Bayerisches Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz "Wir sind da! 20 Jahre rechtliche Betreuung - die Richtung stimmt" Aktionstag der Münchner Betreuungsvereine am 11. Oktober 2012 Telefon: 089/5597-3111 e-mail: presse@stmjv.bayern.de Prielmayerstraße 7 Telefax: 089/5597-2332 Internet: www.justiz.bayern.de 80335 München
- 1 - Einleitung, Betreuung geht jeden an Ich freue mich sehr, dass die Münchner Betreuungsvereine und der Landesverband des Sozialdienstes Katholischer Frauen den 20-jährigen Geburtstag des Betreuungsrechts zum Anlass genommen haben, die Bürgerinnen und Bürger in München öffentlichkeitswirksam über rechtliche Betreuungen zu informieren. "Betreuung" ist ein Thema, das uns alle angeht. Jeder von uns kann von heute auf morgen selbst betroffen sein. Wir dürfen uns nichts vormachen - man kann innerhalb kürzester Zeit die Fähigkeit verlieren, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Das betrifft nicht nur alte Menschen. Unglücksfälle und schwere Krankheiten machen auch vor jungen Menschen nicht halt; auch junge Menschen brauchen manchmal einen Betreuer.
- 2 - Das Thema Betreuungsrecht begleitet mich seit vielen Jahren. Als Justizministerin habe ich schon an zahlreichen Informationsveranstaltungen zum Betreuungsrecht teilgenommen und mit den Menschen über Ihre Sorgen in diesem Bereich gesprochen. Viele Menschen fragen sich: "Was geschieht mit mir, wenn ich zum Pflegefall werde? Wer unterstützt mich, wenn ich meine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann? Wer wird für mich rechtlich wirksam handeln? Viele fürchten, sie könnten entmündigt und unter Vormundschaft gestellt werden. Diese Sorge ist heute unbegründet und zwar deshalb, weil vor 20 Jahren - am 1. Januar 1992 - das Betreuungsgesetz in Kraft getreten ist. Das alte Recht der Vormundschaft für Erwachsene wurde damit abgelöst.
- 3 - Zur Entstehung des Betreuungsgesetzes Das Betreuungsgesetz brachte eine grundlegende Neuorientierung. Sein Ausgangspunkt ist, dass auch psychisch kranke, geistig behinderte oder altersdemente Menschen mit ihren Wünschen und Bedürfnissen ernst genommen werden müssen. Niemand darf durch Entmündigung zum Objekt fremdbestimmten Handelns gemacht werden. Der Gesetzgeber hat damals Neuland betreten. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz - an der Spitze die damalige Justizministerin Dr. Mathilde Berghofer- Weichner - war in zahlreichen Arbeitsgruppen und Gremien maßgeblich an der Entstehung des Gesetzes beteiligt.
- 4 - Die Errungenschaften des Betreuungsgesetzes Das Betreuungsgesetz hat große Fortschritte für die betroffenen Menschen gebracht: Die Rechte der Betreuten wurden in vielen Punkten konkretisiert und gestärkt. Der Betreute hat zum Beispiel das Recht vorzuschlagen, wer sein Betreuer sein soll. Das Gericht muss dem Rechnung tragen, wenn es dem Wohl des Betreuten nicht zuwiderläuft. Die Betreuer wurden zur "persönlichen" Betreuung verpflichtet. Sie müssen wichtige Angelegenheiten mit dem Betreuten besprechen. Sie müssen seinen Wünschen - soweit möglich - Folge leisten.
- 5 - Maßnahmen, die elementare Rechte des Betreuten betreffen - zum Beispiel eine geschlossene Unterbringung oder die Auflösung einer Wohnung - dürfen seit Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung des Betreuungsgerichts durchgeführt werden.
- 6 - Ich stimme den Münchner Betreuungsvereinen zu, wenn sie sagen: "20 Jahre Rechtliche Betreuung - die Richtung stimmt". Das deutsche Betreuungsgesetz ist auch nach 20 Jahren ein modernes Gesetz, das besonderes Augenmerk auf die Rechte der Betroffenen legt. Die Bestellung eines Betreuers bedeutet in Deutschland nicht, dass dem Betreute die Geschäftsfähigkeit abgesprochen wird. Das ist in vielen anderen Staaten nicht so. Das Betreuungsgesetz ist auch im internationalen Vergleich Richtung weisend. Wir müssen uns da keineswegs verstecken.
