Ethnologie und Raum: Gedanken zu einer neuen Verortung des ethnologischen Raumverständnisses



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Transkript:

EDITORIAL Editorial Ethnologie und Raum: Gedanken zu einer neuen Verortung des ethnologischen Raumverständnisses von Carolin Alfonso und Mijal Gandelsman-Trier Wir leben nicht in einem leeren, neutralen Raum.Wir leben, wir sterben und wir lieben nicht auf einem rechteckigen Blatt Papier. Wir leben, wir sterben und wir lieben in einem gegliederten, vielfach unterteilten Raum mit hellen und dunklen Bereichen, mit unterschiedlichen Ebenen, Stufen, Vertiefungen und Vorsprüngen, mit harten und mit weichen, leicht zu durchdringenden, porösen Gebieten. Es gibt Durchgangszonen wie Straßen, Eisenbahnzüge und Untergrundbahnen. Es gibt offene Ruheplätze wie Cafés, Kinos, Strände oder Hotels. Und es gibt schließlich geschlossene Bereiche der Ruhe und des Zuhause (Foucault 2005: 9-10). Seit jeher wurden Ethnologie und Raum zusammen gedacht und dabei lange Zeit als selbstverständliche und unbezweifelte Einheit begriffen. Die Kategorie Raum war jedem ethnographischen Zugang inhärent. Ein Volk, ein Stamm, eine Ethnie wurden mit einem mehr oder weniger klar abgesteckten Territorium verknüpft, die räumliche Verortung war Teil einer definitorischen und essentialisierenden Ordnung. Diese Vorstellung von Kultur(en) knüpft an Traditionen in der Nachfolge Herders an, der eine enge Verbindung zwischen Volk, Nation und geographischem Raum annahm (s. Berg 1990). Raum wird als gegliedert und unterteilt begriffen, der von verschiedenen und unterscheidbaren ethnischen oder nationalen Gruppen bewohnt wird (Gupta und Ferguson 1997b). Der Verknüpfung zwischen Territorium und Kultur werden quasi natürliche Eigenschaften zugeschrieben, die auch auf metaphorischer Ebene repräsentiert werden, Menschen sind an einem spezifischen Ort verwurzelt (Malkki 1997). Haller (1994: 2) verweist ebenfalls auf die semantische Ebene, wenn er Termini wie Kulturkreis, 2

E t h n o S c r i p t s Dorfmonographie, Feldforschung benennt, einstige oder aktuell genutzte Arbeitsbegriffe, die eine räumliche Perspektive der Disziplin Ethnologie nahe legen. Dieser Beziehung zwischen Ethnologie und Raum entspricht ein Verständnis vom Raum als Behälter, ein Begriff, den Läpple (1992) prägte. Mit Bezug auf Newtons Theorie des absoluten Raumes führt Läpple aus, wie das Behälter-Konzept jenseits der Physik auch zum vorherrschenden Modell in den Geisteswissenschaften avancierte. Die territoriale Vorstellung von Raum bestimmte lange Zeit unangefochten das Bild, wie gesellschaftliche Phänomene strukturiert sind. Territorien beinhalten Ethnien, Nationen, Kultur. Sie sind so etwas wie Gefäße, in denen etwas aufgehoben ist oder in denen etwas stattfindet. Dieser Raumbegriff setzt nicht nur kulturelle Gruppen mit räumlichen Ausdehnungen gleich, sondern schafft eine Distanz zwischen dem Raum und den Menschen, die ihn besiedeln, der Raum bleibt in gewisser Hinsicht jeder Praxis äußerlich. Der Raum und sein Inhalt wirken nicht aufeinander, es findet keine Wechselwirkung statt. Läpple spricht in diesem Zusammenhang von einer Raumblindheit der Gesellschaftswissenschaften (1992: 163). Seit Mitte der 1980er Jahre gibt es aber in den Kultur- und Sozialwissenschaften eine Hinwendung zum Raum. Bachmann-Medick (2006: 284ff) spricht vom spatial turn. Er könne als Antwort auf das jahrhundertelang vorherrschende Fortschritts-Paradigma und die Hegemonie von Zeit und Geschichte (gegenüber der Geografie) angesehen werden. Bachmann-Medick weist darauf hin, dass der Prozess mit der Aufklärung einsetzte. In der Tat ist die Vorherrschaft der Raumperspektive spätestens seit dem Entwicklungs- und Fortschrittsparadigma der Aufklärung des 18. Jahrhunderts zunehmend durch eine Zeitperspektive verdrängt worden (...). (Bachmann-Medick 2006: 285f) 1 Der Globalisierungsdiskurs und die weltweite Durchsetzung neuer Informationstechnologien haben den Blick auf den Raum verändert. Sie machen eine Re-Konzeptualisierung von Bedeutung und Verständnis von Raumbezügen in den Kulturwissenschaften notwendig. Die vielfach postulierte Behauptung vom Verschwinden des Raumes kann in diesem Zusammenhang als eine Sichtweise gelten, der die These vom spatial turn entgegensteht. Denn Räume verschwinden nicht einfach, so die Argumentation der Raumsoziologin Martina Löw, es entstehe ein Mehr an Nebeneinander (Löw 2001: 11). Löw ist Vordenkerin eines soziologischen Raumkonzepts, das dem absoluten Raum Newtons die Vorstellung des relationalen 3

