1 Hinter den Kulissen "Tafel" - Exakt-Reporterin im Praktikum Bericht: Jana Merkel Praktikantin meldet sich zum Dienst. Na dann, Immer rein in die gute Stube Holger Franke ist für die nächsten zwei Tage mein Chef. Er leitet die Tafel in Magdeburg Olvenstedt. Für lange Einweisungen ist keine Zeit, ich soll gleich mit anpacken. Also zügig umziehen, denn draußen warten schon die Kollegen. Ich gehe in die Mitte? Ja? Wir sollen Ware holen. Das heißt: Supermärkte abfahren und Lebensmittelspenden einsammeln. Swen Koch und Irena Schugardt nehmen mich mit. Wo fahren wir jetzt zuerst hin? Was und wie viel wir abholen dürfen, wissen wir noch nicht. Es wird hoffentlich reichen für rund 100 Kunden, die täglich zur Tafel kommen. Drehen dürfen wir übrigens bei den meisten Märkten nicht. Die Kamera muss auf der anderen Straßenseite bleiben. So richtig frisch sieht das aber auch nicht mehr aus, nee? Oh ja, da ist auch schon ein bisschen Schimmel dran, hier und da." Ich wundere mich sehr, was manche Märkte als Spende abgeben. Steinharte Brötchen, angeschimmeltes Obst. Als nächstes sind wir bei einem großen Einkaufszentrum. Hier darf die Kamera mit auf die Laderampe. Jana: Das ist schon für uns? Schugardt: Das ist für uns. Jana: Oh, das ist ja ne Menge. Na, da haben wir ja zu tun jetzt. Ok. Ist leichter gesagt als getan. Schwer sind sie, die Wagen mit den Tafelkisten. Im Gegensatz zu manch anderem Markt ist dieser immer recht großzügig, erzählen mir die Kollegen. Aber heute scheinbar besonders. Swen Koch: Noch einen oder was? Ja. Scheiße. Sonst haben wir immer bloß einen bis zwei, aber--
2 Hoffentlich passt das alles in den Transporter. Sechs Wagen voller Obst, Gemüse und Backwaren. Das Meiste noch frisch und knackig. Als Krönung sogar dreißig Wassermelonen. Jana: Gibt's das öfter, oder ist das nur heute, weil das Fernsehen da ist?" Swen Koch: Nee, das kriegen wir dann immer schon halbiert oder schon aufgeplatzt. Die wussten scheinbar, dass das Fernsehen bei ist. Zurück bei der Tafel werden wir sehnlichst erwartet. Das Lager ist fast leer, die Spenden von gestern schon verteilt und in vier Stunden ist wieder Ausgabe. Kette bilden, denn es muss schnell gehen. Doch manches taugt wohl nur noch für den Biomüll. Swen Koch: Leckerschmecker" Jana: Die sehen jetzt aber nicht so richtig gut aus, hier guck mal. Wenn sie das abholen, ärgert sie das nicht? Swen Koch: Ab und zu schon, weil wenn wir da reinfassen, haben wir den ganzen Wrack an den Händen, dann klebt alles. Ich würde ja auch nur das mitnehmen, was ich selber essen würde, also. Bloß wir können uns da nicht beschweren, wir sind Bittsteller. 20 Minuten später. Ich finde mich in der Küche wieder und staune. Diese Tafel verteilt nicht nur Lebensmittel, hier gibt es auch eine Suppenküche. Detlef Marti: Das sind Kohlrüben, davon wird ne Suppe gemacht, ne? Detlef Marti kocht hier jeden Tag ein warmes Mittagessen für Tafelkunden. Er wohnt um die Ecke und kennt die meisten von ihnen. Detlef Marti: Zum größten Teil sind s immer wieder dieselben, die hier jeden Tag kommen. Werden Sie dann nachher sehen. Das sind drei, vier Tische, die kommen dann immer. Zeige ich Ihnen dann nachher mal. Jana: Die Stammkunden sozusagen Marti: Ja, kann man fast so sagen. Seit Februar hat er hier eine feste Stelle. Ich hatte eigentlich ehrenamtliche Helfer erwartet, aber alle Mitarbeiter sind über eine Maßnahme vom Jobcenter für drei Jahre angestellt. Sie haben am Ende kaum mehr Geld als ihre Kunden. Detlef Marti gelernter Koch: Also ich könnte nicht zu Hause mich hinsetzen. Bin ich gar nicht der Mensch für. Hört sich zwar bisschen blöd an, aber ist halt so. Jana: Nee, so wirken sie auch.
