Theo Kneifel, Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) Heidelberg, Dezember 2004 Berlin und der Völkermord von 1904: Von diplomatischer Verdrängung zu Entschuldigung und Entschädigung. Eine Zwischenbilanz Die offizielle Entschuldigung der Entwicklungsministerin Heidemarie-Wieczorek-Zeul am 14. August 2004 im Kulturzentrum der Herero in Ohamakari, Namibia, war ein erster mutiger offizieller Schritt über die bisherige Verweigerung und diplomatische Verdrängung der deutschen Bundesregierung, angefangen von Helmut Kohl und Roman Herzog über Joschka Fischer, hinaus, sich der Wirklichkeit des Völkermords seitens der deutschen Schutztruppen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika zu stellen. Damit ist ein Prozess eingeleitet, der glaubwürdiger Gesten der Wiedergutmachung bedarf, wenn er zu einem Friedensschluss führen soll. KASA hatte sich im Vorfeld u.a. durch Lobby-Arbeit an die Adresse der Ministerin beteiligt, und ist zusammen mit MAKSA und anderen kirchlichen Gruppen engagiert, diesen Nachfolgeprozess kritisch und kreativ zu begleiten. Im Folgenden sind die wichtigsten Stationen dieses Weges zu Entschuldigung und Entschädigung in diesem hundertsten Gedenkjahr skizziert. 11.1.2004 Gedenkfeier in Okahandja/Namibia am Vortag des 100sten Jahrestages des Aufstands der Herero und Nama Der deutsche Botschafter Massing beschränkt sich in seiner Gedenkrede auf ein tiefes Bedauern für die Verbrechen während der deutschen Kolonialzeit im ehemaligen Deutsch- Südwestafrika. 11.-16.1.2004 Beschluss der Rheinischen Landessynode und der Vereinten Evangelischen Mission: Erinnern, versöhnen, gemeinsam Zukunft gestalten In ihrer Stellungnahme zu 100 Jahren seit Beginn des anti-kolonialen Befreiungskrieges in Namibia wird die Bundesregierung aufgefordert, sich ausdrücklich zur Verantwortung für die Verbrechen des Völkermordes an den Herero, Damara und Nama, zu bekennen und einen besonderen Beitrag dafür zu leisten, dass die kolonialgeschichtlich verursachte ungleiche Verteilung von kommerziell genutztem Farmland in Namibia korrigiert wird. 30.1.2004 Gedenkfeier der Vereinten Evangelischen Mission in Wuppertal Schon unmittelbar nach der Unabhängigkeit Namibias von Apartheid-Südafrika hatten sich die VEM und die mit ihr verbundenen Landeskirchen zu ihrer historischen Mitschuld an Kolonialismus, Rassismus und Apartheid auf dem Gebiet des heutigen Namibia bekannt. Bischof Kameeta in seiner Funktion als Moderator der VEM forderte in seiner Gedenkrede eine besondere Verantwortung Deutschlands in Form eines Marshall-Plans für Namibia und das südliche Afrika.
