Herbert Diercks: Der Hamburger Widerstand Vortrag in der Zentralbibliothek am 7. Mai Sehr geehrte Damen und Herren,

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Transkript:

Vortrag in der Zentralbibliothek am 7. Mai 2015 Sehr geehrte Damen und Herren, Die Erinnerung an den Widerstand und die Verfolgung ist der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ein wichtiges Anliegen und ich freue mich sehr darüber, dass unsere Ausstellung hier in der Zentralbibliothek gezeigt wird. Jetzt, im Rahmen eines Vortrags, einen kurzen und zugleich umfassenden Überblick über den Widerstand in Hamburg 1933 1945 zu vermitteln, ist nahezu unmöglich. Dafür war er zu vielschichtig und zu komplex. Ich möchte schon jetzt um Nachsicht für Verkürzungen und Auslassungen bitten. 1933 standen in erster Linie die Parteien und anderen Vereinigungen der kommunistisch, sozialistisch und sozialdemokratisch orientierten Arbeiterbewegung in schärfster Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Die Nazis an der Macht konzentrierten sich darauf, diese Organisationen zu verbieten, zu zerschlagen und deren Mitglieder zu verfolgen. Sie nutzten in ihrem Kampf den gesamten staatlichen, gleichgeschalteten Verfolgungsapparat. Hand in Hand arbeiteten Polizei, Justiz und weitere Behörden mit der NSDAP, SA und SS zusammen. Ende März 1933 wurde bereits das erste Konzentrationslager eingerichtet, das KZ Wittmoor. Anfang April 1933 begann die politische Polizei, politische Gefangene in den Gebäuden der Strafanstalten Fuhlsbüttel unterzubringen. Hauptamtliches Personal der Gewerkschaften und der gewerkschaftsnahen oder gewerkschaftseigenen Organisationen wie das Reichsbanner Schwarz-Rot- Gold oder die Volksfürsorge waren genauso wie bekannte Repräsentanten der vielfältigen weiteren Organisationen der sozialdemokratisch oder kommunistisch orientierten Arbeiterbewegung betroffen in erster Linie die Vorstandsmitglieder und Mandatsträger der KPD und der SPD. Mit deren Verhaftung wurden 1933 Zeichen gesetzt und die eventuell widerstandsbereite Bevölkerungsschicht eingeschüchtert. Die Handlungsfähigkeit der betreffenden Organisationen wurde eingeschränkt und die Macht der NSDAP ausgebaut. Viele der in den ersten Monaten des NS-Regimes in Hamburg Verhafteten

2 wurden nach Stunden, einigen Tagen oder wenigen Wochen wieder freigelassen, nachdem Organisationsverbote oder Gleichschaltungsmaßnahmen durchgesetzt worden waren. Dieser gleiche Personenkreis war nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 erneut von Verhaftung bedroht. Im August 1944 wurden im Zuge der sogenannten Gewitter-Aktion in ganz Deutschland Verhaftungen ehemaliger Reichstags-, Landtags- und Bürgerschaftsabgeordneter, Stadtvertretungen und Gewerkschaftsfunktionäre vorgenommen, die bei einem geglückten Putsch Staatsfunktionen hätten übernehmen können. Das alles hat mit Widerstand und mit dem Thema meines Vortrags nichts zu tun; der Terror, die Amtsenthebungen, die Verhaftungen sollten, wie bereits dargelegt, einschüchtern und einen möglichen Widerstand im Keime ersticken. Dieses Kalkül der NSDAP, der SS und SA ging im Wesentlichen auf. Die traditionsreiche, starke Arbeiterbewegung wurde innerhalb weniger Wochen brutal zerschlagen. Oppositionelle Meinungsäußerungen, das wusste im Frühjahr und Sommer 1933 jeder, wurden mit Verhaftungen und KZ-Haft sanktioniert. Das Kalkül, so sagte ich eben, ging im Wesentlichen auf. Doch es gab auch Mitglieder und Freunde dieser verbotenen und unterdrückten Organisationen, die trotz aller Gefahren den Kontakt untereinander aufrecht erhielten, sich gegenseitig halfen und