- 7 - Das Betreuungsgesetz muss gelebt werden So weit, so gut, meine Damen und Herren. Die rechtlichen Vorgaben sind das eine - aber das allein reicht noch nicht aus. Das Betreuungsgesetz muss auch gelebt werden, sonst ist für die betroffenen Menschen nicht viel gewonnen. Unserer Verantwortung werden wir nur gerecht, wenn wir die im Gesetz vorgesehenen Rechte und Schutzgewährleistungen für die Betreuten in der täglichen Praxis ernst nehmen und mit Leben erfüllen.
- 8 - Die Verantwortung, von der ich hier spreche, lastet auf vielen Schultern. Da sind zum einen die Betreuungsgerichte, die die Erforderlichkeit einer Betreuung zu prüfen und die Betreuer zu bestellen und zu überwachen haben. Da sind die Betreuungsbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte, die wichtige Aufgaben im gerichtlichen Verfahren und bei der Beratung und Unterstützung der Betreuer erfüllen. Da sind die Betreuungsvereine, die sich speziell um die Gewinnung und Beratung ehrenamtlicher Betreuer kümmern. Und da sind - last but not least - die Betreuerinnen und Betreuer selbst, die für die hilfsbedürftigen Menschen tätig werden. Die Aufgabe, die die genannten Akteure zu meistern haben, ist gewaltig:
- 9 - Anstieg der Betreuungszahlen Bei Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes im Jahr 1992 gab es in ganz Deutschland rund 418.000 Betreuungen. Diese Zahl hat sich seither verdreifacht. Bundesweit bestehen zur Zeit, über 1,3 Mio. Betreuungen, in Bayern sind es ca. 189.000. Damit stehen im Freistaat rechnerisch 15 von 1.000 Bürgern unter Betreuung. In den Medien war schon von der "betreuten Republik Deutschland" die Rede. Wesentlicher Grund für die Explosion der Betreuungszahlen ist die demographische Entwicklung. Unsere Gesellschaft wird immer älter. Im Jahr 1900 war jeder Zwölfte über 60 Jahre alt. Im Jahr 2030 wird es jeder Dritte sein. Mit der steigenden Lebenserwartung steigt leider auch das Risiko mit den Symptomen geistigen Abbaus im Alter konfrontiert zu werden.
- 10 - Möglicherweise ist auch die Auffangfähigkeit der sozialen Systeme Familie und Nachbarschaft in der modernen Gesellschaft geringer geworden. Vor allem in den Großstädten spricht man von der "Vereinzelung im Alter". Nach einer bekannten Redensart ist es in der Großstadt von einer Tür zur anderen oft weiter als von einem Hof im Tal bis zum Nachbarn den Berg hinauf.
- 11 - Anforderungen an die Akteure 189.000 Betreuungsverfahren in Bayern - das stellt Betreuungsgerichte und -behörden, Betreuungsvereine und Betreuer vor große Herausforderungen. Bei der Vielzahl der Fälle darf der Einzelne - der betreute Mensch mit seinen speziellen Wünschen und Bedürfnissen - nicht aus dem Blick geraten, nicht zum verwalteten Verfahrensgegenstand werden. Dies setzt bei den beteiligten Stellen besondere Kenntnisse voraus, die über den Tellerrand des eigenen Fachgebiets hinausgehen. Der Richter muss sich mit medizinischen Grundlagenkenntnissen vertraut machen und die Strukturen sozialer Hilfesysteme kennen. Den eingebundenen Ärzten und dem Fachpersonal der Betreuungsstellen müssen die rechtlichen Grundlagen bewusst sein. Unverzichtbar ist außerdem ein reibungsloses Zusammenspiel der beteiligten Akteure.
- 12 - Die praktische Erfahrung zeigt, dass es hilfreich ist, wenn sich die Akteure in örtlichen Arbeitsgemeinschaften austauschen und vernetzen. Speziell in München haben sich auf Initiative der sehr engagierten Betreuungsbehörde und des Betreuungsgerichts tragfähige Strukturen mit Vorbildcharakter entwickelt. Die Gerichte und Behörden nehmen den Auftrag des Betreuungsgesetzes ernst! Anrede
- 13 - Betreuung naher Angehöriger Wenn ich gesagt habe, jeder kann von heute auf morgen betroffen sein, dann meine ich damit nicht nur den Fall der eigenen Betreuungsbedürftigkeit. Man muss vielmehr auch daran denken, dass nahe Angehörige - zum Beispiel die Eltern oder der Ehepartner - durch Krankheit oder Unfall sehr schnell handlungsunfähig werden können. Wer kommt dann als rechtlicher Vertreter für den Betroffenen in Frage?
