ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Christ, der Retter ist da Predigt von Pfarrer Ralph Müller gehalten am 25. Dezember 2014 Schriftlesung: Lukas 2,1-14 Predigttext: Matthäus 2,1-12 Als Jesus in Betlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes zur Welt gekommen war, da kamen Sterndeuter aus dem Morgenland nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihm zu huldigen. Als der König Herodes davon hörte, geriet er in Aufregung und ganz Jerusalem mit ihm. Und er liess alle Hohen Priester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle. Sie antworteten ihm: In Betlehem in Judäa, denn so steht es durch den Propheten geschrieben: Und du, Betlehem, Land Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Judas; denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der mein Volk Israel weiden wird. Darauf rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und wollte von ihnen genau erfahren, wann der Stern erschienen sei. Und er schickte sie nach Betlehem mit den Worten: Geht und forscht nach dem Kind! Sobald ihr es gefunden habt, meldet es mir, damit auch ich hingehen und ihm huldigen kann. Auf das Wort des Königs hin machten sie sich auf den Weg, und siehe da: Der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her, bis er über dem Ort stehen blieb, wo das Kind war. Als sie den Stern sahen, überkam sie grosse Freude. Und sie gingen ins Haus hinein und sahen das Kind mit Maria, seiner Mutter; sie fielen vor ihm nieder und huldigten ihm, öffneten ihre Schatztruhen und brachten ihm Geschenke dar: Gold, Weihrauch und Myr-
2 rhe. Weil aber ein Traum sie angewiesen hatte, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land. Liebe Gemeinde Jedes Jahr hören wir die Weihnachtsgeschichte. Je nach dem, nach Lukas oder Matthäus. Heute haben wir beide gehört. Ich habe extra einmal ein Predigerseminar besucht, bei dem wir uns nur mit der Weihnachtsgeschichte auseinandergesetzt haben. Dort habe ich etwas Besonderes gelernt: Jedes Mal bleibt mir beim Hören oder Lesen der Weihnachtsgeschichte etwas anderes hängen. Es fällt mir etwas anderes auf. Wir können die Geschichten sehr oft hören, aber plötzlich bleibt unsere Konzentration an einem anderen Punkt haften. Vielleicht war es eine besondere Geschichte, die ich in der vergangenen Woche hörte, welche mich dieses Jahr an einem bestimmten Vers innehalten liess: denn in der Herberge war kein Platz für sie. Bei einem Anlass unterhielt ich mich mit einem Topmanager. Er erzählte mir, wie wichtig es nach wie vor sei, mit welchem Auto man im Topkader seiner Firma zur Arbeit erscheinen würde. In diesem Jahr sei es doch tatsächlich passiert, dass ein neuer, junger und sehr aufstrebender Mitarbeiter eines Tages mit einem Oldtimer, einer sehr grossen amerikanischen Limousine, zur Arbeit erschien. Ein Automodell, welches man nur noch in Amerika kaufen könne und bei uns schwer zu bekommen sei. Die Überraschung war sehr gross, als der Jungmanager versuchte, mit der Riesenlimousine in die Tiefgarage der Firma zu fahren. Das Auto blieb in der ersten Kurve des Parkhauses hoffnungslos stecken! Die heutigen Parkhäuser sind einfach nicht mehr konzipiert für so alte und riesige Autos. Da er den Zugang zum Parkhaus für einen halben Tag verstopft hatte, wurde der Unglücksrabe schlagartig zum Gespött der ganzen Belegschaft. Das Auto zu gross, die Garage zu klein, keinen Platz! Darum stach mir vielleicht dieses