einen vielfältigen Widerstand gegen den Nationalsozialismus und dessen Repressionen organisierten. Sie waren in den Kinder- und Jugendverbänden der KPD oder der SPD, den Arbeitersportvereinen und vielfältigen Arbeiterkultureinrichtungen aufgewachsen und identifizierten sich stark mit deren Selbstverständnissen und Zielen. Jetzt wurde auf konspirativen Treffen die politische Entwicklung diskutiert, Geld zur Unterstützung von Angehörigen von Verfolgten gesammelt und die Herstellung und die Verteilung illegaler Zeitungen und Flugblätter organisiert. Verfolgte wurden versteckt oder es wurde ihnen zur Flucht ins Ausland verholfen. An diesem Widerstand beteiligten sich allein in Hamburg mehrere tausend Männer und Frauen. Widerstandsgruppen entstanden in allen Hamburger Stadtteilen, in Betrieben und anderen Lebens- und Arbeitsbereichen. Auch aus religiöser Motivation wurde sich der NS-Diktatur widersetzt; hier ist insbesondere der Widerstand der Zeugen Jehovas zu nennen. Zum Widerstand gehörte aber auch die gesellschaftliche Verweigerung und die Ablehnung nationalsozialistischen Gedankengutes die Mitgliedschaft in NS-

3 Organisationen wurde verweigert, humanistisches Gedankengut wurde an junge Menschen vermittelt, Kontakte zu jüdischen Freundinnen und Freunden wurden aufrechterhalten. Auch in liberalen, konservativen und christlichen Kreisen war eine solche Verweigerungshaltung verbreitet. Ich möchte jetzt konkret einige der wichtigsten Hamburger Widerstandsgruppen aus der Zeit bis Kriegsbeginn 1939 vorstellen. Die Hamburger KPD organisierte unmittelbar nach der sogenannten Machtergreifung Hitlers ihren Fortbestand im Untergrund. Während die Nationalsozialisten an der Macht versuchten, alle kommunistischen Organisationen zu zerschlagen und deren Mitglieder und Anhänger mit Massenverhaftungen, Misshandlungen und KZ-Haft zu terrorisieren, bildeten sich in den Stadtteilen und großen Betrieben illegale Gruppen der KPD. Aus Sicherheitsgründen und aufgrund zahlreicher Verhaftungen mussten mehrfach Leitungen auf Landesebene und in den Stadtteilen erneuert werden. Etwa 4000 Mitglieder zählte die illegale KPD im Herbst 1934. Junge Kommunistinnen und Kommunisten waren im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) organisiert. Die Gestapo versuchte 1933, diesen Verband zu zerschlagen, aber viele der Gruppen des Hamburger KJVD setzten die Arbeit illegal fort. Etwa 2000 Mädchen und Jungen waren 1934 in Hamburg im KJVD organisiert und am Widerstand beteiligt. Die illegale Arbeit war vielfältig und reichte von der Zahlung der Mitgliedsbeiträge bis hin zur Erstellung illegaler Flugblätter und Zeitungen. Sehr wichtig waren der Protest gegen die Hinrichtung der Altonaer Kommunisten Bruno Tesch, August Lütgens, Walter Möller und Karl Wolff am 1. August 1933 wegen ihrer angeblichen Beteiligung an der Schießerei am Altonaer Blutsonntag 1932. An kommunistischen Widerstand beteiligten sich neben der KPD und dem KJVD auch die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition, der Arbeitersport und die Rote Hilfe. Unabhängig von der KPD beteiligten sich in Hamburg sowohl die Kommunistische Partei Opposition als auch die Linke Opposition, die sich in der Illegalität in Internationale Kommunisten Deutschlands unbenannte, also die Trotzkisten, sehr aktiv am Widerstand. Auf die Gruppen möchte ich jetzt nicht weiter eingehen. Walter Lüders, der hier in der Ausstellung vorgestellt wird, war für die KPO im Widerstand aktiv. Noch habe ich kein Foto von dem Lehrer

