Predigt zum 500. Geburtstag von Johannes Calvin Gehalten am 12.7.2009 in der Christuskirche Kassel-Wilhelmshöhe von Pfarrerin Astrid Thies-Lomb Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des hl. Geistes sei mit Euch allen. Über der heutigen Predigt stehen die Liedzeilen: Strahlen brechen viele aus einem Licht. Unser Licht heißt Christus und wir sind eins durch ihn. Liebe Gemeinde! Der Geburtstag des berühmten Genfer Reformators Johannes Calvin jährt sich in diesem Jahr zum 500.mal. Auf den ersten Blick wirkt Calvin streng, ernst, dunkel. Wer auf seinen Spuren in Genf wandelt, so wie ich es schon getan habe, muss das unwillkürlich denken. Auf der anderen Seite lässt sich gerade hier in Nordhessen entdecken, was für freundliche und helle Seiten der Calvinismus auch hat. Ich jedenfalls finde die Karlskirche hier in Kassel sehr schön, hell und freundlich. Ich liebe St. Ottilien. Die dortige Hugenottenkirche ist ein richtiges Kleinod und ich laufe gerne vom Predigerseminar in Hofgeismar aus in die Hugenottendörfer Carlsdorf und Schöneberg und last not least: Bad Karlshafen ist nicht nur im Calvinjahr mit seiner Ausstellung eine Reise wert. Bis heute ist es eine Bereicherung für unsere Region, macht sie geschichtlich interessant, dass einst Landgraf Carl jenen calvinistischen Flüchtlingen aus Frankreich, den Hugenotten, Zuflucht gewährte. Anders als der lebensfrohe deutsche Reformator Martin Luther war Calvin ein Asket, allerdings mit feiner, z.t. auch bissiger Ironie ausgestattet. Luther war vital mit seiner prächtigen Käthe an seiner Seite. Calvin und seine Frau waren zeitlebens kränklich. Was die beiden Reformatoren verband, obwohl sie sich nie persönlich begegnet sind, war die reformatorische Grundidee des sola scriptura: Allein, was in der Schrift steht, ist Inhalt der Verkündigung, Basis des christlichen Glaubens. Die Erkenntnis Gottes haben wir aus seinem Wort. Sie ist wahr und hat nichts Trügerisches. Um an Gott zu glauben, braucht es keine Lehren und Dogmen der Kirche, sondern das Wort allein! Dazu sei er einst in Frankreich als Student bekehrt worden, zu dieser reformatorischen Grundüberzeugung, dass das Wort Seite 1 von 5
allein zählt: Das Wort sie sollen lassen stahn. Calvin erwähnte solch eine Bekehrung in seinem späteren Leben. Für diese reformatorische Grundidee hat Luther die Reichsacht in Kauf genommen. Allerdings wurde der deutsche Reformator von den Fürsten protegiert. Der unvergleichliche Peter Ustinov spielte im Lutherfilm Friedrich den Weisen, der Luther auf der Wartburg versteckte. Calvin musste nach der Rede seines Rektors Nikolaus Cop an der Universität aus Paris fliehen. Manche Historiker meinen, Calvin selbst habe diese reformatorische Rede verfasst. Neben und nach Calvin gab es viele französische Glaubensflüchtlinge, denn dort wurden die Protestanten verfolgt. Das schlimmste, blutigste Datum war die Bartholomäusnacht 1572. Calvin flüchtete bereits 1533 und kam schließlich nach Genf. Zeitweise betreute er eine Flüchtlingsgemeinde in Straßburg. Als einer der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit, neben Luther und Erasmus von Rotterdam, wollte er eigentlich still und zurückgezogen als Gelehrter leben. Andererseits brannte in ihm aber ein besonderer Eifer für die Gedanken der Reformation. In Briefen an einflussreiche weltliche und kirchliche Fürsten verteidigte er sie. In der Kenntnis der hl. Schrift und ihrer Auslegung war Calvin Luther ebenbürtig. Schon vor 500 Jahren darin ist Calvin hochmodern stand für ihn das Alte Testament in gleichem Rang wie das Neue. Der Schöpfergott des Alten Testaments, der Gott, der uns aus dem Wort der