Predigt über Mi 5,1-4a, Weihnachten (25./26.12.10), Muggardt/Britzingen/Dattingen Liebe Schwestern und Brüder! Drei Weise von weit her sind auf der Suche nach dem neugeborenen König der Juden. Sie wollen sich vor ihm niederwerfen und ihn anbeten. Offensichtlich hat dieser König eine Bedeutung, die weit über das Land hinausgeht. Seine Geburt ist wahrhaft weltbewegend. Er ist der Messias, der Christus, der verheißene Retter. Mit seiner Geburt hat sich die Zeitenwende vollzogen. Ihr Weg führt die drei Weisen zunächst nach Jerusalem, die Hauptstadt Israels, in den prächtigen Palast von König Herodes. Dort fragen sie nach, wo der neugeborene Herrscher zu finden sei. Schriftgelehrte werden zu Rate gezogen. Sie finden beim Propheten Micha einen Text, der den Weg zu dem neuen König zu weist. Ich lese aus Mi 5: Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein. Bethlehem, die Geburtsstadt von David, dem König Israels schlechthin. Der Stammbaum Jesu, der im Matthäusevangelium überliefert ist, führt über Josef und Serubbabel direkt auf David zurück. Für die Verfasser der Evangelien, die sich in der hebräischen Bibel gut auskennen, sind die Bezüge völlig klar: Nirgendwo anders als in Bethlehem kann Jesus geboren werden. Micha spricht in seiner Verheißung von Jesus. Die, welche gebären soll, ist niemand anderes als Maria, seine Mutter. Für Christen ist das die naheliegende Deutung des Textes. Und wir dürfen den Text für uns auch so auslegen, solange wir nicht behaupten, dass dies die einzig mögliche oder einzig richtige Deutung sei. Die Juden lesen die Verheißungen ihrer Propheten in der Regel anders und sie haben das ältere Recht an der hebräischen Bibel. Viel zu oft und viel zu lange haben Christen ihnen dieses Recht streitig gemacht. In einer ersten Annäherung lege ich deshalb den Text auf dem Hintergrund seiner vermutlichen Ursprungssituation aus. In den vorangehenden Versen ist die Tochter Zion, also Jerusalem angesprochen. Sie leidet Not, denn sie liegt in Wehen. Die Bevölkerung wird hinaus auf s Feld und von dort aus nach Babylonien vertrieben werden. Einmal mehr klingt das babyloni- 1
sche Exil im 6ten Jahrhundert vor Christus an. Zion trauert, denn ihr König wird von den Feinden gedemütigt. Nun wendet sich der Blick von Jerusalem ab: Du aber Bethlehem, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei. Ohne dass sein Name erwähnt wird, sind die Anklänge an David deutlich. Allerdings ist keiner seiner aktuellen Thronfolger gemeint. Die kommen bei Micha durch die Bank schlecht weg. Auch Serubbabel, der Statthalter zur Zeit des Wiederaufbaus des Tempels ist wohl nicht gemeint. Das Michabuch formuliert bewusst zurückhaltend. Der kommende Herrscher ist von Ewigkeit her. Er knüpft an die Ursprünge an, an die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob, an die Zeit des Auszugs aus Ägypten oder eben an König David. Micha hat hier keine kurzfristige Tagespolitik im Blick. Deutlich ist darüber hinaus, dass der Kommende seine Herrschaft eng verbunden mit Gott ausüben wird. Aus dir soll mir kommen, der in Israel Herr ist. Der zweite Vers bereitet den Auslegenden bis heute Kopfzerbrechen. Deshalb lässt er sie plagen oder genauer deshalb gibt er sie hin nämlich in die Hand der Feinde. Der Bezug zu der vorangehenden Verheißung ist unklar. Ein Bibelwissenschaftler schlägt vor, im Geist ein nur noch zu ergänzen. Deshalb gibt er sie hin nur noch bis zu der Zeit, da die Gebärende geboren hat. Wenn Zion ihre Geburtswehen überstanden haben wird, dann wird der ersehnte Herrscher kommen. So oder so drückt sich in diesem Teil ein Stück biblischer Realismus aus. Not und Elend, Krieg und