Schon als kleines Mädchen sang sie im Chor der Kirche ihres Vaters.»Ich liebe Gospelmusik!«, betont sie in unserem Interview.»Gospelmusik bedeutet mir alles. Sie gehört zu meinen Anfängen, da ich aus einer religiösen Familie komme.«als sie in den späten 60er-Jahren zum Star wurde, verkörperte Aretha mit Herz und Seele den Sound der Soulmusik. Sie wurde zum Symbol eines neuen schwarzen Selbstbewusstseins in Zeiten der Bürgerrechtsbewegung, ihre Lieder drückten ungezügelte Leidenschaft und Liebesleid aus. Aretha strahlt, besonders als sie mir ihre Erfolgsjahre bei Atlantic Records in den 1960er- und 1970er-Jahren schildert.»jerry Wexler nahm mich bei Atlantic unter Vertrag«, erzählt sie mir an diesem Nachmittag stolz,»und natürlich verbrachte ich viele, viele wunderbare Tage im Studio
mit ihm. Jerry hat so viele Hits für mich produziert, einer davon war Respect. Dann war da [Co-Produzent] Arif Mardin, den ich sehr schätze und mit dem ich so gerne arbeite. Wenn Arif und ich zusammenarbeiten, entstehen magische Momente. Dann gab es noch den Tonmeister Tommy Dowd, den ich für einen der Besten seines Fachs halte. Der Mann kann im Studio wahre Wunder vollbringen.«arethas Image wurde größtenteils von den Songs geprägt, mit denen sie erfolgreich war. Sie ist die kompromisslose»erdmutter«, standfest und stark. Ihr Gesang ist schonungslos ehrlich und voller Emotionen, ihre Stimme unverkennbar rein, ungehemmt und aufwühlend. Ihr Name ruft das Bild einer Überlebenden hervor, die»respect«verlangt, ihrem Kerl drohend zuruft, dass er sein Hirn einschalten soll (»Think«), bevor er eine
andere ansieht, oder die einlädt zur Fahrt auf dem»freeway of Love«. Durch erschütternde persönliche Tragödien hat sie aber auch die Befähigung erlangt, den Blues zu singen. Aretha hat viel erreicht in ihrem Leben. Ihre ausdrucksstarke, fünf Oktaven umspannende Stimme hat ihr über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten zahlreiche Nummer-eins-Hits eingebracht von»respect«aus dem Jahr 1967 bis zu»i Knew You Were Waiting (For Me)«von 1987. Ihre überwältigenden Liveauftritte, die konkurrenzlosen 20 Grammys, die Filme und Videos, in denen sie mitspielte, die ausverkauften Konzerte, die weißen Rolls Royce und pinkfarbenen Cadillacs, die in der Öffentlichkeit breitgetretenen Liebesbeziehungen all dies sind Bestandteile ihres glamourösen Lebens als Superstar.
Doch es war nicht alles eitel Sonnenschein in ihrem Leben. Familiäre Schicksalsschläge, Bevormundung, Vorurteile, Schwangerschaften im Teenageralter, Gewichtsprobleme und emotionale Traumata führten zu Enttäuschungen, Verzweiflung und Frustration und zur strengen Abschottung ihres Privatlebens. In Jerry Wexlers Augen ist Arethas persönliches Schicksal so traurig, dass er sie»die geheimnisvolle Schmerzensdame«nennt. Clyde Otis gibt zu Protokoll, es hätte ihn in den 60ern gewundert, dass sie überhaupt singen konnte, weil sie damals unter Depressionen litt und wirkte, als trüge sie das Elend der ganzen Welt auf ihren Schultern. John Hammond sagte einmal, dass Aretha»schreckliches Pech«mit den Männern in ihrem Leben hatte und unter ihnen leiden musste.
Doch obwohl sie emotionale Narben davontrug, ist Aretha eine Überlebenskünstlerin. Es gelang ihr jedes Mal, den Schmerz ihrer persönlichen Tragödien in kreative Energie umzuwandeln, und es ist ihrer Entschlossenheit zu verdanken, dass sie ein Star wurde und auch blieb. Die Höhen und Tiefen ihres privaten und öffentlichen Lebens haben ihr offensichtlich eine innere Stärke verliehen, die sie durch schwere Zeiten trägt. Aretha spricht lieber über ihre Musik als über ihr Leben und jeder potenzielle Interviewer erhält eine Liste von Tabuthemen. An diesem Nachmittag in Arethas Haus erfahre ich einiges, was ich noch nicht über sie wusste. Aber einiges, was ich gerne gewusst hätte, bleibt mir aufgrund der»verbotliste«auch verborgen. So blieben u. a. folgende Fragen, die ich gern gestellt hätte,