EDITORIAL Raumes gegenüberstellt dem von Einstein revolutionierten Raumverständnis in den Naturwissenschaften folgend. Nach Löw konstituieren sich Räume demnach prozessual, als relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern an Orten (Löw 2001: 271). Die als unverbrüchlich angesehene Einheit von Kultur und Raum, bzw. Identität und Territorium, lange Zeit eine selbstverständliche Prämisse ethnologischer Forschung, ist aufgebrochen. Mit der Repräsentationsdebatte veränderte sich der Blick auf den Forschungsgegenstand und die Rolle der Ethnographen bei der Konstituierung und Konstruktion von kulturell abgeschlossenen Einheiten. Gupta und Ferguson (1997) und Olwig und Hastrup (1997) gehören zu den Autoren und Autorinnen, die eine diskursive Auseinandersetzung und kritische Reflexion der tradierten ethnologischen Konzepte zum Zusammenhang von Kultur und Raum eröffneten. Die im Kontext des Globalisierungsdiskurses entstandene Debatte um Deterritorialisierung und Enträumlichung hat dazu beigetragen, die räumliche Konnotation ethnologischer Konzepte neu zu (über)denken. Die Beziehung zwischen beiden Konzepten kann nicht länger nur implizit als unmittelbar zusammengehörig gedacht werden. Stattdessen sind Ethnologie und Raum explizit aufeinander zu beziehen, ihre Relation zu thematisieren und zu problematisieren. Die kritische Reflexion des Verhältnisses von Ethnologie und Raum hat Folgen für die ethnographische Praxis: Lokalität spielt dabei eine prominente Rolle 2, denn Ethnologie gilt in vieler Hinsicht als eine Wissenschaft vom Lokalen (Sökefeld 1999: 51). Infolge der Kritik an ethnographischen Formen der Konstruktion und Repräsentation von Anderen muss der Begriff des Feldes und seiner Grenzen überdacht werden. Die Untersuchung von räumlich nicht gebundenen Gruppen verlangt nach neuen Formen der Feldforschung, wie sie in den Ansätzen einer multi-sited ethnography (Marcus 1995) oder eines moving target (Welz 1998) angedacht werden. Schließlich geht es darum, adäquate Konzepte und Methoden der Untersuchung einer raumbezogenen Praxis von Akteuren zu entwickeln. Bei all diesen Fragen bleibt aber das Lokale von zentraler Bedeutung. Mobilität und Bewegung stehen nicht im Gegensatz zu lokalen Bindungen. Mit dem Konzept der cultural sites verbindet Olwig (1997) die Ebenen des Lokalen und des Globalen. Cultural sites können als räumlich fixierte Knotenpunkte angesehen werden, translokale Beziehungen zu verorten. In einer solchen kulturellen Praxis 4

