Luftangriffe führten zu Schulfrei

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Transkript:

Ergebnisse eines Zeitzeugeninterviews mit Frau Knickrehm über ihr Leben in der nationalsozialistischen Diktatur bis zum Mauerbau 1961. Autorin: Jessica Chen (*1999), November 2015 Luftangriffe führten zu Schulfrei Steckbrief: Irene Knickrehm wurde am 27.10.1925 im Stadtteil Uhlenhorst geboren. Ihre Eltern lernten sich im ersten Weltkrieg bei der Arbeit in einem Lazarett kennen. Der Vater war Arzt und ihre Mutter meldete sich damals freiwillig, um verletzte Soldaten zu versorgen. Ihr Großvater war ein Volljude. Obwohl ihr Vater ein überzeugter Christ war, wurden er und seine Kinder damals auf Grund ihrer Abstammung als nichtarisch kategorisiert. Frau Knickrehm war demnach Vierteljüdin. Frau Knickrehms Eltern waren von Anfang an gegen das NSDAP-Regime eingestellt. Diskriminierung, arisch und nichtarisch: Als Arzt mit jüdischer Abstammung gab es auch mal unangenehme Zettel mit judenfeindlichen Bemerkungen an der Praxistür. Der Arztberuf an sich ist etwas Selbstständiges, doch in der Diktatur gab es kein individuelles Handeln für ihren Vater mehr. So wurde er von der NSDAP aus seiner Praxis in Hamburg in die Kleinstadt Köthen in Sachsen-Anhalt versetzt. Die Familie musste dabei mit einer gewissen Unsicherheit und Angst leben, die auf dem willkürlichem Verfolgen und Nichtverfolgen von Halbjuden basierten. Deswegen kann man heute nur von Glück sprechen, dass Irene Knickrehms Vater nicht wegen seiner jüdischen Vorfahren verhaftet worden ist. Frau Knickrehm war im Jahr der Machtergreifung acht Jahre alt, und ihre Erinnerungen daran, sind verschwommen. Sie kann aber noch von der Reaktion ihrer Mutter berichten: Ich weiß, dass meine Mutter geweint hat. Obwohl sie selber ja sogar arisch war [ ] Aber sie hat mitgelitten, weil sie diesen Mann geheiratet hat. In der Schule hat Frau Knickrehm keine Diskriminierung auf Grund ihrer Abstammung erlebt, da ihre Eltern sie mit ihrem Bruder aus Vorsicht, so lange wie möglich, auf eine Privatschule geschickt hatten. Die Lehrer waren dort auch jüdischen Schülern gegenüber tolerant und akzeptierten diese, da dieses Verhalten dort als Einstellungskriterium galt. Das Arier- oder Nichtariertum spielte dagegen für Frau Knickrehm und ihren Freundinnen bei Gesprächen eine Rolle. Speziell erinnert sie sich an ein Gespräch mit einer Freundin, bevor sie mehr über ihre Abstammung wusste: Ich weiß, als ich mich mit einer Freundin unterhalten hab da drüber, da haben wir beide festgestellt, wie schön es ist, dass wir beide nicht dazu gehören. Und ich wusste gar nicht, dass ich dazu gehöre. Da hat unser Vater mich mal auf einen Spaziergang zur Seite genommen und mir erzählt, dass auch ich nicht ganz arisch bin. Und ich habe riesig geheult darüber, dass weiß ich jetzt noch. Im Alter von zehn Jahren wurden die Mädchen Mitglied im Bund deutscher Mädel. Dort fanden wöchentlich zwei Treffen mit Geräteturnen und Heimabenden statt, bei denen alle viel Spaß zusammen hatten.

