PRESSEKONFERENZ zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2003

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Transkript:

PRESSEKONFERENZ zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2003 EINSTELLUNG DER DEUTSCHEN ZU MENSCHENRECHTEN ERGEBNISSE EINER ZWEITEN REPRÄSENTATIVEN BEFRAGUNG Ort: Berlin, im Haus der Bundespressekonferenz Zeit: Dienstag, 9. Dezember 2003, 10:30 Uhr Prof. Dr. Gert Sommer Fachbereich Psychologie Universität Marburg Gutenbergstr. 18, 35037 Marburg Tel. 06421 2823666 e-mail: sommerg@staff.uni-marburg.de Dr. Jost Stellmacher Fachbereich Psychologie Universität Marburg Gutenbergstr. 18, 35037 Marburg Tel. 06421 2823622 e-mail: stellmac@staff.uni-marburg.de Prof. Dr. Elmar Brähler Medizinische Fakultät der Universität Leipzig Leiter der Abt. für Med. Psychologie und Med. Soziologie Stephanstr. 11, 04103 Leipzig Tel. 0341 97-18800 e-mail: brae@medizin.uni-leipzig.de In Kooperation mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) in Berlin

VEREINTE NATIONEN UND MENSCHENRECHTE Die Vereinten Nationen verabschiedeten am 10. Dezember 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (im Anhang findet sich eine kurze Zusammenfassung). Diese Erklärung besteht aus 30 Artikeln, die Menschenrechte für alle Menschen in der Welt, ohne Unterscheidung nach Geschlecht, Hautfarbe, Religion, Nationalität oder Ethnie, definiert (sog. Universalität). Größere völkerrechtliche Verbindlichkeit bekamen Menschenrechte durch die Verabschiedung der zwei Menschenrechtspakte des Jahres 1966 ("Zwillingspakte": "Pakt über bürgerliche und politische Rechte" sowie "Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte"), die inhaltlich weitgehend mit der "Allgemeinen Erklärung" übereinstimmen. In der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte werden Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal bezeichnet. Menschenrechte werden von Politikern häufig genutzt, um politische und militärische Entscheidungen zu rechtfertigen. Daher ist es von großem Interesse, Wissen, Einstellungen und Einsatzbereitschaft der Bevölkerung bezüglich Menschenrechten zu analysieren. HINTERGRUND Vor einem Jahr haben wir der Presse erstmals eine repräsentative Studie zum Thema Menschenrechten in Deutschland vorgestellt (inzwischen von Sommer, Stellmacher und Brähler publiziert in Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 2003). Die vorliegende zweite repräsentative Studie zu Menschenrechten baut auf der ersten Studie aus dem Jahr 2002 auf und soll weitere vertiefende Erkenntnisse liefern. Es wurde u.a. das Wissen über Menschenrechte und Menschenrechtsdokumente, die Wichtigkeit der Verwirklichung von Menschenrechten und der tatsächlich geleistete Einsatz für Menschenrechte erfragt. Die vorliegende Studie wurde im Auftrag der Universität Leipzig (Prof. Brähler) durch das Meinungsforschungsinstitut USUMA (Berlin) im Oktober 2003 in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte durchgeführt. Es wurden 1.656 Westdeutsche und 361 Ostdeutsche (1042 Frauen und 974 Männer; 1 nicht notiert) im Alter von 14 bis 93 Jahren per Telefoninterview befragt. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. 2

ZENTRALE ERGEBNISSE DER REPRÄSENTATIVEN STUDIE 2003 WISSEN ÜBER MENSCHENRECHTSDOKUMENTE Zur Erfassung des Wissens über Menschenrechte wurde zuerst gefragt, ob es nach Meinung der Befragten ein offizielles Dokument gibt, das die Menschenrechte für jeden Menschen weltweit festlegt. Die Ergebnisse: 50% der Befragten geben an, dass es ein solches Dokument gibt, 21% nennen auch ein Dokument, aber kein richtiges, und nur 4% der befragten Deutschen nennen eine richtige Antwort wie UNO-Menschenrechtskonvention bzw. -Menschenrechtscharta. Das Dokument Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und dessen Namen sind somit weitestgehend unbekannt. Einige weitere Antworten kommen dem gesuchten Dokument insofern nahe, als sie zumindest einen Bezug zu den Vereinten Nationen herstellen, also z.b. UN-Charta oder UNO-Dokument. Etwa 20% der Befragten gaben an, dass es kein solches Dokument gibt. Weitere 30% äußerten, dass sie dies nicht wissen. Abbildung 1: Wissen über Dokumente, die Menschenrechte weltweit festlegen. (Angegeben sind prozentuale Anteile der deutschen Bevölkerung) Prozent 50 40 30 49,8 20 10 0 Geben an, ein Dokument zu kennen 20,6 4,1 Nennen ein konkretes Nennen "UNO- Dokument Menschenrechtscharta" oder "Menschenrechtskonvention" Diejenigen Dokumente, die von mindestens 0,5% der befragten Deutschen genannt wurden, sind in Tabelle 1 aufgelistet. Diese Tabelle zeigt, dass die meisten Nennungen nicht richtig sind. So werden z.b. im Grundgesetz zwar grundlegende (Menschen-)Rechte festgelegt, aber das Grundgesetz ist lediglich für die BRD relevant und nicht weltweit. Ebenso können die Bibel oder die Zehn Gebote nicht als Dokumente angesehen werden, die Menschenrechte weltweit festlegen, auch wenn aus diesen Dokumenten Werteorientierungen abgeleitet werden können. 3

