2 Naive Theorien als kognitives Konzept bei Kindern

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Transkript:

2 Naive Theorien als kognitives Konzept bei Kindern Das Konzept der naiven Theorien ist ein psychologisches Konstrukt der jüngeren Vergangenheit. Im Gegensatz zur piagetschen Denktradition liegt hier die Annahme zugrunde, dass die kognitive Entwicklung nicht in Stadien, sondern bereichsspezifisch verläuft. Erste Studien, die diesen neueren Forschungsansatz bestätigen, entstanden zu Beginn der 1980er Jahre. Ihnen [Anm d. Verf.: den naiven Theorien] zufolge ist kognitive Entwicklung als Veränderung bereichsspezifischen Wissens beschreibbar (Mähler, 1999, S. 53). Naive Theorien gelten in den Bereichen der Physik, der Psychologie und der Biologie als wissenschaftlich bestätigt. Ausführlichere Untersuchungen liegen auch für den soziologischen Bereich vor. Andere Domänen wie beispielsweise die Politik, wurden bisher jedoch nicht untersucht. Insofern stellt sich die Frage, ob die Annahme einer naiven Theorie für die Domäne Politik möglich ist. 2.1 Allgemeine Modelle naiver Theorien Um das Konstrukt der naiven Theorien genauer fassen zu können, werden vor der Darstellung einzelner naiver Theorien einige notwendige Begriffe erläutert. Die Bezeichnung für dieses Konstrukt ist nicht einheitlich. So verweisen im deutschen Sprachraum Hasselhorn und Mähler neben der Bezeichnung naive Theorie auf den Begriff der intuitiven Theorie, ohne an dieser Stelle eine Differenzierung vorzunehmen (vgl. Hasselhorn & Mähler, 1998, S.79). Auch im englischsprachigen Bereich ist eine einheitliche Verwendung nicht vorhanden. Wellman und Gelman erwähnen die Begriffe der folk oder common sense theory, verwenden aber letztlich den Begriff der naiven Theorie (vgl. Wellman & Gelman, 1998, S. 524). Besonders deutlich zeigt sich die Variabilität der Verwendung im folgenden Beispiel: Commonsense theories are nonscientist s everyday understandings of certain bodies of information such as folk zoology or naive astronomy (Wellman & Gelman, 1992, S. 338). Innerhalb nur eines Satzes werden Konstrukte, die eigentlich das gleiche Phänomen beschreiben, auf dreifache Weise bezeichnet und als commonsense, folk oder naive theory umschrieben. Baron-Cohen hingegen spricht von folk psychology und folk physics (vgl. Baron- Cohen, 1997, S. 46). A. Götzmann, Entwicklung politischen Wissens in der Grundschule, DOI 10.1007/978-3-658-09116-3_2, Springer Fachmedien Wiesbaden 2015

2.1 Allgemeine Modelle naiver Theorien 13 Da den Begriffen folk und commonsense theory die Konnotation zu Alltagstheorien primär von Erwachsenen innewohnen, werden sie für diesen Zusammenhang ausgeschlossen. Die Bezeichnung intuitive Theorie wird nicht benutzt, da Intuition im Allgemeinen eine Eingebung oder eine unreflektierte Erkenntnis meint. Für intuitive Theorien hätte das zur Folge, dass sie von Kindern generell nicht reflektiert werden können. Naiv hingegen impliziert das Natürliche und Unbefangene, aber auch - und deshalb hier die Entscheidung für diese Bezeichnung - das Kindliche. Das Augenmerk dieser Arbeit liegt auf den Konzepten von Grundschüler/-innen und nicht auf Konzepten von Erwachsenen. Die Bezeichnung der naiven Theorie ist die in diesem Bereich am stärksten verbreitete Begrifflichkeit im deutschen Sprachraum. Trotz der unterschiedlichen Bezeichnungen wie folk, commonsense oder naive theory werden sie alle als Theorien klassifiziert. Damit stellt sich die Frage, welchen Theoriebegriff die Autor/-innen jeweils zugrunde legen. Allgemein definiert sind Theorien Aussagensysteme, die es den