E t h n o S c r i p t s manifestieren sich Raumaneignungsprozesse in der Materialität eines konkreten Ortes. Als kulturelle Konstrukte weisen sie jedoch über eine territorial gebundene Bedeutung hinaus. Unser Titelbild ein Mental Map symbolisiert die Interaktion zwischen physischem Raum und AkteurInnen. Mental Maps drücken auf symbolischer Ebene die Beziehung zwischen der Materialität der bebauten Umwelt und den kognitiven Bildern der Menschen aus, die in ihr agieren. Die Abbildung verweist zudem auf Mental Maps als zentrale ethnographische Methode zur Untersuchung von Raumwahrnehmungen, Raumaneignungen und Raumnutzungen. 3 Ethnoscripts nähert sich dem Thema Ethnologie und Raum auf theoretischer und empirischer Ebene. Im einleitenden Artikel gibt Waltraud Kokot einen Abriss zum Raumverständnis aus ethnologischer Sicht. Sie skizziert historische Brüche und diskutiert anschließend heutige Herausforderungen an eine ethnographische Praxis am Beispiel der Untersuchung von Diasporen und transnationaler Netzwerke. Jens S. Dangschat entwirft ein raumtheoretisches Konzept, in dem er insbesondere sozialwissenschaftliche Theorien reflektiert, sich aber auch auf geographische und ethnologische Ansätze bezieht. Zentrale Idee seines Makro-Meso- Mikro-Konzepts ist es, Orte nicht nur in Bezug auf Materalität und Strukturmerkmale zu analysieren, sondern diese mit Bedingungen der Produktion und Reproduktion der sozialräumlichen Settings zu verbinden. Die Beiträge von Waltraud Kokot und Jens S. Dangschat sind bearbeitete Fass-ungen ihrer theoretischen Einführungen zu einem Workshop Space, der im Rahmen des Graduiertenkolleg Ethnologie/Anthropologie Schweiz im Oktober 2006 durchgeführt wurde. Heinz Käufeler, der Koordinator des Graduiertenkollegs erläutert in einem kurzen Artikel die Struktur dieses Ausbildungsmodells. Drei TeilnehmerInnen des Kollegs stellen des Weiteren ihre Forschungsprojekte vor. David Zimmer beginnt seinen Text mit einer Reflexion der Bedeutung der Kategorie Raum für die Migrationsforschung. Sein Fallbeispiel sind Ungarinnen und Ungarn, die außerhalb der Grenzen Ungarns leben, sein besonderes Augenmerk liegt auf jenen in der Schweiz. Ausgangspunkt seiner Darstellung sind Mythen und Diskurse zur Konstruktion der ungarischen Nation. Unterschiedliche Formen der Zugehörigkeit zu Ungarn werden insbesondere entlang des Begriffs der Heimat erörtert. 5

EDITORIAL Olivia Killias untersucht die Rolle von indonesischen Hausangestellten in indonesischen und malaiischen Privathaushalten, im lokalen und im transnationalen Kontext. Sie diskutiert insbesondere die Bedeutung der Privatheit, der domestic sphere, für Zugangsbedingungen zu Raum. Die Autorin reflektiert dabei Möglichkeiten der Anwendbarkeit der Kategorie Raum auf ihr Forschungsprojekt. Der Artikel von Nicole Fretz beschäftigt sich mit methodischen Ansätzen zur empirischen Untersuchung von Raumwahrnehmung, Raumaneignung und Raumnutzung. Ihre Studie ist Teil eines Forschungsprojekts zur räumlichen Integration in zwei Baseler Stadtvierteln. Fretz stellt Methoden vor, die sie in ihrer Feldforschung angewendet hat, und reflektiert diese in Hinblick auf ihren Nutzen für die Erforschung der Kategorie Raum. Abschließend skizziert sie einige Ergebnisse der Studie. Auch der Artikel von Kathrin Wildner untersucht den Einsatz ethnographischer Methoden zur Analyse von Raum. Mit Hilfe der Situationsanalyse untersucht sie politische Wahlkampfveranstaltungen in Mexiko-Stadt. Sie geht der Bedeutung unterschiedlicher Nutzungsformen und Aneignungspraktiken von öffentlichen Orten nach und erforscht die Rolle von Materialität und Praxis für die Konstitution von urbanen temporären Räumen. Maren Tomforde diskutiert in ihrem Artikel die Bedeutung von Knotenpunkten in der Raumwahrnehmung und Raumaneignung der Hmong in Nordthailand. Ein besonderes Augenmerk legt die Autorin dabei auf das Konzept der Hmong Mountains als Aspekt der räumlichen Verortung der Hmong. Philip Widmann setzt sich mit Gisela Welz kulturökologisch orientierter Studie Street-Life auseinander und konfrontiert sie mit den raumtheoretischen Ansätzen von Bourdieu, Läpple und Appadurai. Diese neue Lesart der Monographie eröffnet einen veränderten Blick auf den begrenzten Raum des New Yorker Stadtviertels Bushwick. In dieser Ausgabe von Ethnoscripts führen wir eine neue Rubrik ein. Sie heißt Institute im Blick und soll nach und nach Einblicke geben in die Ausrichtung, die Forschungsschwerpunkte und die Geschichte unterschiedlicher kulturwissenschaftlicher Institute im In- und Ausland. Wir beginnen die neue Reihe mit dem Schweizer Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern, das von Martin Sökefeld vorgestellt wird. Damit komplettieren wir unseren Schweizer Schwerpunkt in dieser Ausgabe von Ethnoscripts. 6