Tabelle 1: Liste und prozentuale Häufigkeit der Dokumente, die von mindestens 0,5% der befragten Deutschen genannt wurden. Genanntes Dokument UN-Charta 6,1% UNO-Menschenrechtskonvention/-charta 4,1% Grundgesetz der BRD 3,5% UNO-Dokumente/-Erklärungen allg. 3,1% Genfer Konvention 2,6% Bibel (auch: die Zehn Gebote) 1,3% Dokumente / Programm von amnesty international 0,6% Schlussakte von Helsinki 0,5% Prozentuale Häufigkeit der Nennung WISSEN ÜBER MENSCHENRECHTE In unserer ersten repräsentativen Studie von 2002 hatten wir die Befragten gebeten, alle Menschenrechte zu nennen, die sie kannten. Es stellte sich heraus, dass insgesamt nur wenige Menschenrechte bekannt waren. Im Durchschnitt wurden Inhalte von knapp drei der insgesamt 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung genannt. Wenn Menschenrechte spontan genannt wurden, dann waren es in erster Linie bürgerliche Rechte. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wurden kaum benannt. Dies kann als Halbierung von Menschenrechten bezeichnet werden (vgl. Ostermann & Nicklas, 1979). Ein möglicher Einwand gegen dieses Ergebnis ist, dass es generell schwierig ist, spontan Wissen zu gesellschaftlichen Ereignissen zu reproduzieren. Um diesen Einwand zu berücksichtigen, legten wir in der vorliegenden Untersuchung den Befragten eine Liste von 20 Rechten vor: zehn bürgerliche Rechte, acht wirtschaftliche Rechte und zwei Distraktoren, also Rechte, die keine Menschenrechte sind. Die Befragten sollten zu jedem Recht angeben, wie sicher sie sich sind, dass das genannte Recht ein Menschenrecht entsprechend den internationalen Menschenrechtserklärungen und verträgen der Vereinten Nationen ist. Dazu standen fünf Antwortmöglichkeiten zur Verfügung: (1) "sicher kein Menschenrecht", (2) "eher kein Menschenrecht", (3) "weiß nicht", (4) "eher ein Menschenrecht" und (5) "sicher ein Menschenrecht". Die Ergebnisse zeigen, dass von den 18 vorgelegten Menschenrechten lediglich sechs Rechte von mindestens der Hälfte der Deutschen sicher als Menschenrechte identifiziert werden. Dies sind: das Recht auf Leben und Freiheit (78,7%), das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (71,3%), das Recht auf Schutz vor grausamer Behandlung oder Folter (70,2%), das Recht auf Schutz vor Diskriminierung wegen Hautfarbe, Geschlecht oder Religion (69,3%), das Recht auf freie Meinungsäußerung (69,1%), das Recht auf Religionsfreiheit (68,0%) und das Recht auf Frieden (55,3%). Die hier aufgelisteten Rechte sind sämtlich bürgerliche Menschenrechte mit Ausnahme des Rechts auf Frieden, das noch nicht den Status eines Menschenrechts besitzt, aber als Menschenrecht der dritten Generation diskutiert wird. Kein einziges der vorgegebenen wirtschaftlichen Rechte wird von mindestens 50% der deutschen Bevölkerung sicher als Menschenrecht angesehen. Nehmen wir das sichere 4