Anwender/-innen ermöglichen, Ausschnitte aus der Realität zu beschreiben oder künftige Ergebnisse prognostizieren zu können (vgl. Weißeno, 2015). Eine gute Theorie muss für den Anwender plausibel, inhaltlich konsistent, inhaltlich bewährt und gehaltvoll sein. Wellman und Gelman definieren naive Theorien im Allgemeinen als das durchschnittliche Verständnis von abgegrenzten Informationskonzepten von Nicht-Wissenschaftler/-innen (vgl. Wellman & Gelman, 1998, S. 524). Naive Theorien erfüllen für die Anwender/-innen die Funktion einer Theorie. Aus inhaltlicher Sicht handelt es sich jedoch nicht um wissenschaftliche Theorien, wie sie beispielsweise die Politikwissenschaft hervorbringt. Wichtiger jedoch als die Definition, sind die Kennzeichen, die eine naive Theorie aufweisen muss: [ ] whether children honor ontological distinction among these domains, whether children use distinctive causal principles in reasoning about these domains, and whether children s beliefs within a domain appeal to unobservable, underlying constructs and cohere into interconnected networks or reasoning (Wellman & Gelman, 1998, S. 525). Für den deutschen Sprachraum überträgt Mähler dies folgendermaßen: Theorien setzen ein kohärentes Wissen in einem spezifischen Inhaltsbereich voraus. Wichtige Begriffe und ontologische Unterscheidungen müssen zweifelsfrei definiert und ein kausaler Erklärungsapparat für die Phänomene im Bereich der Theorie muss vorhanden sein (Mähler, 1999, S. 53f). die Kohärenz und kausale Erklärungen sind Eigenschaften, die einer Theorie zugeschrieben werden. Leitend ist für die Definition naiver Theorien die Frage, inwieweit die Konzepte der Kinder den Anforderungen einer bereichsspezifischen Theorie genügen (vgl. Mähler, 1999, S. 54).

14 2 Naive Theorien als kognitives Konzept bei Kindern Wenn sich per Definition das Konzept der naiven Theorien von der Stadientheorie primär darin unterscheidet, dass es keine globalen Veränderung in der Entwicklung postuliert, sondern von Änderungen in einzelnen Domänen ausgeht also bereichsspezifisch ist, stellt sich als weitere Frage, wie diese Bereiche oder Domänen definiert sind. Allerdings ergeben sich dabei einige Probleme, die sich wie folgt charakterisieren lassen: In spite of the wealth of research, curiously we lack an explicit and well-articulated account of what a domain is. It is easier to think of examples of a domain than to give a definition of one (Hirschfeld & Gelman, 1994, S. 21). Da in diesem Forschungsfeld keine verbindliche Definition von Domänen vorliegt, geben Hirschfeld und Gelman eine, wie sie sagen, unkontroverse Beschreibung des Domänenbegriffs: A domain is a body of knowledge that identifies and interprets a class of phenomena assumed to share certain properties and to be of a distinct and general type. A domain functions as a stable response to a set of recurring and complex problems faced by the organism. This response involves difficult-to-access perceptual, encoding, retrieval, and inferential processes dedicated to that solution (Hirschfeld & Gelman, 1994, S. 21). Domänen lassen sich zunächst aber wie folgt charakterisieren. Sie dienen folglich als Anhaltspunkt für die Klassifizierung der Welt erklärendes Grundgerüst: Phänomene einer Domäne teilen relevante Eigenschaften miteinander zweckmäßige und weit verbreitete Devisen: Wissensdomänen bieten Annahmen zu immer wiederkehrenden Problemen angeborene Mechanismen (vgl. Hirschfeld & Gelman, 1994, S. 22). Wellman und Gelman weisen auf die verschiedenen Bedeutungen des Domänenbegriffes hin, erachten aber eine Definition als relevant für die naiven