Hans-Joachim Seiler. Wie Gürtel ein Lehnwort im Hebräischen wurde

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Transkript:

1 Hans-Joachim Seiler Wie Gürtel ein Lehnwort im Hebräischen wurde Seit ich Rentner bin, habe ich mir einen lang gehegten Wunsch erfüllen können, nämlich mich mit jiddischen Texten zu befassen, die in hebräischen Schriftzeichen verfasst sind. Der weitaus überwiegende Teil des jiddischen Wortschatzes entstammt zwar dem Mittelhochdeutschen, ist der pfälzischen Umgangssprache meiner Umgebung aber überraschend ähnlich. Die Schrift jedoch ist erst einmal eine echte Hürde, schon weil sie von rechts nach links gelesen wird. Hinzu kommt, dass zwischen großen und kleinen Buchstaben nicht unterschieden wird. Manche Buchstaben sind leicht miteinander zu verwechseln, da sie sich sehr ähnlich sehen. Aber anders als im Hebräischen sind im Jiddischen die Vokale in den Wörtern vorhanden, was für die Verständlichkeit von sehr großem Vorteil ist. Doch schon kurze Zeit nach meinem Einstieg in das Jiddische war es mir möglich, gedruckte Texte zu entziffern. Mit intensiver Übung wuchs die Sicherheit des Lesens und Verstehens zusehends, zumal lesbare Texte online leicht zu finden sind. Die meisten davon werden in den USA verfasst, weil diese Sprache dort unter den orthodoxen Juden weit verbreitet ist. Je nach Vorliebe eines Autors werden mehr oder weniger hebräische Ausdrücke in den Text eingeflochten, die sich dann nur mit Nachschlagen in einem Wörterbuch verstehen lassen. Rein zufällig fiel mir so ein jiddischer Text in die Hände, der eine Stelle aus der Bibel auszugsweise zitiert. Es handelt sich um den 13. Abschnitt aus den Schriften des Propheten Jeremias (627-587 v. Chr.), den Chaim Schauss (1884-1953) in New York im Jahr 1951 aus der hebräischen Urbibel ins Jiddische übersetzt hatte, wo es um einen linnenen Gartl (גאַרטל) geht, den mein jiddisch-französisches Wörterbuch als einen Gürtel zum rituellen Gebrauch erklärte. Hier ist dieser Text 1 in hebräischen Schriftzeichen:

2

3 Die phonetische Umschrift des jiddischen Textes habe ich so verfasst, dass sie ein Deutscher nahe am Original lesen kann, wobei das deutsche ch immer wie in Dach auszusprechen ist: Chaim Schauss Ausgewähltes aus Jeremias [Buch zwäi, neviim (Nju Jork nayntsnejnunfuftsik)] [der moschl mitn gartl] [dräizn, äins bis elf, saitn zwäihundredachtnsibezik, zwäihundredachzik] Asói hot gesogt got zu mir: gäi un keuf dir a flaskenen gartl un tu ihm on euf deine lendn, aber in wasser läig ihm nit. Hob ich gekeuft dem gartl noch gots wort un ihm ongeton euf meine lendn. Un gots wort is gekumen zu mir nochamol, asói-zu-sogn: nemm dem gartl wos du host gekeuft, wos is euf deine lendn, un schtäi euf, gäi kejn pras un bahalt ihm dortn in a spalt in fels. Bin ich gegangen un hob ihm bahaltn in pras, asói wi got mir hot ongesogt. Un es is gewén in a sach täg in arum, hot got gesogt zu mir: Schtäi euf, gäi kejn pras un nem aróis fun dortn dem gartl wos ich hob dir ongesogt ihm dortn zu bahaltn. Bin ich gegangen kejn pras un hob eusgesucht un areusgenumen dem gartl fun dem ort wos ich hob ihm dortn bahaltn; un seh der gartl is fardorbn, hot far kejin sach nit geteugt. Un gots wort is gekumen zu mir, asói-zu-sogn: ot asói wel ich fardarbn dem schtolz fun jehude un dem schtolz fun jeruschalajim, wos is asói gros. Dos dosike bäise folk wos wiln nit hern meine räid, wos gäin in der eingeschpartkeit fun säir harzn, un seinen gegangen noch fremde geter säi zu dinen...

