Die mechanischen Löwen Stücke Übersetzt aus dem Serbokroatischen von Ilma Rakusa, Peter Urban

Ähnliche Dokumente
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Michał Walczak. Das erste Mal. (Originaltitel: Pierwszy raz) Aus dem Polnischen von Doreen Daume. henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH

3. Doppelstunde: Kann das Wackeln auch in anderen Stoffen wandern?

Auszug aus Mahlzeit Mahlzeit II DIE SEIFE

Szene 2: Einstieg Fragen der Schülerinnen und Schüler zum Schall

Sonntag Okuli / 23. März Biblisches Theater - Matthäus 15, 21-28

Was du schon immer über Räuber wissen wolltest

Der Polizist ist der Räuber

Superwoman!, rufe ich. Was? Es ist Andrea. Oh, sorry. Ich dachte, es wäre Kerstin. Ah. Sie klingt komisch. Was ist los?, frage ich vorsichtig.

Hehe, der ist eingeschlafen. Hehe! Kein Wunder! Der König lässt uns heute auch lange warten!

Opium ist das Einzige, was für ihn noch zählt. Und durch Isa Whitney kommt Watson in so einen Opium-Keller.

/ WG 11 Religion TBB / Fotostory: Himmel/Hölle / UE: Ich Anastasia Aust, Nicole Ermisch/ S. 2 von 43 Thema: Das Gute und das Böse

VAMPIRGESPRÄCHE: "ANTHONY":

Fach: Religion. Fotostory: Tödliche Nachrichten

Warten auf G. für Kristina & Peter. Bühnenstück. Hannes von Holt. Etüde aus Absurdistan

Kaori Monchi Wagamama Kitchen

MOTIVE A1 Einstufungstest. Teil 1. Ordnen Sie das fehlende Wort / die fehlenden Wörter zu. Es gibt nur eine richtige Lösung. MOTIVE A1 Einstufungstest

Fünfundvierzig Minuten. Es kann nicht mehr lange dauern.

Die Prinzessin und die Erbse

Stoffrechte Arena Lotta Olsson und Maria Nilsson Thore / Ein einzigartiger Freund und das ganz ganz große Glück

Inazuma Eleven: A+A Teil 1

Assassination Classroom Lovestory 2

Bernhard Studlar. DIE ERMÜDETEN Oder Das Etwas, das wir sind

1. Samuel 1. Hanna erbittet von Gott ein Kind und wird erhört

Ein Vater hatte zwei Söhne. Der Jüngere sagte: Vater, gib mir mein. Der Vater teilte seinen ganzen Besitz unter den Söhnen auf.

Wasserdialog Pastor Johannson Kirchenmaus zur Tauferinnerung

2. Doppelstunde: Eine Brücke ohne Stützen mit Gegengewichten Gleichgewicht herstellen

Kapitel 8. der Polizist, die Polizei

Spielen und Gestalten

Predigt Gott hört mich Konfirmation 2018

Ökumenischer Gottesdienst zur Einschulung

Track 1 Sirenengeheul

Das war die eine Seite in mir. So selbstbewusst konnte sie sprechen. Aber da gab es auch noch eine andere Seite. Erinnert ihr euch? Ich hatte Angst.

Kasperlis philosophische Krise

1. Gesprächsgang: 2. Gesprächsgang: 3. Gesprächsgang

16 Jesus sprach zu ihnen:

Die Zeit. /Stille - Ein Geschäftsmann kommt von rechts herein)

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Ben und das Hirngespinst - Selbstwertgefühl von Kindern stärken

Einheit 8: Gute Freunde wählen! Einleitung!

Exodus 15, 22-16,36 Bilderbuch zur Flucht durch die Wüste, gemalt von den Kindern aus dem Drittklassunterricht

G n a d e! Ein Shorty Von Marek Schaedel

Thomas Morgan Jones. Trollkind (Originaltitel: The forest in my room )

Predigttext: Maleachi 3,13-21

1. Doppelstunde: Zieht ein Magnet überall gleich stark an? Die Entdeckung der Pole am Magneten als Orte der stärksten Anziehung

bekümmerten. Gesandtschaften aus Österreich und Schweden weilten am Hofe, bedrängten sie um ihre Hand. Von Spanien und Frankreich ging eine

Julia steht auf, sucht den Augen-Make-up-Entferner, findet ihn, und schminkt sich ab.