Theorien. Unter den Domänen naiver Theorien verstehen sie unterschiedlich organisierte Wissens- und Glaubenssysteme. Naive theories that carve phenomena into differing organized systems of knowledge and belief, such as biology or psychology (Wellman & Gelman, 1992, S. 340). Eine Definition der gleichen Art findet sich bei Gopnik und Wellmann: A domain is what your framework theory tells you it is (Gopnik & Wellman, 1994, S. 287). Diese Definitionen haben einen tautologischen Charakter, da sie Domänen durch naive Theorien festlegen. In anderen Arbeiten werden die Domänen nicht definiert, sondern lediglich die Auswahl der Domänen Physik, Psychologie und Biologie begründet. Diese Domänen finden sich bereits in den Arbeiten von Piaget (vgl. Wellmann & Gelman,

2.1 Allgemeine Modelle naiver Theorien 15 1998, S. 524), was als Begründung der Auswahl angeführt wird. Sodian begründet die Auswahl der oben genannten Domänen mit ihrer Wichtigkeit für das Realitätsverständnis (vgl. Sodian, 1998, S. 632). Wellman und Gelman argumentieren in eine ähnliche Richtung, wenn sie davon ausgehen, dass es Domänen gibt, die für das Überleben und die alltäglichen Interaktionen notwendig sind (vgl. Wellmann & Gelman, 1998, S. 524). Es zeigt sich, dass generell keine Definition im herkömmlichen Sinne für die Domänen naiver Theorien vorliegt und die Begründungen der Auswahl für einige Domänen unvollständig sind. Gleichwohl scheint ein Konsens in piagetscher Tradition, zumindest bei den hier zitierten Autor/-innen, vorzuherrschen. Uneinigkeit herrscht in der Frage, inwiefern diese drei Domänen miteinander in Beziehung stehen. Physik und Psychologie gelten als bereits recht früh in der kindlichen Entwicklung vorhanden. Bezüglich der Biologie gibt es unterschiedliche Positionen. Ältere Ansätze wie von Carey (1985) vertreten die Position, dass sich die Domäne der Biologie erst im Alter von etwa zehn Jahren vollständig entwickelt und zuvor Begründungen unter Zuhilfenahme der Psychologie konstruiert werden. Hatano und Inagaki (1994) nehmen an, dass Kinder, früher als von Carey postuliert, in der Lage sind, biologisch zu begründen. Keil geht davon aus, dass eine naive Theorie der Biologie bereits angeboren sei (vgl. Hatano & Inagaki 1994, S.172). Vorherrschend gilt heute die Position von Hatano und Inagaki als akzeptiert und wird auch von Mähler in Deutschland vertreten. Hatano und Inagaki weisen darauf hin, dass zwar naive Theorien in anderen Domänen entwickelt wurden, ihnen aber nicht die gleiche Bedeutung zugemessen werden wie den Theorien der Biologie, der Physik und der Psychologie. So sind Theorien in den Bereichen Astronomie (vgl. Vosniadou, 1994, S. 412fff), Gesellschaft und Rassismus (vgl. Hirschfeld, 1994, S. 206ff) in der Literatur vertreten. Anhand der vorliegenden Definitionen und Charakterisierungen von Domänen erschließt sich jedoch keine Beschränkung auf die bereits genannten Domänen. In einer engen Verbindung zur Domänenspezifität stehen die ontologischen Unterscheidungen der naiven Theorien. Sie beschreiben das Wesentliche, den Kern einer Domäne. Ontologische Unterscheidungen stellen somit die Kriterien dar, die es ermöglichen, Domänen voneinander abgrenzen. Im Sinne der naiven Theorien bedeutet es, dass nur dann von einer naiven Theorie ausgegangen werden kann, wenn die Kinder in der Lage sind, die domänenspezifische ontologische Unterscheidung vorzunehmen. Ontologische Unterscheidungen sind nicht nur im Rahmen der naiven Theorien von Bedeutung, sondern sie grenzen auch politikdidaktische Theorien von anderen domänenspezifischen Theorien ab (vgl. Weißeno, 2015).