4 Dieser schon recht gut verständliche Text sei hier noch einmal ins Deutsche übertragen, wobei das Wort gartl stark anklingt zur in der Pfalz heimischen Aussprache gärtl : Chaim Schauss Ausgewähltes aus Jeremias [Buch zwei, Propheten (New York 1951)] (Das Gleichnis mit dem Gürtel) (dreizehn, eins bis elf, Seiten zweihundertachtundsiebzig, zweihundertachtzig) Also sprach Gott zu mir: geh und kauf dir einen flachsenen Gürtel und lege ihn um deine Hüften (Lenden), aber tauche (lege) ihn nicht ins Wasser. Ich kaufte den Gartl nach Gottes Wort und legte ihn um meine Hüften (Lenden). Und Gottes Wort erreichte mich noch einmal, um mir aufzutragen: Nimm den Gartl, den du gekauft hast, der um deine Lenden gegürtet ist, und steh auf, geh zum Euphrat und verbirg ihn dort in einer Felsspalte. Ich ging hin und hab ihn dort in einer Felsspalte verborgen, so wie Gott es mir aufgetragen hatte. Und es ist gewesen viele Tage hernach, sprach Gott zu mir: steh auf, geh zum Euphrat und hole daselbst den Gartl, den dort zu verstecken ich dir aufgetragen hatte. Ich ging zum Euphrat gegangen und suchte die Stelle ab, fand und entnahm den Gartl von dem Ort, wo ich ihn verborgen hatte. Und siehe, der Gartl war verdorben, war für nicht mehr viel zu gebrauchen. Und wieder erreichte mich Gottes Wort, um zu sagen: genau so will ich den Stolz von Juda und den Stolz von Jerusalem verderben, die so groß sind. Das dortige böse Volk, das meine Rede nicht hören will, das im sturen Eigensinn ihrer Herzen wandelt, und fremden Göttern nachläuft, um ihnen zu dienen... In einer ersten Reaktion wunderte ich mich darüber, dass die reformatorischen Bibelübersetzer im 16. Jahrhundert auf den besonderen Charakter dieses Gürtels nicht eingegangen waren. Bei weiteren Nachforschungen wurde mir aber klar, dass sich nur Chassidim dieses Utensils bedienen. So heißen noch heute die Frommen,(חסיד) die einige Gruppen unter den orthodoxen Juden ausmachen, deren Männer aber an ihren sehr auffallenden Gewändern und insbesondere Kopfbedeckungen eindeutig als strenggläubige Juden erkannt werden können. Diese

5 Ausformung jüdischen Glaubens wurde begründet von Israel ben Elieser (1698-1760), genannt Baal Schem Tow ( Meister des guten Namens ), abgekürzt Bescht. Er wirkte in Medschybisch (Меджибіж), in der Westukraine, wo seine Grabstätte noch heute ein Ziel von Pilgern ist. Mit seinem Ruf als Wunderheiler gewann er damals nicht nur bei den Juden einen großen Einfluss, sondern auch bei der polnischen Landbevölkerung und selbst bei den polnischen Adligen. Der Bescht lehrte die Juden, dass wahre Religion nicht nur aus Gelehrsamkeit allein bestehen dürfe. Vielmehr führten aufrichtige Gottesliebe, tiefer Glauben und Vertrauen in die Wirkung der Gebete zu größter Nähe zu Gott. Am Sabbat trafen sich seine Anhänger zum gemeinsamen religiösen Erlebnis, das aus gemeinsamen Beten, Singen und Tanzen bestand, nicht selten in religiöser Ekstase mündend. Beschts Wirken unter den Juden und auch Nichtjuden war so gewaltig, dass seine Söhne und weitere charismatische Nachfolger viele solcher Gemeinden mit jeweils eigenem Charakter gründeten. Und das, obwohl keine einzige Zeile von ihm überliefert ist. Heute ist die Vielfalt chassidischer Gruppen schier unübersehbar, davon die meisten in den USA, bestehend aus Nachkommen von osteuropäischen Juden, die nach 1880 dort eingewandert waren. Deren jüdisches Leben ist durch viele, ganz genau 613 Vorschriften geregelt. So haben die Männer beim Gebet den Gebetsschal Tallít, die Gebetsriemen Tefíllin, die Kopfbedeckung Kippá und den Gebetsgürtel Gartl anzulegen. Diesen gibt es in vielerlei Materialien, wie Leinen, Baumwolle, Wolle, aber auch Seide, und in allen möglichen Formen und Farben. Chassidim tragen den Gartl beim Gebet über dem Obergewand. Die Vorgaben dazu finden sich im Schulchan Aruch ( Der gedeckte Tisch ), den Rabbi Josef B. Ephraim Caro (1488-1575) als eine Anweisung für betende Juden verfasst hatte. Darin weist er auf das das jüdische Gesetz der Trennung zwischen dem unteren, von animalischen Instinkten bestimmten Teil des Körpers und dem mehr geistigen oberen hin. Kraft seines Verstandes könne der Mensch den unteren Teil kontrollieren. Die chassidischen Gelehrten übernahmen diese Ansicht und behaupten seitdem, dass ein normaler Gürtel oder etwa der Hosenbund nicht ausreiche, um dieses Erfordernis zu erfüllen, und dass dazu eine bestimmte Schärpe, nämlich ein Gartl benutzt werden müsse. Zusätzlich sei das Anziehen eben jenes Gartls eine Vorbereitung zum Gebet in Übereinstimmung mit dem Bibelvers aus dem Buch Amos 4:12 (Darum will ich dir weiter also tun, Israel. Weil ich denn dir also tun will, so schicke dich, Israel, und begegne deinem Gott. Luther).

