Anonym: Hansel in der Asche Es war einmal ein Mann, der hatte drei Söhne. Die beiden ältesten waren gescheit, der jüngste, Hans genannt, galt für dumm und lag in der Küche stets in der Asche. Da geschah es einmal, daß der Vater auf einer Wiese einen riesengroßen Heuhaufen hatte, der jede Nacht zertreten und zerstampft wurde. Da blieb ihm nichts anderes übrig, als das Heu nachts bewachen zu lassen. Als nun der älteste Sohn als Wächter auf die Wiese sollte, überkam diesen eine so große Angst, daß er dem Hansel in der Asche etliche Geldstücke gab, damit der die Wache für ihn übernähme. Hans nahm das Geld an sich, begab sich auf die Wiese und hielt Wache. Lange blieb dort draußen alles still. Kein Lufthauch bewegte sich. Als es aber Mitternacht schlug, stand plötzlich ein feuriger Fuchshengst, der einen kupfernen Sattel trug, vor dem Heuhaufen. Der sprang sogleich hinein und zerrte das Heu auseinander. Hansel aber schwang sich sofort auf das Pferd und galoppierte davon, Doch als er das Tier zäumen wollte, blieb es im Augenblick stehen und setzte seinen Reiter sanft auf die Erde. Sodann reichte es ihm einen Brief und sprach mit menschlicher Stimme:»In diesem Brief findest du ein Haar aus meinem Schweif. Wenn du in Not bist, so lege es in deine Hand. Es wird dann alles so geschehen, wie du es begehrst.«mit diesen Worten verschwand der Hengst. Da ging Hansel zum Heuhaufen zurück und stellte ihn wieder auf. Dann kehrte er heim, erzählte aber niemandem von seinem Erlebnis und legte sich wie gewohnt in der Asche nieder. Am anderen Morgen sah der Vater, daß der Heuhaufen unversehrt war. Nun war die Reihe am zweiten Sohn. Dieser hatte aber nicht weniger Angst als der älteste. Und so erhielt Hansel auch diesmal etliche Geldstücke, damit er für den Bruder die Wache hielt. Also ging Hans wieder hinaus auf die Wiese, und diesmal setzte er sich auf den Heuhaufen. Lange blieb dort draußen alles still. Kein Lufthauch bewegte sich. Als es aber Mitternacht schlug, stand auf einmal ein wunderschöner Rappe, der einen silbernen Sattel trug, vor dem Heuhaufen. Als er aber hineinspringen wollte, griff Hans rasch in die Zügel, schwang sich auf das Pferd und galoppierte davon. Als er das Roß zäumen wollte, blieb es im Augenblick stehen und setzte seinen Reiter sanft auf die Erde. Dann übergab es ihm einen Brief und sprach mit menschlicher Stimme-»In diesem Brief findest du ein Haar aus meinem Schweif. Wenn du in Not bist, so lege es in deine Hand. Es wird dann alles so geschehen, wie du es begehrst.«mit diesen Worten verließ ihn der Rappe. Hans aber ging zum Heuhaufen zurück und ordnete ihn. Dann kehrte er heim, erzählte aber niemandem von seinem Erlebnis, Wie gewohnt legte er sich in der Asche nieder. Am anderen Morgen sah der Vater, daß der Heuhaufen unversehrt war. 1
Und wieder wurde es Abend. Diesmal war Hansel selbst an der Reihe. Er begab sich auf die Wiese und setzte sich mitten auf den Heuhaufen. Lange blieb dort draußen alles still. Kein Lufthauch bewegte sich. Als es aber Mitternacht schlug, sprang ein prächtiger Schimmel, der einen goldenen Sattel trug, herbei. Noch ehe er sich s versah, saß Hansel auch schon im Sattel und ritt mit verhängten Zügeln davon. Kaum hatte er das Roß gezäumt, da blieb es auch schon im Augenblick stehen und setzte seinen Reiter sanft auf die Erde. Dann übergab es ihm einen Brief und sprach mit menschlicher Stimme:»In diesem Brief findest du ein Haar aus meinem Schweif. Wenn du in Not bist, so lege es in deine Hand. Es wird dann alles so geschehen, wie du es begehrst.