3 Jahr folgender Vers ins Auge: denn in der Herberge war kein Platz für sie. Kein Platz für das Auto, kein Platz für Jesus und seine Familie vor 2000 Jahren. Was will uns die Bibel in der Weihnachtsgeschichte mit diesem kleinen Nebensatz eigentlich vermitteln? Ist er bedeutend? Oder können wir, wie vielleicht immer, darüber hinweglesen? Oder führt uns dieser Vers nicht vor Augen, worum es zutiefst an Weihnachten geht? Wir scheinen das, was Jesus vor 2000 Jahren widerfuhr, nicht zu kennen. Wir haben doch alle, oder die allermeisten von uns, viel Raum und genügend Platz. Wir geben auch dem Weihnachtsfest viel Raum: Ein gemütliches Festessen, Zusammensein mit Verwandten und Freunden, Geschenke, mit denen wir anderen eine Freude bereiten und so manches mehr. Fragt uns nicht die Bibel mit diesem Vers: Hat die Weihnachtsbotschaft auch bei dir noch genügend Platz? Findet sie bei dir auch wirklich ihren Raum, für das, was Gott dir ganz persönlich schenken möchte? Hast du genug Platz in der Weihnachtsvorbereitung gelassen, damit Gott sein Geschenk auch bei dir richtig deponieren kann? Falls nicht, sind wir nicht anders, als die Bibel von damals berichtet: Jesus, Gottes Geschenk, das er uns vor 2000 Jahren überreichen wollte, wurde damals auch nicht als das grösste Geschenk erkannt. Man schob es ab, in einen windigen Stall. Keinen Platz! denn in der Herberge war kein Platz für sie. Jetzt dürfen wir aber getrost denken: Obwohl kein Platz da war, wurde er dennoch zum Geschenk! Das ist eines der Wunder von Weihnachten, auf das ich am Ende der Predigt noch ausführlicher eingehen möchte. Wir wollen uns aber zuerst damit beschäftigen: Womit will uns Jesus an Weihnachten gemäss der Bibel beschenken? Natürlich zunächst mit sich selber: Christ, der Retter ist da! Er ist unser Erlöser und unser Heiland. An Ostern wird uns seine ganze heilige Bedeutung bewusst, doch in der Bibel wird uns anhand der Weihnachtsgeschichte gezeigt, wovon uns unser Heiland schon ganz von Anfang an erlöst, womit er uns beschenkt. Das wird an zwei Gruppierungen deutlich, die zuerst von Gottes Geschenk erfuhren.
4 Nämlich an den Hirten und den drei Sterndeutern. In einem Predigerseminar, das sich nur mit Weihnachten auseinandersetzte, wurden mir die beiden Gruppen von Weihnachtszeugen näher gebracht. Ich gebe ihnen hier weiter, was uns der Kursleiter sinngemäss mitgegeben hat. Betrachten wir zuerst die Hirten: Über die Hirten an Weihnachten zu predigen, das geschieht in vielen Kirchen. Vor meiner ersten Weihnachtsfeier als Pfarrer sprach mich ein Vater eines Kindes an und bedrängte mich geradezu, ich solle doch bitte am Heiligen Abend ganz anschaulich predigen. Nichts Hochtheologisches, sondern am besten an den Hirten erklären, was Weihnachten eigentlich sein soll. Er sagte mir sinngemäss: Die Hirten seien doch arme Habenichtse gewesen, die damalige absolute Unterschicht und an ihnen zeige uns doch die Bibel, für wen Jesus gekommen sei: Für die Armen dieser Welt, für die Randständigen und sozial Unterdrückten. Schon bei der Geburt Christi solle verdeutlicht werden, welch ethisches Programm Jesus uns gebracht habe. Ethisches Programm?, dachte ich damals schon. Brachte Jesus ein ethisches Programm? Dieser Mann sagte nichts Falsches. Aber auch nicht alles richtig. Gerade an den drei Königen erkennen wir, dass Jesus nicht nur für die Allerärmsten gekommen ist, sondern für alle Menschen. Doch was zeigt uns die Bibel dennoch durch die Hirten? Ein ethisches Programm? Die Hirten standen tatsächlich zuunterst in der damaligen Welt. Sie galten nicht so viel und waren oft tatsächlich armselig. Umso überraschender, dass ausgerechnet sie zu den ersten Weihnachtsgästen an der Krippe wurden und somit auch zu den ersten Weihnachtszeugen! Warum hat Gott ausgerechnet sie ausgewählt? Denn plötzlich befinden sich diejenigen, die sonst nichts zu sagen haben und im Abseits stehen, im grellsten Licht: Fürchtet euch nicht. Euch ist heute der Heiland geboren! Von himmlischen Boten und Klängen überwältigt, stehen sie verängstigt da. Und nun wird von ihnen erst noch etwas verlangt: Gehet hin zum Stall...!
