Blinde Menschen setzen Maßstäbe für Location Based Services präzise Mobilität am Beispiel Guide4Blind

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Transkript:

214 Blinde Menschen setzen Maßstäbe für Location Based Services präzise Mobilität am Beispiel Guide4Blind Jörn PETERS Kreis Soest Hoher Weg 1-3 59494 Soest E-Mail: joern.peters@kreis-soest.de 1 Ausgangssituation 1.1 Die Initiative NAV4BLIND Der Kreis Soest startete Ende 2006 mit der Initiative NAV4BLIND Navigation für blinde und sehbehinderte Menschen. Die Idee kam durch den Autor aus dem Katasteramt des Kreises und ist eine Kombination verschiedener, bundesweit standardisierter Karten-, GPSund Mobilfunktechniken, um eine hochgenaue Fußgängernavigation für blinde Menschen zu ermöglichen. Schnell wurde aus der Initiative ein Cluster mit Teilnehmern aus Forschung, Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung. Die Konkretisierung der Themenbereiche erfolgte 2007 und führte in dem Jahr zur ersten Veröffentlichung auf der CeBIT in Hannover. NAV4BLIND wurde 2008 ein ausgewählter Ort im Land der Ideen, gewann anschließend im Clusterwettbewerb Erlebnis.NRW 2008 mit dem Projekt Guide4Blind Neue Wege im Tourismus auch für blinde und sehbehinderte Menschen eine Fördersumme von 1.600.000 und wurde in dem europäischen Projekt HaptiMap Haptic, Audio and Visual Interfaces for Maps and Location Based Services einer von 14 europäischen Partnern. Abb. 1: Das Origianalbild NAV4BLIND 1.2 Die Grundidee Fußgängernavigation für blinde Menschen Die Initiative NAV4BLIND hat die Entwicklung, Umsetzung und Verbreitung eines satellitengestützten Navigationssystems für blinde und sehbehinderte Menschen zum Ziel. Koch, A., Kutzner, T. & Eder, T. (Hrsg.) (2012): Geoinformationssysteme. Herbert Wichmann Verlag, VDE VERLAG GMBH, Berlin/Offenbach. ISBN 978-3-87907-514-0. Dieser Beitrag ist ein Open-Access-Beitrag, der unter den Bedingungen und unter den Auflagen der Creative Commons Attribution Lizenz verteilt wird (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/).

Blinde Menschen setzen Maßstäbe für Location Based Services 215 Blinde oder sehbehinderte Menschen sollen in einem 30 bis 70 cm breiten virtuellen Korridor geleitet werden und durch permanente satellitengestützte Ortung Anweisungen erhalten, wie Sie sich fortzubewegen haben, um ein zuvor eingegebenes Ziel zu erreichen. Über die Angaben zur Routenfindung hinaus sollen auch vielfältige Informationen über die Umgebung vermittelt werden. Auf diese Weise wird blinden und sehbehinderten Menschen eine deutlich verbesserte Mobilität und Lebensqualität geschaffen. Abb. 2: Präzise Navigation in einem Korridor von 0,70 cm bis 1,40 m Diese Technik soll über eine Kombination komplementärer Satellitensysteme (amerikanisches GPS, russisches GLONASS und zukünftig auch mit dem europäischen GALILEO), den Satellitenpositionierungsdiensten der Länder und bundesweit standardisierten Inhalten auf der Basis des Amtlichen Liegenschaftskataster-Informationssystem ALKIS ermöglicht werden. 2 Entwicklungsstrategien 2.1 Nationale Ebene In NAV4BLIND und seinen Folgeprojekten werden Lösungen und Verfahren mit einer erweiterten Fußgängernavigation für blinde und sehbehinderte Menschen entwickelt, um ihnen mehr Teilhabe im Alltag zu bieten und durch größere Eigenständigkeit eine Verbesserung der Lebensqualität und Mobilität zu ermöglichen. Schwerpunkte sind hierbei die Navigation und Kartendienste, Kommunikationsschnittstellen und Echtzeitdienste im Öffentlichen Personenverkehr. Der Kreis Soest setzt dabei Entwicklungen in Gang, die für betroffene Menschen eine technische und kostengünstige Verbesserung, bei gleichzeitigen kosten- und personalintensiven Einsparungen im Alltag bedeuten. Insgesamt leben allein in Deutschland 145.000 blinde und 1.200.000 stark sehbehinderte Menschen. Weltweit gibt es über 45.000.000 Betroffene mit steigender Tendenz. Weitere Informationen unter www.nav4blind.de.