6 Eine Vorstellung von einem Gartl gibt das Bild, das ich in der Internet- Zeitung Vos iz Neias- The voice of the Orthodox jewish community [in den USA] fand. Es zeigt in seiner Ausgabe vom 27. Juli 2010 den Bräutigam Yossi Schlass aus Jerusalem/Israel bei seiner chassidischen Hochzeit in der Peace Plaza, Rochester/ Minnesota, auf dem Weg zur Chupah, dem Trau-Baldachin. Es war die erste chassidische Hochzeit in dieser Stadt: Weitere Nachforschungen im Internet ergaben, dass im hebräischen Urtext von Jeremias 13:1 Lenden- für dieses Kleidungsstück steht, gesprochen etwa e-isore, was sich mit Hüft- oder א זוֹר bund angemessen übersetzen lässt. Zu Lebzeiten des Propheten Jeremias im 6. und 7. vorchristlichen Jahrhundert war der Lendenschurz א זוֹר in Jerusalem sicherlich ein weit verbreitetes Kleidungsstück, das wegen des instabilen pflanzlichen Materials nicht mit Wasser in Berührung kommen durfte, damit es erhalten blieb. Vermutlich war es bei Einigen das einzige Kleidungs-

7 stück oder es wurde als Unterkleidung direkt auf der Haut getragen. In Mitteleuropa hatte es sich wegen des Klimas nicht durchgesetzt. Ein Gürtel im heutigen Sinne war der damaligen vorderasiatischen Gesellschaft wegen nicht gebräuchlicher Hosenbekleidung unbekannt geblieben. Sowohl Luther als auch Zwingli übersetzten den Begriff א זוֹר mit Gürtel, wohl weil sie einen unschicklichen Lendenschurz ihren nur wenig gebildeten Lesern nicht ohne weitere Erklärungen zumuten konnten. Er war ja hier in Europa nie in Gebrauch gekommen. Aktuelle Bibelübersetzungen hingegen scheuen sich nicht mehr, von einem Lendenschurz zu sprechen, etwas flapsig wird sogar der Begriff Badehose angewendet! Ein Jahr nach Jeremias Tod erfüllten sich seine Warnungen an die Juden: Der jahrelangen Belagerung Jerusalems durch die Babylonier folgte die erste Zerstörung des von Salomo errichteten Tempels durch König Nebukadnezar von Babylon (im heutigen Irak) im Jahr 586 v. Chr. Zugleich musste die jüdische Oberschicht den schmachvollen Weg in die babylonische Gefangenschaft antreten. Nach 48 Jahren beendete der persische König Kyros II. dann das Exil der Juden und ließ sie nach Jerusalem und Judäa zurückkehren. Der Tempel Davids wurde wieder aufgebaut. Im Jahr 70 u. Z. zerstörten die römischen Besatzer den Tempel zum zweiten Mal und versklavten 70.000 Juden. 65 Jahre später folgte nach der Niederschlagung der Aufstände unter Bar Kochbar dann die zweite große Zerstreuung. Als eine starke Klammer blieb den Juden weltweit die ihnen von Moses und seinen Nachfolgern auferlegten Gebote, das Gesetz. Dessen Auslegung und seine Anpassung an das tägliche Leben jedes Einzelnen wurden als eine ständige Aufgabe für die geistlichen Führer der Juden begriffen und auch von ihnen wahrgenommen. Manche Juden siedelten in der Diasporá (Zerstreuung) auch in Germanien, wo sie am Rhein günstige Lebensbedingungen vorfanden. In den