Stützmauern in Trockenmauerwerk Version 08.01.2004 2004 Gerhard Stoll Trockenmaurer / Dipl. Arch. ETH/SIA Hüeblistrasse 28 8636 Wald / Switzerland +41/55/246'34'55 +41/78/761'38'18 info@stonewalls.ch www.trockensteinmaurer-verband.ch
1. Begriffe In der Literatur gibt es für "Stützmauern" eine verwirrende Vielzahl von Begriffen. Die Verwendung ist nicht einheitlich, was zu Missverständnissen führt. Unterschieden werden nebst dem Begriff "Stützmauer" auch die Bezeichnungen "Futtermauer", "Wandmauern", "Verkleidungsmauer", "Böschungsmauer", "Rollierung / Berollung", "Bankettmauer", "Steinwurf", "Steinsatz", "Steinpackung", "Wuhrmauer", "Pflaster" etc. E. Schmidt, "der Erdkunstbau auf Strassen und Eisenbahnen" von 1871: "Man versteht unter einer Futtermauer einen Mauerwerkskörper, welcher zum Zweck hat, Erdmassen möglichst vertical begrenzen zu können. Es mag im Vorliegenden die Bezeichnung Futtermauer ganz allgemein gebraucht werden. Man nennt wohl diejenigen Mauern, welche bis an die Dammkrone oder bis an die obere Kante des Einschnittes reichen, speciell Futtermauern, dagegen jene, welche diese Höhe nicht erreichen, Stützmauern. Bei der Brennerbahn sind Stützmauern solche Mauern, welche Anschüttungen, Futtermauern solche, welche abgegrabenem, gewöhnlichem Terrain (Bergschutt, Lehm u.s.w.) vorgesetzt werden. Plessner nennt eine Mauer, welche den Bahnkörper an einem steilen Bergabhange trägt oder stützt, eine Stützmauer; eine Mauer, welche die Berglehne abhält, sich auf die Bahn zu senken, oder welche den Anschnitt überhaupt vermindert, dagegen eine Futtermauer. Eine Mauer endlich, welche nur ausgeführt wird, um den Fuss einer Böschung vor Abrutschen oder Unterspülen zu sichern, oder um die Böschung steiler halten zu können, wird von ihm eine Böschungsmauer oder Revêtement genannt. Aus solchen und manchen anderen Fällen geht hervor, dass jene Unterschiede nicht durchwegs und nicht gleichmässig durchgeführt erscheinen. Schon Kaven hält aus dem- Grunde, weil diese Ausdrücke oft verwechselt werden, jene Unterschiede als nicht motiviert." Freiherr von Röll, "Enzyklopädie des Eisenbahnwesens", 1921: "Stütz- und Verkleidungs-(Futter-) Mauern: Die Bekleidung der Böschungsflächen eines Erdkörpers durch stehende Steinbauten dient entweder a) der Verkleidung an sich standfähiger Massen der Einschnitte zur Herbeiführung eines wirksamen Schutzes der Oberfläche gegen Verwitterung und Ausspühlung -Verkleidungs- oder Futtermauern - oder sie wird nötig b) zur Stützung von Böschungen, die steiler sind als die natürliche Böschung der betreffenden Erdmasse - Stützmauern. Anlagen der letzteren Art sind meist durch die Notwendigkeit begründet, Ersparnisse an Geländebreite zu erzielen entweder wegen zu steiler Neigung des Geländes oder wegen der Nähe zu schonender Wegezüge, Wasserläufe oder sonstiger Anlagen, oder wegen des hohen Preises des in Anspruch zu nehmenden Grund und Bodens." Den Stützmauern unter Punkt b) werden mit zunehmender Steilheit der zu stützenden Masse Steinpackungen (Steinsätze) bis max. 100% Neigung, Trockenmauern (bis max. 66% Neigung) und Mörtelmauern (bis max. 0% Neigung) zugeordnet. Wir verwenden die folgenden Begriffe: Stützmauern Oberbegriff aller Mauern, welche Erd- und Steinmassen bekleiden oder stützen. Lasten tragende Stützmauern Mauern, auf welche Druck durch das gestützte Material durch Wasser oder durch Auflast ausgeübt wird. Das Gewicht des gestützten Materials wirkt auf den Mauerkörper. Ausbildungsunterlagen Trockenmauern Seite 2 Stützmauern in Trockenmauerwerk