216 J. Peters 2.2 Internationale Ebene Das Europäische Projekt HaptiMap richtet seine Forschungen auf eine erweiterte Personengruppe aus. Hier sind nicht nur blinde und sehbehinderte Gruppen im Focus, sondern allgemein mobilitätseingeschränkte Menschen. Dazu gehören ältere Menschen, Rollstuhlfahrer, Gehbehinderte ebenso, wie auch Familien mit Kinderwagen. In HaptiMap werden haptische, auditive und visuelle Schnittstellen für Karten und ortsbezogene Dienste entwickelt. Neben ergänzender Soft- und Hardware sind insbesondere Applikationen (Apps) für iphone- und Android-Mobilfunkgeräte im Schwerpunkt, die mit entsprechenden Kartenund Navigationsdiensten verbunden werden und später kostenlos zur Verfügung stehen. Das Projekt wird von der Universität in Lund, dem Certec Design Center, geleitet und hat insgesamt 14 Partner aus Europa. Die teilnehmenden Universitäten, Firmen und Partner des öffentlichen Dienstes kommen aus Spanien, Frankreich, Irland, Schottland, Großbritannien, Finnland, Belgien, Schweden und Deutschland. Die Zusammenstellung der Partnerländer verdeutlicht den Wirkungsgrad innerhalb Europas und bietet eine breite Plattform für Übertragungsmöglichkeiten. Weitere Informationen unter www.haptimap.org. 3 Die Technologieumsetzung 3.1 Nutzer- und Anwenderstudien Die Anforderungen blinder und sehbehinderter Menschen an Genauigkeiten von Karten, präziser Navigation und Location Based Services ist so vielfältig, dass auch alle anderen Menschen von den Entwicklungen partizipieren können. Etwas, was für blinde Menschen vorteilhaft ist, ist auch für jeden Sehenden nutzbar. Die unterschiedlichen Bedürfnisse wurden mit betroffenen Menschen in nationalen und internationalen Anwender- und Nutzerstudien diskutiert und zusammenfassend in Pflichtenheften und Leistungsbeschreibungen festgehalten. Sie dienen als Grundlage unserer Entwicklungen. Wichtigste Anforderungen an ein Navigationssystem für blinde Menschen: es darf nicht stigmatisierend sein, präzise Umgebungsinformationen mit Location Based Services, präzises Fußgängerrouting und -navigation im Langstockbereich, Nutzung von Standardgeräten wie dem Apple iphone. 3.2 Guide4Blind Das Projekt Guide4Blind Neue Wege im Tourismus auch für blinde und sehbehinderte Menschen ist Teil der Initiative NAV4BLIND und ein Region förderndes touristisches Infrastruktur-Forschungsvorhaben. Durch die Entwicklung und Pilotierung barrierefreier Tourismusanwendungen und Verkehrsmittel übergreifender Navigationslösungen für blinde und sehbehinderte Menschen trägt dieses Projektvorhaben zur Verbesserung der Mobilität und der Lebensqualität dieser Menschen bei.

Blinde Menschen setzen Maßstäbe für Location Based Services 217 Im Bereich des regionalen Tourismus gibt es keine oder nur wenige Angebote, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit körperlichen Einschränkungen ausgerichtet sind. Hierzu gehören besonders blinde und sehbehinderte Menschen aber auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität, zu denen auch Senioren zu zählen sind. Den Anwendern werden neue Wege eröffnet, ihre Urlaubsregion über eine Routenplanung und mobile Routenführung aktiv kennen zu lernen und zu erleben. Das Besondere des Guide4Blind ist, dass Benachteiligten mehr Mobilität und Selbstständigkeit ermöglicht wird. Ein blinder oder sehbehinderter Mensch wird zum normalen Touristen. Zugleich bietet die Technik die Chance auch für andere Nutzer, die Beziehungen zu attraktiven Städten und Naturräumen zu verstärken. Damit werden nicht nur Barrieren abgebaut, sondern auch Brücken und Bindungen für das Zusammenwachsen gemeinsamer Interessen unserer Bevölkerung gebaut. Weitere Informationen zum Projekt erhalten sie auch unter www.guide4blind.de. 3.3 Kernbereiche der Entwicklung Der Fokus in der Entwicklung liegt insbesondere auf drei Kernpunkten: Kombination hochpräziser Geodaten mit Location Based Services, präzise Navigation unter Nutzung von Korrekturdatendiensten, situationsbezogene Kommunikation. Voraussetzungen für diese Kernpunkte sind ortsbezogene Dienste und Informationen, die umfassend und mobilitätsorientiert vorgehalten, sowie personalisiert zur Verfügung gestellt werden müssen. Weiterhin wird die Präzision der Ortung in Verbindung mit genauen und detailreichen Karten beachtet und mit einer blindengerechten Zielführung kombiniert. 3.4 Hochpräzise Geodaten in der Fachschale Topo+ Die Katasterbehörden in Deutschland stellen ihre Kartenwerke auf ein einheitliches System um, dem Amtlichen Liegenschaftskataster Informationssystem ALKIS. Abb. 3: Topo+-Daten in die Katasterkarte integriert