Identifizieren eines Menschenrechts zum Maßstab, dann wird also auch in der vorliegenden repräsentativen Befragung deutlich, dass Menschenrechte im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung auf einige wenige bürgerliche Rechte beschränkt sind. Die Ergebnisse werden allerdings deutlich günstiger, wenn auch unsichere Antworten als Wissen gewertet werden; d.h. wenn solche Antworten als richtig bewertet werden, bei denen eine befragte Person ein vorgegebenes Recht als sicher oder als eher ein Menschenrecht einstuft. Abbildung 2 zeigt, dass alle von uns vorgegebenen bürgerlichen Rechte von der Mehrheit der Befragten eher oder sicher als Menschenrecht klassifiziert werden. Lediglich 3 der bürgerlichen Rechte werden von mehr als 20% der Befragten nicht als Menschenrechte klassifiziert: das Recht auf Versammlungsfreiheit, das Recht auf Schutz vor willkürlichen Eingriffen ins Privatleben und das Recht auf gleiche Rechte für Männer und Frauen in der Ehe und bei deren Auflösung. Wenn Befragte als Antwort eher ein Menschenrecht angeben, dann verweist dies auf eine gewisse Vermutung, aber auch auf Unsicherheit. Hier zeigt sich ein wichtiger Ansatz für Menschenrechtsbildung. Abbildung 2: Identifikation von bürgerlichen und politischen Rechten als Menschenrechte. (Angegeben sind prozentuale Anteile der deutschen Bevölkerung) sicher kein oder eher kein Menschenrecht sicher ein oder eher ein Menschenrecht Recht auf Leben und Freiheit Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz Recht auf freie Meinungsäußerung Schutz vor Diskriminierung Recht auf Religionsfreiheit Verbot von Folter Recht auf Asyl Recht auf Versammlungsfreiheit Schutz vor willk. Eingriffen ins Privatleben Gleiche Rechte für Männer u. Frauen in Ehe 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Anders sieht dies allerdings bei den wirtschaftlichen Rechten aus (vgl. Abbildung 3). Besonders bezüglich der Menschenrechte, die sich auf Arbeit beziehen, liegen große Wissensdefizite vor. Die Mehrheit der Befragten kann die folgenden Rechte nicht als Menschenrechte identifizieren: das Recht auf Schutz vor Arbeitslosigkeit, das Recht auf Begrenzung der Arbeitszeit und bezahlten Urlaub, das Recht auf Bildung von Gewerkschaften und das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Bei Schutz vor Arbeitslosigkeit nehmen sogar etwa zwei Drittel der Befragten explizit an, dass es sich nicht um ein Menschenrecht handelt; beim Recht auf Begrenzung der Arbeitszeit/Urlaub sind dies nahezu 60%. Hier wird also deutlich, welche 5

Rechte entgegen der Menschenrechts-Charta - explizit nicht als Menschenrechte klassifiziert werden, denn die Befragten hatten ja auch die Möglichkeit als Antwort weiß nicht anzugeben davon machten sie aber nur wenig Gebrauch. Auch das Recht auf soziale Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter oder Invalidität wird von über 44% der Befragten eher nicht oder sicher nicht als Menschrecht identifiziert. Ebenso werden das Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben und das Recht auf kostenlosen Grundschulunterricht von mindestens einem Drittel der Befragten eher nicht oder sicher nicht als Menschenrechte identifiziert. Von den wirtschaftlichen Rechten wird lediglich das Recht auf Nahrung, Kleidung, Wohnung und ärztliche Betreuung von mehr als zwei Drittel der Befragten sicher oder eher als Menschenrecht klassifiziert. Ob es sich dabei im engeren Sinne um Wissen handelt oder ob von den Befragten die genannten Rechte als lebensnotwendig und auf diesem Umweg als Menschenrechte eingestuft werden, muss bei der Befragung offen bleiben. Diese Ergebnisse belegen insgesamt die bereits in der ersten Befragung gefundene "Halbierung" der Menschenrechte. Abbildung 3: Identifikation von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten als Menschenrechte sowie Distraktoren. (Angegeben sind prozentuale Anteile der deutschen Bevölkerung) sicher kein oder eher kein Menschenrecht sicher ein oder eher ein Menschenrecht Recht auf Nahrung Recht auf kostenlosen Grundschulunterricht Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben Recht auf soziale Sicherheit Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit Recht auf Bildung von Gewerkschaften Recht auf Begrenzung der Arbeitszeit / Urlaub Schutz vor Arbeitslosigkeit Recht auf Schwangerschaftsabbruch Recht auf Frieden 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 OST-WEST VERGLEICH IM WISSEN ÜBER MENSCHENRECHTE UND MENSCHENRECHTSDOKUMENTE In unserer repräsentativen Befragung von 2002 wurden einige wichtige Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen aufgezeigt: Während Ostdeutsche im Vergleich zu Westdeutschen mehr wirtschaftliche Menschenrechte spontan nennen konnten, zeigten Westdeutsche ein größeres Wissen bei bürgerlichen Menschenrechten. In der vorliegenden Studie gibt es bezüglich des Wissens über Menschenrechtsdokumente keine Unterschiede. Anders ist dies beim Wiedererkennen von Menschenrechten: Ostdeutsche identifizieren im Vergleich zu Westdeutschen durchgängig die wirtschaftlichen Rechte eher als Menschenrechte (beim Wiedererkennen von bürgerlichen Rechten gibt es 6

