Demographie und Personalmanagement Wie sich der demographische Wandel auf die Beschäftigung von älteren Mitarbeitern auswirkt Dr. Stefan Graf World Demographic Association IHK-Forum, 30. September 2008
Aktivitäten der World Demographic Association (WDA) 4. World Ageing & Generations Congress (internationale, interdisziplinäre, intergenerationelle und permanente Plattform für Alters- und Generationenfragen an der Universität St. Gallen; 28.-30. August 2008) Prix des Générations (Auszeichnung einer internationalen Persönlichkeit, die sich in Alters- und Generationenfragen besonders verdient gemacht und die einen nachhaltigen Beitrag für das Wohlergehen mehrerer Generationen geleistet hat) Generationenforum (Publikumsveranstaltung des World Ageing & Generations Congress ; Zürich: 17. September 2008 / St. Gallen: 19. September 2008) Fellowship System (Netzwerk mit Akademikern und Praktikern zum Thema Demographie)
Inhalt 1. Der demographische Wandel 2. Konsequenzen für Politik und Wirtschaft 3. Konsequenzen für den Arbeitsmarkt 4. Arbeit nach 50: Die Sicht von Unternehmen 5. Personalpolitische Massnahmen für ältere Arbeitskräfte 6. Weiterarbeit im Rentenalter (65+) 7. Empfehlungen für das Personalmanagement
1. Der demographische Wandel
Zwei zentrale demographische Entwicklungen Steigende Lebenserwartung Sinkende Geburtenraten Konsequenz: Alterung der Gesellschaft
Trend steigende Lebenserwartung Lebenserwartung in der Schweiz: Jahr Lebenserwartung der Männer (Jahre) Lebenserwartung der Frauen (Jahre) 1876 40 43 2000 77 83 2030 80 85 2060 82 87
Ursachen steigender Lebenserwartung Medizinische Fortschritte (Medikamente, Betreuung etc.) Höherer allgemeiner Lebensstandard Bessere soziale Sicherungssysteme
3 2.5 2 1.5 1 0.5 0 Trend sinkende Geburtenraten Geburtenraten in der Schweiz (UN-Daten) Anzahl Kinder je Frau 1955 1965 1975 1985 1995 2005 2015 2025 2035 2045
Trend sinkende Geburtenraten Geburtenraten im internationalen Vergleich (seco-daten): Land Geburtenrate 1970-1975 Geburtenrate 2000-2005 Australien 2,5 1,7 Deutschland 1,6 1,4 Frankreich 2,3 1,9 Italien 2,3 1,2 Japan 2,1 1,3 Österreich 2,0 1,3 Schweiz 1,8 1,4 USA 2,0 2,1
Ursachen sinkender Geburtenraten Neue Modelle der Lebensplanung (z.b. konsumorientierter Lebensstil, vermehrte Selbstverwirklichung, beruflicher Erfolg und Karriere) Abkehr vom traditionellen Familienbild (z.b. Abnahme der Bedeutung der Ehe) Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Steigender Wohlstand und verbesserte soziale Sicherungssysteme (früher: Kinder als Alterssicherung )
2. Konsequenzen für Politik und Wirtschaft
Konsequenzen für die Politik Familienpolitik (v.a. verbesserte Stellung der Familie in der Gesellschaft; Ziel: Erhöhung der Kinderzahl) Gesundheitswesen (v.a. Fragen der Finanzierung) Rentenproblematik, AHV (Erhöhung des Rentenalters, Beitragserhöhungen, Leistungskürzungen?) Eigenständige Alterspolitik?
Konsequenzen für die Wirtschaft Neue Märkte ( Silver Market, Seniorenmärkte, Generation Gold ) Ältere Kunden haben neue und andere Bedürfnisse Neue, altersgerechte Produkte und Dienstleistungen müssen geschaffen werden Ältere Arbeitskräfte gewinnen auf dem Arbeitsmarkt vermehrt an Bedeutung: die Bewältigung des demographischen Wandels ist bereits heute das wichtigste HR-Thema!