5 Das Besondere ist, dass Gott keine Menschen ausgewählt hat, die nun noch schnell nach Hause gehen können, um sich umzuziehen. Wir würden heute denken, wenn man nun schon Gott einen Besuch abstattet, will man doch ein wenig zurecht gemacht dastehen. Doch das konnten die Hirten gerade nicht. Nicht nochmals schnell nach Hause rennen, sich rasieren und ein frisches Hemd anziehen. Gerade das konnten diese Hirten nicht, denn sie hatten kein frisches Hemd, auch kaum einen Rasierapparat zu Hause. Sie hatten nur das, was sie auf sich trugen. Sie hatten nichts, ausser sich selber! Und um das geht es: Sie konnten nur zum Stall eilen, so wie sie eben nun gerade mal waren! Einfach und vollkommen unverstellt! Nicht künstlich und nicht unnatürlich! Und das ist genau die Botschaft hier: Zu Gott, zu Jesus, zu unserem Heiland und Retter kommst du gerade so, wie du bist. Da braucht es nichts anderes. Da soll es gar nichts geben, was zwischen dir und ihm steht! Doch was tun wir gerade in diesen Tagen nicht immer alles, damit wir an Weihnachten ganz perfekt dastehen? Wie oft ist es bei Manchen gerade in diesen Tagen viel wichtiger, wie ihr äusserer Schein auf andere wirkt! Sei es mit unserem Auftreten, sei es mit Geschenken, mit denen man andere beeindrucken möchte? So werden für manche die so schönen Tage geradezu zu einer Kraftanstrengung. Das ist zwar menschlich sehr verständlich, aber genau davor will uns Gott befreien! Kommt doch bitte zu mir, einfach so wie ihr seid! Ihr müsst euch nicht verstellen! Kommt zu mir in der gleichen Einfachheit, wie ich zu euch komme. Und Sie verstehen, liebe Gemeinde, dass Sie zum nächsten Gottesdienst nicht in Lumpen daher kommen sollen! Sondern es geht um eine innere Einfachheit. Macht hoch, die Tür, die Tor macht weit! Ja. Macht die Tore weit zu eurem ganz einfachen Herzen! Werdet und bleibt so vor Gott, wie ihr nun mal einfach seid. Er kommt in seiner Liebe genau so zu euch, wie ihr seid. So nackt und im Grunde irgendwo hilflos gegenüber dem Leben, wie
6 Jesus geboren wurde. Gott lädt uns ein, uns genau so zu ihm aufzumachen. Was sagen uns jetzt die drei Sterndeuter? Wofür stehen sie? Im Grunde ist bei ihnen die Botschaft eine sehr ähnliche. Wer waren sie? Wenn man sie mit den Hirten vergleicht, wo sie Engel, Licht und Musikklänge zum Stall trieben, folgen die drei Könige einem ganz anderen Wegweiser. Wir müssen wissen, dass diese tatsächlich drei Forscher waren. Im Griechischen steht Magoi, eigentlich Magier. Aber das ist falsch übersetzt. Es waren drei studierende Astronomen, und wir würden heute ganz klar sagen, drei Wissenschaftler. Sie haben damals nichts anderes getan, als zu forschen, zu lesen, zu grübeln und zu experimentieren. Dabei suchten sie täglich den Himmel ab, ob sich da etwas bewegt und verändert. Und dabei stossen sie auf etwas Neues und ihre Forscherneugier packt sie. Das tiefere Fragen und Suchen führt sie auf den neuen Weg, und das ist der lange Weg der Gelehrten, die diese unter die Füsse nehmen. Dabei geschieht das, was Forschern meistens passiert. Sie gehen Irrwege! Sie klopften an der falschen Tür und kamen zu Herodes. Typisch Forscher, sie müssen zuerst in ihren Vermutungen korrigiert werden. Erst dann kommen sie zum richtigen Ziel und hier geschieht dann das Wunder. Auch sie knien nieder und beten Jesus an. Auch sie werden hineingezogen ins Licht Gottes, obwohl ihr Weg ein ganz anderer ist. Auch hier begegnen wir wieder einem ganz menschlichen Zug, den wir im biblischen Zeugnis so gerne übersehen: Sie dürfen ganz und gar sich selber sein! Sie müssen ihr Wissen und ihren Forschergeist nicht weglassen, auch ihren Forscherdrang nicht ablegen. Gott gibt ihnen die Freiheit, sie dürfen die Zeichen selber entdecken. Sie dürfen den Weg selber finden. Entscheidend ist, diese Forscher sind nun halt mal auch so, wie sie sind. Sie sind Grübler und Denker. Sie versuchen Gott über ihren Verstand zu finden. Und sie finden ihn. Die Konsequenz ist, dass sie ihn anbeten.