dagegen keine bedeutsamen Unterschiede). Absolut gesehen ist aber auch bei den ostdeutschen Befragten erkennbar, dass die vorgegebenen wirtschaftlichen Rechten kaum als Menschenrechte identifiziert werden, die Kategorisierungen sind unsicher. Eine Ausnahme ist das oben schon erwähnte Recht auf Nahrung. Abbildung 4: Wissen über Menschenrechte in Ost- und Westdeutschland. (Angegeben ist der Prozentsatz der deutschen Bevölkerung, die das jeweilige Recht sicher oder eher als ein Menschenrecht einstufen.) Ost West kostenloser Grundschulunterricht 54,9 62,5 Soziale Sicherheit 47 54,2 Teilnahme am kulturellen Leben Recht auf Nahrung etc. Bildung von Gewerkschaften Begrenzung der Arbeitszeit/ Urlaub Gleicher Lohn für gleiche Arbeit Schutz vor Arbeitslosigkeit 48,4 59,2 36,6 43,9 29,9 44,1 43,6 53,2 26,8 32,8 69,1 72,5 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 WICHTIGKEIT VON MENSCHENRECHTEN Die Wichtigkeit von Menschenrechten wurde in der vorliegenden repräsentativen Befragung mit einer Frage erfasst: "Wie wichtig ist es ihrer Meinung nach, dass Menschenrechte für alle Menschen in der Welt verwirklicht werden?" Zur Beantwortung der Frage wurden 5 Antwortmöglichkeiten vorgelegt: "völlig unwichtig", "eher unwichtig", "teils teils", "eher wichtig" oder "äußerst wichtig". Wie bereits in der repräsentativen Befragung von 2002 äußert die große Mehrheit der Befragten (76%), dass sie die Verwirklichung von Menschenrechten für alle Menschen in der Welt als äußerst wichtig erachtet. Weniger als zwei Prozent sehen die Verwirklichung von Menschenrechten weltweit als unwichtig an. Ost- und Westdeutsche unterscheiden sich hier nicht. Dieses Ergebnis verdeutlicht die hohe Wertschätzung der Menschenrechts-Idee in der Bevölkerung. Dies ist ein wichtiger Ansatzpunkt für die weitere Menschenrechtsarbeit. EINSATZ FÜR MENSCHENRECHTE Ein wichtiges Ergebnis in der repräsentativen Befragung von 2002 war, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung eher nicht oder gar nicht bereit war, sich für Menschenrechte einzusetzen. Es gab aber auch einen durchaus substanziellen Anteil der Bevölkerung, der sich entweder sehr bereit oder eher bereit erklärte, sich in einer Menschenrechtsorganisation zu engagieren (41%) oder für eine Menschenrechtsorganisation Geld zu spenden (42%). Die erfragte Bereitschaft zum Engagement für 7

Menschenrechte bedeutet aber noch nicht, dass sich diese Personen tatsächlich engagiert haben oder engagieren werden. Daher interessierte uns in der vorliegenden Befragung, wie hoch der tatsächliche Einsatz für Menschenrechte in den letzten fünf Jahren war. Dazu sollten die Befragten angeben, wie häufig sie sich in den letzten fünf Jahren für die Einhaltung von Menschenrechten im Allgemeinen oder für die Einhaltung von einzelnen Menschenrechten mit den folgenden Handlungsmöglichkeiten eingesetzt haben: 1. Wie oft haben Sie für eine Menschenrechts-Organisation wie z.b. amnesty international Geld gespendet? 2. Wie oft haben Sie auf Unterschriftenlisten gegen die Verletzung von (einzelnen) Menschenrechten protestiert? 3. Wie oft haben Sie an einer Mahnwache, Demonstration oder Kundgebung gegen die Verletzung von (einzelnen) Menschenrechten teilgenommen? 4. Haben Sie sich aktiv in einer Menschenrechtsorganisation engagiert? Wir gaben für die ersten drei Fragen vier Antwortmöglichkeiten vor: gar nicht ; selten ; manchmal und häufig ; die letzte Frage konnte mit ja oder nein beantwortet werden. Auch in dieser Studie zeigt sich, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung in den letzten fünf Jahren nicht aktiv für Menschenrechte eingesetzt oder gegen die Verletzung von Menschenrechten protestiert hat. Wenn sich Personen einsetzen, dann am Ehesten durch Teilnahme an Unterschriftenaktionen oder Geldspenden. An Mahnwachen, Demonstrationen oder Kundgebungen gegen die Verletzung von Menschenrechten haben sich in den letzten fünf Jahren 4,6% der Befragten manchmal und 1,4% häufig eingesetzt. Und 4,3% geben an, sich in den letzten fünf Jahren in einer Menschenrechtsorganisation engagiert zu haben (d.h. knapp 96% haben dies nicht getan). Damit wird deutlich, dass das Ergebnis unserer Befragung von 2002, dass nämlich über 40% eher oder sehr bereit sind, sich für Menschenrechte einzusetzen, eine sehr optimistische Selbstauskunft war. Nach den jetzt vorliegenden Ergebnissen ist es nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung, der tatsächlich in den letzten fünf Jahren nach eigenen Auskünften gegen die Verletzung von Menschenrechten protestiert, für eine Menschenrechtsorganisation Geld gespendet oder sich in einer solchen Organisation aktiv engagiert hat. Aber auch bei den hier vorliegenden Ergebnissen handelt es sich um Selbstauskünfte, die realistisch sein können, die aber z.t. auch im Sinne sozialer Erwünschtheit gegeben worden sein können und damit immer noch eine Überschätzung darstellen. Positiv gewandt können die Ergebnisse aber auch so interpretiert werden, dass ein recht hohes Potenzial zum Engagement für Menschenrechte in der Bevölkerung vorhanden ist. Es stellt sich somit die Aufgabe für staatliche und nicht-staatliche Organisationen, dieses Potenzial stärker als bislang zu nutzen. 8