Markus 2, 1 12 Vier Freunde für ein Halleluja Das Thema erinnert an einen Filmtitel ich habe den Film als Jugendlicher mit Begeisterung geguckt: Vier

Ewiges Leben ein gegenwärtiger Besitz

Übersetzung Video Michael (Mi), 8jährig (2:30-15:40)

Petra Müller. Kasperls Geburtstagstheater

Predigt (Joh 6,47-51): Kanzelsegen: Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

1. Unterrichtseinheit zum Thema Luft und Luftdruck: Eigenschaften von warmer Luft untersuchen

schau was ich hab. reicht rita einen strauß blumen. und eine flasche schnaps.

Aya Oda Mit dir bis ans Ende der Welt

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbe plötzlich in einem

Der kleine Weihnachtsmann und der große Wunsch

1 Proband Einleitung 6 7 Sind Fragebögen zum Thema Gewalt an Schulen wichtig oder eher unwichtig? 8 9 Nein, die sind nicht wichtig.

VERHEISSUNG NICHT HINAUS STOSSEN 01

+ die Kirche. Eine Einführung. M.E., September Alle Bilder selbst produziert oder Gemeingut/Public Domain.

Jojo sucht das Glück - 2 Folge 31: Kein Sinn

Jörg Wolfradt, Meine Katze, deine Katze (1. Szene)

Hueber Lesehefte. Der Ruf der Tagesfische. Deutsch als Fremdsprache. Leonhard Thoma. und andere Geschichten

Hänsel und Gretel [von Kirsten Großmann]

Als Mama ihre Weihnachtsstimmung verlor

Stille Nacht. Dieter Rehm Stubenberg am See 191 Austria Tel.: (+43) 3176 / 8700

Predigt. Familiengottesdienst zum Erntedankfest

Wissen Sie, mein Name und andere Dinge

Frau Schnabel leicht beleidigt: Du hast nie Zeit mir zu zuhören, merkst du das eigentlich?

Predigt zum Thema Wann ist ein Christ ein Christ?

schlecht benehmen, werde ich mich nicht weiter mit Ihnen befassen. Wie bitte? Das habe ich nie getan? Natürlich nicht, Sie gefallen mir nicht.

Krippenspiel der Jungen Gemeinde in der Ev. Kreuzkirche Görlitz ( )

Barabbas Predigt zu Karfreitag 2015 Pfarrer Tobias Wacker nach einer Vorlage von Judah Smith

3. Doppelstunde: Die Wirkung des Luftdrucks anhand verschiedener Versuche erfahren

Heilung des Blinden , A, Vierter Fastensonntag Aus dem Evangelium nach Johannes, Joh 9,1-41,

Der Diener zweier Herren

Samuel salbte David zum König über Israel Lesung aus dem ersten Buch Samuel

SHORTY DIALOG 01. von. Michael Gerdes

Das Hirtenkind. Thomas Koller Stubenberg am See 191 Austria Tel.: (+43) 3176 /

Hueber Lesehefte. Die ganze Wahrheit. Deutsch als Fremdsprache. Franz Specht. Carsten Tsara hat Besuch

Jesus kam für dich! - Echt krass!

Kreative Auseinandersetzung mit Texten und Themen des Deutschunterrichts LK Q2 Ueberholz

AD: Ne, ne, ne, da hast du was nicht ganz mitgekriegt. Also dieser Kostja, der ist heute hier, darum geht es ja, ob diese Konstellation passt.