Vertreibung gehören zur Gegenwart dazu. Das Ende der Not lässt auf sich warten. Warum und wie lange, weiß allein Gott. Das deshalb bleibt vorerst ohne Bezug. Allerdings liegt ein Teil der Antwort im Verhalten der Menschen begründet. Allzu oft steht es dem Willen und dem Heil Gottes im Weg. Micha verbindet das Ende der Not mit der Rückkehr des Restes der Brüder. Der Rest, das sind die Hoffnungsträger. Die Juden, die im babylonischen Exil leben und dort den Glauben an den Gott Israels wach halten. Die ihm dort entscheidende Impulse geben, indem sie zum Beispiel die Tora, den ersten Teil der Bibel, zusammenstellen und aufschreiben. Wenn sie zurückkehren, dann wird der Kommende seine Herrschaft antreten. Und sie werden wohnen, denn jetzt ist er groß. Jetzt der Prophet nimmt die kommende Wirklichkeit vorweg. In dieser Wirklichkeit werden die Menschen wohnen. Sie müssen nicht mehr in einem vom Krieg zerstörten Land oder irgendwo in der Fremde hausen, sondern sie können endlich wieder wohnen. Luther übersetzt sachgemäß: Sicher wohnen. Die Menschen werden Heimat finden und ohne Angst leben. 2
Und er wird der Friede sein. Oder: Und das wird der Friede sein. Diese Worte eröffnen den nächsten Abschnitt, in dem die Rettung vor den Assyrern, einem anderen Großreich beschrieben wird. Aber ob als Abschluss des einen oder Auftakt des nächsten Abschnitts gelesen: Schalom beschreibt viel mehr als nur die Abwesenheit von Krieg. Dieser Frieden ist ein Zustand umfassenden Heils. Dann, wenn Gott seine Herrschaft vollständig durchgesetzt haben wird. Das ist es, wonach sich die Menschheit, ja die ganze Schöpfung bis heute sehnt. Und das ist es, was die drei Weisen aus dem Morgenland suchen. Ihr Weg führt sie zunächst nach Jerusalem, in die Hauptstadt. Der Herrscher allerdings wird aus einer kleinen Stadt hervorgehen. Du aber Bethlehem, die du die kleinste bist unter den Städten in Juda. Auch wenn Matthäus ein keineswegs in das Zitat einfügt, ist doch deutlich, dass ausgesagt wird, dass das kleine Bethlehem große Bedeutung erlangen wird. Gott schätzt das Kleine nicht gering, sondern lässt aus dem Kleinen Großes entstehen. Es ist nicht so, dass die drei Weisen keinen Blick dafür hätten. Immerhin sind sie nach Israel in einen weltpolitisch völlig unbedeutenden Kleinstaat gereist. Zu der Zeit war der nicht einmal mehr ein eigener Staat, sondern nur noch eine römische Provinz. Aber dieses kleine Volk ist es eben, das Gott sich erwählt hat. Das gleiche Muster wiederholt sich bei Israels König. David ist der kleinste unter seinen Brüdern. Doch er wird als der größte König Israels in das Gedächtnis des Volkes eingehen. Auf ihn führen sich alle Könige zurück, die in Jerusalem auf dem Thron sitzen. Und selbst der Stammbaum Jesu führt sich auf ihn zurück. Gott lässt aus dem Kleinen Großes entstehen. Der erwachsene Jesus wird diesen Gedanken in seinem Gleichnis vom Senfkorn aufnehmen. Das Reich Gottes gleicht einem Samen so winzig wie ein Senfkorn, aus dem eine große Pflanze hervorgehen wird. Hätte er heute ein passendes Gleichnis gesucht, wäre er vielleicht auf den Urknall gestoßen. Ein winziger Punkt, aus dem das ganze Universum hervorgeht. Im Kleinen liegen die Möglichkeiten für das Große begründet. Der kleine Punkt am Beginn des Universums hatte eine unendliche Masse. Im Samen ist bereits die gesamte Erbinformation für die große Pflanze. Und auch der Predigttext ist ein passendes Beispiel: Ein kleiner Text aus einem kleinen Prophetenbuch, der eine Fülle von Sinn und Deutungsmöglichkeiten enthält und eine große Wirkung entfaltet hat. Gott sieht die Möglichkeiten, die im Kleinen begründet liegen. Er schätzt sie wert und bringt sie zur Entfaltung. Im Konfirmandenunterricht haben wir uns mit dem Thema Predigt befasst und in diesem Zusammenhang den Text gelesen. Einige Konfirmandinnen wären auf diesen Gedanken einge- 3