Abbildung 5: Einsatz für Menschenrechte in Form von Geldspende, Unterschriftenliste oder Mahnwache u.ä. (Selbstauskünfte). (Angegeben sind prozentuale Anteile der deutschen Bevölkerung) Prozent 90 gar nicht selten manchmal häufig 80 70 60 50 82,8 40 30 57,1 51,8 20 10 0 18,3 16,3 23,3 16,2 7,7 8,3 11,1 4,6 1,4 Geldspende Unterschriftenliste Mahnwache, Demonstration, Kundgebung WOVON HÄNGT DER EINSATZ FÜR MENSCHENRECHTE AB? Wenn das Ziel die Verwirklichung von Menschenrechten ist, dann sind wichtige Bedingungen dafür, dass (auch) in der Bevölkerung ein angemessenes Wissen und eine positive Bewertung bezüglich Menschenrechten vorhanden ist. Letztlich bedeutsam aber ist das tatsächliche Engagement. Wir haben daher genauer analysiert, von welchen Einflüssen das angegebene Engagement für Menschenrechte abhängt. Als mögliche Einflussgrößen wurden zum Einen die demographischen Variablen West/Ost, Schulabschluss (kein Abitur/Abitur), Haushaltseinkommen, Geschlecht und Alter gewählt; zum Anderen wurde das Wissen über Menschenrechte und Menschenrechtsdokumente sowie die Bewertung der Wichtigkeit von Menschenrechten analysiert. Die wesentlichen Ergebnisse werden in den Abbildungen 6-10 wiedergegeben. Dabei wurde der Einsatz dann als gegeben bewertet, wenn die Person bei der jeweiligen Handlungsmöglichkeit manchmal oder häufig angab. 9

Abbildung 6: Einsatz für Menschenrechte in Abhängigkeit vom Wissen über Menschenrechtsdokumente. (Anteil der Personen, der angab, "manchmal" oder "häufig" Geld gespendet, an Unterschriftenaktionen, an Mahnwachen, Kundgebungen oder Demonstrationen teilgenommen zu haben.) Personen, die UNO-Menschenrechtscharta oder UNO-Menschenrechtskonvention genannt bzw. nicht genannt haben Prozent 35 nicht genannt genannt 30 25 20 24 25,7 24,1 30,1 15 10 5 0 12,6 5,7 Geldspende Unterschriftenliste Mahnwache, Demonstration, Kundgebung Abbildung 7: Einsatz für Menschenrechte in Abhängigkeit vom Wiedererkennen von Menschenrechten. (Anteil der Personen, der angab, "manchmal" oder "häufig" Geld gespendet, an Unterschriftenaktionen, an Mahnwachen, Kundgebungen oder Demonstrationen teilgenommen zu haben.) Prozent 35 niedriges Wissen mittleres Wissen hohes W issen 30 25 20 15 20,2 22,1 30,5 24 24,1 25,6 10 5 0 4,8 6,2 6,9 Geldspende Unterschriftenliste Mahnwache, Demonstration, Kundgebung 10