Futtermauern / Verkleidungsmauern Mauern, auf die ausser dem Eigengewicht keine zusätzliche Belastung einwirkt. Sie werden meist vor gewachsenem Boden oder Fels ausgeführt und schützen das angeschnittene Terrain vor Verwitterung. Steinsatz (vgl. Abb. 1): Mittelding zwischen Mauer und Pflaster, Neigung nicht steiler als 1:1. Bedeutend stärker dimensioniert als ein Pflaster. Das Gewicht des Mauerkörpers wirkt auf die Hinterfüllung. Abbildung 1: Beispiel eines Steinsatzes Abbildung 2: Beispiel einer trockengemauerten Böschungspflästerung (ev. Rollierung) Pflaster / Rollierung / Berollung (vgl. Abb. 2) Bekleidung flacher Böschungen mit einem Naturstein-Mauerkörper, der unter die Frosttiefe geht. Maximale Neigung von 1/ 1. Unter diesen Begriff fallen auch Steinvorlagen. Währenddem beim Pflaster die Steine durchgehend sorgfältig geschichtet werden, sind bei der Steinberollung die Steine geschüttet und nur die oberste Steinschicht sorgfältig ausgeglichen. Das Gewicht des Mauerkörpers wirkt auf die Hinterfüllung. Abbildung 3: Beispiel einer Steinpackung hinter einer trockengemauerten Stützmauer Steinpackung / Hinterbeugung (vgl. Abb. 3) Hinter einer Stützmauer angebrachte Steinpackung ohne Verbund zwischen Stützmauer und Steinpackung (ermöglichte die Reduzierung des erforderlichen Stützmauer-Querschnittes) Ausbildungsunterlagen Trockenmauern Seite 3 Stützmauern in Trockenmauerwerk
2. Einführung Viele Leute stellen sich unter Trockenmauerwerk kleine, relativ unstabile Bauwerke vor. Oft geht vergessen, dass im 19. Jahrhundert, zur Zeit der industriellen Revolution, der Bau von Trockenmauern einen letzten Höhepunkt erlebte. Damals, zur Zeit der grossen Infrastrukturbauten im Alpenraum (z.b. die Gotthardeisenbahn, Strassenbauten über die Alpenpässe, aber auch die ersten grossen Lawinenverbauungen), entstanden grosse Bauwerke in Trockenmauertechnik. Viele dieser Stützund Schutzmauern sind auch heute noch in Gebrauch. Abbildung 4: Trockengemauerte Stützmauer der Bahn Martigny-Chamonix bei Finhaut, VS Diese ingenieurmässige Verwendung von Trockenmauerwerk, die zweite grosse "Strömung" neben den Trockenmauerbauwerken der bäuerlichen "anonymen Architektur", stammt aus dem Militärwesen der Aufklärung und französischen Revolution, als Militäringenieure die theoretischen Grundlagen der traditionellen Bautechniken ergründeten. Die Bauweise der trockengemauerten Ingenieurbauten unterscheidet sich wesentlich von den "bäuerlichen" Trockenmauern der sog. "anonymen Architektur", wie man sie von Terrassierungen oder freistehenden Weidemauern her kennt. 3. "Einschalige Bauweise" Bauweise von trockengemauerten Stützmauern der "anonymen Architektur" Bei der "bäuerlichen" Bauweise einer Stützmauer wird nur eine äussere, sorgfältig aufgebaute Mauerschale aus relativ grossen Mauersteinen aufgezogen. Der Zwischenraum zwischen Aussenschale und Erdreich wird mit kleineren, meist unförmigen Steinen hintermauert. Das Tragverhalten einer solchen in "einschaliger" Bauweise erstellten Stützmauer ist nicht berechenbar und ist nur für Mauern bis ca. 2 m Höhe bei geringer Belastung zu empfehlen (vgl. Abb. 5 und 6). Abbildung 5, links: Schema einer einschalig gemauerten Stützmauer Abbildung 6, rechts: Beispiel einer einschalig gemauerten Stützmauer in Chemin, VS Ausbildungsunterlagen Trockenmauern Seite 4 Stützmauern in Trockenmauerwerk
4. "Massive Bauweise" Bauweise von trockengemauerten, ingenieurmässig bemessenen Stützmauern, Schwergewichtsmauern Im Gegensatz dazu stehen die ingenieurmässig berechneten und gebauten Stützmauern. Die Dimensionen solcher "Schwergewichtsmauern" können rechnerisch ermittelt werden, indem Erddruck und Auflast dem Eigengewicht und der geometrischen Ausbildung der Mauer (Anzug der Maueraussenfläche, Neigung des Fundamentes etc.) gegenübergestellt werden. Berücksichtigt werden muss auch die Tragfähigkeit des Untergrundes. Die Berechnung ergibt einen trapezförmigen