1 Momentbetrachtungen bei Kriegsende 1945... und neues Leben blüht aus den Ruinen. Friedrich Schiller, Wilhelm Tell IV, 2 (Attinghausen) Der Zweite Weltkrieg neigte sich seinem Ende zu. Noch gab es Durchhaltereden der nationalsozialistischen Machthaber, wie etwa jene am 10. März 1945, zwei Monate vor Kriegsende, im Wiener Konzerthaus, von Baldur von Schirach, dem Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien. Die Wiener Zeitungen berichteten am 11. März: Die deutsche Nation hat alle waffenfähigen Männer aufgerufen, um für Deutschlands Ehre und Freiheit zu kämpfen. Wenn wir jetzt durchstehen, werden wir siegen. Als Großdeutschlands Infanteristen sollt ihr das Wort des Führers wahrmachen, dass sich die Wende unseres Schicksals noch dieses Jahr vollzieht. Denkt in eurem Kampf an das, was diese Stadt (Wien), dieser Raum, euch an Tradition, Verpflichtung und Forderung auferlegt. Bekennt euch zu dem Satz: Der Bolschewismus sterbe, auf dass Deutschland lebe! Greise und Kinder an die Front: Im September 1944 wurde auf Erlass von Adolf Hitler der Volkssturm gebildet. Er dehnte die Wehrpflicht auf 16- bis 60- jährige aus. Heroische Plakate riefen zur Verteidigung der Heimat auf. 18 Tage später, am 29. März 1945, hatte die Rote Armee die österreichische Grenze überschritten und marschierte auf Wien zu. Siebzehn Luftangriffe mussten die Wiener im März über sich ergehen lassen, dabei starben 1.547 Menschen. Es nützte wenig, dass seit Kriegsbeginn die totale Verdunkelung angeordnet war. Straßenbeleuchtung und Auslagenbeleuchtung gabs keine. Die Straßenbahnen fuhren mit dunkelblau gestrichenen Fenstern, die keinen Lichtschimmer durchließen, und Autoscheinwerfer waren bis auf eine bescheidene Lichtquelle abgedunkelt. 1 Bei Einbruch der Dunkelheit wurde ganz Österreich zu einer Gespensterlandschaft.
2 Auf Wiener Boden versuchte eine österreichische Widerstandsgruppe, vor dem Angriff der Roten Armee, einen Aufstand zu organisieren. Erfolglos. Er wurde vorzeitig von der SS und der Gestapo aufgedeckt, und die Anführer wurden hingerichtet. Ein Aufruf von Marschall Tolbuchin, Befehlshaber der 3. Ukrainischen Front, sollte zur Beruhigung der Österreichischen Bevölkerung beitragen: "Die Rote Armee hat den Boden Österreichs betreten, nicht um österreichisches Gebiet zu erobern. Ihr Ziel ist ausschließlich die Zerschlagung der feindlichen deutsch-faschistischen Truppen und die Befreiung Österreichs von deutscher Abhängigkeit." (Österreichische Zeitung 1945, Nr. 1) Die Rotarmisten waren als Befreier gekommen, wurden aber nicht als solche erlebt. [ ] Mehr als andere Besatzungssoldaten sind die Angehörigen der Roten Armee als Vergewaltiger und Plünderer in die kollektive Erinnerung der Österreicher eingegangen. [ ] Die dunkle Seite der Besatzung: 270.000 Vergewaltigungen in Wien und Niederösterreich. In der Steiermark sollen es 10.000 und im Burgenland 20.000 gewesen sein. (Profil 2012, F. 19)
3 Grausame Verbrechen knapp vor Kriegsende Wenige Wochen vor Kriegsende flüchtete meine Mutter mit mir vor den Bombenangriffen in St. Pölten nach Randegg (NÖ). Es war Mitte April 1945, wir saßen in der Wohnküche eines Bauernhauses auf dem Hochkogelberg, als ein junger Mann aufgeregt in den Raum hereinstürzte. Mit Tränen in den Augen erzählte er, dass er, beim Holzmachen im Wald, mit ansehen musste, wie in der Schliefau hundert Frauen und Kinder erschossen und verbrannt wurden. Eine furchtbare Geschichte, die uns alle tief erschütterte. Noch am Vormittag war ich mit meiner Mutter in Randegg und sah die großteils schwarz gekleideten Menschen, die verschreckt beisammen standen. Viele Frauen und Kinder dabei. In unmittelbarer Nähe der Kirche wurden sie von Bewachern
4 vom dörflichen Treiben ausgegrenzt. Mutter erzählte mir, dass es sehr, sehr arme Leute wären. Warum hatte man diese Leute erschossen? Immer wieder fragte ich meine Mutter, bekam aber keine klärende Antwort. Rund 60 Jahre später war ich wieder in Randegg und bin den Erzählungen des jungen Mannes und den Ereignissen von damals nachgegangen. Ein Besuch beim Pfarrer und im Gemeindeamt, das Studium von Aufzeichnungen der Festschrift Marktgemeinde Randegg 1994 und das Blättern im Buch Nationalsozialismus im Bezirk Scheibbs (Mulley, 1988) riefen Bilder aus der Vergangenheit wieder in Erinnerung. (I. Wöll 2010, 20) Die tragischen Geschehnisse um die durch Randegg getriebenen Menschen, es waren durchwegs Juden, bilden den Gipfel der Brutalität, den Randegg je erlebt hatte. An der Stätte des Judenmordes wurde von der Pfarre Randegg ein Gedenkstein errichtet. (Prüller Leopold, 137) Am 15. April 1945 meldete Radio Moskau in den