3. Konsequenzen für den Arbeitsmarkt
Konsequenzen für den Arbeitsmarkt 1. Verschlechterung im Verhältnis von Erwerbsbevölkerung und Rentnerbevölkerung 2. Rückgang der Zahl der Arbeitskräfte Wegen der Pensionierungen der Baby Boomer (geburtenstarke Jahrgänge der Nachkriegszeit) wird die Zahl der erwerbsfähigen Personen bereits in 10 Jahren sinken. 3. Alterung der (Erwerbs-)Bevölkerung Ab 2010 ist ein Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung über 50 Jahre alt.
zu 1.: Verschlechterung im Verhältnis von Erwerbsbevölkerung und Rentnerbevölkerung 1948 2005 2040 Verhältnis Erwerbstätige/ Rentner Durchschnittliche Rentenbezugsdauer 9:1 4:1 2:1 3 Jahre 20 Jahre?
zu 2.: Rückgang der Zahl der Arbeitskräfte Die zukünftige Erwerbsbevölkerung in der Schweiz nach den Szenarien Trend, Positive Dynamik und Negative Dynamik (in Tausend) in Tausend 5'000 4'500 4'000 3'500 3'000 starke Zunahme der Geburtenrate leichte Zunahme der Geburtenrate Status Quo 2'500 2'000 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 Szenario A-00-2000 "Trend" Szenario B-00-2000 "Positive Dynamik" Szenario C-00-2000 "Negative Dynamik" Quelle: BfS.
zu 3.: Alterung der (Erwerbs-)Bevölkerung
zu 3.: Alterung der (Erwerbs-)Bevölkerung Entwicklung der Erwerbsquoten: Männer und Frauen Erwerbsquote (CH) 1992 1995 1998 2001 2004 2007 15-24 Jahre 70,6 66,7 66,9 67,8 66,4 67,0 25-39 Jahre 84,5 85,1 87,5 87,9 89,3 89,8 40-54 Jahre 86,6 86,3 87,4 88,5 89,8 90,4 55-64 Jahre 63,6 62,8 65,5 67,8 68,2 70,4 65+ Jahre 12,0 9,3 9,5 8,9 8,2 8,9
Entwicklung der Quote des vorzeitigen Ruhestandes G2 Entwicklung der Quote des vorzeitigen Ruhestandes* nach dem Geschlecht, SAKE 1991-2000 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% Total Männer Frauen 1991-1992 1993-1994 1995-1996 1997-1998 1999-2000 * Bei den 62- bis 64-jährigen Männern und den 59- bis 61-jährigen Frauen Bundesamt für Statistik
4. Arbeit nach 50: Die Sicht von Unternehmen Ergebnisse einer Befragung von Personalverantwortlichen in 804 Schweizer Unternehmen (Höpflinger et al. 2006)
Demographische Herausforderungen für Unternehmen (1/2) Frage: Die zunehmende Alterung der Bevölkerung schafft neue Voraussetzungen für Unternehmen. In welchen Bereichen sehen Sie Handlungsbedarf für Ihr Unternehmen? Bereits heute In Zukunft Wenig Motivation von älteren Mitarbeitenden 38% 24% 38% Produkte/Dienstleistungen an ältere Kundschaft anpassen Marketing auf ältere Kundengruppen ausrichten 26% 14% 60% 20% 18% 62% Rekrutierung von genügend Arbeitskräften 15% 40% 45%
Demographische Herausforderungen für Unternehmen (2/2) Frage: Der Arbeitsmarkt wird zunehmend von einer älteren Belegschaft getragen. Bereits in 10 Jahren ist von einer rückläufigen Erwerbsbevölkerung auszugehen. Wie ausgeprägt ist Ihrer Ansicht nach der Handlungsbedarf bei folgenden Akteuren? Gross Mittel Wenig Unternehmen 44% 50% 6% Wirtschaftsverbände 38% 52% 10% Staat/Politik 63% 29% 8% Personalverbände/Gewerkschaften 29% 49% 22% Arbeitnehmer 35% 50% 15%
Bedeutung älterer Arbeitskräfte (1/2) Frage: Welche Faktoren wirken sich in Ihrem Unternehmen positiv auf die (Weiter-)Beschäftigung von älteren Personen aus? % positiv Mittelwert Erfahrungswissen 72% 3.7 Zuverlässigkeit und Einsatzbereitschaft 51% 3.5 Starke Kundenbeziehungen 55% 3.5 Loyalität zum Unternehmen 60% 3.6 Verantwortungsbewusstsein 57% 3.6 Know-how-Transfer an Jüngere 41% 3.3 Ausgleichende Wirkung im Team 26% 3.1 Gute Zusammenarbeit mit Jüngeren 24% 3.1 Gleichbleibende Leistungsfähigkeit 16% 2.8 Flexibilität 14% 2.5 Bereitschaft zum Wechsel des Arbeitsbereichs 14% 2.5 Bereitschaft zur Weiterbildung/Umschulung 13% 2.5