Propheten verkündet wird und der Mose die 10 Gebote übergeben hat, ist derselbe Gott, der in Jesus Mensch geworden ist. Die Ruach, Gottes Atem und Geist im Alten Testament, sind eins mit dem Tröster, dem hl. Geist des Neuen Testaments. Die Lieder des Genfer Psalters sind wohl deshalb so schlicht und eindrucksvoll. In der Sonntagszeit titelt die HNA an diesem Wochenende: An Calvin scheiden sich die Geister! Ja, das ist so, weil gerade die größten, leuchtendsten Gedanken Calvins in ein dunkles Gegenteil hinein verkehrt werden können und er selbst war daran teilweise mitbeteiligt. So besitzt Calvins Lehre einer doppelten Prädestination einerseits etwas sehr Beruhigendes und Tröstendes für den, der an Christus glaubt. Andererseits macht die doppelte Prädestination Angst und gibt Menschen der Verlorenheit preis. Was heißt doppelte Prädestination? Calvin sagt, es ist alles vorherbestimmt. Ob du reich oder arm bist, gesund oder krank und ob du am Ende Miterbe des Reiches Gottes sein wirst oder nicht, das ist alles in Gottes unerforschlichem Ratschluss vorherbestimmt. Kein Mensch kann sich sicher sein, wozu er bestimmt Seite 2 von 5
ist. Doch wer an Christus glaubt, darf hoffen, dass er zu den Erwählten gehört. Wenn überhaupt, dann zeigt es sich an den Werken, die ein Mensch tut. Die französischen Glaubensflüchtlinge glaubten an ihre Erwählung. Aus der himmlischen Heimat leuchtete den auf Erden Verfolgten Trost und Hoffnung auf. Übrigens die heute so beliebten Gospels und Spirituals der Afroamerikaner besingen genau diese biblisch-christliche Heilsvorstellung: O when the saints go marching in.., wenn die Geheiligten einziehen werden, will ich zu ihnen zählen. Wenn aber die, die verfolgen, die, die unterdrücken, das Heil für sich beanspruchen, dann bekommt die doppelte Prädestination etwas sehr finsteres, dunkles. Burkhard Weitz schreibt in einem Aufsatz zu Calvins Prädestinationslehre: Das Gott alles vorherbestimmt hat, ist kein Naturgesetz. Calvins Lehre ist ein Trostwort für die Bedrückten. Sie ist Ausdruck einer Heilsgewissheit in aussichtsloser Lage. Calvin selbst sagte: Nichts tröstet mächtiger als die Gewissheit, mitten im Elend von der Liebe Gottes umfangen zu werden. Leg dein Leben in Gottes Hände, aber auch: Denk nach, was du tust. Das Nachdenken über die Frage, ist alles vorherbestimmt, kann etwas sehr Positives bewirken. Es hilft Schweres wie Gutes anzunehmen und ermutigt zu einem verantwortungsvollen, bewussten Lebensstil. Wie kein anderer Reformator, hat Calvin sich in Anlehnung an Paulus Gedanken über die Kirche gemacht. Eine besondere Strahlkraft besitzen seine Gedanken über die Kirche und die Ökumene bis heute. Aber auch den Vorstellungen über die Kirche haftet etwas dunkles an, weil Calvin und die Genfer eine rigide Kirchenzucht ausübten. Aber zunächst zur Strahlkraft und Faszination von Calvins Kirchenverständnis. Es lässt sich an einer Bibelstelle schlicht und klar festmachen, die Calvin so oft wie keine andere in seiner institutio, seinem bedeutendsten Werk, zitiert: 1. Kor. 1,30: Durch Gott seid auch ihr in Jesus Christus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung. Calvin hat nicht gemeint, wie es im 3. Artikel des Glaubensbekenntnisses heißt: Ich glaube an die hl. christliche Kirche, stattdessen sagte er: Ich glaube die hl. Kirche. Ich glaube, dass die Kirche der Leib Christi ist. Durch Gott seid auch ihr in Jesus Christus. Was haben Sie, liebe Gemeinde, und ich von Jesus Christus? Ich finde viel! Denn er ist uns von Gott gemacht zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung. Jedes dieser Worte ist es wert, immer wieder darüber zu meditieren und daraufhin sein Leben und Tun auszurichten. Seite 3 von 5
