Manuskript Beitrag: Abgehörte Freunde Der NSA-Skandal Sendung vom 29. Oktober 2013 von Joachim Bartz und Ulrich Stoll Anmoderation: Wenn der US-Geheimdienst das Handy der deutschen Kanzlerin abhört und das hier jahrelang keiner merken wollte: Was können sich die Spione der befreundeten Weltmacht dann noch alles leisten? Merkels geknacktes Telefon das ist mal wieder eine Enthüllung des gejagten Whistleblowers Edward Snowden. Der hat klar gemacht: Sogenannte wahre Freundschaft zwischen Staaten hat viel mit Heuchelei zu tun. Im Zweifel geht Ausspähen vor. Was stets nur Gerücht war, scheint sich jetzt zu bewahrheiten. Doch trotz Warnungen: Deutsche Abwehr gab es nie - berichten Joachim Bartz und Ulrich Stoll. Text: Eine Frau, abgehört vom amerikanischen Freund. Wenn Angela Merkel telefoniert oder SMS-Nachrichten verschickt die NSA lauscht mit, offenbar seit über zehn Jahren. Schon im Sommer verstärkte sich der Verdacht, dass der US- Geheimdienst auch in Deutschland massenhaft Daten sammelt. Doch die Bundesregierung spielte den Skandal herunter. O-Ton Hans-Peter Friedrich, CSU, Bundesinnenminister, am 6.7.2013: Diese Mischung aus Antiamerikanismus und Naivität geht mir gewaltig auf den Senkel. O-Ton Ronald Pofalla, CDU, Kanzleramtsminister, am 19.8.2013: Die Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger in Deutschland werden gewahrt. Von wegen. Sogar vor den Grundrechten der Kanzlerin schreckt der US-Geheimdienst nicht zurück. Jetzt kann die Regierung nicht mehr leugnen, was schon lange nicht zu leugnen war. O-Ton Hans-Christian Ströbele, B 90/Grüne, MdB: Das ist beschämend und das ist auch wirklich schlimm.
Wenn s um die Daten von Millionen von Bürgern geht, dann lässt man das lasch laufen, gibt sich damit zufrieden, dass Fragen nicht beantwortet werden. Aber wenn es ums Handy dieser Kanzlerin geht, dann brennt die Hütte plötzlich. Von den Dachaufbauten der US-Botschaft aus kann das ganze Regierungsviertel abgehört werden. Die Bundesregierung gibt sich überrascht und empört: Das ginge gar nicht, die Amerikaner sollten sich entschuldigen. Naiv findet das Gerhard Schmid, ehemaliger Europa- Abgeordneter und Geheimdienstexperte. Es gibt Leute, die sagen, wir hätten Freunde. Staaten haben keine Freunde, Staaten haben Interessen. Und diese Interessen können, auch wenn man militärisch verbündet ist, durchaus verschieden gelagert sein. Und da kann es durchaus von Interesse für eine Regierung sein, dass sie Informationen stiehlt und auf dem Vorwege dann besser informiert ist. Schon im September 2001 belegte Schmid, dass die NSA in Deutschland und Europa massenweise abhört und Daten sammelt im Rahmen des Spionageprogramms Echelon. Schmid und andere verfertigten einen detaillierten Bericht für das Europaparlament. Doch die Enthüllungen gingen unter in der Terrordebatte nach den Anschlägen vom elften September. Spätestens jetzt, meint Schmid, müssen Konsequenzen folgen. Ich bin dafür, dass wir unsere Spionageabwehr endlich anschärfen. Der Verfassungsschutz hat bis heute keine Rundumsicht, der stammt aus der Zeit, als der Feind im Osten saß. Und heute beschäftigen sie sich sehr viel mit den Chinesen, Russen, aber kaum mit den Amerikanern. Der Verfassungsschutz ist für die Spionageabwehr zuständig. Und dabei offenbar überfordert, wenn es um die Entdeckung der US-Spione in Deutschland geht. An zwei Orten sitzt die geheimste Abhöreinheit der US-Dienste. Im US-Konsulat in Frankfurt am Main sitzt der sogenannte Special Collection Service SCS. Und auch in der US-Botschaft in Berlin. Der SCS kann den gesamten drahtlosen Datenverkehr überwachen. Das belegt dieses Geheimdienstpapier, enthüllt von Edward