deutschsprachigen Sendungen, dass beim Kampf um Wien vom 3. bis 13. April 19.000 deutsche und 18.000 sowjetische Soldaten gefallen sind. Am gleichen Tag informierten die Rotarmisten die Bewohner Wiens in der ersten Ausgabe der vom Sowjetkommando für Österreich herausgegeben "Österreichische Zeitung, dass die Wiederherstellung eines selbständigen Österreichs das Ziel der Alliierten sei. 60 km westlich von Wien wurde noch gekämpft. Unmittelbar vor der Eroberung St. Pöltens wurden dreizehn Frauen und Männer von NS-Schergen standrechtlich verurteilt und erschossen, weil sie verlangten, die Stadt vor weiterer Zerstörung zu bewahren und eine kampflose Übergabe an die Rote Armee vorbereitet hatten. (Forstner, 18) Die Gedenkstätte in der Schliefau bei Randegg erinnert an das grausame Judenmassaker im April 1945. Foto I. Wöll Rund 66.000 österreichische Juden fielen dem Völkermord zum Opfer, 120.000 wurden in die Emigration getrieben. In den NS-Vernichtungslagern starben 9.000 Roma, Zeugen Jehovas und Homosexuelle. Etwa 30.000 fielen der NS-Euthanasie zum Opfer. (Ströbitzer, NÖN Landeszeitung 2013, Nr. 17, 37)
5 Gedenkstätte St. Pölten. Foto Vorlaufer Zahlen Das Ende des Zweiten Weltkrieges im Frühjahr 1945 bedeutete für Österreich Chaos, Zerstörung und Hunger. 290.000 Wohnungen, davon in Wien 112.000, waren zerstört. 247.000 Österreicher waren als Soldaten der Deutschen Wehrmacht gefallen oder galten als vermisst. 104.000 Tote wurden unter der Zivilbevölkerung gezählt. 166.000 Soldaten aus Österreich waren zum Teil schwer verwundert. Gefangen Hunderttausend Österreicher waren beim Ende des Krieges in Kriegsgefangenschaft. Bis Ende 1946 kamen aus den USA 306.000, aus Großbritannien 211.000, aus Frankreich 67.000, aus der Sowjetunion bis Dezember 1947 162.000 zurück. Aus der UdSSR folgten dann noch einige Sondertransporte, deren letzter erst am 25. Juni 1955 in Wien eintraf. (U-Post 1980, F. 5, 2) Drei Wochen vor Kriegsende und fünf Tage nach Einmarsch der Roten Armee wurde im Wiener Schottenstift am 15. April 1945 die Österreichische Volkspartei (ÖVP) gegründet. Die neue Partei distanzierte sich von ihrer Vorgängerin, der Christlichsozialen Partei, durch das Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie, zur österreichischen Nation und der Trennung von Kirche und Partei. (Raming, 2006, 38) Die Gründerparteien der Zweiten Republik ÖVP, SPÖ und KPÖ riefen gemeinsam eine Tageszeitung ins Leben. Neues Österreich (1945-1967), wurde als Organ der demokratischen Einigung noch vor Kriegsende die erste österreichische Tageszeitung.
6 Die erste Österreichische Tageszeitung, erschien noch vor dem offiziellen Kriegsende, am 23. April 1945. Von den drei von den Besatzungsmächten akzeptierten Parteien, wurde am 27. April 1945 eine provisorische Staatsregierung geschaffen und von Marschall Tolbuchin anerkannt. Zwei Tage später wurde von Dr. Karl Renner die Unabhängigkeit Österreichs verkündet. Die provisorische Regierung, vorerst nur von der Sowjetunion anerkannt, wurde später durch Vertreter der westlichen Bundesländer erweitert und von diesen akzeptiert. Die Siegermächte teilten Österreich in vier Besatzungszonen auf, die bis zum Staatsvertrag im Jahre 1955 aufrecht bleiben sollten. Auch Wien war in vier Sektoren geteilt Internet 2013 Am 25. November 1945 kommt es zur ersten Nationalratswahl der Zweiten Republik. Die ÖVP unter Leopold Figl erreichte bei einer Wahlbeteiligung von 93 Prozent, mit 85 Mandaten und 1.602.227 Stimmen, die absolute Mehrheit. Gefolgt von der SPÖ mit 76 Mandaten und 1.434.898 Stimmen. Befürchtungen,
7 dass die von den Sowjets unterstützte KPÖ zu einer starken Partei wird, treffen nicht zu. Das Ergebnis für die KPÖ, die nur knapp den Einzug in den Nationalrat schaffte, war mit 174.257 Stimmen und vier Mandaten enttäuschend. Ehemalige NSDAP-Mitglieder waren bei den ersten Nationalratswahlen nicht wahlberechtigt Glaubt an dieses Österreich Weihnachten 1945 sprach Leopold Figl, der erste Bundeskanzler Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg, im Rundfunk: Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben, ich kann Euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann Euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich! Foto I. Wöll. Leopold Figl war in seiner Studentenzeit Mitglied der Christlichen Turnbewegung Österreichs. 1955 unterzeichnete Außenminister Leopold Figl für Österreich den Staatsvertrag. Bei der Vertragsunterzeichnung im Schloss Belvedere fiel als Abschlusssatz seiner Dankesrede das bekannte Zitat: Österreich ist frei! Anmerkungen 1 Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien, Internet 2013.