16 2 Naive Theorien als kognitives Konzept bei Kindern Tabelle 1: Ontologisches Wissen und die Bedeutung für den Lernprozess Domäne Physik Ontologisches Wissen Materie Bedeutung für den Lernprozess Unterscheidung zwischen sich selbst und den Objekten der Umwelt Biologie Psychologie Leben Geist Unterscheidung zwischen lebenden und nicht lebenden Wesen. Unterscheidung zwischen Geist und Welt, d.h. zwischen Gedanken und Realität. (nach Mähler, 1999) Für die breiter erforschten Domänen Physik, Biologie und Psychologie lassen sich bereits verschiedene Ergebnisse aufzeigen. Die folgenden Ansätze werden unter anderem deshalb dargestellt, um festzustellen, ab welchem Alter bereits domänenspezifisches Wissen erkennbar ist. 2.2 Naive Theorien der Physik, Biologie und Psychologie In der Domäne Physik gehen erste Untersuchungen über kindliche Konzepte auf Piaget zurück. Gemäß der Theoriedefinition im Bereich naiver Theorien werden die Schwerpunkte der Untersuchungen auf das ontologische Wissen und das Verständnis physikalischer Kausalität gelegt. Als ontologisches Wissen in der Domäne der Physik gilt das Wissen über Materie. Das Kind muss als Grundvoraussetzung zwischen sich selbst und Objekten der Umwelt unterscheiden können - also ein Objektkonzept besitzen. Als weitere wesentliche ontologische Unterscheidung entwickelt sich die Abgrenzung zu immateriellen Objekten, d.h. das Kind muss zwischen realen, materiellen und fiktiven, immateriellen Objekten unterscheiden lernen (vgl. Mähler, 1999, S. 55f). Uneinigkeit herrscht über den Ursprungszeitpunkt des Wissens. Spelke (1991) nimmt an, dass das Objektkonzept angeboren sei. Andere gehen davon aus, dass ein physikalisches Konzept zwar recht früh im Säuglingsalter entsteht, aber dennoch nicht angeboren sei. Baillargeon (1995) vertritt die These, dass Kinder kein angeborenes Wissen über physikalische Aspekte besitzen, sondern mit domänenspezifischen Lernmechanismen ausgestattet sind (vgl. Wellmann & Gelman, 1998, S. 536). Entgegen der Vermutung von Piaget ergeben neuere Studien, dass bereits Säuglinge über ein Objektkonzept verfügen. Während Piaget davon ausging, dass das Objektkonzept sich in der sensomotorischen Phase erst noch entwickeln

2.2 Naive Theorien der Physik, Biologie und Psychologie 17 müsse, implizieren neuere Ergebnisse, dass ein Objektkonzept entweder angeboren sein oder sich sehr früh entwickeln muss (vgl. Mähler, 1999, S. 54). Spelke (1991) führt im Bereich der Säuglingsforschung Experimente durch, in denen die Beobachtungsdauer von physikalisch möglichen und unmöglichen Ereignissen als Indikator dafür gewertet wird, inwiefern die Kinder bereits eine Konzeption davon besitzen. Säuglinge reagieren mit verlängerter Beobachtungszeit auf physikalisch unmögliche Ereignisse. Untersucht werden die Konzeptionen von Objektbewegungen, unter anderem die Frage nach der Solidität und Kontinuität von Objekten, der Schwerkraft und der Trägheit. Zuerst entwickelt sich ein Konzept im Bereich der Kontinuität. Kinder erwarten bei Bewegungsabläufen, dass das Objekt seine Bewegungsbahn ungehindert beibehält und dass Objekte außerhalb des Blickfeldes nicht verschwinden. Diese Beobachtung lässt sich bereits an zweieinhalb Monate alten Säuglingen machen. Erst im Alter von sechs Monaten kann bei Säuglingen eine beginnende Sensibilität für Schwerkraft und Trägheit von Objekten festgestellt werden, die allerdings auch noch mit acht bis zehn Monaten recht unstetig ist (vgl. Spelke, 1991, S. 133fff). Der Dichte- und Massebegriff entwickelt sich erst später. Vorschulkinder vertreten