GEFÄHRDET DER RÜCKGANG VON KRILL DAS MARINE ÖKOSYSTEM WELTWEIT? TEXT VON SEBASTIAN CONRADT

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Transkript:

WISSEN GEFÄHRDET DER RÜCKGANG VON KRILL DAS MARINE ÖKOSYSTEM WELTWEIT? Lebenselexie TEXT VON SEBASTIAN CONRADT Wenn Vögel wie die Küstenseeschwalbe, die bei uns an Nord- und Ostsee brütet, die Reise um den halben Globus bis in die Antarktis antreten, um dort zu überwintern, müssen sie einen guten Grund dafür haben. Flucht vor der Kälte unseres Winters kann das kaum sein. Im antarktischen Sommer klettert das Quecksilber nur selten über die Null-Grad-Marke, meistens liegt es deutlich darunter. Stattdessen lockt das Nahrungsangebot des Südpolarmeers die kleinen Seeschwalben über zigtausende Kilometer an das andere Ende der Welt. An langen, hellen Tagen haben die Vögel genug Zeit, sich hier die Bäuche vollzuschlagen. Einer der wichtigsten Bausteine im Zentrum des marinen Nahrungsnetzes rund um den Südpol ist der Antarktische Krill mit einer gigantischen Gesamtbiomasse von geschätzt 380 Millionen Tonnen. Er ist der wohl häufigste Organismus auf der Erde, der noch mit dem bloßen Auge zu erkennen ist. Doch der Kleinkrebs wird seltener, wie Forscher erst seit Kurzem rückblickend feststellen: Zwischen den 1970er-Jahren und der Jahrtausendwende gingen die Krillbestände in der westlichen Antarktis drastisch zurück, so Dr. Hauke Flores vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Schon mehrfach war der Biologe mit dem Forschungsschiff Polarstern in der Antarktis unterwegs, um dem Leben in der Kälte nachzuspüren. Wo liegen nun die Gründe für den Rückgang des garnelenförmigen Krustentiers? Und hat er möglicherweise Auswirkungen auf unsere Küstenseeschwalben? Im Wattenmeer nimmt die Art immerhin seit Ende der 1990er-Jahre ab. Einflüsse auf die Krillproduktion. Es liegt nahe, bei der Ursachenforschung zunächst nach einer möglichen Entnahme des Antarktischen Krills aus dem Südpolarmeer zu suchen. Ist die Rückkehr der Bartenwale für den Schwund des kleinen Krebses verantwortlich? Die riesigen Meeressäuger Foto: Stefan Hendricks / AWI 54 MAGAZIN FÜR VOGELBEOBACHTUNG

r Eis sind schließlich bekannt für den massenhaften Verzehr des Eiweißlieferanten. Doch die Wissenschaftler sind sich nicht sicher: Es gibt dazu unterschiedliche Theorien, breitet Flores aus. Wahrscheinlich ist allerdings, dass die Anwesenheit von Walen indirekt die Krillproduktion stimuliert. Die Stoffkreisläufe werden kürzer geschlossen, und das gesamte Ökosys- Foto: Jan van Franeker / IMARES 1 2 1 Antarktischer Krill weidet bevorzugt Kleinstalgen an der Unterseite des gefrorenen Ozeans ab. Doch schwindet das Eis in der Antarktis im Zuge der Klimaerwärmung, gehen den Krebstieren die Nahrungsgründe verloren. 2 Es ist ein Abenteuer, als Taucher unter die Meereisdecke vorzudringen und dort nach Lebewesen zu suchen. Heute kommen zu diesem Zweck autonome Unterwasserroboter zum Einsatz. Foto: Jerome Maison / AWI 01/16 55

WISSEN 3 Küstenseeschwalben aus dem Wattenmeer fliegen im Nordwinter bis in die Antarktis. 