4 Heinz Leidersdorf; der der Linken Opposition angehörte, im November 1935 in Hamburg verhaftet und 1943 im KZ Auschwitz ermordet wurde. Heinz Leidersdorf teilte sich seine Gefängniszelle im KZ Fuhlsbüttel zeitweilig mit Kurt Bär vom Internationalen Sozialistischen Kampfbund. Der kommunistische Widerstand wurde in den Jahren 1934 bis 1936 von der Gestapo nachhaltig zerschlagen; erst während des Krieges konnten sich in Hamburg auf einer völlig anderen Basis neue Gruppen etablieren. Zwischen 1933 und 1939 wurden in Hamburg etwa 8500 Kommunistinnen und Kommunisten verhaftet. Ob im Konzentrationslager, im Zuchthaus oder im Gefängnis Fuhlsbüttel unter den politischen Häftlingen stellten die Frauen und Männer aus dem kommunistischen Widerstand in diesen Jahren die weitaus größte Gruppe und sie hatten sehr viele Toten zu verzeichnen. Der illegale Widerstandskampf von Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen begann in Hamburg nach dem Verbot der SPD am 22. Juni 1933. Trotz der bereits bekannten persönlichen Risiken wie Verhaftung, Misshandlungen und Einweisung in ein Konzentrationslager wurde der Kontakt untereinander auf Stadtteil-, Betriebs- oder Distriktebene vielfach aufrechterhalten und versucht, die politischen Organisationen unter den Bedingungen der Illegalität fortzuführen. Sehr bald wurden heimlich Flugblätter hergestellt und verteilt, in denen der reaktionäre Charakter und die Verbrechen des Naziregimes angeprangert wurden und in denen zum Protest aufgerufen wurde. Zu den großen Verdiensten des sozialdemokratischen Politikers Walter Schmedemann gehört, dass er mehrere illegale Stadtteilorganisationen der SPD, der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) und des Reichsbanners Schwarz- Rot-Gold mit etwa 500 Aktiven zu einer Widerstandsgruppe zusammenführte und deren Tätigkeit anleitete bzw. koordinierte. Daneben existierten kleinere Gruppen in Betrieben und Stadtteilen. Es wurden Kontakte zu Emigrantenkreisen im Ausland und zum Exilvorstand der SPD in Prag hergestellt und von dort illegale Schriften nach Deutschland geschmuggelt. Von 1934 bis 1937 führte die Gestapo mehrere große Verhaftungsaktionen gegen diese Widerstandsgruppen durch. Mit den Verhaftungen von 1937 endete der organisierte sozialdemokratische Widerstand in Hamburg. Einer nach Kriegsende angefertigten Aufstellung zufolge waren über 1500 Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unter der NS-Diktatur insgesamt

5 über 2000 Jahre in Haft. Ich möchte kurz von dem gemeinsamen Bemühen des sozialdemokratischen und des kommunistischen Widerstands berichten, Misshandlungen, Aussageerpressungen, Folter, Mord und Totschlag im Konzentrationslager Fuhlsbüttel gezielt öffentlich bekannt zu machen. Ihnen ging es insbesondere um die Durchsetzung von Verbesserungen für die Gefangenen. Zwei Initiativen aus dem Jahre 1934 waren besonders öffentlichkeitswirksam: Walter Schmedemann verfasste unmittelbar nach seiner zweiten Entlassung aus dem KZ Fuhlsbüttel einen mehrseitigen Bericht über die unmenschliche Behandlung der Schutzhaftgefangenen durch die Staatspolizei, das Kommando zur besonderen Verwendung und die Wachmannschaft des Konzentrationslagers Fuhlsbüttel. Er beschrieb den Terror und nannte sowohl einzelne Haupttäter als auch Opfer bei Namen. Dieser Bericht wurde heimlich, in hoher Auflage, von sozialdemokratischen Widerständlern vervielfältigt und mithilfe des Hamburger Adressbuches und telefonischer Erkundigungen allen Hamburger Richtern, Staatsanwälten, Pastoren, ranghohen Vertretern der NSDAP und des Staates und wichtig erscheinenden Repräsentanten des öffentlichen Lebens anonym übermittelt. Der Bericht fand auch in preußischen Städten Norddeutschlands