E t h n o S c r i p t s Daneben finden sich auch in diesem Heft die bekannten Rubriken von Ethnoscripts. Berit Langeneck führt ein Institutsgespräch mit Carolin Alfonso. Es werden zwei Werkstattberichte aus dem Umfeld des Instituts für Ethnologie in Hamburg vorgestellt: Astrid Wonneberger berichtet vom 1. Denkwerk-Symposium, einer Kooperation zwischen Universitäten und Schulen. Waltraud Kokot fasst eine gerade abgeschlossenen Forschung zur Situation von Zwangsgeräumten in Hamburg zusammen. Einen Einblick in die Niederungen des Institutsalltags anlässlich des im Herbst 2006 stattgefundenen Umzugs gibt Ursula Schmucker. Marc von Itter formuliert aus der Perspektive eines Absolventen und Praktikers seine Wünsche und Forderungen an ein stärker berufsorientiertes Ethnologie-Studium. Raum und Öffentlichkeit sind wiederum das Thema der Tagung Public Istanbul, von der Kathrin Wildner berichtet. Die Konferenz war ein Forum, um über Urbanität und Räume der Öffentlichkeit in Istanbul zu diskutieren. Abschließend entwirft Martin Gruber ein Bild des neuen ethnographischen Museums in Paris, dem Musée du Quai Branly. Er führt uns durch die Räume und beschreibt die architektonische Gestalt sowie die thematische Ausrichtung des Museums. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen der neuen Ausgabe der Ethnoscripts! Anmerkungen 1 Ausführlicher dazu siehe Schlögel (2003: 36ff). 2 Zur Bedeutung und Kritik des Konzepts der Lokalität in der Ethnologie siehe Sökefeld (1999). 3 Mental Maps werden in dieser Ausgabe von Ethnoscripts unter methodischen Gesichtspunkten allerdings nicht explizit diskutiert, siehe dazu Lynch (1965), Ploch (1995), aber auch Fretz in diesem Heft. Zitierte Literatur Bachmann-Medick, Doris (2006) Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. 7

EDITORIAL Berg, Eberhard (1990) Johann Friedrich Herder (1744-1803). In: Marschall, Wolfgang (Hg.) Klassiker der Kulturanthropologie. Von Montaigne bis Margaret Mead. München: C.H. Beck, S. 51-68. Foucault, Michel (2005) Die Heterotopien Les hétérotopies. Der utopische Körper Le corps utopique. Zwei Radiovorträge. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Gupta, Akhil und James Ferguson (Hg.) (1997a) Culture, Power, Place. Explorations in Critical Anthropology. Durham und London: Duke University Press. Gupta, Akhil und James Ferguson (1997b) Beyond Culture : Space, Identity, and the Politics of Difference. In: Gupta, Akhil und James Ferguson (Hg.) Culture, Power, Place. Explorations in Critical Anthropology. Durham und London: Duke University Press, S. 33-51. Haller, Dieter (1994) Feld, Lokalität, Ort, Territorium. Implikationen der kulturanthropologischen Raumterminologie. Veröffentlichungsreihe der Abteilung Organisation und Technikgenese des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Berlin. Läpple, Dieter (1992) Essay über den Raum. Für ein gesellschaftswissenschaftliches Raumkonzept. In: Häußermann, Hartmut et al.: Stadt und Raum. Soziologische Analysen. Pfaffenweiler: Centaurus, S.157-207. Löw, Martina (2001) Raumsoziologie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Lynch, Kevin (1965) The image of the city. Cambridge, Mass.: MIT Press. Malkki, Liisa H. (1997) National Geographic. The Rooting of Peoples and the Territorialization of National Identity among Scholars and Refugees. In: Gupta, Akhil und James Ferguson (Hg.) Culture, Power, Place. Explorations in Critical Anthropology, Durham und London: Duke University Press, S. 52-74. Marcus, George E. (1995) Ethnography in/of the World System. The Emergence of Multi-Sited Ethnography. In: Annual Review of Anthropology 24: 95-117. Olwig, Karen Fog (1997) Cultural Sites. Sustaining a Home in a Deterritorialized World. In: Olwig, Karen Fog und Kirsten Hastrup (Hg.) Siting Culture. The Shifting Anthropological Object. London und New York: Routledge, S. 17-38. 8

E t h n o S c r i p t s Olwig, Karen Fog und Kirsten Hastrup (1997) Siting Culture. The Shifting Anthropological Object. London und New York: Routledge. Ploch, Beatrice (1995) Eignen sich Mental Maps zur Erforschung des Stadtraumes? Möglichkeiten der Methode. In: Kea 8, S. 23-42. Schlögel, Karl (2003) Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. München und Wien: Hanser. Sökefeld, Martin (1999) Translokalität und Identität. Das Problem räumlicher Grenzen in der Ethnologie am Beispiel der Stadt Gilgit, Nordpakistan. In: Zeitschrift für Ethnologie 124: 51-72. Welz, Gisela (1998) Moving Targets. Feldforschung unter Mobilitätsdruck. In: Zeitschrift für Volkskunde 94: 177-194. Carolin Alfonso und Mijal Gandelsman-Trier sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Doktorandinnen am Institut für Ethnologie in Hamburg. 9