Alexandra Maxeiner. mit Bildern von Horst Klein

UCLA PTSD REACTION INDEX FÜR DSM IV Jugendlichenversion

Predigt zum Sonntag Laetare über Johannes 6, 51 63

Von der Küche ging ein winziger Balkon ab, auf dem die beiden Frauen so viele Kräuter zogen, wie sie in den zusammengewürfelten Kübeln, Töpfen und

Anspiel zum Adventskranz Durch die Anspiel soll den Kindern der Adventskranz näher gebracht werden

Drei ungewöhnliche Weihnachtsgeschenke

HGM Hubert Grass Ministries

Gute Gedanken, nicht nur für Trauernde Impulse in Bild und Wort zum täglichen Evangelium 3- Woche nach Ostern

Familienblatt 2 WIR FEIERN ADVENT WIR FREUEN UNS AUF WEIHNACHTEN

8. Die ersten Jünger. Matthäus 4,18-22; Lukas 5, Mensch, der auch zuhören will (kann auch von Andreas gespielt werden mit anderem Umhang)

Der Affe, der ein Mensch werden wollte

Das magische Licht. Bearbeitet von Gabrielle Alioth

Isoldes Lehrer : " Du hast den Sprung in die Meisterklasse geschafft. Sehr gut.

Merten feiert seinen Geburtstag. Auf, Philipp, trink, trink, trink,! Ja, klar! Also, Leute, ich fahr jetzt mal heim.

Was ich an dir. liebe, Bruder. Eine originelle Liebeserklärung zum Ausfüllen und Verschenken

Ist 1:0=1? Ein Brief - und eine Antwort 1

Transkript:

Danilo Kis Die mechanischen Löwen Stücke Übersetzt aus dem Serbokroatischen von Ilma Rakusa, Peter Urban ISBN-10: 3-446-20832-1 ISBN-13: 978-3-446-20832-2 Leseprobe Weitere Informationen oder Bestellungen unter http://www.hanser.de/978-3-446-20832-2 sowie im Buchhandel

MÁRIA RIGÓ: Andreas Sam! Andreas Sam (Mit Tränen in den Augen) Herr du mein Gott, wie konnte ich mich nicht früher erinnern! Der kleine Andreas Sam, der Sohn von Herrn Eduard Sam, der kleine Sam, der sich immer mit Julija Szabó amüsiert hat Andi, Andi, wer könnte sich nicht erinnern Und ich habe so oft an euch gedacht (Verwirrt) An dich, an deine Schwester, an euch alle. Kaum hattest du Julija Szabó erwähnt, habe ich mich sofort erinnert (Droht ihm mit dem Finger) Du meinst wohl, deine gute alte Lehrerin wäre schon völlig verkalkt und erinnerte sich an gar nichts mehr. Oh, du warst ein großer Taugenichts Ein Taugenichts, wie mein Oto, bei Gott Ich weiß, du hast der kleinen Julija den Kopf verdreht Das habe ich schon damals gewußt Ach, wie wird sich der Emil freuen, wenn er hört, wer da zu Besuch gekommen ist. Ich weiß nur wirklich nicht, wo er so lange bleibt Vielleicht sollte ich jemanden nach ihm schicken, damit man weiß, was mit ihm ist damit er endlich nach Hause kommt Wie konnte ich mich bloß nicht erinnern Als wäre es gestern, so genau sehe ich alles vor mir. Du hast dich wirklich sehr verändert Ich erinnere mich, du bist immer mit so einem großen Hund spazierengegangen, am Flußufer entlang Und hast dich mit Julija im Heuschober versteckt Ich kenne dich, habe ich dich jetzt endlich erwischt Andi, Andi Also darauf muß auch ich ein Gläschen trinken, obwohl der Arzt es mir verboten hat, sogar vor dem Essen, ein Gläschen Raki zu trinken, trotzdem, bei solch seltenen Anlässen trinke auch ich einen Tropfen. Auf dein Wohl JUNGER MANN: Auf Ihr Wohl, Frau Lehrerin MÁRIA RIGÓ: Ah nein, warte einen Augenblick (Horcht. Man hört, wie die Wohnungstür geöffnet wird) Das ist sicher Emil Wir trinken das Gläschen zu dritt Emil Emil? EMIL (off): Wieder haben die uns gequält mit ihren ewigen Versammlungen MÁRIA RIGÓ: Emil, sieh nur, wer uns besuchen gekommen ist Einer von Otos Freunden. EMIL (off): Immer findet sich jemand, der die Parteilinie nicht kapiert, und deswegen mußt du und deine Genossen deine kostbare Zeit verschwenden Emil tritt ein, reicht dem jungen Mann die Hand, küßt Mária auf die Leseprobe Seite 1