4 Auch Zwergwale, die zwischen den Eisschollen auftauchen, um zu atmen, sind auf den Antarktischen Krill als Nahrung angewiesen. Mit ihren Barten sieben sie die kleinen Krebse aus dem Meerwasser. tem funktioniert auf einem höheren Niveau von Biomasse. Auch die Krillfischerei lässt der Naturkundler nicht gelten. Zwar dezimiere der ungebremst zunehmende Fang für die Kosmetik- und Lebensmittelindustrie die Bestände, dennoch sei das Ausmaß noch verkraftbar (siehe Kasten). Stattdessen haben die Forscher einen anderen Zusammenhang entdeckt: Das Vorkommen des Krills schwankt im gleichen Takt wie die winterliche Meereisbedeckung manchmal bis um das Zehnfache. War der Winter kalt und brachte viel Eis, so gab es im nächsten Frühjahr riesige Krillschwärme. War er mild, herrschte in den darauf folgenden Monaten Leere im Südozean. Aber warum? Gleichzeitig stießen Biologen auf ein weiteres Phänomen. Eselspinguine auf Südgeorgien hatten in genau denselben Jahren einen schlechten Bruterfolg, als auch die dort lebenden Antarktischen Pelzrobben eine geringe Reproduktionsrate aufwiesen. Eselspinguine ernähren sich zu über 50 Prozent von Krill sowie von Fischen wie etwa dem Bändereisfisch, deren Nahrung wiederum aus Krill besteht. Auch Pelzrobben haben Krill und Eisfische zum Fressen gern. Den Jahren mit wenig Nachwuchs bei diesen Topprädatoren gingen in auffälliger Weise relativ warme Winter mit einer geringen Meereisbedeckung voraus. Einen ähnlich verblüffenden Zusammenhang vermuten die Polarforscher beim Südkaper, einem Krill verschlingenden Bartenwal, der unter anderem vor den Küsten Südgeorgiens lebt. Existiert also eine Verbindung zwischen der Ausdehnung der Eisschollen im antarktischen Winter und der polaren Biosphäre? Eine Antwort auf diese Frage konnten nur Antarktisexpeditionen im Südwinter mit seinen Temperaturen von bis zu minus 30 Grad Celsius geben. Forschungstauchern gelang es dabei, unter die Eisdecke vorzudringen, und was sie dort entdeckten, ließ ihnen den Atem in den Sauerstoffgeräten stocken: Unter den Eisschollen wimmelte es von Larven und Jungtieren des Krills. Später kamen Unterwasser- Videoaufnahmen und die akustische Echo-Ortung hinzu. Mit all diesen Methoden war es allerdings nicht möglich, Krill unter dem Eis großflächig zu quantifizieren, erläutert AWI-Forscher Flores. Hier leistet unser Untereisschleppnetz einen Beitrag. Ökosystem im Eis. Das war also des Rätsels Lösung! Erwachsener Krill taucht während der kalten und dunklen Jahreszeit tief in der Wassersäule ab und verfällt in eine Winterruhe mit stark herabgesetztem Stoffwechsel. Jungem Krill fehlt dazu die nötige Energiereserve er muss auch im Winter Foto: Jan Goedelt / natur-linse.de 3 fressen. Das ist für ihn die Überlebensstrategie überhaupt, betont Flores. Und wovon ernährt sich der Krebschennachwuchs? Wir haben auf der Polarstern Eiskerne geschmolzen und uns das zu Tage getretene Leben unter dem Mikroskop angeschaut. Das gefundene Phytoplankton sei überwältigend gewesen, begeistert sich der Biologe. Im Eis mit seinen kleinsten Kanälen und Nischen sowie an der Unterseite der Schollen leben Eisalgen, die vom Jungkrill abgeweidet werden. Es gibt ein Ökosystem im Eis! Auswirkungen des Klimawandels. Antarktischer Krill kommt überwiegend im atlantischen Sektor des Südpolarmeeres, rund um die antarktische Halbinsel vor. Aber genau hier liegt auch eine der sich im Klimawandel am schnellsten erwärmenden Regionen unseres Planeten mit massiven Auswirkungen auf die vorhandenen Eismassen. Die wissenschaftlichen Modelle der Klimaforscher prognostizieren einen Schwund der Meereisbedeckung von rund einem Drittel bis 4 Foto: Stefan Hendricks / AWI 56 MAGAZIN FÜR VOGELBEOBACHTUNG