große Verbreitung. Ein ähnliches anonymes Schreiben mit einer Auflistung der von der Staatspolizei, SA und SS Ermordeten wurde im Sommer 1934 von der illegalen KPD verbreitet. Die Zustände in den Fuhlsbütteler Strafanstalten seien eine Schande für Deutschland, heißt es in diesem Schreiben. Es wurde ebenfalls in großer Auflage vervielfältigt und Rechtsanwälten, Pastoren, Staatsanwälten und bekannten Personen des öffentlichen Lebens zugeschickt. Die Frauen und Männer des Widerstandes nutzten zusätzlich Kontakte ins Ausland, um dort über die Gewaltverbrechen der Hamburger Justiz und Polizei zu informieren und um Interventionen einflussreicher ausländischer Persönlichkeiten und Organisationen zu erreichen. Willi Bredels Roman Die Prüfung diente diesem Zweck, die verschiedenen Denkschriften, die im Ausland erschienen, die Berichterstattungen in der dortigen Presse oder in den Exilzeitungen. Die Berichte der SoPaDe, also des Exilparteivorstandes der SPD in Prag, enthalten zahlreiche Berichte über den Widerstand in Hamburg, über äußerst brutale Formen seiner Verfolgung und über die menschenverachtenden Verhältnisse in der Haft, insbesondere im KZ Fuhlsbüttel.

6 Ich möchte drei Widerstandsgruppen erwähnen, die in Hamburg eine wichtige Rolle einnahmen und dem sozialdemokratischen bzw. dem sozialistischen Widerstand zugeordnet werden: Es sind das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, die Sozialistische Arbeiterpartei und der Internationale Sozialistische Kampfbund. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold wurde 1924 reichsweit als überparteiliche Organisation zur Verteidigung der Weimarer Republik gegründet gegen deren Feinde von rechts und links, gegen NSDAP und KPD. In den Leitungen und in der Mitgliedschaft des Reichsbanners hatte die Sozialdemokratie einen dominierenden Einfluss. Jüngere Mitglieder des Reichsbanners, die gesund und körperlich fit waren, wurden seit 1930 in Schutzformationen (Schufos) des Reichsbanners, Einheiten mit jeweils 150 Mann, organisiert. Zu deren ständigen Aufgaben gehörte der Schutz von Versammlungen und Demonstrationen der freien Gewerkschaften und der Sozialdemokratie. Viele junge aktive Reichsbanner-Mitglieder waren am 30. Januar 1933 in Alarmbereitschaft und warteten auf den Einsatzbefehl ihrer Führung, um aktiv die Weimarer Republik zu verteidigen. Dass dieser erwartete Befehl ausblieb, haben viele als eine bittere Niederlage erlebt. Zahlreiche Mitglieder waren nach der Machtergreifung zum Widerstand bereit. Etliche Schutzformationen blieben illegal bestehen. Über die engen Beziehungen zu den Widerstandsgruppen der Hamburger SPD und deren Leitungen wurden aus Dänemark Flugblätter, Zeitungen und Schriften der illegalen SPD bezogen und verteilt. Auch mehrere Waffenlager wurden angelegt. Erst 1937 gelang es der Gestapo, die letzten illegalen Schufo-Gruppen zu zerschlagen. Dabei wurden weit über 100 Mitglieder verhaftet. Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) war 1931 auf der Reichskonferenz oppositioneller Sozialdemokraten in Berlin in Abgrenzung von SPD und KPD gegründet worden. Zu ihren Zielen gehörte die Schaffung einer Einheitsfront der deutschen Arbeiterbewegung gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Sie konnte sich jedoch nicht durchsetzen und blieb eine Splitterpartei. Mit dem 30. Januar 1933 verloren die politischen Differenzen mit der SPD an Bedeutung. Etliche Mitglieder der Hamburger SAP schlossen sich der illegalen SPD an, so zum Beispiel das ehemalige SAP-Vorstandsmitglied Willi Elsner, der im Widerstand eng mit Walter Schmedemann zusammenarbeitete.