218 J. Peters Dieses System dient als Grundlage für die zusätzlichen topographischen Daten, die für die Navigation blinder und sehbehinderter Menschen erfasst und abgebildet werden. Im Projekt Guide4Blind wurde in diesem Zusammenhang ein eigener Objektabbildungskatalog OBAK Topo+ ALKIS konform entwickelt. Die Flächen- und Punktobjekte erhalten erweiterte Attribute, die als Grundlage für das Routing und die Zielführung der Fußgängernavigation dienen. Die Daten weisen eine absolute Genauigkeit von 1-10 cm auf. Hauseingänge werden erfasst und dienen als Gebäudeadresse. Ebenso werden sämtliche Objekte OBAK konform abgebildet, die für die Blindennavigation erforderlich sind. Die flächendeckenden Daten beinhalten zusätzlich die Kanten- und Knotenmodelle für das Routing, Hindernisse, Signalanlagen, Schilder, virtuelle Kanten, Leitsysteme, Einstiegsbereiche des ÖPNV und vieles mehr. Abb. 4 und 5: Die kinematische Erfassung erfolgte mit hochauflösenden Mess- und Videokameras des Systems eagle eye technologies in einer absoluten Genauigkeit unter 10 cm. 3.5 Routing mit DGNSS (Differential Global Navigation Satellite System) Das Routing, die Zielführung und die Nutzer bezogenen Anforderungen erfordern eine hohe Genauigkeit in der Positionierung. Der blinde Fußgänger soll auf sicheren Wegen in einem Korridor navigiert werden und dabei unterstützende ortsbasierte Informationen erhalten. Das in Guide4Blind entwickelte DGNS System nutzt ergänzend Satellitenpositionierungsdienste und übermittelt jede Sekunde eine genaue Koordinate an das Endgerät. Abb. 6: Die Satellitensysteme GPS, GLONASS und Galileo werden komplementär zur Positionsbestimmung genutzt, mit Korrekturdatendiensten ergänzt und z. B. in einem Apple iphone kompatiblen DGNSS-Empfänger eingesetzt.

Blinde Menschen setzen Maßstäbe für Location Based Services 219 3.6 Kommunikation und Anwendungen Ein wesentliches Moment in der Blindennavigation ist die Kommunikation. Wie werden welche Daten und Informationen wann und auf welchem Wege übertragen? Welche Richtungs- und Zielführungshinweise sind notwendig? Welche Störfaktoren gehen davon aus, die die Wahrnehmung blinder Menschen im Straßenverkehr beeinflusst? Wir haben unterschiedliche Zielführungsmöglichkeiten gewählt, ebenso unterschiedliche Schnittstellen für die Kommunikation. Der Blinde oder Sehbehinderte kann zwischen einer Zielführung mit einem Geiger Counter oder einem Richtungspfeilmodus über Vibrations- oder Audiomuster zum nächsten Punkt geführt werden. Abb. 7 und 8: Peilung und Zielführung über Audio- und Vibrationsmuster. Die Anwendungen werden in den Applikationen Cityguide, Busguide und Tandemtourguide auf dem iphone und in Android Systemen eingesetzt und bilden eine ergänzende Hilfe zur Navigation. Abb. 9 und 10: Der Busguide bietet Navigation bis zum Einstiegsbereich der Busse, Echtzeitinformationsdienste vorher, während und nach der Fahrt. Mehr Wissen als Sehen im Tandemtourguide macht den Blinden zu einem echten Navigator und Reiseführer.