3 Der Chef ruft zum Servieren. Holger Franke: Frau Merkel. Detlef Marti: Können Sie so ein Tablett tragen, so ein kleines, mit zwei Schüsseln drauf?" Jana: Das krieg ich hin." Detlef Marti: Probieren wir. Holger Franke - Leiter Tafel Magdeburg Olvenstedt: In anderen Tafeln holen sie das meistens an ner Klappe irgendwo ab, bei der Küchenausgabe. Und wir bringen das Essen hin. Jana: Kellnern inklusive. Genau, Kellnern inklusive. Jana: Wer kriegt denn das jetzt? Tisch eins ist das jetzt, gerade zu. Eintopf mit Würstchen plus Nachtisch für 50 Cent pro Person. Schönen guten Tag. Guten Tag. Acht Tische bediene ich heute. Bitteschön Gisela Grieser gestattet mir, sie beim Essen mit meinen Fragen zu stören. Die 81-Jährige kommt täglich zum Mittagessen, weil ihre Rente geradeso zum Leben reicht. Gisela Grieser: Es sind 748 Euro, die ich bekomme, und zahle schon 340 Miete. Ja --- Jana: Da sind Sie froh, dass sie hierher kommen können? Gisela Grieser Ja, ja. Ich geh gerne hierher muss ich sagen. Nette Leute und Essen schmeckt wie immer. Zwei Stunden später. Jana: Da warten schon ne Menge Leute" Ein Plattenbau-Viertel im Norden Magdeburgs. Von hier aus ist der Weg zur Tafel in Olvenstedt sehr weit. Deshalb sind wir mit der mobilen Tafel hergekommen. Jana: So, kurze Einweisung Herr Mühlenberg: Was hab ich zu tun? Worauf muss ich achten? Mühlenberg: Beachten, was sie nehmen, nicht so viel. Jana: Dass sie nicht so viele nehmen, dass für alle was übrig bleibt?
4 Erhardt: Genau. Was wenig ist, bisschen zuteilen. So wie Tomaten, Melonen, Erdbeeren. (So Bananen sind genug, Äpfel auch, Apfelsinen auch, da kann man schon mal. Aber das andere bisschen aufpassen, dass sie nicht hamstern). Gisela Erhardt (laut): Das Buffet ist eröffnet!" Gisela Erhardt kassiert die Wertmarken und kontrolliert den Tafelpass. Viele Kunden wollen nicht gefilmt werden. Hinten an den Obstkisten sollen wir aufpassen, mitzählen. Zum ersten Mal an diesem Tag fühle ich mich nicht wohl in meiner Tafelweste. Jana Merkel: Also ich komme mir gerade ein bisschen komisch vor, denen auf die Finger zu gucken. Rainer Mühlenberg: Ich auch. Jana Merkel: Ja, geht Ihnen auch so? Ok. Rainer Mühlenberg: Geht mir auch so. Wohl deshalb sagen wir beide auch nichts, als sich jemand vier Bund Spargel sichert. Kurz darauf höre ich unzufriedene Stimmen: Die Melonen sind alle. Ich hab keine mehr abgekriegt. Das kann doch nicht sein, oder? Jana Merkel: Was ärgert sie daran? Frau: Na, ich hätt auch gern Melone gegessen. Wenn jeder evtl. eine genommen hat, ist es ok, aber manchmal ist es schlimmer hier. Jana Merkel: Also manch einer war ja jetzt auch schon so ein bisschen ruppig, ja?" Gisela Erhardt: Ja, aber man gewöhnt sich an alles. Jana: Ja, ärgert sie das, wenn die Leute so gnatzig werden? Gisela Erhardt: Na sicherlich, sicherlich, aber was will man machen, man wird hart. (lacht) Hart wirkt sie auf mich allerdings nicht, sondern ziemlich patent und heiter. Auf geht s Zurück bei der Tafel erzählt mir Gisela Erhardt ihre Geschichte. Sie hat immer gearbeitet, zu DDR-Zeiten als Verkäuferin, nach der Wende oft Ein-Euro-Jobs. Die Frau ist immer in Bewegung. Wie ihre Kollegen wird sie vom Jobcenter bezahlt. Mindestlohn plus Aufstockung. Sie könnte theoretisch einen Tafelpass bekommen. Will sie aber nicht. Jana Merkel: Interessanterweise ist ja keiner Ihrer Kollegen, obwohl alle Anspruch hätten, nutzt die Tafel, keiner von denen, die hier arbeiten, oder? Gisela Erhardt: Keiner, nö. Jana Merkel: Woran liegt das?