Abbildung 8: Einsatz für Menschenrechte in Abhängigkeit von der Wichtigkeit von Menschenrechten. (Anteil der Personen, der angab, "manchmal" oder "häufig" Geld gespendet, an Unterschriftenaktionen, an Mahnwachen, Kundgebungen oder Demonstrationen teilgenommen zu haben.) Prozent 30 teils teils, eher oder völlig unw ichtig eher wichtig äußerst wichtig 25 20 26,2 27,4 15 10 5 0 18,4 16 14,8 14,1 6,9 2,4 3,1 Geldspende Unterschriftenliste Mahnwache, Demonstration, Kundgebung Abbildung 9: Einsatz für Menschenrechte in Abhängigkeit vom Schulabschluss. (Anteil der Personen, der angab, "manchmal" oder "häufig" Geld gespendet, an Unterschriftenaktionen, an Mahnwachen, Kundgebungen oder Demonstrationen teilgenommen zu haben.) Prozent 30 25 ohne Abitur mit Abitur 29,1 20 15 25,1 24,3 22,5 10 5 0 9 4,1 Geldspende Unterschriftenliste Mahnwache, Demonstration, Kundgebung 11

Abbildung 10: Tatsächlich geleisteter Einsatz für Menschenrechte in Abhängigkeit vom Alter. (Anteil der Personen, der angab, "manchmal" oder "häufig" Geld gespendet, an Unterschriftenaktionen oder an Mahnwachen, Kundgebungen oder Demonstrationen teilgenommen zu haben. Prozent 40 35 14-31 32-44 45-61 älter als 61 39,7 30 25 20 27,3 28,6 24,2 23,1 22,2 15 10 5 0 18,1 11,3 9,5 4,8 5,2 4,4 Geldspende Unterschriftenliste Mahnwache, Demonstration, Kundgebung Die wichtigsten Ergebnisse bezüglich der Einsatzbereitschaft können folgendermaßen zusammengefasst werden: Je mehr die Befragten über Menschenrechte und Menschenrechtsdokumente wissen, desto stärker haben sie sich in den letzten fünf Jahren insgesamt für Menschenrechte engagiert (vgl. Abbildung 6 und 7). Je wichtiger die Personen die Verwirklichung von Menschenrechten einschätzen, desto stärker haben sie sich in den letzten fünf Jahren insgesamt für Menschenrechte engagiert (vgl. Abbildung 8). Bei den demographischen Variablen hatte besonders das formale Bildungsniveau einen Einfluss: Personen mit Abitur engagierten sich mehr für Menschenrechte als Personen die kein Abitur besitzen (allerdings nicht bei Spenden) (vgl. Abbildung 9). Das Alter hatte nur partielle Einflüsse. Je älter die Personen sind, desto stärker geben sie an, in den letzten fünf Jahren für eine Menschenrechtsorganisation Geld gespendet zu haben. Beim Protest gegen Menschenrechtsverletzungen durch Mahnwachen etc. sind aber die jungen Menschen (14-31 Jahren) aktiver (vgl. Abbildung 10). Diese beiden Ergebnisse entsprechen unseren Erwartungen. Andere Variablen wie Geschlecht, Ost-West-Zugehörigkeit, sozioökonomischer Status und Erwerbstätigkeit haben kaum einen systematischen Einfluss auf den Einsatz für Menschenrechte. 12