220 J. Peters Abb. 11 und 12: Der Cityguide ermöglicht Stadtrundgänge und alltägliche Dinge in der Stadt autark durchzuführen. 3D-Modelle ergänzen die Audiodeskriptionen fühlbar. 4 Übertragung und Weiterentwicklung 4.1 Berlin Soest Die Entwicklungen aus Guide4Blind werden auf nationaler und internationaler Ebene übertragen. In 2012 folgt das Anschlussprojekt m4guide mobile multi-modal mobility guide. Zielsetzung des Projektes m4guide ist die Entwicklung und praktische Erprobung eines durchgängigen personalisierten Reiseinformations- und Zielführungssystems, das auch von blinden und sehbehinderten Menschen in Städten genutzt werden kann. Die Schwerpunkte bilden Out- und Indoor-Navigationslösungen, Echtzeitinformationsdienste, präzise GPS Positionierung, bedarfsgerechte Softwareentwicklung sowie Kartengrundlagen und Kartendienste, die eine Navigation auch innerhalb von Gebäuden ermöglichen. Dafür werden mit mobilitätseingeschränkten Menschen begleitende Anwender- und Nutzerstudien durchgeführt und in unterschiedlichen Testszenarien erprobt. Wichtiger Bestandteil ist die Integration der Dienste aus dem Öffentlichen Personenverkehr (ÖPV). 4.2 Europa Weiterhin ist ein thematisches Kompetenznetzwerk NoC4Blind Network of Competence for blind and visually impaired people geplant. In dem Netzwerk werden europäische Projekte, Initiativen, Cluster und internationale Entwicklungen in weiterführenden Projekten kombiniert. NoC4Blind soll mit einer Laufzeit von vier Jahren angesetzt werden. Die Beteiligung ist hier nicht auf einzelne Unternehmen gerichtet, sondern auf abgeschlossene, laufende und entstehende nationale und internationale Projekte, die mit ihrem Konsortium ein sehr großes Potenzial aus Forschung, Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlichem Dienst bieten können. Schwerpunkte sind insbesondere die Navigation, Geodaten, Kommunikation und ÖPV in Hinblick auf blinde und sehbehinderte Menschen und in der Erweiterung auf mobilitätseingeschränkte Menschen.

Blinde Menschen setzen Maßstäbe für Location Based Services 221 Abb. 13: Geplante Partner in NoC4Blind Abschließend Die Initiative des Kreises Soest ist auf ein breites Interesse gestoßen. Wir möchten durch Folgeprojekte die Nachhaltigkeit und insbesondere die kontinuierliche Weiterentwicklung der Ideen und Techniken verfolgen, um vielen mobilitätseingeschränkten Menschen eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen und Barrieren abzubauen. Aus unserer Sicht kann der öffentliche Dienst in vielen Bereichen innovativ sein, entwickeln und unterstützen, ohne als Konkurrenz zu Wirtschaftsunternehmen gesehen zu werden. Wir können Bereiche abdecken, die für Unternehmen nicht lukrativ und gewinnbringend genug sind, um positive Entwicklungen überhaupt erst in Gang zu bringen. Das wiederum schließt eine Unterstützung der Wirtschaftsunternehmen durch Vergaben oder Mitarbeit nicht aus, sodass oftmals eine Win-Win Situation entsteht. Die Unternehmen entwickeln im Auftrag der Kommune Produkte, die wiederum für die betroffenen Menschen günstiger angeboten werden können. Dies resultiert daraus, dass die eigentlich zu leistenden Forschungs- und Entwicklungsarbeite bezahlt werden und so ein günstigeres Preisgefüge für, in unserem Fall blinde und sehbehinderte Menschen, entstehen kann. Eine Finanzierung kann unterschiedlich erfolgen und als Non Profit Partner/Kommune ist eine kostendeckende Förderung aus unterschiedlichen Töpfen der EU durchaus möglich. Deutschland leistet einen großen Beitrag innerhalb der EU und diese Finanzierungskette sollte auch hierzulande mit guten Ideen und Projekten abgeschöpft werden können. Weitere Wertschöpfungsketten gehen einher und tangieren Zukunftsstrategien des Bundes, der Länder und Kreise. Übertragungen in andere Lebensräume sind möglich und wünschenswert. Die den Projekten begleitende wachsende Barrierefreiheit ist ein hohes Gut, von dem wir alle partizipieren können.

222 J. Peters Literatur BÖCKER, J., RATHÖFER, A., PETERS, J. & KÖSTER, M. (2011), Fachschale ALKIS mit Objektabbildungskatalog Topographie plus, OBAK Topo+, Soest/Bonn. HAPTIMAP CONSORTIUM (2009), Haptic, Audio and Visual interfaces for Maps and Location Based Services, D1.1 Initial User Studies und D1.2 User Study Guidelines, Lund. HAPTIMAP CONSORTIUM (2010), Haptic, Audio and Visual interfaces for Maps and Location Based Services: D4.1 Report on Technical Specifications and Standards of Geographic Information und D5.1 Selection and Specification of the demonstrators applications, Lund. LUDWIG, J. (2010), Die kinematische Erfassung hochauflösender Mess- und Videokameras mit eagle eye technologies, Soest/Berlin. PETERS, J. (2006), NAV4BLIND Navigation für blinde und sehbehinderte Menschen. www.nav4blind.de. PETERS, J. (2008), Guide4Blind Neue Wege im Tourismus für blinde und sehbehinderte Menschen. www.guide4blind.de.