noch die Annahme, dass durch das Teilen eines Objektes letzten Endes ein Stück entsteht, das kein Gewicht mehr hat. Der Massebegriff entspricht noch nicht dem der Erwachsenen, beziehungsweise dem Physikalischen, sondern er geht vom fühlbaren Gewicht aus. Masse hat ein Objekt nach kindlichem Verständnis dann, wenn man es in der Hand fühlen kann. Die Unterscheidung zwischen der Masse eines Objektes und der spezifischen Masse eines Stoffes, also der Dichte, ist für Grundschüler/-innen kaum zu bewerkstelligen. Die Erkenntnis, dass zwei Stoffe bei unterschiedlichem Volumen die gleiche Masse haben können, aber zwei Stoffe mit gleichem Volumen nicht die gleiche Masse haben müssen, ist für sie schwer nachzuvollziehen (vgl. Sodian, 1998, S. 641f). Grundschüler/-innen besitzen noch kein Verständnis von Luft. Da sie kaum wahrnehmbar ist, wird ihr keine der physikalischen Eigenschaften Masse und Volumen zugeschrieben. Bereits im Vorschulalter entwickelt sich hingegen die Fähigkeit, materielle von immateriellen Objekten zu unterscheiden. Den Kindern wird bewusst, dass ein reales Objekt, im Gegensatz zu einem fiktiven Objekt, nicht der mentalen Manipulation unterliegt. Ab dem zwölften Lebensjahr, entsprechen die physikalischen Vorstellungen der Kinder denen von Erwachsenen (vgl. Hasselhorn & Mähler, 1998, S. 79). Für den Bereich der Physik lassen sich exemplarisch die unterschiedlichen Ansätze des weichen und harten conceptual change aufzeigen. Hier stehen sich die These des enrichment, also der Bereicherung des Wissens und die These des conceptual change, also des Konzeptwechsels in einigen Arbeiten noch gegenüber. Kleickmann (2008) nimmt heute an, dass beide unterschiedliche Ausprä-

18 2 Naive Theorien als kognitives Konzept bei Kindern gungen des conceptual change darstellen. Physical reasoning and object perception do not, however, undergo revolutionary changes over human development. They develop through a process of enrichment around core principles that are constant (Spelke, 1991, S. 135). Die These der Bereicherung geht davon aus, dass die Konzepte des Kindes bereits kompatibel mit denen von Erwachsenen seien und sich deshalb auch problemlos in deren Sprache und Ausdrucksweise übertragen lassen. Die naive Theorie eines Kleinkindes wird durch enrichment also durch Bereicherung zur Theorie eines Erwachsenen ergänzt. Voraussetzung hierfür ist, dass bereits Kinder über die richtigen Konzeptionen verfügen. Die Gegenposition beruft sich darauf, dass Kinder Fehlkonzepte im physikalischen Bereich besitzen, von denen sie sich schwer nur wieder abbringen lassen (vgl. Kuhn, 1989, S. 675). Diese alternativen Konzepte decken sich nicht mit dem konventionellen Physikverständnis. Folglich können sie nicht durch enrichment zu einem fachlich richtigen Konzept ergänzt werden. Beispiele für solche alternativen Interpretationen stellen das Weltbild von Kindern dar, das zuerst geozentrisch ausgerichtet ist, die Erde als Scheibe sieht und sich erst später zu dem wissenschaftlich gültigen heliozentrischen Weltbild mit der Annahme der Kugelgestalt der Erde entwickelt (vgl. Sodian, 1998, S. 639ff). Die Flugbahn von Geschossen gehört ebenfalls zu den häufigen Fehlannahmen. So wird die Flugbahn einer Kugel, die durch eine c-förmige Röhre geleitet wird, häufig durch eine gebogene Linie beschrieben, obwohl die Kugel einer geraden Linie folgt. Diese Fehlannahme ist jedoch nicht nur bei Kindern verbreitet, sondern hält sich sogar noch bei Erwachsenen (vgl. Goswami, 2001, S. 210). Carey, die sich dem Prinzip des conceptual change anschließt, führt