Querschnitt, der am Fusspunkt breiter ist als im Bereich des Mauerkopfes (vgl. Abb.7). Meist wird die äussere Sichtfläche dieses Trapezquerschnittes gegen den Hang geneigt, man gibt ihr einen "Anzug". Üblich ist ein Anzug von 20-30%. Bei Stützmauern in sehr steilem Terrain kann es sinnvoll sein die äussere Mauerfläche senkrecht, ohne Anzug zu bauen. Die eingesparte Mauerhöhe wiegt den dadurch erforderlichen grösseren Trapez- Auflast Abbildung 7, links: Statisches System einer Schwergewichtsmauer Abbildung 8, rechts: Zweischalig gebaute Stützmauer einer Erzverladeanlage auf Naxos Reaktionskraft Untergrund querschnitt bei weitem auf, zudem lässt sich damit eine grössere Strassenbreite realisieren (vgl. Abb.10) Dieser Querschnitt wird dann mit soliden Mauersteinen (Gewicht normalerweise min. 5 kg) in einwandfreiem Verband aufgemauert (vgl. Richtlinie für den Bau von Trockenmauern, Verband Typ 2). In der Praxis wird das Trockenmauerwerk von der Sichtfläche ausgehend zur Rückseite gemauert. Die einzelnen Mauerschichten werden in der Art einer Pflästerung erstellt. Sie müssen vor Baubeginn der nächsten Schicht fertig gemau- Deckstein nach aussen entwässert Mauerverband Typ 2 gem Richtline für Trockenmauerwerk In den obersten 0.3 m dichte Erdfüllung um eine gewisse Wasserdichtigkeit zu erlangen. Abb.9, links: Schema einer zweischalig gemauerten Stützmauer Abb.10, rechts: Auswirkung des Anzuges der Maueraussenfläche auf die Mauer-höhe und das Mauer-volumen Von Hand eingebaute Hintermauerung auf einem abgestuften Fundament. Maueraufbau: Innen- und Aussenschale, verbunden durch Bindersteine. Die Mauerschichten sind gegen den Hang geneigt Ausbildungsunterlagen Trockenmauern Seite 5 Stützmauern in Trockenmauerwerk
ert, aber nicht abgeglichen werden. "Lange Bindersteine" müssen gemäss den Regeln des Mauerverbandes Typ 2 in regelmässigen Abständen eingebaut werden (Vgl. Abb. 9 und 11). In der Regel geht man davon aus, dass sich Binder- und Läufersteine jeweils abwechseln. In übereinanderliegenden Steinlagen sollten Binder jeweils die Läufer decken und umgekehrt. Steinqualität und beabsichtigtes Mauerbild können diese Anzahl verändern. Bei der Verwendung von kleineren unregelmässigen Steinen ist es notwendig, eher mehr Binder einzubauen, als bei der Verwendung von plattigen, grossen Steinen. Abbildung 11: Schwergewichtsmauer im Bau Zwischen Schwergewichtsmauer und Erdreich wird eine sorgfältig aufgeschichtete Steinpackung (Hintermauerung) eingebaut. Form und Grösse der Steine spielen hier keine grosse Rolle. Wichtig ist eine dichte Packung, um nachträgliche Setzungen zu verhindern. Diese Steinpackung dient gleichzeitig als Drainageschicht. 5. Konstruktionsdetails für Lasten tragende Stützmauern 5.1 Vorstehender Mauerfuss Die Stabilität einer trockengemauerten Schwergewichtsmauer kann durch folgende Massnahmen zusätzlich erhöht werden: Vorstehender Mauerfuss Ein vorstehender Mauerfuss, falls im Verbund mit der übrigen Mauer eingebaut, vergrössert die Standfläche der Mauer und schützt das Fundament vor Unterspülung durch Wasser, falls bei heftigen Niederschlägen Wasser über die Mauer nach unten fliesst. Regenwasser Abbildung 12: Funktion des vorstehenden Mauerfusses 5.2 Neigung der Mauerschichten gegen den Hang 5.3 Grösse der Steine A: Ohne vorstehender Mauerfuss B: Mit vorstehendem Mauerfuss A Erosion des Mauerfundamentes Neigung der Mauerschichten gegen den Hang Neigung des Fundamentes und aller Lagerfugen der Steine leicht gegen den Hang Grösse der Steine Arbeiten mit grösseren Steinen (Gewicht min. 5 kg) ohne äussere Verkeilung. Dies ist besonders wichtig bei trockengemauerten Stützmauern unterhalb von Strassen, welche oft Vibrationen ausgesetzt sind. B Ausbildungsunterlagen Trockenmauern Seite 6 Stützmauern in Trockenmauerwerk