17.6.2004 Namibia-Resolution des deutschen Bundestages Verabschiedung eines Beschlusses zum Gedenken an die Opfer des Kolonialkrieges im damaligen Deutsch-Südwestafrika durch den Deutschen Bundestag auf Antrag der rotgrünen Regierungsfraktionen. Die Resolution vermeidet sowohl die Anerkennung des Krieges von 1904 als Völkermord als auch eine klare Entschuldigung. Auch wird die Vernichtung in den Konzentrationslagern nicht erwähnt. Entsprechend beurteilt die Vereinte Evangelische Mission den Bundestagsbeschluss mit folgenden Worten: Die VEM begrüßt grundsätzlich, dass der Deutsche Bundestag am 17.06.2004 einen Antrag zum Gedenken an die Opfer des Kolonialkrieges im damaligen Deutsch-Südwestafrika verabschiedet hat. Dennoch bedauert die VEM, dass auch 100 Jahre nach den Ereignissen die unter Historikern allgemein anerkannte Tatsache, dass es sich um Völkermord gehandelt hat, im Antrag keine Erwähnung findet. Darüber hinaus fehlt ein klares Bekenntnis zur Unterstützung einer Landreform in Namibia. So bleibt der Beschluss aus Sicht der VEM halbherzig und geht in keiner Weise über die Entschließung des Bundestages hinaus, die 1989 gefasst wurde, als Namibia unabhängig wurde. 2.-4.7.2004 Kirchliche Fachtagung in Waldbreitbach: Versöhnungsarbeit im Schatten des Kolonialismus. Tagung zur Erinnerung an den anti-kolonialen Widerstandskrieg und Völkermord in Namibia (1904-1907) Diese von MAKSA und KASA unterstützte Tagung der Region Mittelrhein der Rheinischen Landeskirche leistete ein Stück Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit zwischen einem breiten Spektrum kirchlicher VertreterInnen aus Deutschland und Namibia. Die TeilnehmerInnen verabschiedeten eine abschließende Erklärung an die Adresse von Bundestag, Bundesregierung und staatlichen Gremien, der EKD, Kirchen und Missionswerke in Deutschland, welche konkrete weiterführende Schritte eines glaubwürdigen Versöhnungsprozesses vorschlägt. Die Erklärung setzt sich u.a. für eine von KASA ins Spiel gebrachte Gedenkstunde des Bundestages am 2. Oktober, dem Tag des Vernichtungsbefehls des General von Trotha ein und fordert die EKD auf, sich mit ihrer eigenen Mitverantwortung für koloniales Unrecht und Apartheid auseinander zu setzen. (Die Dokumentation der Tagung ist als Nr 39/40 vom Ressort epd-dokumentation unter doku@epd.de zu beziehen. Die Erklärung ist auch auf der KASA-Website unter www.kasa.woek.de abrufbar). 14.8.2004 Entschuldigung und Bitte um Vergebung in Okakarara, Namibia In ihrer Rede bei den Gedenkfeierlichkeiten zur vernichtenden Schlacht am Waterberg, macht Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul einen wichtigen Schritt nach vorn: Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralischethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben. Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen Vater unser um Vergebung unserer Schuld. Ohne bewusste Erinnerung, ohne tiefe Trauer kann es keine Versöhnung geben. Versöhnung braucht Erinnerung. Chief Riruako nahm seitens der Herero die Entschuldigung der Ministerin an, machte jedoch deutlich, dass dies erst der Anfang eines gründlichen Dialogs sei, bei dem die Frage der Wiedergutmachung ein bleibendes Gewicht habe. Auch der namibische Landwirtschaftsminister Pohamba begrüßte als Vertreter der namibischen Regierung die Entschuldigung von Wieczorek-Zeul. Die Ministerin lehnte aber Entschädigungszahlungen weiter ab. Zur völker-