Frau Knickrehm wurde damals als Nichtarierin kein Mitglied und war somit die Einzige aus ihrer Klasse die nicht im BdM war, was sie stark verletzte. Erst als sie 13 Jahre alt war, durfte sie auch Mitglied werden. Dann jedoch ohne durch einen bestimmten Knoten im Schlips der Uniform als bestätigtes Mitglied zu gelten. Die Ironie dabei war, dass eines Tages für ein Projekt nach typisch arisch aussehenden Mädchen gesucht wurde, von denen man Aufnahmen machen wollte. Frau Knickrehm fiel damals durch ihre schönen langen Zöpfe auf und ihre Abstammung interessierte dabei niemanden. Einen Schlips, wie die restlichen Mädchen ihn schon hatten, bekam sie einfach geliehen und so posierte sie für die Fotos. Als Neun- oder Zehnjährige wollte man auf jeden Fall dazugehören. Doch angesichts der Tatsache, dass sie eine Vierteljüdin war, hatte Frau Knickrehm zu dieser Zeit immer das Gefühl, nie problemlos in die Menge integriert werden zu können. Sie hatte es zwar ihren Eltern gegenüber nie erwähnt, doch Frau Knickrehm hat aus Frustration, keine Arierin zu sein, einmal einen Brief an Hitler verfasst. Frau Knickrehm hatte davon gehört, dass ein Offizier arisiert wurde und damit als reiner Arier angesehen wurde. Dies diente ihr als Vorbild und Hoffnungsschimmer, auch wie alle Anderen werden zu können. Sie schilderte in ihrem Brief, wie traurig sie deswegen sei und wie schuldlos sie sich fühle, da ja keiner etwas dafür könnte, wie er geboren wurde, und bat den Führer darum, eine von ihnen zu werden. Sie hat jedoch nie eine Antwort erhalten. Der Brief kam wohl höchstwahrscheinlich nie bei Hitler an. Antisemitismus: In der Privatschule gab es drei jüdische Schüler. Die eine jüdische Familie ist erfolgreich nach England ausgewandert, Frau Knickrehm stattete ihnen nach dem Krieg noch einen Besuch ab. Die andere Familie hingegen hat gemeinsam Selbstmord begangen. Das war eine Riesentrauer. Wir trauerten um die Mädchen, mit denen man am Tag vorher noch zusammen gespielt hatte. Konzentrationslager: Von klein auf war Frau Knickrehm neugierig und besaß Interesse am politischen Geschehen. Durch Lauschen an Türen hatte sie einmal mitgekriegt, wie ihr Patenonkel den Eltern von einem Lager erzählt hatte. Eine Einrichtung, wo Gegner von den Nazis zusammengepfercht wurden. Ich hab das mitgekriegt, obwohl ich noch Kind war. [ ] Aber nach Kriegsende in Deutschland habe ich noch eine ganze Menge Leute kennengelernt, die mir weißmachen wollten, die hätten das alle nicht gewusst. [ ] Und dass man in der Gesellschaft von Deutschland nicht wusste, dass es solche Lager gab. Ich nehme denen das nicht ab. Bombenangriffe: Als 1943 die schwersten Bombenangriffe in Hamburg stattfanden, hatte ihre Familie das Glück, dass ihr Haus nicht getroffen wurde und sie unbeschadet im Luftschutzkeller ausharren konnten. In diesem Jahr hörte auf Grund der Bombenangriffe der Unterricht in Hamburg vollständig auf. Ungeachtet ob das Schulgebäude von Angriffen betroffen war oder nicht, weil die Stadt zu sehr zerstört war. Gleich dazu hat es ein neues Reglement der NSDAP gegeben, die jüngeren Kinder sollten, um weiter zur Schule gehen zu können, in andere sicherere Städte verschickt werden. Durch diese sogenannte Kinderlandverschickung kam Frau Knickrehms Bruder mit seiner Klasse ins Erzgebirge. Sie selbst war zu diesem Zeitpunkt schon im Abiturjahrgang und wurde deswegen nicht mehr verschickt. Stattdessen gab es für sie das Angebot, auf jüngere Kinder aufzupassen und als Gegenleistung bekäme sie das Abitur geschenkt. Ihr Vater aber weigerte sich ein Geschenk von Nazis anzunehmen. 2