Schum- Städten Speyer, Worms und Mainz, so zusammengefasst nach den Anfangsbuchstaben ihrer hebräischen Namen, konnten sich Juden wirtschaftlich und geistig entfalten. Maßgebliche geistige Führer bestimmten mit den von ihnen aufgestellten Regeln die jüdische Gesellschaft für lange Zeit, ja sogar bis heute. Im engen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung übernahm sie die örtliche Sprechweise für den Alltagsgebrauch. Schwere Verfolgungen durch christliche Mordbanden in Mitteleuropa und eine wirtschaftlich begründete judenfreundliche Einwanderungspolitik Polens bewogen Juden ab dem 13. Jahrhundert verstärkt zur Migration gen Ostmitteleuropa. Im Verkehr untereinander blieben sie bei der ihnen vertrauten deutschen Sprache, geschrieben in hebräischen Schriftzeichen. Übernommen wurden

8 in den neuen Siedlungsgebieten lediglich Teile einer slawisch geprägten Grammatik und einige Begriffe der slawischen Völker. Begriffe hebräischen Ursprungs waren bei gebildeten Juden seit jeher vermehrt in Gebrauch. Die Chassidim weltweit sprechen noch immer das Jiddische, weil nach ihrem Verständnis das Hebräische als göttliche Sprache ausschließlich dem Gebet zu dienen habe. Chaim Schauss hatte also folgerichtig das jiddische Wort גאַרטל in der Bibelübertragung ins Jiddische verwendet, weil ein Lendenschurz א זוֹר nicht mehr wie bei Jeremias zur Bekleidung der Juden gehören konnte, während ein Gartl als ein von den Chassidim täglich gebrauchter Gegenstand allen gut bekannt war. Schauss wollte mit der Übersetzung womöglich die Bibel denjenigen Juden näher bringen, die sie hebräisch nicht lesen konnten, also insbesondere chassidischen Frauen. Den jiddisch sprechenden Chassidim ist es somit zu verdanken, dass Gartl als ein seltenes Lehnwort aus dem Deutschen bereits vor Jahrhunderten Eingang in das Hebräische gefunden hat, weshalb es dort der Tradition folgend ohne Vokal, nämlich גרטל geschrieben wird. Auf Hebräisch heißt Gürtel,חגורה ausgesprochen chagorá. Literatur Roth, Ernst/Ristow, Günther/Eckert, Willehad Paul: Die Geschichte der jüdischen Gemeinden am Rhein im Mittelalter. Von der Epoche der Kreuzzüge bis zur Auflösung der Großgemeinden im 15. Jahrhundert, in: Schilling, Konrad (Hg.): Monumenta Judaica. 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein, Köln 1963, S. 60-130. גרטל/ http://he.wikipedia.org/wiki http://judentum-projekt.de/printable/geschichte/ostjudentum/jiddisch Angaben zum Autor Geb. 1938, Studium der Geodäsie in Dresden und München, HATiKVA-Mitglied seit 1996.

9 Zitiervorschlag Hans-Joachim Seiler: Wie Gürtel ein Lehnwort im Hebräischen wurde, in: Medaon Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, 5. Jg., 2011, Nr. 8, S. 1-9, online unter http://medaon.de/pdf/m_seiler-8-2011.pdf [dd.mm.yyyy] 1 Online unter http://yiddish.haifa.ac.il/texts/schauss/shoys_jeremiah_selections.pdf [01.04.2011], alle Rechte bei Leonard Prager.