rechtlichen Einschätzung fand sie deutlichere Worte als bisher üblich: Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet werden würde. 18.8.2004 Erklärung Bischof Kameetas am Todestag Hendrik Witboois In einer öffentlichen Erklärung nahm der namibische Bischof Kameeta, Moderator der Vereinten Evangelischen Mission, die Entschuldigung der Entwicklungsministerin an. In ihrer Bitte um Vergebung der deutschen Schuld mit Bezug auf unser gemeinsames Vaterunser ging sie über eine bloße Entschuldigung hinaus. Als Evangelische Lutherische Kirche in der Republik Namibia (ELCRN) nehmen wir dies ohne Wenn und Aber an. Aber auch er weitete den Blick für weitere Schritte, die sich daraus ergeben: Die deutsche Regierung sollte den historischen Augenblick nutzen, um die Entschuldigung auszudehnen auf die ganze namibische Nation, besonders auf die Nama-, Damara- und San-Völker. Es ist Zeit, dass Deutschland den Menschen von Namibia die Hand der Versöhnung, des Wiederaufbaus, der Entwicklung und des Friedens ausstreckt. Damit bezog sich der Bischof auf einen Marshall- Plan für Namibia und das Südliche Afrika, den er schon in seiner Rede vom 30.01.2004 in Wuppertal eingefordert hatte. 17.-21.8.2004 Resolution für Wiedergutmachung auf internationaler Konferenz in Windhoek Eine internationale Geschichtskonferenz zum Thema Entgiftung der namibischen Vergangenheit in Windhoek wandte sich in ihrer Abschlussresolution an die deutsche Regierung mit der Aufforderung nach Wiedergutmachung für die deutschen Kolonialverbrechen in Namibia: Wir rufen die deutsche Regierung auf, der Forderung der Herero nach Wiedergutmachung zu entsprechen. Der Rechtsprofessor aus Bremen Manfred Hinz schlug in seinem Beitrag Political Ethics and the German Herero War eine Versöhnungskommission zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen in Namibia vor. Die Kommission sollte paritätisch aus Herero und Deutschen besetzt sein, und unter Beteiligung der namibischen und deutschen Regierung die Form einer Entschuldigung diskutieren, und auch Form, Methode und Größenordnung eventueller Wiedergutmachungen Falls diese bilaterale nach dem Vorbild der südafrikanischen TRC konzipierte Reconciliation Commission von beiden Seiten akzeptiert würde, sollte Chief Riruako dafür die von ihm in den USA angestrengten Klagen zurückziehen. Die Konferenz Decontaminating the Namibian Past versammelte viele historische und juristische Beiträge, welche für den weiteren Versöhnungsprozess in Namibia, und darüber hinaus in der Region des Südlichen Afrika, wichtige Anregungen enthalten. (Kopien einzelner Beiträge sind über Hanns Lessing oder das Büro der KASA erhältlich.) 11.11.2004 Rede von Alphons Maharero auf der EKD-Synode: Ein Zeichen der Versöhnung? Die Rede von Alphons Maharero, dem Großneffen des damaligen Anführers der Herero, am vorletzten Tag der EKD-Synode in Magdeburg sollte laut Presseerklärung der EKD vom 02.11. ein Höhepunkt der diesjährigen Synode sein und ein Zeichen der Versöhnung setzen. Die auf eigene Interessen ausgerichtete Rede geriet zu einem peinlichen Auftritt. Aber auch die EKD verpasste diese Gelegenheit, ein glaubwürdiges Zeichen der Versöhnung zu setzen, die sich nicht mit der Bitte um Vergebung erschöpfen kann, wie sie Bischof Huber in seinem Jahresbericht als Ratsvorsitzender formuliert: Wir bitten um Vergebung durch Gott und die Menschen für alles Unrecht, das von Deutschen an diesen afrikanischen Völkern begangen wurde.
Die von MAKSA am 10.11. veröffentlichte Presseerklärung erinnerte die EKD daran, dass eine Aufarbeitung ihrer eigenen Verstrickung in koloniales Unrecht und Apartheid zu einer notwendigen Versöhnungsarbeit gehört. Denn die EKD und Vorgängereinrichtungen seien beteiligt gewesen an der Förderung und Unterstützung von Kolonialismus, Rassismus und Apartheid, nicht zuletzt durch die Gründung von separaten deutschsprachigen lutherischen Gemeinden und die Entsendung von Militärpfarrern für den Kolonialkrieg Anfang des 20. Jahrhunderts. (s. dazu den Artikel von Klaus Matthes in Transparent, Dezember 2004: 100 Jahre Beginn des anti-kolonialen Befreiungskrieges in Namibia. Die Evangelische Kirche in Deutschland nimmt die Rheinische Landessynode nicht ernst. ) 11.