zum Ende dieses Jahrhunderts. Der Krill verliert damit seine Kinderstube. Es verringert sich allerdings nicht nur die Meereisfläche, auch die Dauer der Meereisbedeckung nimmt ab. In der westlichen Antarktis wurde ein Minus von 85 Tagen zwischen 1979 und 2004 gezählt. Somit bildet sich das Eis im Herbst später, wenn die Tage bereits kürzer sind und das vom Tageslicht abhängige Phytoplankton schon deutlich weniger vorhanden ist. Im Frühjahr schwindet das Meereis früher als in der Vergangenheit. Der erwachsene Krill verweilt dann noch in den Tiefen des Ozeans und verpasst den gewaltigen Ausfall des im Eis überwinterten Planktons, den er für die energiezehrende Produktion seiner Eier benötigt. Tageslänge, an deren Rhythmus der Krill angepasst ist, und Eisbedeckung verlieren so ihre fein abgestimmte zeitliche Synchronisation. Unterm Strich gilt eine einfache Formel: Je weniger Eis, umso weniger Krill. Doch nicht nur der Verlust des Winterquartiers setzt dem kleinen Krebs zu. Die zunehmende Erwärmung des Südozeans schadet ihm auch ganz direkt. Dabei kommt ihm eine seiner Überlebensstrategien in die Quere. Denn stehen Energiezufuhr und Energieverbrauch in einem negativen Verhältnis, kann der Krill nach Erkenntnissen britischer Forscher mit einer Anpassung seiner Körpergröße darauf reagieren: Er schrumpft. Als Kaltwasserart mit einer sehr geringen Toleranz für Temperaturschwankungen verbraucht Krill bei zunehmender Wärme mehr Energie und wächst in der Folge nicht mehr richtig. Auch dadurch könnte die gesamte Biomasse des Krills im Zuge des Klimawandels abnehmen, zumal kleinere Weibchen auch weniger Eier produzieren. Der hohe weltweite CO 2 -Ausstoß, der zur raschen Erderwärmung beiträgt, hat schließlich noch einen dritten Effekt auf den Antarktischen Krill. Das aufgenommene Treibhausgas lässt die Ozeane, besonders in den Polregionen, allmählich versauern. Und welche Bedeutung das hat, kann ermessen, wer einmal eine am Strand gefundene Muschelschale über Nacht in einem Glas Essig hat stehen lassen: Am nächsten Morgen ist sie löchrig wie ein Schwamm, aufgelöst bis zur Unkenntlichkeit. Nun ist das Meerwasser nicht annähernd so säurehaltig wie Tafelessig, und es ist bislang wenig bekannt über die Reaktionen des Krills, australische und japanische Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass die Versauerung eine ernste Bedrohung für das Krustentier darstellt. Sowohl dessen kalkhaltiger Panzer als auch seine Eier dürften angegriffen werden, sein Wachstum und Verhalten, Reproduktion und Fitness ebenfalls betroffen sein. Ausgehend von der erwarteten Verteilung des absorbierten CO 2 im Südpolarmeer werden wohl einige weitere Lebensräume für den Krill unbewohnbar werden. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnten Erwärmung, Eisrückgang und Versauerung des Meerwassers regional kritische Werte erreicht haben, so Flores. Auswirkungen auf Meerestiere und Seevögel. Vom Rückgang des Antarktischen Krills sind vermutlich jetzt schon alle Arten betroffen, die den Krebs auf ihrer Speisekarte stehen haben: riesige Bartenwale und verschiedene Robben ebenso wie Fische und Tintenfische, Pinguine, Albatrosse und andere fliegende Seevögel. Auf Südgeorgien brüten beispielsweise 50 Prozent aller Graukopfalbatrosse und 25 Prozent aller Wanderalbatrosse der Erde, die zu etwa 76 beziehungsweise 12 Prozent auf Krill als Nahrung angewiesen sind. 5 Mit dem Rückgang des Meereises an der antarktischen Halbinsel sind auch einige der dort beheimateten Kolonien von Kaiserpinguinen verschwunden. 6 Das Zufrieren des Südozeans im Winter ist nicht nur ein beeindruckendes Naturschauspiel, das Eis bietet auch einem ganz speziellen Ökosystem einen Lebensraum. Foto: Hannes Grobe /AWI Foto: Stefan Christmann / AWI 5 6 01/16 57

