Histologische Untersuchung uber die Mittelohrmuskeln. II. Veranderungen der Muskeln durch langdauernden Schallreiz. (Versuche an Meerschweinchen.) Von Keihin Chin. (Aus dem Anatomischen Institut der Medizinischen Fakultat zu Okayama. Vorstand: Prof. Dr. K. Yagita und Prof. M. Seki.) Mit 5 Textabbildungen. Arbeiter in Betriebslarrn leiden oft an einer Schwerhorigkeit. Diese gewerbliche Krankheit nimmt in jiingster Zeit mit der Entwicklung der Schwerindustrie betrachtlich zu. Das Wesen der SchwerhOrigkeit durch die allmahliche Einwirkung der Schalle ist aber noch nicht vollig aufgeklart. Die Aufrnerksamkeit von den meisten Autoren ist bisher nur dern inneren Ohr oder den nervosen Zentralorganen zugewandt worden die Mittelohrmuskeln wurden aber leider zu wenig beachtet. Die vorliegende Arbeit hat es sich zur Aufgabe gernacht, die - histologischen Veranderungen der Muskeln durch einen langdauernden starken Schallreiz naher zu untersuchen, und zwar an Meerschweinchen. I. Material und Methode. In erster Linie wurden Versuche an vier gesunden Meerschweinchen vorgenommen. Das Meerschweinchen A und D war von 'einem Wurf und im Alter von 3 Monaten, B und C aber von einem anderen und von A. Monaten (Tabelle i). Die Ernahrungszustande waren selbst an Tieren von demselben Wurf etwas verschieden. Man variierte also wahrend des Experirnentes die Kostmenge und konnte endlich das KOrpergewicht der Tim von demselben Wurf vergleichen. i) Ausgefiihrt mit Untersrtitzung durch Mittel aus dern Fonde des Kultusministeriums fiir FOrderung der wissenschaftlichen Forschungen.
30o K. Chin, Tabelle i. KOrpergewicht. Die Schallquelle war eine grossere elektrische Klingel mit verhaltnismassig hoheren TOnen (Schwingungszahl durchschnittlich etwa 'zoo). Nach 42 Tag en wurden die Tiere getiitet und durch eine Injektion von zo%- iger FormalinlOsung die Blutgefisse fixiert. Die herausgenornmen Organstiicke liessen sich nach Entkalkung nach der Methylalkohol-Celloidinmethode von S e k i (i937), wonach die Schrumpfungserscheinungen von Gewebselementen allgemein sehr gering sind, in Celloidin einbetten und in eine Serie schneiden. Die Schnitte wurden zur Messung der Faserdicke der Muskeln nach der H e i d e n h a i n schen Eisenhamatoxylinmethode, zur Darstellung der elastischen Fasern mit dem Resorcinfuchsin und zur Hervorhebung des Bindegewebes nach der Azan-Methode gefarbt.'ober das Verfahren der Dickenmessung der Muskelfasern, der Zdhlung der gesamten Muskelfasern, der Bestimmung des Zahlenverhiltnisses der elastischen Fasern usw. findet man Ausfiihrliches in unserer vorigen Mitteilung (1941). Sicherheitshalber wiederholten wir einen analogen Versuch an vier 4 monatigen Meerschweinchen von einem Wurf. Der Schallreiz dauerte diesmal nur 28 Tage an (Tabelle 2). Tabelle z. KOrpergewicht. II. Resultate der Experimente. I. Dicke der Muskelfasern. Man ersieht aus den folgenden Tabellen, dass die Muskelfasern des T e n- s o r tympani sich bei kontinuierlichem Schallreiz auffallend verschmalern. Die Verschrnãierung der Fasern geht jedoch nicht gleich-
Histologische Untersuchung abet. die Mittelohrmuskeln. II. 305 Tabelle 3. Faserdicke (Experiment 1). Tabelle 4. Faserdicke (Experiment z). Abb. 1. Querschnitt des normalen Tensor tympani des Meerschweinchens. Vergr. 400 X. Abb. z. Tensor tympani, nach nut in Tageszeit 42 Tage andauernder Schallwirkung. Vergr. 400 X. mdssig ember, sondern an gewissen Fasern rascher und starker, so dass der Variationskoeffizient zunimmt (vgl. Abb. 1-3). Die Stapediusfa s e r n bleiben dagegen unverandert oder verdicken sich vielmehr, wenn auch in ganz geringem Masse (vgl. Abb. 4 und 5). Bei den Tieren, die nu r zu Tag eszeit gereizt sind, zeigen die Muskelfasern, be sonders vom Stapedius, fast keine Verdnderung (s. Abb. a). Die gefundene. Verschmdlerung der T e n s o r- fa s ern ist wahrscheinlich eine Art von Inaktivitatsatrophie infolge der langdauernden Erschlaffung des Muskels. Die Muskelerschlaffung hat
302 K. Chin, natiirlich eine Entspannung des Trornmelfells zur Folge und lasst den letzteren nicht rnehr hochfrequent schwingen, so dass eine Fortleitung der hoheren Tone zurn Labyrinth sehr verhindert wird. Das dagegen die Stapedius- fa s ern sich kaum verandern, beruht vielleicht darauf, dass dieser Muskel zwar auf tiefe Tone emr findlich reaziert, fiir iohere aber sich sehr indifferent verhilt. Abb. 3. Tensor tympani, nach Tag und Nacht 42 Tage andauernder Schallwirkung. Vergr. 400 X. Abb. 4. Querschnitt des normalen Stapedius des Meerschweinchens. Vergr. 35o x. Abb. 5. Stapedius, nach Tag und Nacht 42 Tage andauernder Schallwirkung. Vergr. 350 X. 2. Lange 'der Muskeln. Tabelle 5. Muskellinge. Die in der Tabelle 5 angegebenen Werte wurden durch die Zdhlung der Serienschnitte von bestirnrnter Dicke errnittelt. Man sieht, dass T e n- s or tympani sich bei langdauerndem Schallreiz bedeutend verlingert, dass aber der Stapedius in derselben Lange bleibt. Diese Tatsache erbringt einen Beweis dafiir, dass der Tensor gewissermassen der Atrophic verfallt und sich weniger kraftig kontrahiert.