7 Franz Bobzien, der Hamburger Vorsitzende der Jugendorganisation der SAP, des Sozialistischen Jugendverbandes Deutschlands (SJVD), organisierte den Übergang von SAP-Gruppen in die Illegalität. Sogenannte Fünfergruppen wurden gebildet und Kontakte zur Inlandsleitung in Berlin und zur Auslandsleitung in Paris hergestellt. Aus Dänemark wurden illegale Druckschriften nach Hamburg gebracht, verschiedene Flugblätter wurden auch selbst hergestellt und verbreitet. Die Verbreitung eines Flugblattes der illegalen SAP mit dem Titel Bildung einer proletarischen Einheitsfront gegen den Faschismus führte 1934 zu Verhaftungen und zur Zerschlagung dieser Widerstandsgruppe. Der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK) spielte im Hamburger Widerstand eine nicht unbedeutende Rolle. Der langjährige SPD- Bundestagsabgeordneter Helmut Kalbitzer war ein bekanntes Mitglied dieser Partei, die 1925 von dem Göttinger Philosophieprofessor Leonard Nelson gegründet worden war und in ihrer Programmatik einen ethischen Sozialismus vertrat. Der ISK verstand sich als Teil der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung und als Kaderpartei, die von ihren Mitgliedern äußersten Einsatz aktive Mitarbeit, Abgabe aller Einkünfte, die über 150 RM monatlich hinausgingen, Kirchenaustritt bis hin zu einer asketischen Lebensweise mit Verboten von Fleischgenuss, Alkohol und Nikotin forderte. Politisches Hauptanliegen des ISK war seit 1930 die Schaffung einer Einheitsfront von SPD, KPD und Gewerkschaften gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Ostern 1933 beschloss der ISK seine illegale Weiterführung. Hamburg war mit etwa dreißig Mitgliedern eine Hochburg des ISK. In der Illegalität arbeitete der ISK streng konspirativ. Kleingruppen mit nicht mehr als fünf Mitgliedern wurden gebildet und Kontakte untereinander eingeschränkt. Nachrichten wurden mit unsichtbarer Tinte geschrieben und geheime Zeichen verabredet. Eine interne Bildungsarbeit wurde fortgesetzt, die in Paris herausgegebenen Reinhart-Briefe und selbst hergestellte Flugblätter wurden verbreitet und antinazistische Parolen auf Häuserwände oder Bürgersteige gemalt. Wegen der hoch entwickelten konspirativen Methoden des ISK gelang es der Gestapo nur durch einen Zufall, 1936 erste Verhaftungen vorzunehmen und den illegalen ISK dann bis Anfang 1938 zu zerschlagen. Im Juli 1933 wurde die Hamburger Bibelforschervereinigung verboten, die kleine Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Sie reorganisierte sich

8 jedoch heimlich, beschaffte sich einen Vervielfältigungsapparat, druckte illegal ihre Schriften und versuchte, die Bevölkerung über den antichristlichen Charakter des NS-Regimes aufzuklären. Die Bibelforscher verweigerten aus religiösen Gründen den Hitler-Gruß, die Mitgliedschaft in NS-Organisationen wie der Deutschen Arbeitsfront, später den Kriegsdienst und die Arbeit in der Rüstungsproduktion. Diese Haltung und illegale Aktivitäten ordne ich dem Widerstand zu. Polizei und Justiz sahen in den Zeugen Jehovas einen gefährlichen Gegner, den sie mit brutaler Gewalt verfolgten. Einer Verhaftungswelle Ende 1937 folgte eine Reihe von Bibelforscher-Prozessen gegen 77 Männer und 110 Frauen vor dem Hanseatischen Sondergericht. 