diese These noch weiter und beschreibt die Entwicklung, die ein Kind durchläuft, als ähnlich der Entwicklung der Wissenschaft in der Geschichte. Gegner dieser Theorie wenden dagegen ein, dass die kindliche, intuitive Theorie sich von der Wissenschaft drastisch unterscheide und ein Vergleich deshalb nicht möglich sei (vgl. Sodian, 1998, S. 643). Die Bedeutung der psychologischen Interpretation im täglichen Leben ist sowohl für Kinder als auch für Erwachsene groß. Das Einschätzen oder Vorhersagen von Handlungen eines anderen fällt in die Domäne der Psychologie und wird von allen Altersklassen angewandt. Die Alltagspsychologie, wie sie bei Erwachsenen bezeichnet wird, stellt ein eigenes Forschungsfeld dar. Gerade aber in dieser Domäne sind selbst Erwachsene nicht vor Fehlkonzepten und Missinterpretationen gefeit (vgl. Furnham, 1988, S. 72). Die naive Psychologie gehört ebenso wie die Physik zu den basalen naiven Theorien, deren frühes Vorhandensein als anerkannt gilt. Auch hier stehen die neueren Forschungen konträr zu den Ergebnissen Piagets. Während er Vorschüler/-innen als Realisten bezeichne-

2.2 Naive Theorien der Physik, Biologie und Psychologie 19 te, die noch nicht in der Lage seien, zwischen physikalischen und mentalen Phänomenen zu unterscheiden, gilt dies heute als überholt (vgl. Wellman & Gelman, 1998, S. 538). Naive Psychologie wird in diesem Zusammenhang durch Wellman und Gelman folgendermaßen definiert: Naive psychology focuses on our everyday understanding of psychological states and experience. It is thus one aspect of social cognition [ ], a topic that includes understanding of social relationships such as kinship, social groups such as families, social institutions such as schools and government, and social conventions such as manners and morals (Wellman & Gelman, 1998, S. 538). Eine Zusammenfassung der naiven Psychologie als Bereich, der sich für das Verständnis psychologischer Zustände verantwortlich zeigt, ist recht allgemein und beschreibt nur den Großrahmen dieser Domäne. Die Bezeichnung theory of mind steht in einem engen Zusammenhang mit der naiven Psychologie. Während die naive Psychologie sich ausschließlich auf Kinder bezieht, ist dies bei der theory of mind nicht der Fall. Die Fähigkeit sich selbst und anderen Geisteszustände zuschreiben zu können, wird allgemein als theory of mind bezeichnet (Wellman & Gelman, 1992, S. 353). Diese Fähigkeit wird unter normalen Umständen bereits im Kindesalter erworben und setzt die Unterscheidung zwischen der Welt und einer mentalen Repräsentation voraus (vgl. Mähler, 1999, S. 58). Die Terminologie zeigt den ontologischen Kern dieser Domäne auf die Unterscheidung zwischen Geist und Welt, also Gedanken und Realität. Sie impliziert eine Form der Empathiefähigkeit und des Transferdenkens. Die wichtigsten Aspekte hierfür sind Wünsche und Glauben/Annahmen. Sie werden benötigt, um das Handeln Anderer einschätzen oder voraussagen zu können. Wellman und Gelman bezeichnen dies zusammen mit dem Handeln als Trias. The fundamental, albeit common idea is that people engage in actions because they believe those actions will satisfy certain desires (Wellman & Gelman, 1998, S. 539). Handeln beruht also auf dem Glauben, dass damit eine Bedürfnisbefriedigung einhergeht. In diesem Zusammenhang steht auch der zweite wichtige Aspekt der naiven Psychologie, das Konzept der Überzeugung oder concept of belief. Annahmen über das Verhalten anderer basiert auf der Überzeugung davon, was sie glauben. Entsprechen die Annahmen der Wahrheit, gibt es keine Probleme. Besitzt