5.4 Abgestufter Untergrund der Hintermauerung 5.5 Entwässerung Abgestufter Untergrund der Hintermauerung Der Untergrund der Hintermauerung soll nicht einfach als schräge Fläche, der Hangneigung entsprechend, ausgebildet werden. Er muss abgetreppt sein, dass die Last der Hintermauerung besser in den Untergrund abgeleitet werden kann. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das ganze Gewicht der Hintermauerung die Stützmauer zusätzlich belastet. Obwohl eine Trockenmauer durch die offen gelassenen Fugen eigentlich nicht wasserdicht ausgebildet ist, kann auch hier ein Problem durch gestautes Wasser entstehen. Denkbar ist beispielsweise ein Verstopfen von Fugen durch Feinmaterial oder in höheren Lagen ein Zufrieren der Fugen. Es empfiehlt sich daher, der Drainage von Trockenmauerstrukturen grosse Aufmerksamkeit zu schenken. Bewährt haben sich Entwässerungskanäle, welche durch Mauer und Hintermauerung reichen mit einer Öffnung von mindestens 30 x 30 cm, so dass eine Reinigung möglich ist. Gegen den Hang geneigte Fundamentgräben müssen durch Schlitze, welche bis unter die Frosttiefe mit Geröll gefüllt sind, entwässert werden. Kraggewölbe Drainage 1m 5-6 m 1 m 0.6m Neigung 1:30 0.6 m 0.6 m Abbildung 13: Entwässerungsöffnung Ansicht Schnitt 6. Schadensbilder 6.1 Spannungsrisse Problem Spannungsrisse Bei hohen Mauern ab ca. 4 m besteht das Problem des Bruches einzelner Steine infolge von "Spannungsspitzen". Die Lastübertragung in einer Trockenmauer erfolgt nicht flächig, sondern über die Berührungspunkte der Steine. Dies kann dazu führen dass Steine infolge von Biegezugspannungen brechen (vgl. Abb.14 und 15). Abhilfe schafft eine genaue Bearbeitung der Oberflächen der Lagerfugen. Je genauer diese bearbeitet sind, desto mehr Berührungspunkte sind vorhanden und desto gleichmässiger wird die Last übertragen. Beim Bau hoher Mauern kann jede Mauerschicht auch mit feinen Steinsplittern oder Steinmehl abgeschlossen werden, um Unebenheiten auszugleichen. Diese Ausgleichsschicht trägt zur gleichmässigeren Last- und Spannungsverteilung bei. Bei übermässigem Einbau besteht die Gefahr, dass sie als Kugellager oder als Schmierschicht wirkt und die Reibung zwischen den grossen Mauersteinen stark herabsetzt. Ausbildungsunterlagen Trockenmauern Seite 7 Stützmauern in Trockenmauerwerk
Abb.14, links: Kirchhofmauer in Savogno bei Chiavenna (I). Abb.15, rechts: Detail der unteren Mauerecke mit gebrochenen Ecksteinen Abbildung 16, links: Bauchung einer einschalig gebauten Stützmauer, Chemin VS Abbildung 17, rechts: Öffnung der Stossfugen infolge Bauchung (Scudellate, Valle Muggio, TI). Mögliche Schadensursachen sind eine fehlende Verbindung der Aussenschale mit der Hintermauerung, eine ungenügende Anzahl Binder oder eine "einschalige Bauweise" trotz grosser Höhe und grosser Belastung 7. Literatur: 1 Vereinigung Schweizerischer Strassenfachmänner (VSS) (1944): Normalien für Bergstrassen. 2 Schweizerischer Baumeisterverband, SBB (1946): Richtlinien für die Ausführung von Natursteinmauerwerk, entsprechend den besonderen Bestimmungen der SBB. 2. Auflage. 3 Reddi, T.G.K. (1982): A plea for vertical front-faced retaining walls in hill-roads Indian Highways, March 1982. 4 Arya, Dr. A.S. / Gupta, V.P. (1983): Retaining Walls for Hill Roads, (incl. Discussion and correspondence); 48-6 Indian Roads Congress Journal, Vol.44-1/44-4, Paper Nr. 356. 5 Villemus, Boris (2000): Reppis, Étude des murs de soutènement en pierre sèche du Luberon Parc Naturel régional du Luberon. 6 Ménard, Jack (2000): Murs de soutènement routiers en pierre sèches Parc Naturel régional du Luberon. Ausbildungsunterlagen Trockenmauern Seite 8 Stützmauern in Trockenmauerwerk