1937 waren zeitweilig über die Hälfte aller Gefangenen im Konzentrationslager Fuhlsbüttel Zeugen Jehovas. Der Beginn des 2. Weltkrieges bedeutete für den von der Gestapo weitgehend zerschlagenen Widerstand eine Niederlage, hatte er doch zum Ziel gehabt, den drohenden Krieg zu verhindern. Mit Kriegsbeginn erließen die Nationalsozialisten zahlreiche neue Gesetze und Verordnungen, die politischen Widerstand, aber auch Protestäußerungen und Verweigerungen unter schwerste Strafen stellten. Immer häufiger wurde selbst bei Bagatelldelikten wie zum Beispiel dem Abhören ausländischer Sender oder kritischen Äußerungen zum Kriegsverlauf die Todesstrafe verhängt. Doch der Kriegsverlauf, die Massenverbrechen an den Fronten und in den besetzten Ländern und die einschneidenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in Deutschland provozierten und mobilisierten neue Widerstandskräfte. Widerstand begann sich neu und auf einer breiteren Basis zu formieren. Eine Reihe von Widerstandsgruppen bildeten sich dabei weitgehend unabhängig von den politischen Konstellationen aus der Zeit vor 1933. So gehörten der Gruppe um Helmuth Hübener oder dem Hamburger Zweig der Weißen Rose junge Menschen an, die 1933 noch Kinder waren und in der NS-Zeit zur Schule gingen. Eine bedeutende Hamburger Widerstandsorganisation mit etwa 300 Mitgliedern wurde während des Krieges von den Kommunisten Franz Jacob, Bernhard Bästlein und Robert Abshagen aufgebaut. Widerstand leisteten auch zahlreiche Hamburgerinnen und Hamburger in den besetzten Ländern und Kriegsgefangene, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Deutschland.

9 Ich möchte fast in der Chronologie ihrer Entstehung die wichtigsten Hamburger Widerstandsgruppen, die während des Krieges tätig waren, vorstellen. Die Helmuth-Hübener-Gruppe muss m. E. als Erstes angeführt werden, denn sie war sehr früh, 1941, aktiv. Helmuth Hübener, Rudolf Wobbe und Karl-Heinz Schnibbe bildeten den Kern dieser Gruppe. Alle drei gehörten der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage an, also den Mormonen. Ein vierter Jugendlicher schloss sich später dieser Gruppe an. Das war Gerhard Düwer, wie Helmuth Hübener Verwaltungslehrling bei der Hamburger Sozialverwaltung. Grundlage der oppositionellen Haltung Helmuth Hübeners und seiner Freunde aus der Kirche war vermutlich die christliche Prägung durch die Elternhäuser, vor allem aber die aktive Mitgliedschaft bei den Mormonen. Hinzu kamen Kontakte zu anderen oppositionellen Jugendlichen. Helmuth Hübener hörte regelmäßig ausländische Rundfunksender ab und verbreitete das Gehörte auf Streuzetteln weiter. Nach und nach gelang es ihm, seine beiden Freunde aus der Kirche und seinen Lehrlingskollegen aus der Sozialverwaltung in diese Arbeit mit einzubeziehen. Von 1941 an verfasste Helmuth Hübener über 20 längere Flugblätter, die vor allem die Wehrmachtsberichte und Nachrichtensendungen kommentierten und korrigierten. Sie wurden vervielfältigt, heimlich an öffentlich zugänglichen Orten abgelegt, in Briefkästen gesteckt oder Soldaten an der Front zugeschickt. Im Februar 1942 wurden Helmuth Hübener und seine Freunde von der Gestapo verhaftet und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingeliefert. Helmuth Hübener, geboren am 8. Januar 1925, war 17 Jahre alt, als er am 27. Oktober 1942 im Zuchthaus Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil hingerichtet wurde. Der 2. Senat des Volksgerichtshofes hatte ihn im August 1942 wegen Abhörens eines Auslandssenders und Verbreitung der abgehörten Nachrichten in Verbindung mit Vorbereitung zum Hochverrat und landesverräterischer Feindbegünstigung zum Tode verurteilt. Seine Freunde Rudolf Wobbe, Karl- Heinz Schnibbe und Gerhard Düwer, zwischen 16 und 18 Jahren alt, erhielten in demselben Prozess Strafen zwischen 4 und 6 Jahren Gefängnis. 1940/41 wurden Helmuth Hübener, Rudolf Wobbe, Karl-Heinz Schnibbe und Gerhard Düwer in ihrer antinazistischen Haltung mit Sicherheit von einem verbreiteten Trend unter Jugendlichen beeinflusst, sich von der uniformierten Hitler-Jugend abzugrenzen jener zur Staatsjugend erklärten NS-Organisation, in der ab 1938 für alle Jugendlichen die Pflicht zur Mitgliedschaft bestand. Dazu gehörte auch, sich im englischen Stil zu kleiden und angloamerikanische Swingund Jazzmusik zu hören. Ich möchte kurz auf die Swing-Jugend eingehen.