Bedeutung älterer Arbeitskräfte (2/2) Frage: Welche Faktoren wirken sich in Ihrem Unternehmen negativ auf die (Weiter-)Beschäftigung von älteren Personen aus? % positiv Mittelwert Ausbildung nicht mehr aktuell 14% 2.7 Hohe Lohnnebenkosten 21% 2.7 Entlohnung nach dem Senioritätsprinzip 17% 2.6 Keine Rückstufung des Lohnes möglich 16% 2.5 Geringere Leistungsfähigkeit 7% 2.2 Mangelnde Bereitschaft älterer Personen, jüngeren Personen unterstellt zu sein 8% 2.2 Zu kurze Beschäftigungsperspektiven 5% 2.1 Erhöhtes Absenz-/Krankheitsrisiko 6% 2.0 Ältere sind nicht motiviert 6% 1.8 Mangelnde Bereitschaft von jüngeren Personen, ältere Untergebene zu haben 3% 1.8
Rolle des Alters bei der Personalpolitik (Rekrutierung- und Beförderungspolitik) Frage: Bevorzugen Sie eher jüngere oder ältere Personen (50+) bei gleicher Eignung für eine Stelle? Eher Jüngere Eher Ältere Altersneutral Geschäftsleitung 42% 47% 11% Leitungsfunktion/Spezialisten 61% 27% 12% Sonstige Mitarbeitende 80% 6% 14% Frage: Befördern Sie eher jüngere oder ältere Personen (50+) bei gleicher Eignung für eine Stelle? Eher Jüngere Eher Ältere Altersneutral Geschäftsleitung 41% 40% 19% Leitungsfunktion/Spezialisten 60% 23% 17% Sonstige Mitarbeitende 71% 9% 20%
5. Personalpolitische Massnahmen für ältere Arbeitskräfte
Personalpolitische Massnahmen für ältere Arbeitskräfte (1/2) Frage: Welche der folgenden Massnahmen werden angeboten oder sind für die nähere Zukunft geplant? Angeboten Geplant Angeboten (gewichtet nach Anzahl AN) Teilzeitarbeit gegen Berufsende 52% 17% 65% Wechsel der Stelle innerhalb Unternehmen 42% 10% 76% Austausch einzelner Aufgaben bei Beibehaltung der beruflichen Position 35% 13% 56% Mehr Erholungsmöglichkeiten 29% 4% 53% Arbeitsplätze mit weniger körperlicher Belastung 19% 5% 30% Laufbahnberatung/-gestaltung ab 50 13% 11% 49% Spezifische Weiterbildung nach 50 15% 9% 38% Kurse zum Training der Lernfähigkeit 12% 7% 46% Berufliche Umschulung nach 50 6% 3% 22% Unterstützung altersspezifischer Sportmöglichkeiten 7% 2% 29%
Personalpolitische Massnahmen für ältere Arbeitskräfte (2/2) Durchschnittliche Anzahl personalpolitischer Massnahmen für ältere Arbeitskräfte Anzahl personalpolitischer Massnahmen nach Unternehmensgrösse Anzahl Massnahmen 4.5 4 3.5 3 2.5 2 1.5 1 0.5 0 1.1 1.3 1.5 1.9 2.1 <10 10-19 20-49 50-99 100-199 3 2.9 200-499 400-999 3.9 >1000
6. Weiterarbeit im Rentenalter (65+)
65plus: Anteil von Arbeitskräften im AHV-Alter Anteil Beschäftigte im AHV-Alter nach Unternehmensgrösse Anteil Arbeitskräfte in % 3.0 2.5 2.0 1.5 1.0 0.5 0.0 2.5 <20 1.0 0.9 20-49 50-99 0.7 100-199 0.5 0.5 0.4 200-499 500-999 1000+ 1.1 insgesamt
Arbeitskräfte im AHV-Alter: Interesse an Weiterarbeit Frage: Ist in Ihrem Unternehmen eine Nachfrage von Seiten der Arbeitnehmer nach Weiterarbeit im AHV-Alter vorhanden? Unternehmen Unternehmensgrösse Total <100 100-499 500-999 1000+ Starke Nachfrage Geringe Nachfrage Bis jetzt keine Nachfrage 5% 6% 4% 4% 3% 48% 37% 52% 67% 65% 47% 57% 44% 29% 32%
Massnahmen zur Beschäftigung im AHV-Alter Frage: Trifft Ihr Unternehmen Massnahmen, um eine Tätigkeit nach dem AHV- Alter zu fördern? Angeboten Geplant Angeboten (gewichtet nach Anzahl AN) Hilfsarbeiten durch Pensionierte 29% 7% 28% Befristete Projekte mit Pensionierten 22% 8% 20% Einsatz von Pensionierten als Beratende (Senior Consultants) Vertretung bei Mutterschaft/Abwesenheiten 18% 7% 17% 12% 5% 11% Mentorensysteme 5% 5% 3% Weiterbildung für nachberufliche Tätigkeiten 2% 1% 3%