gangen, wenn sie über den Text zu predigen hätten. Sie übertragen den Retter Israels in ihre Wirklichkeit und kommen zu dem Schluss: Ein Mensch kann schon durch kleine Dinge ein Retter werden. Als Beispiel nennt diese Konfirmandin Hilfe bei den Hausaufgaben. Und eine andere schreibt: Es kommt der Retter. Für jeden gibt es einen anderen Retter: Für Kinder in Not Essen und Wärme, für Einsame einen Freund und für die Israeliten gab es Jesus. Der Herr schickte ihn, um Israel zu helfen in der Not. Solche Ideen für die kleinen Retter lenken den Blick auf das konkrete Tun, aus dem das Große hervorgehen kann. Dieses Tun ist nicht durch die Hoffnung auf die Heilsbringer der großen Politik zu ersetzen. Auch die Klugen und Unbestechlichen, die es trotz allem ja gibt, schaffen es offenkundig nicht, für Frieden und Heil zu sorgen. Ich bin von Barack Obama nicht enttäuscht, sondern ich denke, dass die Erwartungen an ihn überzogen waren. Und diejenigen, die zur Zeit Michas auf dem Thron Davids saßen, waren schon gar keine Heilsbringer. Jesus selbst ist nicht als großer Politiker, als Anführer einer Bewegung aufgetreten. Wohl hat er vielen Menschen das Evangelium verkündet. Aber er hat sich immer wieder den Einzelnen zugewendet, die seine Hilfe gebraucht haben. Er hat das konkrete Tun nicht vernachlässigt, sondern die Liebe zu jedem einzelnen Nächsten gelebt. Er hat das Kleine wertgeschätzt. Er ist auf s Engste mit Gott verbunden. Seine Herrschaft ist nicht von dieser Welt. Und doch ist sie nicht rein jenseitig. Der Himmel freue sich, und die Erde sei fröhlich vor dem Herrn, denn er kommt. Der Psalm hält das als Tatsache fest. Er (oder es) wird der Friede sein. Jetzt ist er groß nimmt der Prophet die Wirklichkeit des kommenden Herrschers vorweg. Des Herrschers, der von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Am Anfang war das Wort. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit. Es ist geschehen. Mit der Geburt Jesu hat das Christentum seinen Anfang genommen. Ganz klein mit der Geburt eines Babies in einem erbärmlichen Stall in der kleinen Stadt Bethlehem im kleinen Israel. Und doch hat es eine große Wirkung entfaltet, hat es sich über weite Teile der Welt verbreitet und die Welt verändert. Und allen Religionskritikern zum Trotz sage ich: Das Christentum, der christliche Glaube hat die Welt zum Besseren verändert. Das Versagen der Christen, auf das sie immer wieder ihren Finger legen, gestehe ich zu. Die Kreuzzüge und die Hexenverbrennungen, die Religionskriege und die Intoleranz, die zum Teil heute noch herrscht. Doch am vergangenen Sonntag haben 4
wir an Menschen erinnert, die aus dem christlichen Glauben heraus Gutes bewirkt haben und bewirken. Menschen wie Albert Schweitzer, Dietrich Bonhoeffer oder Martin Luther King. Auch Menschen aus unserem direkten Umfeld; kleine Lichter, die Großes wirken. Die Liste hätte sich beliebig verlängern lassen. Menschen, die Jesus Christus als den Herrn anerkennen, der aus Bethlehem hervorgegangen ist. Die wie er das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe als das höchste anerkennen und umsetzen. Das sind für mich Hoffnungsträger. Aus ihrem Tun, wie klein es auch sei, wird Großes erwachsen. Gott schätzt das Kleine wert und beteiligt uns am Kommen seiner Herrschaft. Er wird die Menschen wohnen lassen und seinen heilvollen Frieden ausbreiten. Dafür steht die Geburt des Kindes in Bethlehem. Amen. Arnold Glitsch-Hünnefeld 5