5 Gisela Erhardt: Da müssten sie die Kollegen selber fragen. Jana Merkel: Na ist es dann doch so, dass man sagt, man möchte irgendwie nicht so auf Hilfe angewiesen sein oder jemand anderem vielleicht was wegnehmen, oder so? Gisela Erhardt: Ja, vielleicht nicht bei jedem, aber so im Großen und Ganzen kommt das schon hin. Kann man das so sagen. Ich habe übrigens alle Kollegen gefragt. Und alle sagen: Sie kämen auch ohne Tafelpass zurecht. Andere bräuchten ihn dringender. Der nächste Morgen. Draußen warten schon die Kunden. Drinnen bereiten wir die Ausgabe vor. 4.200 Menschen versorgen die Magdeburger Tafeln. Der Chef erklärt mir, dass die Kunden nachher mit Wertmarken bezahlen. Denn das Jobcenter verbiete den Mitarbeitern den Umgang mit Bargeld. Jana Merkel: Wissen Sie warum? Warum nicht mit Bargeld? Holger Franke Leiter Tafel Magdeburg: Das schreibt das Jobcenter so vor. Angeblich um die Leute nicht in Versuchung zu führen. Manipulation etc. Jana: Oh, dann stellt man die ja alle unter Generalverdacht. Holger Franke Leiter Tafel Magdeburg: Ja, das machen die. Das ist ein bisschen schwierig. Das Jobcenter behandelt die Leute manchmal von oben herab. Als ob sie alle nicht selber denken könnten. Aber das ist so. Das irritiert mich, aber zum Nachhaken bleibt keine Zeit. Die Kunden warten. --- Ich soll den Einlass übernehmen, die Reihenfolge wird ausgelost. Frau Forster: Die ziehen dann einen so einen Chip. Aber die dürfen nicht reingucken. Jana: Ok. Das System soll Streit verhindern. Jeder zieht eine Nummer und lässt sich in die Liste eintragen. Nummerngirl nennen sie diesen Job. Zieh mal was Schönes Und? Super. Die 18 Je kleiner die Zahl, desto schneller ist man dran. Deshalb wollen manche noch mal ziehen. Es tut mir leid, Tauschen ist nicht. Konsequent bleiben soll ich, hat der Chef gesagt. Um Punkt 9 Uhr rufen wir die ersten Nummern auf. Vier und fünf! Vier und fünf.
6 Die 1 bis 3 hatte niemand gezogen. Kühlware kommt jetzt noch oben drauf. Zwei Euro kostet die Wertmarke für so einen Korb. Heute ist er gut gefüllt. Das kann morgen schon wieder anders aussehen. Je nach Spendenlage. In der ersten Stunde sehe ich fast nur deutsche Kunden. Corinna Peisder erzählt mir, die Flüchtlinge aus dem Heim in der Nähe kommen meist erst nach dem großen Andrang. Und tatsächlich. Die 51!" In Kiste 51 kommt nur Geflügelwurst. Weil Muslime kein Schweinefleisch essen. Jana: Wie ist es mit Alkohol?" Mann: Alkohol auch ja." Verboten? Dann die nicht, dann tauschen wir die um. Da ist Alkohol in der Schokolade. Dankeschön. Jeden Tag gehen 50 bis 80 Kisten über die Theke. Allein im letzten Jahr sind 1000 neue Kunden dazu gekommen, die meisten davon Flüchtlinge. Und das gibt s hier auch noch: Die Kaffeerunde am Nachmittag. Einfach dazusetzen, soll ich mich. So fröhlich habe ich die Kundschaft bisher nicht erlebt. Jana: Die Stimmung ist aber gelöst, ja?" (Frau lacht) Diese Damen waren heute auch schon zum Mittagessen hier. Die Tafel als Treffpunkt. Gisela Erhardt: Ich finde, man muss auch unter Leute, oder? Man wird ja blöde." Frau: Das ist es doch. Ja, man geht ja sonst nicht mehr so. Und so sind wir zwei Mal die Woche hier, haben uns hier alle mehr oder weniger kennengelernt, ist doch schön." Andere Frau: Und wir sind ein schönes Team, ja?" Hier geht s nicht nur um Kaffee und Kuchen. Hier hört man als Mitarbeiter auch einfach mal zu. Jana Was wäre denn, wenn die Tafel nicht wäre." Rentnerin: Dann wäre schon schlechter, sehr schlecht. Für viele dann. Frau: Dann könnte ich nicht jeden Tag was Warmes machen. Dann würde es manchen Tag nur Stulle mit Brot geben.
7 Zwei Tage bei der Tafel: Ich werde mich erinnern an Rentner, die viel zu wenig Geld bekommen, an unbehagliche Momente beim Kisten-Bewachen. Und vor allem an herzliche Kollegen.