10 Die sogenannten Swing-Jugendlichen versuchten, sich dem HJ-Dienst zu entziehen. In der Öffentlichkeit provozierten sie mit ihrer auffälligen Kleidung und Haartracht die Jungen trugen ihre Haare gerne schulterlang. Bei passender Gelegenheit wurden Repräsentanten des NS-Regimes und angepasste HJ-Führer mit Spott überzogen. In proletarischen Stadtteilen Hamburgs wie Hamm, Hammerbrook, Rothenburgsort oder Barmbek wurden die Auseinandersetzungen zwischen HJ und Swings zuweilen handgreiflich. Obwohl die Swing-Jugendlichen als Gruppe weder organisiert waren noch in politischer Opposition zum Nationalsozialismus standen, wurden sie von der HJ- Führung und der Gestapo pauschal als politisch gefährlich eingestuft und verfolgt. In Hamburg wurden ab Oktober 1940 bis 1944 400 Jugendliche, die der Swing-Jugend zugerechnet wurden, verhaftet und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingeliefert. 40 bis 70 der Verhafteten wurden von dort in die Jugendkonzentrationslager Moringen und Uckermark oder in das KZ Neuengamme überstellt. Die Swing-Jugend war selbst keine Widerstandsgruppe, sondern Ausdruck einer breiten Oppositionshaltung unter Jugendlichen während des Krieges. Aber es gab Bereitschaften, sich dem Widerstand anzuschließen. Von drei Schülern wissen wir, dass sie etwa 1942 zum Hamburger Zweig der Weißen Rose stießen. Einer davon war der Schüler Bruno Himpkamp, der im Juni 1942 wegen seiner Zugehörigkeit zur Swing-Jugend von der Wichernschule verwiesen worden war. Bürgerliche Kreise hatten sich in der Zeit vor Beginn des Krieges kaum am Widerstand beteiligt; dieser wurde ganz überwiegend von Angehörigen der Arbeiterbewegung geleistet. Während des Krieges bildeten sich in Hamburg jedoch Gruppen, die nach Kriegsende als Hamburger Zweig der Münchener studentischen Widerstandsgruppe Weiße Rose bezeichnet wurden. Diesen Gruppen, die untereinander in losem Kontakt standen, gehörten etwa 50 Frauen und Männer an Studierende an der Universität Hamburg, Buchhändler, Künstler, Schriftsteller, Lehrer und weitere oppositionelle Intellektuelle. Sie trafen sich heimlich zu Lesungen verbotener Bücher und zu Diskussionen privat, in der Buchhandlung der Agentur des Rauhen Hauses, in der Hamburger Bücherstube Felix Jud und an anderen Orten. Aufgrund der Verbindungen zur Münchner Weißen Rose wurden deren Flugblätter und Aktionen diskutiert und eigene Aktivitäten entwickelt. Ende 1943 begannen Verhaftungen durch die Gestapo. Etwa 30 Frauen und Männer wurden im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert, sechs Verhaftete starben in Konzentrationslagern und Gefängnissen, zwei wurden im April 1945

11 auf Befehl der Gestapo im KZ Neuengamme ermordet. Sehr bedeutsam war die Widerstandsgruppe Bästlein-Jacob-Abshagen, deren Kern die bis 1940 aus den Konzentrationslagern und Zuchthäusern entlassenen kommunistischen Hamburger Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer bildeten. Die Hamburger Bernhard Bästlein, Franz Jacob und Robert Abshagen waren 1939 und 1940 aus dem KZ Sachsenhausen entlassen worden. Ab 1941 bauten sie eine Widerstandsorganisation auf, die 1942 in etwa 30 Werften und Fabriken mit illegalen Betriebszellen vertreten war. Insgesamt schlossen sich etwa 300 Frauen und Männer den einzelnen Gruppen der Organisation an. In die illegale Arbeit konnten auch mehrere Kriegsgefangene und ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einbezogen