«mit diesen Worten verließ ihn der Schimmel. Hans brauchte dieses Mal den Heuhaufen gar nicht mehr zu ordnen. Er kehrte sogleich heim, verkroch sich in der Asche und erzählte niemandem von seinem Erlebnis. Bald darauf ließ der König ein großes Turnier veranstalten. Er ließ ausrufen, daß der beste Reiter des Landes die goldene Nuß und obendrein die Königstochter zur Frau bekommen sollte. Viele der besten Reiter begaben sich da an den Hof. Auch die Brüder von Hans gingen hin. Als Hans nun alleine war, zog er den Brief mit dem Fuchshaar hervor und legte das Haar in seine Hand. Im Nu stand der Fuchs vor ihm und fragte:»was begehrst du, Freund?Ach, daß ich der allerschönste Jüngling wäre, die schönsten Kleider anhätte, die goldene Nuß gewänne und obendrein die Königstochter zur Frau erhielte. «verwandelt. Unerkannt nahm er am Turnier teil. Bald überholte er auf seinem Fuchshengst auch seine Brüder und kam als erster durchs Ziel. So kam es, daß Hansel die goldene Nuß gewann. Er sollte nun auch die Königstochter zur Frau bekommen. Diese nahm ihn mit in das Schloß und zeigte ihm alle Räume. Hans aber nahm heimlich das Fuchshaar in die Hand. Im selben Augenblick stand der Fuchshengst vor ihm und sprach:»was begehrst du, Freund?«Kaum hatte er seinen Wunsch ausgesprochen, da ging er auch schon in Erfüllung. Lange vor seinen Brüdern war Hansel wieder zu Hause. Sogleich legte er sich wie gewohnt in die Asche. Endlich kehrten auch die Brüder heim und erzählten von dem schönen Reiter, der das Turnier gewonnen habe und nun die Königstochter heiraten würde. Schweigend lauschte Hans ihren Worten, sagte aber nichts dazu. Die Königstochter aber war sehr traurig geworden, als sie ihren Bräutigam nirgends mehr finden konnte. Sie ruhte nicht eher, bis ihr Vater, der König, ein zweites Turnier 2
veranstalten ließ. Dieses Mal sollte der Preis eine goldene Birne sein. Wer diese erränge, sollte auch mit der schönen Königstochter vermählt werden. Als Hansel davon erfuhr, ließ er seine Brüder zu dem Turnier aufbrechen. Als er allein war, öffnete er den Brief mit dem Haar des Rappen. Er nahm es in seine Hand, und sogleich stand der Rappe vor ihm und fragte:»was begehrst du, Freund?Ach, daß ich der allerschönste Jüngling wäre, die schönsten Kleider anhätte, die goldene Birne gewänne und obendrein die Königstochter zur Frau erhielte.«verwandelt. Unerkannt nahm er am Turnier teil. Wie eine Kugel aus dem Kanonenrohr schoß der Rappe mit ihm dahin. An einem Sumpfloch überholte er seine Brüder, und der Rappe bespritzte und beschmutzte sie. Bald kam Hansel als erster ans Ziel. So kam es, daß Hansel die goldene Birne gewann. Er sollte nun auch die Königstochter zur Frau bekommen, Diese führte ihn wieder in alle Räume des Schlosses. Da sie ihn erkannt hatte, ließ sie ihn nicht aus den Augen. Diesmal sollte zu seinen Ehren ein Festmahl stattfinden. Doch ehe man zu Tische ging, nahm Hansel heimlich das Rappenhaar in die Hand. Im selben Augenblick stand der Rappe vor ihm und fragte:»was begehrst du, Freund?«Kaum hatte Hansel seinen Wunsch ausgesprochen, da ging dieser auch schon in Erfüllung. Als seine Brüder zurückkehrten, lag Hansel längst wieder in der Asche. Er fragte sie, wie es ihnen ergangen wäre.»kümmere dich nicht um unsere Sachen«, gaben sie ihm zornig zur Antwort. Er aber sagte kein Wort, als sie nun von dem schönen Reiter erzählten, der das Turnier gewonnen habe und nun die Königstochter zur Frau bekäme. Die Königstochter aber war in tiefe Betrübnis verfallen, als sie ihren Bräutigam nicht mehr finden konnte. Sie drängte und bat ihren Vater, den König, so lange, bis dieser endlich einwilligte und ein drittes Turnier geben ließ. Dieses Mal sollte der Preis ein goldener Apfel sein. Wer diesen erränge, sollte