WISSEN 600.000 Antarktischer Krill (Euphausia superba) 500.000 Fangmenge (in Tonnen) 400.000 300.000 200.000 100.000 0 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Quelle: CCAMLR An Pinguinen, deren Bestandsabnahme mancherorts inzwischen als besorgniserregend bewertet wird, gelang US-Forschern der Nachweis. An der antarktischen Halbinsel sind nach 1970 mehrere Kolonien von hocharktischen Kaiserpinguinen verschwunden. Auf den Süd-Shetlandinseln sind Adélie- und Zügelpinguine in den vergangenen 30 Jahren um mehr als die Hälfte zurückgegangen, obwohl Letztgenannte eisfreies Wasser lieben und vom Eisschwund profitieren müssten. Ihre Tauchgänge nutzen ihnen jedoch nichts, wenn der Schnabel am Ende leer bleibt. Wie wird es in dem sich verändernden Ökosystem der Antarktis unseren Küstenseeschwalben von Nord- und Ostsee ergehen? Werden sie dort etwas zu fressen finden? Zwar ernährt sich die Art kaum von Krill direkt, wohl 58 aber von Fischen, die auf den Kleinkrebs angewiesen sind. Oder hat der Krill Möglichkeiten, auf die Veränderungen in seinem Lebensraum zu reagieren? Er könnte in südlichere und damit kältere Gefilde ausweichen. Doch der Raum ist durch den antarktischen Kontinentalsockel begrenzt, und das noch geringere Tageslicht lässt dort weniger Algen wachsen. Der Krill könnte andererseits in größere Tiefen abtauchen, aber seine Larven brauchen im Winter ja die Unterseite der Eisschollen überlebensnotwendig. Außerdem ist er dort unten für oberflächennahe Beutejäger wie Vögel nicht erreich- und nutzbar. Lange Zeit verfolgten Wissenschaftler die Hypothese, dass der Krill in östliche Gebiete der Antarktis, etwa das Rossmeer, ausweichen würde. In diesem Teil des Südpolarmeeres wird eine KRILLFISCHEREI Antarktischer Krill ist eine von über 80 verschiedenen Krillarten weltweit. Er enthält wertvolle und relativ seltene Nährstoffe wie beispielsweise Vitamin D, Omega- 3-Fettsäuren, Kalzium und andere Mineralien. Diese Vorzüge und seine gigantische Menge haben bereits vor Jahrzehnten das Interesse der Fischereiindustrie geweckt, hauptsächlich um den Bedarf an Tiernahrung in Viehzucht und Aquakultur zu befriedigen, außerdem für die Kosmetik- und Arzneimittelindustrie. Zwischen dem Ende der 1970er- und Anfang der 1990er-Jahre wurde antarktischer Krill ungebremst gefangen, bis die Kommission für den Erhalt der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCALMR) verbindliche Fangquoten erließ (aktuell 620 000 Tonnen). Heute beteiligen sich noch acht Länder an der Krillfischerei, die sich zunehmend rund um die antarktische Halbinsel konzentriert, allen voran Norwegen mit einer Fangmenge von 165 000 Tonnen im Jahr 2014. Die Gesamtmenge des angelandeten antarktischen Krills steigt seit Jahren kontinuierlich an und erreichte in manchen Gebieten bereits die Obergrenze der zulässigen Fangquote. Wir sind besorgt über die möglichen Auswirkungen der Krillfischerei auf Robben- und Pinguinkolonien, so Tim Packeiser vom International WWF-Centre for Marine Conservation in Hamburg. Schutzgebiete scheiterten bislang an dem Widerstand Russlands und der Ukraine. Zunahme der Eisbedeckung vermutet, doch neueste Forschungsergebnisse belegen: Das Schelfeis schmilzt rund um die gesamte Antarktis immer schneller, das Meereis im Osten wird voraussichtlich folgen. Und das heißt in letzter Konsequenz auch: Langfristig wird der Krill zwar nicht aussterben, aber er wird nicht mehr die dominante Rolle spielen wie heute, prognostiziert Flores. Das kann enorme Auswirkungen haben, weil das gesamte südliche Meeresökosystem darauf