Histologische Untersuchung tiber die Mittelohrmuskeln. II. 303 3. Gesamtzahl der Muskelfasern. Tabelle 6. Faserzahl. Die Muskelfasern des Tensor tympani wurden am mittleren Teil des Muskelbauches gezahlt. Die Faserzahl scheint aber durch den Schallreiz nicht beeinflusst zu werden. Beim Stapedius war die Zahlung der Fasern, weil er ein gefiederter Muskel ist, am Querschnitt nicht moglich. 4. Elastische Fasern. Tabelle 7. Elastische Fasern. Wie beim Menschen finden sich hier die elastischen Fasern im Stapedius verhältnismassig dichter gegenuber im Tensor. Ein Einfluss des Schallreizes auf die Dichtigkeit der elastischen Fasern lasst sich kaum bernerken. 5. Bindegewebe zwischen den Muskelfasern. Tabelle 8. Bindegewebe. Das interstitielle Bindegewebe scheint beim Tensor tympani durch Ein - wirkung langdauernden Schallreizes sich wenig zu vermehren.
304 K. Chin, III. Uber die gewerbliche Schwerhorigkeit. Wie eingangs erwahnt, ist das Wesen der gewerblichen SchwerhOrigkeit durch allmahliche Schallreize bis jetzt nicht endgultig geklart. Wittmaack (1907, 1909) wollte Verinderungen primär im Cochlearisnerven und sekundir im Corti schen Organ aufgefunden haben, Y o s hii (1909) und S ieb enmann (1975, 1917) aber umgekehrt primas im Cortischen Organ und sekundar im Nerven. Klinisch ist die in industriellen Betrieben erworbene SchwerhOrigkeit durch eine Herabsetzung des HOrens von hoheren TOnen charakterisiert. Die Fahigkeit niedrigere Tone zu horen wird merkwiirdigerweise kaum beeintrachtigt. Nach der bekannten Untersuchung von Kato (1913) kontrahiert sich bei allmahlich steigenden Schallreiz zuerst der Stapedius, dann der Tensor tympani. Bei starken Schalleinfliissen treten also die beiden Muskeln in Aktion, sic sollen einen automatisch wirkenden Dampfungsapparat darstellen. Bei lang anhaltenden TOnen scheint abet der Tensor tympani wieder zu erschlaffen und die Schwingung des Trommelfells zu ermassigen, sonst ist die Verschmalerung der Muskelfasern des Tensor tympani, die Verlangerung des Muskels im ganzen sowie die SchwerhOrigkeit von hoheren TOnen unerklarlich.1) 1V. Zusammenfassung. 1. Beim Meerschweinchen, das lange Tag und Nacht durch anhaltende starke TOne gereizt ist, verschmalern sich die Fasern des Tensor tympani betrachtlich. Die Fasern des Stapedius bleiben dabei unverandert oder verdicken sich urn ein Geringes. Beim nut zu Tageszeit gereizten Tiere sind aber die Veranderungen kaum bemerkbar. z. Beim langdauemden Schallreiz verldngert sich der Tensor tympani, der Stapedius aber nicht. 3. Die Gesamtzahl der Muskelfasern und das Zahlenverhaltnis der elastischen Fasern erfahrt keine Beeinflussung. 4. DiC bier experimentell bestatigte Art der Atrophic des Tensor tympani. kann vielleicht auch beim Menschen geschehen und eine Ursache fur die aewerbliche SchwerhOrigkeit durch fortdauernden Betriebslarm sein. x) Vgl. hierzu Mitteilung III Uber die Wirkung intermittierender Schallreize.
Histologische Untersuchung iiber die Mittelohrmuskeln. II. 305 Literaturverzeichnis. Ch i n, K.: Histologische Untersuchung Uber die Mittelohrmuskeln. i. Mittelohrmuskeln des Menschen unter besonderer Berucksichtigung der senilen Schwerhorigkeit. Okajimas Fol. anat. jap. 20 (1940. Kato, T. : Zur Physiologic der Binnenmuskeln des Ohres. Pfliigers Arch. 15 ('913). Kobra k, H.: Uber die Physiologic der Binnenohrmuskeln des Ohres. Passow-Schdfers Beitr. 28 (1930). S e k i, M.: Untersuchungen mit nichtwisserigen Flassigkeiten. III. Erfahrungen auf dem Gebiet der Celloidineinbettung. Z. Zelll'orsch. z6 (1937). $iebenman n, F.: Akustisches Trauma und personlicher Schutz gegen professionelle SchwerhOrigkeit. Zbl. Ohrenheilk. 13 (x915). : Entgegen auf vorstehende Abhandlung von K. Wittmaack : Ober experimentelle SchallschAdigung etc." Passows Beitr. 9 (i917). Wittmaac k, K.: Uber Schadigung des GehOrs durch Schalleinwirkung. Z. Ohrenheilk. 54 (1907). : Zur Frage der Schadigung des Gekrorgans durch Schalleinwirkung. Z. Ohrenheilk. 59 (1909). Yoshi i, U.: Experimentelle Untersuchungen aber Schadigung des GehOrorgans durch Schalleinwirkung. Z. Ohrenheilk. 58 (1909).