Aus sich heraus kann kein Mensch weise, gerecht, heilig, erlöst sein. Das Menschenbild der Reformatoren ist negativ, bei Luther wie bei Calvin. In Christo aber ist das unsere Bestimmung: weise, gerecht, heilig, erlöst zu sein. Gregor Gysi und Margot Kässmann stritten einst auf dem Kirchentag ums Menschenbild. Der eine sagte: Kann er doch aus sich heraus der Mensch, weise und gerecht zu sein. Die andere sagte: Nein! Sie sei froh, dass sie ihr Leben an Christus ausrichten dürfe. Durch Gott seid ihr in Christus. Der für Calvin so kostbare Gedanke des imago dei, der Ebenbildlichkeit Gottes korreliert zwischen 1. Mose Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde und 1. Kor. 1: Durch Gott seid ihr in Christus. Wo ist da die dunkle Seite fragen Sie sich? Weil Calvin, der Eiferer Calvin meinte; wenn die Christen insgesamt den Leib Christi bilden, dann müssen sie als einzelne möglichst heilig leben, um Christus nicht zu entehren. Die Kirchenzucht in Genf nahm Ausmaße an, Calvin wollte sogar einen Gottessstaat gründen, dass sie das Eigentliche der Kirche verdunkelte. Das Eigentliche ist: Durch Gott seid ihr in Christus zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung. Großartig ist hingegen Calvins ökumenische Weite, wenn er Bischof Cyprian aus dem 3. Jahrhundert zitiert und diese Ansicht mit ihm teilt: Eine Kirche ist es, aber in fruchtbarem Wachstum zerlegt sie sich in eine Vielheit, so wie es viele Sonnenstrahlen gibt, aber doch nur ein Licht, viele Zweige, aber doch nur ein Baum, der fest verwurzelt in der Erde steht und wie aus eine Quelle viele Bächlein abzweigen. Mag auch der überschwängliche Reichtum als zerstreute Vielheit in Erscheinung treten, die Einheit des Quellpunktes bleibt doch bestehen. Hier schließt sich der Kreis zu der Liedzeile, die ich über diesen Gottesdienst gestellt habe: Strahlen brechen viele aus einem Licht, unser Licht heißt Christus. Strahlen brechen viele aus einem Licht und wir sind eins durch ihn. Gewiss, an Calvin scheiden sich die Geister. Und doch: Sie haben vielleicht auch schon in der Sonntagszeit der HNA die Landkarte gesehen. Einst waren wir Nordhessen auch Reformierte, auch unsere protestantische Traditionen hier in Nordhessen gehen letztlich auf Calvin und Zwingli zurück, bevor wir dann später von den Preußen uniert wurden, Lutheraner und Reformierte gemeinsam. Seite 4 von 5
Vieles auch in Calvins Denken besitzt eine besondere Strahlkraft, z.b. seine Liebe zur Schöpfung. Wussten Sie, dass es besonders Calvinisten waren, die den französischen Gartenbau voranbrachten? Calvin war auch ein Wegbereiter und sehr offen für naturwissenschaftliche Erkenntnisse: Alle neuesten Erkenntnisse und die Erforschung der Naturwissenschaften hält uns doch bloß noch deutlicher vor Augen, wie großartig Gottes Schöpfung ist! Ich hoffe, die Predigt hat Ihnen Geschmack gemacht auf s Calvinjahr 2009. Ich möchte schließen mit einem Gedanken des Naturfreunds Calvin. Er passt auch für die, die im Sommer nicht verreisen, aber vielleicht viel Zeit in der Natur und im Garten verbringen, den sich an Gärten zu erfreuen, hat den ausdrücklichen Segen Calvins: Sollten wir denken, dass unser Herr den Blumen eine solche Schönheit verliehen hätte, wenn es nicht erlaubt wäre, bei ihrem Anblick Gefallen zu empfinden? schreibt er in der Institutio. Sollten wir meinen, er hätte sie mit einem so angenehmen Geruch ausgestattet, wenn er nicht gewollt hätte, dass der Mensch mit Lust daran schnuppert? Viel Freude am Schnuppern, viel Freude auch am Gesetz des Herrn und am in Christus sein. Amen. Seite 5 von 5