werden, die in den Betrieben für die Rüstung arbeiteten. Die Aktivitäten waren vielfältig und reichten von traditionell gewerkschaftlichen Forderungen wie besserer Bezahlung und Verweigerung von Überstunden bis hin zu Aufforderungen zur Sabotage bei der Rüstungsproduktion. Der Gestapo gelang es im Oktober 1942, die Aktivitäten dieser Organisation aufzudecken und über 100 Mitglieder Frauen und Männer zu verhaften. Etwa 70 Frauen und Männer, darunter Robert Abshagen, Bernhard Bästlein und Franz Jacob, wurden aufgrund von Todesurteilen der NS-Justiz hingerichtet, von der Gestapo ohne Urteil ermordet oder starben in der Haft. Diese Aufzählung von Hamburger Widerstandsgruppen ließe sich fortsetzen. Die Gruppe Etter-Rose-Hampel und die Gruppe Kampf dem Faschismus müssten unbedingt erwähnt werden, und der vielfach geleistete Widerstand ausländischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in Hamburg vornehmlich in der Rüstungsproduktion tätig waren. Ich möchte aber hiermit meinen kleinen Überblick beenden. Es gab aber auch Menschen, die keinen Kontakt zu organisierten Widerstandsgruppen fanden, die Widerstand leisteten, indem sie zum Beispiel sich in den Betrieben solidarisch gegenüber dort eingesetzten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern verhielten, kritische Meinungen zum Kriegsverlauf verbreiteten oder anderen Verfolgten halfen. Mancher Denunziation folgte die Verhaftung durch die Gestapo und hohe Strafen.

12 Kritisch muss man resümierend einräumen, dass der Widerstand im sogenannten Dritten Reich in der Bevölkerung über keinerlei nennenswerten Rückhalt verfügte; der Nationalsozialismus hatte eine Massenbasis; das Regime war im Inneren Deutschlands übermächtig. Die Chancen waren vor dem 30. Januar 1933 nicht genutzt worden, die Demokratie und die Freiheit zu verteidigen; zu dem Zeitpunkt wäre das ohne größere Gefahren möglich gewesen. Der Widerstand hatte dennoch eine sehr große Bedeutung, er zeigt, dass es immer ein sogenanntes anderes Deutschland gegeben hat. In den Jahren des Nationalsozialismus stieß er auf breite Ablehnung; vielen erschien er als sinnlos. Dann aber, nach Kriegsende, kam er dem ganzen Volk zugute. Ihm haben die Deutschen viel zu verdanken, letztendlich ihre Rückkehr in die Völkergemeinschaft, ihr Ansehen in der Welt, aber auch die eigene Selbstachtung in Betrachtung der Geschehnisse 1933 bis 1945. In Hamburg wurden seit Kriegsende weit über 50 Straßen nach Frauen und Männern benannt, die Häftlinge des Konzentrationslager Fuhlsbüttel gewesen waren. Die meisten waren von der Gestapo aufgrund ihres Widerstandes gegen das NS-Regime verfolgt worden, und viele hatten die Haft nicht überlebt. Ich denke an die Straßenbenennungen in Allermöhe, Lohbrügge, Niendorf, Harburg und vielen weiteren Stadtteilen. In den letzten Jahren sind zahlreiche Stolpersteine hinzugekommen, die an Frauen und Männer erinnern, die im Widerstand waren und die Verfolgung nicht überlebt haben. Diese Straßenbenennungen und Stolpersteine sind sichtbare Zeichen einer gesellschaftlichen Anerkennung der Verdienste des Widerstandes für die Entstehung und Entwicklung des Nachkriegsdeutschlands und zugleich eine Anerkennung des schweren Verfolgungsschicksals. Die Erinnerung an den Widerstand, das öffentliche Gedenken und die Ehrung der Beteiligten bieten eine Möglichkeit, selbstkritisch eigenes Verhalten heute vor dem historischen Hintergrund zu überprüfen.