Wenn seine Tochter das Abitur machen wollte, dann solle sie auch dafür zur Schule gehen. Somit fuhr sie für das Abitur mit einer Freundin nach Eutin und besuchte dann kurz nach Beginn der Bombenangriffe das Eutiner Lyzeum. Währenddessen zog ihre Familie nach Köthen, da ihr Vater ein pflichtbewusster Arzt war, und seine Patienten nicht allein lassen wollte. Flakhelfer: Ihr Bruder wurde in den letzten Jahren des Krieges, im Alter von 14 Jahren als Flakhelfer eingesetzt. Tagsüber musste er dabei an Geschützen stehen und feindliche Flieger abschießen, abends konnte er dann nach Hause. Unter heutigen Definitionen gilt die Tätigkeit eines Flakhelfers als Kindersoldat. Die Eltern konnten sich nicht dagegen wehren, da Protest dazu geführt hätte, dass sie von der NSDAP mitgenommen und eingesperrt worden wären. Widerstand: In Eutin in der Schule musste man sich im Klassenbuch in einer Liste als arisch oder nichtarisch identifizieren. Aus lauter Angst setzte Frau Knickrehm damals ihr Kreuz unter arisch. Sie hatte jedoch ein schlechtes Gewissen und schrieb ihrem Vater einen Brief, in dem sie ihm die Sache beichtete. Er verständigte daraufhin den Schulleiter. Glücklicherweise ließ der Schulleiter ihr Kreuz aber auf der arischen Seite stehen. Dieses Ereignis ist bis heute für sie ein deutliches Zeichen von Auflehnung innerhalb der Diktatur und die Bestätigung dafür, dass es im Untergrund Gegner der NS-Politik gab, die eigene Werte vertraten. Bis einschließlich zum Abitur ging Frau Knickrehm also geschützt zur Schule und ihre Klasse hatte es insofern gar nicht mitbekommen, dass sie keine Arierin war. Zu Hause hat man feindliche englische Sender gehört, dabei wurde ein Tuch über das Radio gelegt, damit die Nachbarn davon nichts mitbekamen. Man saß im Wohnzimmer mit anderen befreundeten Gegnern der Nationalsozialisten zusammen und hat sich angehört, was die damaligen Feinde über Deutschland dachten und sagten. Dieser heimliche Akt von Widerstand war zugleich ein Akt des Vertrauens der Eltern gegenüber ihren Kindern. Dass man das zu Hause machte, ist natürlich ein Riesenvertrauen den Kindern gegenüber. Denn wenn einer von uns beiden ein Wort in der Schule gesagt hätte, wäre am nächsten Tag der Vater abgeholt worden. Für dieses Vertrauen haben mein Bruder und ich uns bedankt. Die Konsequenzen des Weitererzählens, hat Frau Knickrehm erlebt, als ein Mädchen aus ihrer BdM Gruppe für ein paar Tage in ein Gefängnis geschickt wurde. Als sie wieder kam, schwieg sie nur. Wenn sie darauf angesprochen wurde, wiederholte sie immer, dass sie nicht darüber reden dürfe. Nach dem Abitur: Das Abitur hat Frau Knickrehm 1944 gemacht. Danach ging es für sie zu ihrer Familie nach Köthen. Alle Mädchen mussten nach dem Abitur einen Arbeitsdienst verrichten, den sogenannten studentischen Ausgleich. Das heißt, man musste ein Jahr lang Tätigkeiten wie Kühe hüten und Unkraut jäten ausführen. Tag und Nacht. Frau Knickrehm wurde aufgrund ihres Nichtariertums nicht dafür ausgewählt und bekam stattdessen einen Platz im Kindergarten in Köthen zugeteilt, um dort auf kleine Kinder aufzupassen. Das hat sie riesig gefreut, denn sie wusste damals schon, dass dies ihr Berufsbereich für die Zukunft werden würde und ihr diese Arbeit viel Freude bereitet würde. Diese Aktion ist für Frau Knickrehm schon zum Lachen, so traurig, wie sie geregelt wurde. So hatten die Nationalsozialisten das Gegenteil ihrer eigentlichen Intention, sie auszuschließen, und zu bestrafen, erreicht. 3

Sich arrangieren und anpassen: Zu der Frage, ob Frau Knickrehm denn keine Angst um ihren Bruder gehabt hätte, als er als Flakhelfer eingesetzt wurde, sagte sie mir, dass sie als junges Mädchen schnell gelernt hatte, sich anzupassen. Es ist wahrscheinlicher, dass Männer erst im hohen Alter das volle Ausmaß der Erlebnisse aus ihrer Kindheit begreifen und deswegen in der Gegenwart unter einem Schock leiden. Aber in so einem jungen Alter realisiert man nicht wirklich wie gefährlich die Geschehnisse um einen teilweise sind. Man lebt damit und wächst auf damit. Man arrangiert sich mit seiner Situation. Luftangriffe wurden angekündigt durch Sirenen und dann ist man als Kind eben in den Luftschutzkeller gelaufen, wie es einem beigebracht wurde. Dazu erzählte sie mir eine Erinnerung: Wenn die Angriffe zu einer bestimmten Uhrzeit kamen, musste man am nächsten Tag nicht in die Schule, oder zumindest keine Hausaufgaben machen, weil man ja die ganze Nacht im Keller verbracht hatte. Häufig fielen dann am nächsten Tag in der Schule Sätze wie: Ach schade, die Engländer hätten doch auch eine Stunde später kommen können. Gemeinsam haben Frau Knickrehm und ich in ihren alten Fotoalben geblättert. Wir fanden schöne Urlaubsfotos und Aufnahmen unter dem