auch mit der schönen Königstochter vermählt werden. Als die Brüder von Hans dies hörten, machten sie sich sogleich auf den Weg zum Turnier. Hansel wartete, bis er allein war. Dann öffnete er den Brief mit dem Schimmelhaar. Er nahm es in seine Hand. Sogleich stand der Schimmel vor ihm und fragte:»was begehrst du, Freund?Ach, daß ich der allerschönste Jüngling wäre, die schönsten Kleider anhätte, den goldenen Apfel gewänne und obendrein die Königstochter zur Frau erhielte. «verwandelt. Er war schön wie ein Cherubim. Unerkannt nahm er am Turnier teil. Schnell wie der Blitz schoß der Schimmel mit ihm dahin. An dem Sumpfloch überholte 3
er seine Brüder. Das Wasser und der Schlamm spritzten haushoch, so daß sie völlig durchnäßt und beschmutzt waren. Hansel kam auch diesmal als erster durchs Ziel. So kam es, daß Hansel auch den goldenen Apfel gewann. Die Königstochter, die ihn sogleich erkannte, nahm ihn bei der Hand und führte ihn durch den Schloßgarten. Dort nahm sie ihn in die Arme und küßte ihn. Dabei drückte sie ihm heimlich ein königliches Siegel hinters Ohr. Hansel, der ihre List nicht bemerkt hatte, nahm heimlich das Schimmelhaar in die Hand. Im selben Augenblick stand der Schimmel vor ihm und fragte:»was begehrst du, Freund?«Kaum hatte Hansel seinen Wunsch ausgesprochen, da lag er auch schon wieder daheim in der Asche. Die Königstochter war außer sich vor Kummer und Schmerz. Im ganzen Lande reiste sie umher, um ihren Bräutigam zu suchen. Überall suchte sie nach ihm, aber nirgends konnte sie ihn finden. Als ihr der Mut schon sinken wollte, gelangte sie endlich auch in das Dorf, in dem Hans und seine Brüder lebten. Alle jungen Männer des Dorfes mußten vor ihr Angesicht treten. Ihren Bräutigam fand sie nicht darunter. Da fragte sie, ob nicht vielleicht doch einer daheim geblieben wäre. Die Leute antworteten-.»es gibt nur noch den Hansel in der Asche, der ist aber nicht recht gescheit und ist so schmutzig, daß Ihr ihn nicht zu sehen braucht. Der ist nie und nimmermehr der, den Ihr sucht.«die Königstochter bestand aber darauf, daß man den Hansel holen müsse. Als sie hinter sein Ohr schaute, da erkannte sie ihn sofort, denn er trug dort das königliche Siegel. Da nahm sie ihn mit sich in das Schloß, und noch am selben Tage wurde die Hochzeit gefeiert. Hansel versprach seiner Frau, von nun an immer bei ihr zu bleiben. Fremde Fürstensöhne jedoch waren beleidigt, daß keiner von ihnen die schöne Königstochter zur Frau bekommen hatte. Deshalb sannen sie auf Rache und überzogen das Land mit Krieg. Hansel war deshalb nicht bange. Er nahm die drei Roßhaare in seine Hand. Im selben Augenblick standen der Fuchshengst, der Rappe und der Schimmel vor ihm und fragten: Was begehrst du, Freund?»Ach, könnte ich das feindliche Heer im Handumdrehen besiegen. Und hätte ich ein Schwert, mit dem ich alle Feinde schlagen könnte. Kaum war der Wunsch getan, da ging er auch schon in Erfüllung. Hansel konnte alle Feinde im Handumdrehen besiegen, als er mit seinem Schwert in den Krieg zog. Ein fremder Reiter aber verletzte ihn am Fuß. Hansel eilte dennoch ins Schloß zurück, stieg die Treppe zum Schlafgemach empor und legte sich ins Bett. Als seine Frau die Blutspuren auf der Treppe gewahrte, erschrak sie. Sie eilte in das Gemach und fand 4
Hansel totenbleich auf den Kissen liegen. Bald fand sie die Wunde am Fuße, zog ein Stück von einer Lanze daraus hervor, stillte das Blut mit ihren Tränen und heilte so ihren Mann. Von nun an lebten sie beide in größter Glückseligkeit und Zufriedenheit bis an ihr Ende. Aus: Hörger, Marlies (Hrsg.): Märchen aus Elsass und Lothringen. Frankfurt/Main 1991. S. 11-17. 5