ZUSAMMENFASSUNG UND DISKUSSION Die von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte besteht aus 30 Artikeln (vgl. Zusammenfassung im Anhang). In der Präambel wird die Verwirklichung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal bezeichnet. Sowohl in der Präambel als auch in Artikel 26 wird gefordert, dass die Bildung auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten gerichtet sein muss. Dem entsprechend hat die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder bereits 1980 eine Empfehlung zur Förderung der Menschenrechtserziehung in der Schule gegeben und diese im Jahre 2000 nochmals bekräftigt und erläutert. Auf supranationaler Ebene hat zudem die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Jahre 1995-2004 als Dekade der Menschenrechtserziehung ausgerufen mit der folgenden zentralen Aussage:...jede Frau, jeder Mann und jedes Kind (müssen) in Kenntnis aller ihrer Menschenrechte bürgerlicher, kultureller, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Art gesetzt werden..., um ihr volles menschliches Potenzial entwickeln zu können. In der politischen Diskussion werden Menschenrechte häufig genannt, um politische und auch militärische Entscheidungen zu rechtfertigen. Andererseits wird auf Menschenrechte wie z.b. Recht auf Asyl bei Verfolgung oder Recht auf Schutz vor Arbeitslosigkeit kein Bezug genommen, wenn dies den politischen Interessen nicht dient. Es besteht also die Gefahr, dass Menschenrechte zum bloßen Etikett oder zur Legitimierung bestimmter Politiken verkommen. Wegen der hohen Relevanz von Menschenrechten im politischen Diskurs ist es von großem Interesse, Wissen, Einstellungen und Einsatzbereitschaft der Bevölkerung bezüglich Menschenrechten zu erfassen. Für die Bundesrepublik Deutschland wurde dies erstmals im Jahre 2002 in einer repräsentativen Befragung von Sommer, Stellmacher und Brähler durchgeführt. Die vorliegende repräsentative Befragung, die in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte durchgeführt wurde, ergänzt und vertieft die Ergebnisse aus der Studie von 2002. Auch in der vorliegenden Studie ist ein wesentliches Ergebnis, dass das Wissen über Menschenrechte recht gering ist. Nur 4% der deutschen Bevölkerung konnten auf die Frage nach Dokumenten, die Menschenrechte weltweit festlegen, ein Dokument wie "UNO-Menschenrechtskonvention/-charta" nennen. Somit ist das zentrale Dokument, nämlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, weitestgehend unbekannt. Ein zentrales Ergebnis der repräsentativen Studie von 2002 über Menschenrechte war, dass eine Halbierung der Menschenrechte besteht: Wenn Wissen über Menschenrechte vorhanden war (im Sinne des Nennens von Menschenrechten), dann in erster Linie über einzelne bürgerliche Rechte. Wirtschaftliche Menschenrechte waren bei den Befragten so gut wie nicht präsent, sie wurden spontan von den Befragten kaum genannt. Daher wurde in der jetzt vorliegenden Befragung näher analysiert, ob dieses mangelnde Wissen auf Erinnerungseffekte zurückzuführen ist, oder ob wirtschaftliche Rechte tatsächlich nicht als Menschenrechte klassifiziert werden. Die Ergebnisse zeigen erneut, dass wirtschaftliche Rechte kaum als Menschenrechte klassifiziert werden: Mit zwei Ausnahmen (Recht auf Nahrung, Kleidung, ärztliche Versorgung und Wohnung sowie Recht auf kostenlosen Grundschulunterricht) werden wirtschaftliche Rechte von weniger als 50% der Befragten als Menschenrechte identifiziert. Dagegen wurden sechs der vorgegebenen zehn bürgerlichen 13

Rechte von mindestens 50% der Befragten sicher als Menschenrechte angesehen. Dies entspricht der bereits in der ersten repräsentativen Befragung gefundene Halbierung der Menschenrechte: Wenn Menschenrechte in der deutschen Bevölkerung bekannt sind, dann sind dies in erster Linie bürgerliche Rechte. Das mangelnde Wissen bei wirtschaftlichen Rechten betrifft besonders die Teilaspekte des Rechts auf Arbeit: Sie werden nur von wenigen als Menschenrechte klassifiziert oder ihnen wird sogar explizit der Status eines Menschenrechts abgesprochen. Das mangelnde Wissen über Menschenrechte ermöglicht und erleichtert somit ihren politischen Missbrauch. Bei Berücksichtigung der Tatsache, dass in Deutschland und Europa seit den 1970er Jahren eine steigende strukturelle Arbeitslosigkeit zu verzeichnen ist, sollten z.b. der Stellenwert des Rechts auf Arbeit und des Schutzes vor Arbeitslosigkeit als Menschenrecht in breiterer Öffentlichkeit bekannt gemacht und die Implikationen diskutiert werden. Der Ost-West-Vergleich zeigt, dass Ostdeutsche durchgängig alle vorgegebenen wirtschaftlichen Rechte eher als Menschenrechte identifizieren als Westdeutsche. Dies entspricht ebenfalls den Ergebnissen unserer ersten Studie. Bürgerliche Rechte werden von Ost- und Westdeutschen gleichermaßen stark als Menschenrechte klassifiziert; zudem sind keine Unterschiede im Wissen über Menschenrechtsdokumente zu erkennen. Hier zeigen beide Gruppen vergleichbar große Defizite. Diese Ergebnisse bedeuten insgesamt, dass bezüglich des Wissens über Menschenrechte in der Bevölkerung große Defizite bestehen. Dies bedeutet zugleich, dass sowohl die Empfehlung der deutschen Kultusminister als auch die Ziele der UN- Dekade der Menschenrechtserziehung unzureichend realisiert wurden. Hier besteht weiterhin ein großer Handlungsbedarf bei staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen. Ein positives Signal ist hingegen, dass die weltweite Verwirklichung von Menschenrechten als sehr wichtig angesehen wird, und zwar gleichermaßen bei Ost- und Westdeutschen. Dieses positive Ergebnis ist insofern zu relativieren, als wir allgemein und nicht bezogen auf einzelne Rechte - die Wichtigkeit der Verwirklichung erfragten. Zudem gingen die Befragten notwendigerweise von ihrem wenig elaborierten Menschenrechtsbegriff aus. Nichtsdestotrotz bedeutet die grundsätzlich sehr positive Bewertung der Menschenrechts-Idee einen wichtigen Ansatzpunkt für die weitere Menschenrechtsarbeit. Eine weitere Frage der vorliegenden Studie war, wie stark sich Deutsche in den letzten fünf Jahren nach eigenen Auskünften praktisch für Menschenrechte engagiert haben. Insgesamt ist das Engagement eher gering, aber etwa 8% der Befragten geben an, häufig Geld gespendet oder durch Unterschriften ihren Protest gegen Menschenrechtsverletzungen ausgedrückt zu haben. Nimmt man die von etwa 40% der Befragten geäußerte prinzipielle Bereitschaft, sich für Menschenrechte einzusetzen (Befragung von 2002) hinzu, dann ergibt dies zumindest hypothetisch - ein großes Potenzial für Menschenrechtsarbeit. Es konnten zudem einige Faktoren gefunden werden, die mit dem Einsatz für Menschenrechte positiv zusammen hängen. Dies waren ein größeres Wissen über Menschenrechte und über Menschenrechtsdokumente sowie eine höher eingeschätzte Wichtigkeit der Verwirklichung von Menschenrechten. Dies belegt, dass Menschenrechtsbildung nicht nur aus der Vermittlung von Wissen bestehen darf, sondern auch die Wichtigkeit von Menschenrechten unterstreichen muss und letztlich auch die Bedeutsamkeit des eigenen Engagements für Menschenrechte. 14