Snowden. Ausgespäht werden: Drahtloses Internet, Mobilfunknetze und Satellitenfunk. Dagegen will Innenminister Friedrich jetzt plötzlich durchgreifen. O-Ton Hans-Peter Friedrich, CSU, Bundesinnenminister: Wenn es uns gelingen sollte, die Schuldigen dingfest zu machen, dann kann es nur eine Konsequenz geben - nämlich eine Behandlung nach unseren Gesetzen. Das ist ziemlich naiv, weil, wenn einmal die NSA von der amerikanischen Botschaft aus spioniert, dann spioniert sie von amerikanischem Boden aus. So lange unsere eigene Spionageabwehr nicht genau weiß, wer welche Aufgaben eigentlich in der amerikanischen Botschaft wahrnimmt, was der Verfassungsschutz aber eigentlich wissen sollte, so lange können Sie nämlich ohnehin niemanden verklagen. Ein weiteres NSA-Dokument enthüllt die Operation Stateroom in den US-Botschaften. Sogar gegenüber den eigenen Leuten sind die Schnüffler getarnt, Zitat: Ihre wahre Aufgabe kennen die meisten Botschaftsangehörigen nicht. Für den US-Geheimdienst liegt die Abhörzentrale auf der amerikanischen Botschaft ideal. In unmittelbarer Nachbarschaft des Regierungsviertels, des Parlaments und der Abgeordnetenbüros. O-Ton Hans-Christian Ströbele, B 90/Grüne, MdB: Es geht ja nicht nur um das Handy der Kanzlerin, sondern es geht auch um unsere Handys, um die Handys der Parlamentsabgeordneten, die ja noch viel näher an der Botschaft dran sind. Und ich kann nur dringend auffordern, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz, dessen Hauptaufgabe Spionageabwehr ist, dass es endlich seines Amtes waltet. Ex-Verfassungsschutzpräsident Hansjörg Geiger kann jedoch keine Fehler seiner Spionageabwehr erkennen. Die sei eben hilflos. O-Ton Hansjörg Geiger, ehemaliger Verfassungsschutzpräsident: Eine Botschaft etwa zu durchsuchen und Geräte zu beschlagnahmen, um zu verhindern, dass solche Geräte eingesetzt werden, diese Möglichkeit hat man nicht. Man kann also auch dann im Zweifel, wenn man einen konkreten
Verdacht hat, nur schauen: Wer sind die Menschen, die sie bedienen? Und dann ein deutliches Wort sprechen, dass man sich das nicht gefallen lässt. Doch niemand wies die Schnüffler von der NSA in die Schranken. Dabei wussten die verantwortlichen Politiker seit langem, dass fast alle Handys angezapft werden können, ohne dass der Benutzer es merkt. Ingenieur Bernhard Bowitz zeigt es. Das kleine weiße Telefon ist das Ziel. Bowitz macht es zur Wanze - mit dem großen Handy. Wir brauchen dazu zwei Telefone mit zwei SIM-Karten natürlich, damit wir die Telefonnummern wissen. Wir müssen in der gleichen Zelle sein, sind wir natürlich, das ist natürlich ganz nah beieinander und senden dann einen bestimmten Code aus, von einem Handy zum anderen. Das ist ein Code, der die Hintertür am Prozessor öffnet. Das angezapfte Handy meldet sich dann beim Spionagehandy. Das kann jetzt mithören. Ich habe das Handy jetzt aufgemacht, dieses völlig tote Handy funktioniert jetzt als Mikrofon. Wir können da reinsprechen. O-Ton Frontal21: Also wenn ich mir das angucke, dann kann man hören, dass ich auf das tote Handy spreche. Für Bowitz gibt es keine abhörsicheren Handys. Geheimnisträger sollten auf die Geräte am Arbeitsplatz ganz verzichten. Abgeben! Eine Sache, die heute von privaten Security- Firmen, Sicherheitsfirmen, bei großen Firmen, Banken, Großkonzernen und so weiter durchgeführt wird. An der Tür wird alles abgegeben, alles. Die Bundesregierung weiß sehr genau, dass Handys abgehört werden. Das belegt eine Verwaltungsvorschrift des Innenministers. Dort heißt es, Zitat: Personen, die zum Zugang zu Verschluss-Sachen ermächtigt sind, ist der Betrieb von privater Informationstechnik und mobilen Telekommunikations- Endgeräten grundsätzlich untersagt. Die Kanzlerin scheint diese Regelung gelegentlich großzügig
auszulegen. Abmoderation: Ein Untersuchungsausschuss, den jetzt viele fordern, wäre reichlich sinnlos, denn amerikanische Agenten würden dort wohl kaum Auskunft geben. Und öffentliche Sitzungen gäbe es bei dem Thema sicher auch nicht. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.