Stirn. EMIL: Verzeihen Sie, ich bin ein bißchen müde Um Gottes willen, Mária, warum hast du dem Genossen nichts zu essen gegeben sicher habt ihr auf mich gewartet JUNGER MANN: Oh, nein, meine Lehrerin hat mich äußerst liebenswürdig bewirtet, aber glauben Sie mir MÁRIA RIGÓ: Emil, das ist ein Schulfreund von Oto JUNGER MANN: Eigentlich, um genau zu sein: von Anton. EMIL: Von der Universität? MÁRIA RIGÓ: Aber nein, Emil, um Gottes willen, ein Schüler von mir von vor zwanzig Jahren. Er ging mit Anton zusammen in die Grundschule JUNGER MANN: Ja, Herr Emil, von vor zwanzig Jahren MÁRIA RIGÓ: Natürlich, Emil, kannst du dich nicht an Andreas erinnern, den kleinen Andreas EMIL: Wieso eigentlich nicht, ich habe den Eindruck, als komme mir das Gesicht ganz bekannt vor Ehrlich gesagt, kann ich mich nicht genau erinnern hm an die elementaren, um es so zu sagen, die biographischen Daten, aber daß der Genosse einer von Otos MÁRIA RIGÓ: Von Antons EMIL: Von Antons Schulfreunden ist, ist mir ganz klar, das heißt, ich habe in Ihnen einen der aber ehrlich gesagt MÁRIA RIGÓ: Gib dir keine Mühe, Emil Glaube mir, auch ich habe ihn nicht wiedererkannt, und stell dir vor, bis vor kurzem, bis du kamst, hat er mich im Ungewissen gelassen, wie in einem Kriminalfilm Er war so geheimnisvoll, bis er sich endlich zu erkennen gab Und weißt du, wie? Mária Rigó geht in die Küche. MÁRIA RIGÓ (off): Die Kartoffeln sind ein bißchen zerfallen, aber das Fleisch schmeckt sehr gut Emil, mein Gott, du bist selber schuld Aber mir tut es leid JUNGER MANN: Frau Rigó ist wirklich äußerst liebenswürdig zu mir Und ich habe wirklich Ihre Gastfreundschaft nicht mißbrauchen wollen EMIL: Oh, bitte, bitte, kein Wort vom Mißbrauch der Gastfreundschaft Bitte sehr im Gegenteil Frau Rigó kommt mit dem Essen herein. MÁRIA RIGÓ: Oh, nein, Emil, du mußt dich noch ein Momentchen Leseprobe Seite 2

gedulden (Stellt Schüsseln auf den Tisch) Also dieses Gläschen wollte ich trinken auf das Wohl des kleinen Andreas Sam, meines Schülers Das wollten wir, gerade als du kamst EMIL: Wie sagtest du? (Zum jungen Mann) Ah! (Klopft ihm auf die Schulter) Natürlich, Andreas S?ram, Otos Freund, der MÁRIA RIGÓ: Du hast danebengetappt, Emil Du meinst Otos Freund Andor S?ram, aber das hier ist Andreas Sam Also, Andi, Emil (Alle greifen zu den Gläsern) auf das Wohl meines Schülers Andreas Sam Alle trinken aus. EMIL: Wie sagten Sie, Sam, Andreas Sam JUNGER MANN: Ja, mein Herr, Andreas Sam. MÁRIA RIGÓ: Natürlich kannst du dich kaum an ihn erinnern Du hast ihn nur unterrichtet, wenn du mich vertreten mußtest, was vor allem besagt JUNGER MANN: Ja, Herr Emil, Sie haben uns immer Kopfnüsse gegeben EMIL: Das kann ich nicht glauben Kopfnüsse? JUNGER MANN: Ja, Herr Emil, Sie gaben uns Kopfnüsse, mit dem Mittelfinger, an dem sich ein Siegelring befand MÁRIA RIGÓ: Andi, vielleicht übertreibst du auch Soviel ich weiß, war Emil sehr gutmütig zu den Schülern. EMIL: Wissen Sie, ich will Ihnen jetzt nicht widersprechen, aber, ehrlich gesagt, was Sie da sagen, das heißt, daß ich jemals, jemals in meinem Leben meinen Schülern Kopfnüsse gegeben haben soll, und das mit dem Siegelring, das erscheint mir geradezu phantastisch! Nein, nein, ich weiß, daß in der kindlichen Psyche entstehen kann, in diesem Fall auf der Linie des Widerstands, daß also eine Art psychischer Deformation entstehen kann, eine Art deformierter Erinnerung, die ihrerseits Folge eines Schocks ist, einer Art, wie soll ich sagen, einer Art infantiler fixen Idee MÁRIA RIGÓ: Also setzen wir uns zu Tisch und essen wir endlich, es wird nichts mehr aufgeschoben JUNGER MANN: Ich bleibe bei meinem, gnädige Frau, und setze mich mit Ihrer Erlaubnis hierher, während Sie essen MÁRIA RIGÓ: Gut, Andi, aber daß du weißt, daß es mir sehr leid tut, daß du nicht mit uns essen kannst Aber wenn der Mensch keinen Hunger hat Leseprobe Seite 3

