testet derzeit die ersten Produkte. Unser Ziel ist es, eines Tages ausschließlich nachhaltige Baumwolle zu verwenden, aber das wird Zeit brauchen, denn das Thema ist sehr komplex. Wir haben Produktionen auf der ganzen Welt, so Stewart. Sie sagt außerdem, dass sich die Bemühungen nicht auf die VKs auswirken würden: Die Supply Chain ändert sich, nicht jedoch die Preise. Ein T-Shirt für 3 Euro oder eine Jeans für 8 Euro können durchaus nachhaltig sein, höhere Preise sind keine Garantie für hohe ethische Standards oder ökologische Nachhaltigkeit. Bio-Baumwolle jedoch sei teurer als konventionelle, so Hogue von C & A, doch der Filialist gibt das nicht an den Konsumenten weiter. Ebenso wenig Tchibo. Man wolle Ware gemäß der Preiserwartungen der Kunden anbieten, formuliert es Bergstein. Bei H & M heißt es: Wir setzen auf Bio-Baumwolle und sind bereit, mehr für diesen Rohstoff zu bezahlen, weil er ohne chemische Pestizide und Kunstdünger angebaut wird und keine gentechnisch veränderten Organismen enthält. Es wird sich etwas ändern, darin sind sich sich immer mehr Marktteilnehmer einig. Helmy Abouleish, CEO der ägyptischen Bio- Baumwoll-Initiative Sekem, fasst es so zusammen: Veränderungen werden geschehen, entweder aus einer Krise heraus oder aus Wissen. Edelgard Baumann mahnt jedoch, bei allem Fokus auf Baumwolle, die umwelt- und sozialverträglich angebaut wurde, sollte jedoch nicht vergessen werden: Nachhaltige Endprodukte gibt es nur dort, wo auch die gesamte Lieferkette nachhaltig operiert. ANJA PROBE 266 Nr. 41 _ 2016