Prof. Dr. Ingelore Welpe/ Britta Thege, Dipl.-Soz., M.A. Institut für Frauenforschung und Gender-Studien der Fachhochschule Kiel

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Transkript:

Prof. Dr. Ingelore Welpe/ Britta Thege, Dipl.-Soz., M.A. der HIV in Afrika: Das Virus auf der Genderroute Genderaspekte in der HIV-Epidemiologie und in HIV-Präventionsprogrammen 12. Münchner Aids-Tage, Berlin 14.-16.3.2008

Estimated adult (15-49 years) HIV prevalence rate (%) globally and in Sub-Saharan Saharan Africa, 1990 2007 (UNAIDS Epidemic Update 2007) Adult HIV prevalence rate (%) 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Sub-Saharan Saharan Africa Global 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Year 2

Percent of adults (15+) living with HIV who are female,1990 2007 (UNAIDS Epidemic Update 2007) 70 60 50 Percent 40 female (%) 30 20 10 0 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 062007 Year Sub-Saharan Africa GLOBAL Caribbean Asia E Europe & C Asia Latin America

Erklärungen: Die Genderroute Die Geschlechterbeziehungen sind ein Schlüssel, um die AIDS Epidemie im südlichen Afrika verstehen zu können.

Tradition von Sexualität in Mehrfachpartnerschaften. Moralischer Doppelstandard für Männer und Frauen. Sexualität der Frauen unter Kontrolle der Männer gestellt.

These 1: Die sexuelle Unterdrückung der Frauen ist eine der Hauptursachen für die rapide Ausbreitung von HIV/AIDS auf dem afrikanischen Kontinent. Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Konstruktion weiblicher Sexualität und der Verbreitung von HIV/AIDS. Während HIV/AIDS ein Gesundheitsproblem ist, ist die Epidemie ein Genderproblem.

Heterosexueller Geschlechtsverkehr und unsafe Sex sind Hauptursache für die Ansteckung. Männer haben in der Regel die Initiative und Kontrolle in heterosexuellen Interaktionen. Der Mann bestimmt, ob er ein Kondom benutzt oder nicht. Wissen über AIDS scheint das Verhalten in Sexualbeziehungen nicht zu beeinflussen.

Südafrika Hohes Ausmaß an sexueller Gewalt gegen Frauen: Alle 36 Sekunden wird eine Frau vergewaltigt, alle 6 Stunden eine Frau von ihrem Intimpartner getötet. Die erste repräsentative Studie 1998 erbrachte, dass 12,5% aller Südafrikanerinnen jemals von ihrem Intimpartner missbraucht worden sind.

Gewalt in intimen Beziehungen und HIV/AIDS Direkte Ansteckung durch sexuelle Gewalt, d.h. durch erzwungenen Geschlechtsverkehr mit einem HIVinfizierten Partner, indirekte Ansteckung durch unsafe sex, z.b. wenn Gewalt bei der Frage nach Kondomgebrauch angedroht wird, indirekte Ansteckung durch sexuelles Risikoverhalten, d.h. Mehrfachpartnerschaften oder transaktionalen Sex, indirekte Ansteckung durch die Partnerschaft mit älteren Männern (WHO 2004).

These 2: Genauso unwahrscheinlich wie in Gewaltbeziehungen ist Kondomgebrauch in nicht-gewalttätigen Beziehungen. Auch Frauen in einem nicht-gewalttätigen Kontext haben wenig bis gar keine Macht, in den verschiedenen Beziehungsformen safe Sex und Schutz vor HIV-Infektion zu verhandeln, und zwar sowohl aus ökonomischen wie auch romantischen Gründen.

Transaktionaler Sex Sugar Dadddies Sex steht in Zusammenhang mit dem Lebensunterhalt und wo nicht notwendig zum Überleben mit status-erhöhenden Konsumgütern. Bedeutung von Geschenken Besonders ältere Männer wollen Sex ohne Kondom mit jungen Frauen und erwarten Zustimmung, wenn sie ein größeres Busgeld anbieten. Nach zwei bis drei sexuellen Begegnungen erwarten weder Männer noch Frauen weiterhin Kondomgebrauch.