Emil setzt sich zu Tisch, stopft sich eine weiße Serviette in den Hemdkragen und beginnt zu essen. Die ganze Zeit spricht er mit vollem Mund, ißt langsam, aber wie ein Gourmand. EMIL: Tut uns wirklich leid aber, wie der Volksmund sagt, man soll den Menschen nicht zwingen Schenken Sie sich nur ein der Raki ist nicht schlecht Aber es erscheint mir geradezu phantastisch, weil ich seit eh und je, also seit ich mich mit dieser pädagogischen Praxis beschäftige, also noch zu der Zeit, als ich Dorfschullehrer war, und das ist ziemlich lange her, also seit eh und je physischen Zwang, physische Strafen als unpädagogisch und inhuman angesehen habe, was in diesem Falle ein und dasselbe bedeutet, denn gerade die Pädagogik ist letzten Endes auf Humanität zurückzuführen und umgekehrt JUNGER MANN: Glauben Sie mir, ich habe das nur so ganz nebenbei erwähnt, als Erinnerung aus meiner Kindheit, die Frau Rigó und ich EMIL: In Ordnung, in Ordnung, ich fühle mich nicht beleidigt, weit davon entfernt, aber ich will nur erklären, wie gewisse Dinge sich durch das Prisma der Erinnerung verändern, und besonders, wenn es sich um Kindheitserinnerungen handelt Einfacher gesagt: Ihnen erschien mein Ring in einem Augenblick, als, sagen wir, in einem Augenblick, wo Sie ein schlechtes Gewissen hatten wegen irgendeines völlig naiven und kindischen Vergehens, damals erschien Ihnen mein Ring als irgendwie bedrohlich, sogar gefährlich, als irgendein gefährliches Mittel zur Bestrafung mißratener Schüler MÁRIA RIGÓ: Und ob, Emil, er hatte wahrlich Grund für ein schlechtes Gewissen. Er hat sich doch immer mit den kleinen Mädchen herumgedrückt EMIL: Sehen Sie, und so ist es zu dieser Deformation gekommen, zu dieser kleinen psychischen Deformation, daß Ihnen mein Ring im Traum erschien oder daß Sie sich einfach eingebildet haben, wie der Lehrer, dieser ewig strenge Lehrer, die Kinder bestraft, indem er ihnen Kopfnüsse gibt, und das bitte, das ist sehr interessant mit dem Mittelfinger, an dem sich ein Siegelring befindet. JUNGER MANN: Sie haben recht, Erinnerungen, besonders Kindheitserinnerungen sind schwer zu überprüfen und noch weniger zu beweisen, denn der Zeuge, sozusagen, der einzige Zeuge ist tot EMIL: Sehen Sie ein hervorragendes Beispiel Leseprobe Seite 4

JUNGER MANN: Aber Sie müssen mir verzeihen, diese Geschichte mit dem Siegelring sitzt in mir, fest und unverbrüchlich MÁRIA RIGÓ: Ihr redet wirklich von sehr unwichtigen Dingen. Wie dem auch sei, Emil, du mußt zugeben, du warst schon immer nervös, obwohl ich, ehrlich gesagt, Andi, weiß, daß Emil ein Vorkämpfer anderer pädagogischer Maßnahmen ist und daß er gegen jegliche physische Bestrafung von Schülern ist. Leseprobe Seite 5