die handelnde Person aber falsche Annahmen über einen Aspekt, so muss dies in der Einschätzung ihres Handelns berücksichtigt werden. Diese Fähigkeit wird als Konzept des falschen Glaubens oder concept of false belief bezeichnet. Erste Ansätze bezüglich der Unterscheidung zwischen Gedanken und Realität finden sich bereits bei Kindern unter zwei Jahren. Sie führen Symbol- und Fiktionsspiele (pretend play) durch, in denen ein Holzklotz als Auto fungiert, ohne den Klotz tatsächlich für ein Auto zu halten (vgl. Sodian, 1998, S. 645). Dreijährige können klar zwischen Realität und Fiktion unterscheiden und sind

20 2 Naive Theorien als kognitives Konzept bei Kindern sich bewusst, dass zur Veränderung physikalischer Objekte physikalische Kräfte wirken müssen und zur Veränderung mentaler Objekte nur mentale Kräfte in der Lage sind (vgl. Wellman & Gelman, 1998, S. 351). Diese Differenzierung erfolgt anhand sensorischer Kriterien (Gedanken kann man nicht anfassen) und als Aspekt der Privatheit (vgl. Mähler, 1999, S. 58). Experimente zeigen, dass Dreijährige das Konzept des falschen Glaubens noch nicht besitzen. Anhand von Geschichten oder Experimenten und anschließenden Testfragen wird diese Fähigkeit überprüft. So wird einem Kind beispielsweise eine Smarties -Schachtel gezeigt. Im Anschluss daran wird gefragt, was die Schachtel wohl enthalte. Die Antwort dürfte normalerweise dem zu erwartenden Inhalt entsprechen. Anschließend öffnet der Versuchsleiter die Schachtel, die aber nicht die zu erwartenden Gegenstände enthält, sondern Stifte. Danach folgt die Testfrage, was denn der Freund, der vor der Tür steht, antworten würde, was in der Schachtel sei. Die große Mehrheit der Dreijährigen kann den falschen Glauben noch nicht berücksichtigen und antwortet, dass der Freund annimmt, dass Stifte enthalten seien. Ihnen selbst ist anschließend ebenfalls nicht mehr bewusst, dass sie bis vor kurzem selbst noch im falschen Glauben über den Inhalt der Schachtel waren. Erklärungen für dieses Phänomen gibt es verschiedene (vgl. Sodian, 1998, S. 646). Im Alter von vier Jahren sind die Kinder in der Lage, die falschen Annahmen zu berücksichtigen und können damit Handlungen anderer Personen vorhersagen oder sie rückwirkend begründen (vgl. Wellman & Gelman 1992, S. 353). Sie sind in der Lage zu mogeln und Täuschungsstrategien anzuwenden (vgl. Sodian, 1998, S. 647). Mähler spricht sogar von einer charakteristischen Wende, da Kinder jetzt zur Metarepräsentation fähig seien und erkennen können, dass die Welt von Individuen unterschiedlich repräsentiert wird. Dennoch entspricht dies noch nicht dem qualitativen Stand von Erwachsenen (vgl. Mähler, 1999, S. 59). Studien zum Entwicklungsverlauf über das Vorschulalter hinaus gibt es kaum (vgl. Sodian, 1998, S. 649). Im Alter zwischen sechs und neun Jahren entwickelt sich das Verständnis dafür, Aussagen wie ich glaube, du weißt nicht, dass ich gesehen habe (Hasselhorn & Mähler, 1998, S. 82) zu verstehen. Kinder sind dann in der Lage zwischen Scherz und Lüge zu differenzieren und ironische Bemerkungen zu erkennen. Hierzu benötigen sie die Fähigkeit, zu realisieren, dass der Sprecher etwas anderes meint, als er sagt. Auch vorgespielte Emotionen können identifiziert werden (vgl. Hasselhorn & Mähler, 1998, S. 82). Insgesamt ist sicherlich davon auszugehen, dass zunehmendes psychologisches Wissen im Grundschulalter sowohl wachsende soziale Kompetenzen als auch ein zunehmend besseres Verständnis für die notwendigen mentalen Aktivitäten beim Lernen mit sich bringt (Hasselhorn & Mähler, 1998, S. 82).