7. Empfehlungen für das Personalmanagement
Handlungsfelder für ein demographieorientiertes Personalmanagement: Übersicht Führungskräfteschulung Rekrutierungspolitik Betriebliches Gesundheitsmanagement Arbeitszeitgestaltung Altersstrukturanalysen Demographieorientierte Personalarbeit Diversity Management Förderung der Employability
Handlungsfeld 1 für ein demographieorientiertes Personalmanagement Altersstrukturanalysen Frage: Wie entwickelt sich mein Personalbedarf in der Zukunft? Personalbedarfsplanung mit Prognosen für die nächsten 10-15 Jahre auf Basis von Altersstrukturanalysen Ermittlung der erforderlichen Kapazitäten und Qualifikationen 2008 2011 2014 65-99 männlich 60-64 weiblich 55-59 50-54 45-49 40-44 35-39 30-34 25-29 20-24 15-19 -150-100 -50 0 50 65-99 männlich 60-64 weiblich 55-59 50-54 45-49 40-44 35-39 30-34 25-29 20-24 15-19 -150-100 -50 0 50 65-99 männlich 60-64 weiblich 55-59 50-54 45-49 40-44 35-39 30-34 25-29 20-24 15-19 -150-100 -50 0 50
Handlungsfeld 2 für ein demographieorientiertes Personalmanagement Arbeitszeitgestaltung Frage: Wie kann eine altersgerechte Arbeitsgestaltung dazu beitragen, die Beschäftigung älterer Arbeitskräfte zu fördern und deren Potenziale zu nutzen? Betriebliche Altersteilzeit (nicht nur vorzeitige, sondern verzögerte Altersteilzeit!) Lebensarbeitszeitkonten individuelle Arbeitszeitflexibilität als Maxime
Handlungsfeld 3 für ein demographieorientiertes Personalmanagement Betriebliches Gesundheitsmanagement Frage: Wie schaffen wir altersgerechte Arbeitsplätze? Themen der Arbeitsorganisation: z.b. altersgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen, altersgemischte Teams Sportangebote (für alle Altersgruppen)
Handlungsfeld 4 für ein demographieorientiertes Personalmanagement Förderung der Employability Frage: Wie kann die Arbeitsfähigkeit von älteren Arbeitskräften verbessert bzw. erhalten werden? Qualifizierung und Kompetenzentwicklung, Erhalt von Wissen, Qualifikationen und Flexibilität Altersgerechtes Lernen Strukturierter Wissenstransfer zwischen den Generationen Gemeinsames oder getrenntes Lernen für Alt und Jung Ganzheitliche Betrachtung aller Berufs- und Lebensphasen Vom Nebeneinander zum Miteinander der Generationen
Handlungsfeld 5 für ein demographieorientiertes Personalmanagement Diversity Management Frage: Wie kann eine erfolgreiche Zusammenarbeit verschiedener Mitarbeiterprofile gewährleistet werden? Management von Verschiedenheit Die zunehmende Unterschiedlichkeit der Mitarbeiter (mehr Ausländer und andere Kulturen auf dem Arbeitsmarkt) und die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen erfordern eine bessere Integration Die Verschiedenheit kann auch als Chance und Wettbewerbsvorteil genutzt werden
Handlungsfeld 6 für ein demographieorientiertes Personalmanagement Rekrutierungspolitik Frage: Wie können einerseits der Nachwuchs rekrutiert werden und andererseits ältere Arbeitskräfte erhalten bleiben? Abbau von Altersbeschränkungen lebensphasenorientierte Karriere- und Vergütungsmodelle Modelle für flexible Übergänge zwischen Arbeit und Ruhestand
Handlungsfeld 7 für ein demographieorientiertes Personalmanagement Führungskräfteschulung Frage: Wie ist eine demographieorientierte Unternehmenskultur möglich? Demographie als integraler Bestandteil des Personalmanagements Sensibilisierung der Führungskräfte für die Demographie-Thematik eine altersgerechte, generative Führung ist erforderlich Vom Nebeneinander zum Miteinander der Generationen
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!