Weihnachtsbaum, alle beisammen als Familie. Urlaube am Timmendorferstrand waren Familientradition. In den Ferien ins Hotel an den Strand zu fahren, machten sie jedes Jahr, auch während des Krieges 1939 bis 1945. Daran kann man gut erkennen, dass es trotz Kriegszeit immer noch schöne Momente für Frau Knickrehm und ihre Familie gab. Sogar Verwandte aus Schweden konnten während des Krieges zu Besuch kommen und mit ihnen gemeinsam die Festtage verbringen. Frau Knickrehm sagt darüber, dass sie sehr dankbar dafür sei, so wohlbehütet in ihrer liebevollen Familie aufgewachsen zu sein. Kriegsende: Ab einem gewissen Zeitpunkt war zumindest innerhalb der Familie klar, dass der Krieg verloren war und bald ein Ende haben würde. Die Eltern hatten eine weiße Flagge in die Wohnung gestellt, damit die Besetzer, die zuerst ankamen sehen konnten, dass sie friedlich kapitulierten. Für andere Personen war das bevorstehende Kriegsende keine Erleichterung. Frau Knickrehm erinnert sich, wie sie bei einem Dienst mitarbeiten musste, wo sie gemeinsam mit anderen Frauen eine Mauer aus handgroßen Steinen aufbauen musste, um die Soldaten aus den anderen Ländern abzuhalten. Das findet sie bis heute noch lächerlich. Die Amerikaner besetzten als Erstes Köthen. Später stießen die Russen dazu, und das Gebiet wurde schließlich an sie übergeben und übernommen. Sie marschierten friedlich ein und als Köthen schließlich besetzt war, teilten sie Schokolade und Apfelsinen an die Kinder aus. Für Frau Knickrehm war das Kriegsende eine Erleichterung. Ein Tag, der den Beginn eines neuen Lebensabschnittes markierte. Die Unterteilung von Ariern und Nichtariern wurde von nun an vergessen. In dem Moment als der Krieg zu Ende war, habe ich zu mir selbst gesagt, jetzt bist du genau Jemand unter den Anderen. Nach Kriegsende wollte Frau Knickrehm auf eigenen Wunsch von Köthen wieder nach Hamburg zurückkehren, da es ihre Heimat war und sie sich nach einer Großstadt sehnte. 4

Dort bewarb sie sich zunächst an Schulen und wartete, bis man wieder in Hamburg studieren konnte. Sie bekam einen Studienplatz zugewiesen und studierte Sozialpädagogik. Sie beschreibt die Nachkriegszeit als eine bescheidene Zeit, was Ernährung und Kleidung betrifft. Doch dazu auch, dass es Allen zu dieser Zeit schlecht ging und es zum Leben reichte. Das Brot wurde zwar vor dem Essen abgewogen, doch sie haben sich nie darüber beschwert, dass es zu wenig sei. Im ganzen Land war es die gleiche Situation und man lernte dann eben, mit wenig auszukommen und damit zufrieden zu sein. Die Geschäfte stockten die Waren innerhalb der Jahre wieder auf und letztendlich war wieder die übliche Auswahl vorhanden. Frau Knickrehm arbeitete damals als Jugendgruppenleiterin, wo sie auch ihren späteren Mann kennenlernte. 1950 heirateten sie und 1954 schloss Frau Knickrehm ihr Studium ab. Nach dem Kriegsende und vor dem Mauerbau sind viele Menschen über die grüne Grenze in Richtung Westen geflohen. Anfangs waren es noch wenige, doch im Laufe der Jahre nahm die Anzahl der Binnenflüchtlinge zu. Frau Knickrehm und ihre Familie hatten dabei das Glück, dass sie sich zu der Zeit gemeinsam auf der westlichen Seite befanden. Nur ihre neue Stiefmutter litt darunter, weil sie ihre Söhne in Ostdeutschland nicht mehr sehen konnte. Der Sohn bekam so den Bescheid, dass er nicht mehr mit seiner Mutter zusammen sein dürfte. Das war also der Mauerbau. In den Tagen des Mauerbaus vom 12. bis zum 18. August 1961 erreichte der Flüchtlingsstrom von Osten in den Westen seinen Höhepunkt. Es wurden noch viele Fluchtwege versucht, um Schicksale zu ändern und zu seinen Liebsten zu gelangen. Dabei gab es folg reiche Versuche, aber auch Todesfälle, berichtet mir Frau Knickrehm. Sie und ihr Mann gehörten immer zu den wenigen, die die Hoffnung an eine Wiedervereinigung nie aufgegeben haben und sagt dazu, dass die Anzahl im Laufe der Jahre immer weiter abnahm. Die Leute fingen an, die Existenz von zwei Deutschländern zu akzeptieren. Aber für sie Beide hat es im Leben immer stückweit eine Rolle gespielt, die Überzeugung auf eine Einigung eines Tages, nicht zu verlieren. Nach den schönen Worten: Die Hoffnung stirbt zuletzt. 5