- 14 - Die weit verbreitete Meinung, Ehepartner oder nahe Verwandte könnten sich im Notfall ohne weiteres gegenseitig vertreten, ist ein Irrglaube. Vielmehr ist es so, dass für die rechtliche Vertretung des Betroffenen ein Betreuer bestellt werden muss, wenn keine Vorsorgevollmacht vorliegt. Betreuungsbehörde und -gericht müssen sich dann also auf die Suche nach einer geeigneten Betreuerin oder einem geeigneten Betreuer machen.
- 15 - Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung Der Bedarf an geeigneten Betreuern ist groß. Die Betreuungsgerichte sind von Gesetzes wegen verpflichtet, nach Möglichkeit ehrenamtliche Betreuer auszuwählen und Berufsbetreuer nur dann zu bestellen, wenn geeignete Ehrenamtliche nicht zur Verfügung stehen. Die bayerischen Betreuungsgerichte halten sich an diese Vorgabe. In den Jahren 2010 und 2011 haben die bayerischen Gerichte jeweils in etwa 75% der neuen Betreuungsfälle ehrenamtliche Betreuer bestellt. Damit haben sie bundesweit hinter dem Saarland den zweithöchsten Wert erreicht. Die nähere Analyse zeigt, dass ganz überwiegend Familienangehörige der Betroffenen als ehrenamtliche Betreuer gewonnen werden konnten - meines Erachtens ein Beleg dafür, dass die Familienstrukturen in Bayern stabiler sind als in vielen anderen Ländern.
- 16 - Der Anteil der Betreuungen, die von familienfremden Ehrenamtlichen geführt werden liegt in Bayern bei 5 bis 6%. Dies entspricht dem Bundesdurchschnitt. Aufgaben der Betreuer Die Aufgaben der Betreuer sind anspruchsvoll. Ihnen obliegt es, die Angelegenheiten der Betreuten so zu besorgen, wie es deren Wohl entspricht. Sie haben im persönlichen Kontakt die individuellen Wünsche der Betreuten zu ermitteln und diesen möglichst Rechnung zu tragen. Sie müssen innerhalb ihrer Aufgabenkreise die notwendigen Hilfen für die Betroffenen organisieren und deren Wirksamkeit überwachen. Auch sollen sie dazu beitragen, dass alle Möglichkeiten genutzt werden, um die Krankheit oder Behinderung der Betreuten zu bessern.
- 17 - Nicht immer ernten sie Dank und Anerkennung für ihre Tätigkeit. Manche Betroffene empfinden die Betreuung nicht als Hilfe sondern als Bevormundung und machen Ihren Betreuern das Leben schwer. Appell für das Ehrenamt Dennoch möchte ich die heutige Veranstaltung nutzen und Sie dazu ermuntern, sich selbst als ehrenamtliche Betreuer zur Verfügung zu stellen, wenn Not am Mann ist. Aus repräsentativen Umfragen wissen wir, dass sich viele Interessierte ein Ehrenamt wünschen, das anderen hilft und für das Gemeinwohl sinnvoll ist. Die ehrenamtliche Betreuung kann diese Erwartungen in besonderer Weise erfüllen.
- 18 - Wer eine verantwortungsvolle Aufgabe zugunsten Hilfebedürftiger sucht, der sollte auch an die Übernahme einer rechtlichen Betreuung denken. Die unmittelbare Hilfe für andere steht im Zentrum der Betreuung. Die Tätigkeit des Betreuers ist anspruchsvoll und fordert hohes Verantwortungsbewusstsein für das Wohl des Betroffenen. Dabei geht es keineswegs immer nur um Rechtliches. Ein guter Betreuer muss nicht in erster Linie rechtlich bewandert sein. Nach den Erfahrungen der Praxis ist es für das Gelingen einer Betreuung besonders wichtig ist, dass der Betreuer dem Betroffenen Einfühlungsvermögen entgegenbringt; - dass er sich in seine Lage versetzen kann und Entscheidungen trifft, die seinem Wohl und seinen Wünschen so gut wie möglich entsprechen.