2.2 Naive Theorien der Physik, Biologie und Psychologie 21 Bereits seit den 1920er Jahren ist das biologische Wissen von Kindern ein Forschungsthema der Psychologie ausgelöst durch die Animismusthese Piagets. Forschungen im Bereich der naiven Theorie setzen ihren Schwerpunkt per Definition auf den ontologischen Aspekt der Biologie, die Unterscheidung zwischen lebenden und nicht lebenden Objekten. Die Ergänzung der Domänen Physik und Psychologie durch die Domäne der Biologie geht auf Arbeiten von Wellman und Gelman zurück (vgl. Hatano & Inagaki, 1994, S. 172). Nach Hatano und Inagaki sind folgende drei Aspekte konstituierend für eine naive Theorie der Biologie: The first is knowledge enabling one to specify objects to which biology is applicable, in other words, knowledge about the living-non-living distinction, and also about the mind-body distinction. The second is a mode of inference which can produce consistent and reasonable predictions or attributes of behaviours of biological kinds. The third is a non-intentional causal explanatory framework for behaviours needed for individual survival and bodily processes (Hatano & Inagaki, 1994, S. 172). Naive Biologie konstituiert sich also dadurch, dass sie die Unterscheidung von lebend und unbelebt sowie auch zwischen Körper und Geist eröffnet. Sie muss es ermöglichen, biologische Vorhersagen treffen und Erklärungen für eigenes Verhalten und Körpervorgänge liefern zu können. Die Funktionen dieser Domäne werden von Hatano und Inagaki wie folgt beschrieben: Die Domäne der naiven Biologie ist für das alltägliche Lösen biologischer Probleme nützlich. Sie hilft den Kindern, sich um Tiere und Pflanzen, aber auch um sich selbst zu kümmern. Des Weiteren befähigt sie Kinder, Sinn in die biologischen Phänomene des alltäglichen Lebens zu bringen (vgl. Hatano & Inagaki, 1994, S. 179). Während die physikalische Domäne weitgehend als autonom anerkannt und ihre Entstehung auf die Geburt oder das frühe Säuglingsalter datiert wird, ist bisher unklar, wann und wie sich die biologische Domäne entwickelt. Keil nimmt an, dass eine biologische Domäne von Anfang an vorhanden sei (vgl. Mähler, 1999, S. 58). Die mehrheitliche Einschätzung geht jedoch in die Richtung, dass eine biologische Domäne sich erst nach der physikalischen und psychologischen Domäne entwickelt. Eine weitere Annahme beruht darauf, dass sich die Biologie aus einer bereits vorhandenen Domäne entwickelt. Die Entwicklung der Biologie aus der Physik gilt als unwahrscheinlich. Um biologische Aspekte mit Hilfe der Physik zu interpretieren, darf die Unterscheidung zwischen lebend und nicht-lebend noch nicht vorhanden sein. Studien zeigen jedoch, dass dies bereits sehr früh der Fall ist. Carey geht von der Entwicklung der biologischen aus der psychologischen Domäne aus. Sie fixiert das Entstehen einer

http://www.springer.com/978-3-658-09115-6