Insgesamt zeigt die vorliegende Studie deutliche Defizite in der Menschenrechtsbildung, aber auch einige positive Ansätze. Es sei daher nochmals auf die große Bedeutung der Menschenrechtsbildung - im Rahmen der demokratischen Bildung - hingewiesen. Dazu gehören: ein breites Wissen und eine positive Bewertung bezüglich Menschenrechten möglichst früh zu vermitteln, und Menschenrechte als wichtigen Maßstab zur Beurteilung gesellschaftlicher Verhältnisse zu nutzen, die Bereitschaft zum Einsatz für ( einzelne) Menschenrechte zu fördern und die Bereitschaft zu fördern, Verletzungen von Menschenrechten offen zu legen und sich diesen Verletzungen zu widersetzen. 15

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) Kurze Zusammenfassung (G. Sommer) (Bürgerliche und politische Rechte) (1) Menschen sind frei und gleich geboren. (2) universeller Anspruch auf Menschenrechte, Verbot der Diskriminierung nach Rasse, Geschlecht, Religion, politischer Überzeugung usw. (3) Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit. (4) Verbot von Sklaverei. (5) Verbot von Folter und grausamen Behandlungen. (6) Anerkennung des Einzelnen als Rechtsperson. (7) Gleichheit vor dem Gesetz. (8) Anspruch auf Rechtsschutz. (9) Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Ausweisung. (10) Anspruch auf unparteiisches Gerichtsverfahren. (11) Unschuldsvermutung bis zu rechtskräftiger Verurteilung, Verbot der Rückwirkung von Strafgesetzen. (12) Schutz der Freiheitssphäre (Privatleben, Post...) des Einzelnen. (13) Freizügigkeit und Auswanderungsfreiheit. (14) Asylrecht. (15) Recht auf Staatsangehörigkeit. (16) Freiheit der Eheschließung, Schutz der Familie. (17) Recht auf individuelles oder gemeinschaftliches Eigentum. (18) Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. (19) Meinungs- und Informationsfreiheit. (20) Versammlungs- und Vereinsfreiheit. (21) Allgemeines gleiches Wahlrecht. (Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) (22) Recht auf soziale Sicherheit, Anspruch auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. (23) Recht auf Arbeit, freie Berufswahl, befriedigende Arbeitsbedingungen, Schutz gegen Arbeitslosigkeit, Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, angemessene Entlohnung, Berufsvereinigungen. (24) Anspruch auf Erholung, Freizeit und Urlaub. (25) Anspruch auf ausreichende Lebenshaltung, Gesundheit und Wohlbefinden, einschließlich Nahrung, Wohnung, ärztliche Betreuung und soziale Fürsorge. (26) Recht auf Bildung, Elternrecht, Entfaltung der Persönlichkeit; Achtung der Menschenrechte und Freundschaft zwischen allen Nationen als Bildungsziele. (27) Recht auf Teilnahme am Kulturleben. (28) Recht auf eine soziale und internationale Ordnung, die die Rechte verwirklicht. (29) Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, Beschränkungen mit Rücksicht auf Rechte Anderer. (30) Absoluter Schutz der in diesen Menschenrechten angeführten Rechte und Freiheiten. 16