Romantische Liebe Sex ohne Kondom spielt eine wichtige Rolle bei der Umwerbung (courtship practices). Für viele bedeutet es, dass die Beziehung von seinem frühen eventuell durch Misstrauen geprägten Stadium in eine reife monogame Bindung übergegangen ist. Romantische Liebe also senkt das bis dahin vorhandene Bedürfnis nach Kondomen/safe sex. Monogamie und Kondome repräsentierten zwei sich gegenseitig ausschließende Optionen für safer Sex.

Code of Respect Ehefrauen werden von ihrem Ehemann mit HIV infiziert. Kondomgebrauch in der Ehe ist so gut wie undenkbar und würde allenfalls Misstrauen gegenüber der Treue der Ehefrau hervorrufen. Das Aufrechterhalten von Mythen über Treue spielt eine wesentliche Rolle in einem Umfeld, wo es in Wirklichkeit nur sehr wenig Treue gibt.

Zusammenfassung Generationsübergreifende und transaktionale sexuelle Beziehungen sind durch materielle Abhängigkeit der Frau vom Mann charakterisiert und sozio-ökonomische Benachteiligung wird mit einer Reihe von unsafe sex Verhalten assoziiert. Geschenke verringern die Chance der Frau, Kondomgebrauch einzufordern. Romantische Liebe vermindert das sehr wohl vorhandene Bedürfnis, Kondome zu benutzen, da der Nichtgebrauch von Kondomen als Bestätigung der Liebe, des Vertrauens und der Treue gesehen wird. Ehefrauen sind gefährdet, da sie mit Normen zur Treue konform gehen (müssen) in einer Wirklichkeit, in der es kaum Treue gibt. Kondomgebrauch in der Ehe ist nicht durchsetzbar, ebenso wenig wie die sexuelle Verweigerung der Ehefrau.

Kultur und Gender

HIV-Präventionsprogramme Bisherige HIV-Präventionsprogramme sind relativ erfolglos geblieben, insbesondere für Frauen. Die ABC-Strategie (Abstinence, Be faithful, use Condoms) kann von Frauen in einer maskulinisierten Gesellschaft nicht befolgt werden. HIV-Präventionsstrategien müssen daher jenseits der ABC-Regel ansetzen.

Noch immer bestimmt das biomedizinische Modell, nach dem Sex und Gender als sekundär oder irrelevante Variablen angesehen werden, die Mainstreamdiskussion für HIV-Forschung, Behandlung und Prävention. Auch Mikrobiozide oder die Anwendung des Female Condoms stehen im Zusammenhang mit der Gender-Frage. Entwicklung frauenzentrierter Präventions- und Behandlungsoptionen und Genderprogramme, die die Kontrolle der Frau erhöht.

Innovationen 3 Kategorien von Interventionsstrategien: Programme ohne Gender- und Kulturaspekte: Das ABC- Mantra. Programme ohne Berücksichtung der Kultur und mit klassischen Genderstereotypen (Empowerment für Frauen). Programme, die Gender und Kultur berücksichtigen und beide Variablenklassen in kulturspezifischen HIV- Genderpräventionsprogrammen verbinden und umsetzen.

Fazit HIV-Präventionsprogramme verlangen eine Dekonstruktion und Redefinition unter Einschluss von Gender und kulturellen Kontexten.

Literatur Welpe, Ingelore & Owino, Philip (eds.) (2007): The Intersection of human capital, gender and HIV/AIDS in the African context. Angewandte Genderforschung/Gender Research Applied, Band 2, Peter Lang Verlag. Jobson, Marjorie (2004): The intersections of gender, HIV/AIDS and human rights, in: Welpe I., Thege B., Henderson S. (eds.): The gender perspective. Innovations in economy, organisations and health in the Southern African Development Community (SADC), Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main, S. 314-353.