- 19 - Persönliche Betreuung Um Missverständnissen vorzubeugen: Persönliche Betreuung im Sinne des Betreuungsrechts heißt nicht, dass der Betreuer in eigener Person die tägliche Versorgung und Pflege des Betreuten übernehmen muss. Vielmehr geht es darum, dass der Betreuer für den Betreuten, die tägliche Versorgung und Pflege organisiert und die erforderlichen Verträge in seinem Namen abschließt. Vereinfacht ausgedrückt: Der rechtliche Betreuer kocht nicht für den Betreuten. Er kümmert sich aber darum, dass die Lebensmittelversorgung funktioniert, zum Beispiel indem er in Absprache mit dem Betreuten "Essen auf Rädern" bestellt. Nichts desto trotz erfordert eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende rechtliche Betreuung regelmäßige persönliche Kontakte zwi-
- 20 - schen Betreuer und Betreutem. Hierunter fallen persönliche Gespräche genauso wie zum Beispiel die Begleitung zu einem Arztbesuch oder einer Gerichtsverhandlung. Unterstützung der ehrenamtlichen Betreuer Wichtig ist es, dass ehrenamtliche Betreuer mit ihrer Aufgabe nicht allein gelassen werden. Der Freistaat unternimmt einige Anstrengungen um ein Fundament für die ehrenamtliche Tätigkeit zu bieten. Zum Beispiel werden alle ehrenamtlichen Betreuer kostenfrei gegen Personen- und Vermögensschäden versichert, die sie den betreuten Personen fahrlässig zufügen.
- 21 - Das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gibt außerdem ein umfangreiches Nachschlagewerk für die rechtliche Betreuung heraus, das Ehrenamtlichen über die Betreuungsstellen der Landkreise und kreisfreien Städte kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Den Löwenanteil bei der Unterstützung ehrenamtlicher Betreuer vor Ort leisten aber die Betreuungsstellen der Kommunen und die Betreuungsvereine. Sie bieten persönliche Beratung, Fortbildungskurse und manchmal auch einfach Gelegenheit zu Gesprächen und zum Erfahrungsaustausch. Die Arbeit der Betreuungsstelle der Stadt München und der acht Münchner Betreuungsvereine möchte ich hier als vorbildlich herausstellen.
- 22 - Für das Jahr 2012 haben Betreuungsstelle und Betreuungsvereine einen 50-seitigen Kalender mit Veranstaltungen für ehrenamtliche Betreuer herausgegeben. Ein derart dichtes Netz von Angeboten dürfte bayernweit einmalig sein. Anrede
- 23 - Schluss Mit der heutigen Veranstaltung setzen die Münchner Betreuungsvereine und der Landesverband des Sozialdienstes Katholischer Frauen ein Zeichen für bürgerschaftliches Engagement. Der Einsatz für betreuungsbedürftige Menschen lohnt sich. Es würde mich sehr freuen, wenn der Aktionstag dazu beiträgt, das Thema "rechtliche Betreuung" stärker ins Bewusstsein zu rücken und vielleicht auch Ängste der Menschen in diesem Bereich abzubauen.
- 24 - (Bemerkung: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass von einem der Vorredner das Thema "finanzielle Förderung der Betreuungsvereine" angesprochen wird. Der Freistaat Bayern fördert die rd. 90 bayerischen Betreuungsvereine derzeit jährlich mit einer Gesamtsumme von 297.250 und nimmt damit bundesweit den vorletzten Rang ein. Die Münchner Betreuungsvereine haben bereits zum Ausdruck gebracht, dass sie ihre Querschnittsarbeit ohne die zusätzliche Förderung seitens der Stadt München nicht aufrecht erhalten könnten. Wir haben uns mehrfach für eine Erhöhung der finanziellen Förderung aus-
- 25 - gesprochen. Allerdings fällt dieses Thema nicht in unseren Zuständigkeitsbereich. Zuständig ist das StMAS. Falls das Thema angesprochen werden sollte, kann hierzu Folgendes gesagt werden: Finanzielle Förderung der Betreuungsvereine Die Arbeit der Betreuungsvereine ist wichtig für unsere immer älter werdende Gesellschaft. Ein Mittel zur Bewältigung der Herausforderungen des demographischen Wandels ist die Stärkung des Ehrenamts. Uns muss deshalb daran gelegen sein, Organisationen, die Ehrenamtliche gewinnen und begleiten, zu fördern.
- 26 - Die finanzielle Förderung des Ehrenamts fällt zwar nicht in meinen Ressortbereich als Justizministerin, dennoch ist mir aus Gesprächen mit den Akteuren vor Ort bekannt, dass sich die Betreuungsvereine für eine Verstärkung der finanziellen Förderung ihrer Querschnittsarbeit durch den Freistaat einsetzen. Ich habe diese Forderung bereits mehrfach ausdrücklich unterstützt, zum Beispiel im Rahmen der Arbeit des landesweiten Gesprächsforums Betreuungsrecht. Ich bin zuversichtlich, dass sich das Sozialressort und der Bayerische Landtag im Rahmen der nächsten Haushaltsverhandlungen auch mit diesem Thema eingehend befassen werden.
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