7 Kann man über Forschung und Erkenntnis zu Gott kommen? Ich kenne deren nicht wenige; und da gibt es, entschuldigen Sie, freikirchliche Kirchgemeinden, in denen gepredigt wird: Ja nicht denken! Hirn ausschalten! Erst dann findet ihr Gott. Die drei Weisen stehen genau für das Gegenteil. Und das Wunderbare ist, Gott akzeptiert sie genau so, wie sie sind! Nichts Verstelltes! Sie können halt auch nicht anders, als zu forschen, als nachzudenken! Wie wunderbar befreiend ist das! Jesus empfängt auch sie, ich sage jetzt, mit offenen Armen an der Krippe. Auch sie können kommen, so wie sie sind. Es gibt manche Menschen, die ihr ganzes Leben über Gott nachgrübeln. Sie forschen nach ihm: Wo bist du Gott? Wer bist du? Wie wirkst du in dieser Welt? Ja, hab bloss keine Zweifel! Was grübelst du schon wieder? Du musst halt nur glauben! Mit Denken kommst du nicht weiter! Diese drei Sternsucher stehen genau für das Gegenteil dieser Aussagen. Falls Sie einmal in einer Phase sind, in der Sie grüblerisch werden, in der Sie beginnen nachzudenken: wo ist mein Herrgott in meinem Leben? Vergessen Sie nicht, sogar die Sterndeuter an der Krippe von Jesus hat er nicht im Stich gelassen, sondern hat sie zum richtigen Licht geführt. Zum Licht der Welt. Und sie haben das voll und ganz erkannt! Darum knieten sie nieder und beteten an! Kehren wir zu unserem Ausgangsvers zurück: denn in der Herberge war kein Platz für sie. Zum Glück hatte es keinen Platz! Denn sonst hätten die Sterndeuter und Hirten keine Gelegenheit gehabt, auf ihrem, für sie vorgesehenen Weg, Jesus einen Besuch abzustatten. Und wir hätten nichts darüber erfahren, wie sehr sie sich selber bleiben konnten und Gott sie so empfangen hat, wie sie nun mal waren. Genau so empfängt er uns. Das sehr schöne dabei ist, dass uns mit dem Vers denn in der Herberge war kein Platz für sie etwas noch viel deutlicher wird: Es hat zwar keinen Platz, aber Gott lässt sich überhaupt nicht davon abhalten, in unsere Welt zu kommen. Es war ihm gleichgültig! Er kommt trotzdem! Allen Widrigkeiten zum Trotz! Gott will in Jesus menschliche Gestalt annehmen. Er will hier sein mit uns! Er will sich nicht abhalten lassen!
8 Ja, man kann ihn gar nicht abhalten! Wenn man ihm keinen freundlichen Empfang bereiten möchte, dann sucht er sich seinen Weg. Und wenn es kein grosses Empfangskomitee gegeben hat, dann wählt er die aus, in denen wir uns am besten wiedererkennen können: Einfache Hirten, suchende Grübler! Es gibt nichts, was Gott abhalten könnte, in unsere Welt zu kommen. Da er seinen Weg suchen muss und oft Umwege gehen muss, arbeitet er manchmal nicht so offensichtlich: denn in der Herberge war kein Platz für sie. Nochmals: Das war Gott egal! Er kommt trotzdem! Niemand kann sein Kommen verhindern, aber in seiner Liebe wirkt er hier und dort. Oft im Verborgenen. Darum gibt es für uns Trost, wenn wir traurig sind. Wieder Freude in viel Kummer. Hoffnung in Dunkelheit. Woher kommt das? Weil eine Liebe immer heimlich und oft still im Verborgenen hier wirkt. Unabschiebbar. Unverdrängbar. Sich seinen eigenen Raum nehmend! Machen wir uns auf zu diesem Licht. Wir können kommen, so wie wir sind. Mit offenen Armen werden wir empfangen. In deinem Licht, Herr, sehen wir das Licht! Amen. ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH St. Anna-Kapelle, St. Annagasse 11, 8001 Zürich Gottesdienste: Sonntag 10.00 Uhr, Bibelstunden: Mittwoch 15.00 Uhr Sekretariat St. Anna, Grundstrasse 11c, 8934 Knonau, Telefon 044 776 83 75