ausgerichtet ist, diesen gigantischen Biomasseschub zu erhalten. Seitdem das Schicksal des Antarktischen Krills besiegelt scheint, stellt sich die Frage nach einem möglichen Ersatz, der den frei werdenden Platz im Nahrungsnetz besetzt. In seiner Funk tion als Energietransformator zwischen den Primärproduzenten (Phytoplankton) und den Topprädatoren (Wale, Robben, Seevögel, Fische) besitzt das Krebstier nahezu ein Alleinstellungsmerkmal, weshalb das Südpolarmeer als Wespentaillen-Ökosystem bezeichnet wird. Der Krill ist die Engstelle im Stoffkreislauf. Tatsächlich haben Polarökologen im Zuge der Abnahme von Krill gleichzeitig eine Zunahme an Salpen beobachtet. Das sind walzenförmige, gallertartige Manteltiere von wenigen Zentimetern Größe, die mehrere hundert Meter lange Kolonien bilden können. Sie erinnern an Quallen, zählen aber zu den Chordatieren und sind entfernt mit den Wirbeltieren verwandt. Angesichts der veränderten Umweltbedingungen und dem zusätzlich einhergehenden Wandel in der Zusammensetzung des Phytoplanktons sind sie dem Krill ge- MAGAZIN FÜR VOGELBEOBACHTUNG

7 Foto: Jan van Franeker / AWI 7 Fressen Weißflügel-Sturmvögel nun vermehrt Quallen als Ersatz für die schwindenden Krillvorkommen? Auch die verwandten Eissturmvögel der Nordhalbkugel sind schon beim Verzehr von Medusen beobachtet worden. genüber im Vorteil, so Flores, da sie plötzliche Algenblüten wie mit dem Staubsauger aufsaugen und damit optimal nutzen können. Die meisten Biologen sehen Salpen hinsichtlich ihres Nährwerts allerdings als wertlos an und räumen ihnen keinen Stellenwert im marinen Nahrungsnetz ein. Es gibt aber auch andere Ansichten, weiß Flores und verweist auf Beobachtungen von Weißflügel- Sturmvögeln, die Quallen aus dem Meer fischen, um sie zu vertilgen. Diese Vogelart lebt in unmittelbarer Nähe zu den vom Eis bedeckten Meeresregionen, berichtet der niederländische Seevogelforscher Jan van Franeker. Wir haben sie oft bei der Jagd auf quallenartige Beute beobachtet, die von den Propellern unseres Schiffes aufgewirbelt wurde. Die Energiezufuhr beim Verzehr von Salpen ist jedoch in jedem Fall geringer und kann den Mangel an Krill nicht kompensieren. Vielleicht sind sie für die Vögel so etwas wie Salat, vermutet Flores. Reich an Vitaminen und Spurenelementen, aber eben doch von geringem Nährwert. Was all diese Veränderungen für unsere Küstenseeschwalben bedeuten, ist noch völlig unerforscht. Der Bestandsrückgang im Wattenmeer kann aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren dieser großräumig lebenden Art nicht ursächlich mit dem Rückgang des Krills im Südpolarmeer in Verbindung gebracht werden. Allerdings wird der Schwund des kleinen Krebses angesichts der ökologischen Umwälzungen in der Antarktis sicherlich auch nicht bedeutungslos für die Seeschwalben sein und sich so vermutlich bis vor unsere Haustür auswirken. Es bleibt abzuwarten, welche Erkenntnisse die polaren Biowissenschaften in den kommenden Jahren gewinnen können. Deren Bedeutung bei der Erforschung des Klimawandels steigt aktuell rasant, zumal die Vorstellungen, wie Ökosysteme funktionieren und auf sich verändernde physikalische Rahmenbedingungen reagieren (können), noch längst nicht ausgereift sind. Seit Jahren wird immer wieder der Eisbär bemüht, um die Auswirkungen der schmelzenden Poleiskappen auf die Tierwelt zu illustrieren. Für die Biosphäre der Erde entscheidend dürfte aber nicht das sein, was sich auf der Eisscholle abspielt, sondern vielmehr das, was fast unbemerkt an ihrer Unterseite geschieht. u