-15.11.2004 Anticolonial Africa Conference in Berlin Diese von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration und einem breiten Spektrum vorwiegend aus der afrikanischen Diaspora kommenden Gruppierungen veranstaltete internationale Konferenz griff neben dem Thema des deutschen Völkermords in Namibia auch die darüber hinausgehende Frage der deutschen Verantwortung für koloniales Unrecht auf, anlässlich des 120. Jahrestags der Berliner Afrika-Konferenz, die am 15. November 1884 von Bismarck einberufen wurde. In ihrer Abschlussveranstaltung plädierten die TeilnehmerInnen noch einmal nachdrücklich für Entschuldung und Entschädigung (www.africaanticolonial.org). 18.-21.11.2004 Internationales Symposium zum Thema: Realität, Traumata und Perspektiven (1904-2004): Der Hererokrieg Hundert Jahre danach, veranstaltet vom Afrika-Archiv der Universität Bremen in Zusammenarbeit mit der Juristischen Fakultät der Universität von Namibia Die Bremer Tagung brachte gegen Ende des 100. Gedenkjahres noch einmal alle Interessengruppen an einen Tisch: Eine zehnköpfige Herero-Delegation, drei Bischöfe der Kirchen in Namibia, darunter Bischof Kameeta, Moderator der VEM; der namibische Informationsminister Nangolo, die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, sowie VertreterInnen verschiedener universitärer Fachdisziplinen. Die Konferenz einigte sich zum Abschluss auf einen gemeinsamen Ansatz zu einem weitergehenden Versöhnungsprozess. In Form eines Panel of Reconciliation soll es unter maßgeblicher Mitwirkung der Regierungen in Windhoek und Berlin zu einem strukturierten Versöhnungsprozess kommen. 10.12.2004 Tag der Menschenrechte. Billige Versöhnung? Unter dem Titel Versöhnung ohne Strafe? Ruanda, Namibia, Südafrika gab das Kirchenamt der EKD zum Tag der Menschenrechte ein Materialheft heraus, das zur Auseinandersetzung mit dem Thema und zur Feier eines Gottesdienstes am 10. Dezember anregen soll. Trotz wichtiger Impulse und Anregungen zur Frage Versöhnung ohne Strafe ist es bezeichnend, dass das 51-seitige Materialheft die Frage der Wiedergutmachung, bzw. Entschädigung sorgfältig ausspart. Versöhnung erschöpft sich fast durchgängig in Erinnerung und Vergebung. Zwar ist auch ein kleiner Beitrag von Desmond Tutu Versöhnung und Bestrafung aufgenommen, in der der ehemalige Vorsitzende der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) für wiederherstellende anstelle von vergeltender Gerechtigkeit plädiert. Dass zu restorative justice aber, nach dem Verständnis und der Praxis von Erzbischof Tutu und der TRC auch die Frage von symbolischer Wiedergutmachung und Entschädigung gehört, ist in dem Heftchen ausgeklammert; wie übrigens auch die Notwendigkeit, dass die Kirchen in Deutschland, zumal die EKD, sich ihrer eigenen Verflechtung in koloniales Unrecht, in Rassismus und Apartheid stellen müssen. Das gilt auch für entsprechende
Gremien und Missionsorden auf katholischer Seite, welche, mit Ausnahme eines Artikels Anfang 2004 in Missio aktuell, die Chance des 100. Gedenkjahres des deutschen Völkermords in Namibia zur Aufarbeitung ihrer eigenen Verstrickung in Kolonialismus und Apartheid bisher nicht genutzt haben. The Past is the Future, so lautet ein Büchlein zur gegenwärtigen Krise in Simbabwe, das gerade in Harare bei Weaver Press erschienen ist. Es zeigt in beeindruckender Weise, wie die sich stetig verstärkende Gewaltspirale in Simbabwe nicht zuletzt aus der Verdrängung der Gewalt und des Unrechts einer unaufgearbeiteten Vergangenheit zu erklären ist. Auch 2005 werden MAKSA und KASA den eingeleiteten Versöhnungsprozess in Namibia weiter begleiten. 2005 sind es 100 Jahre der Zerschlagung des Widerstands der Nama in Namibia und des Maji-Maji-Krieges im ehemaligen Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania. Mit der Berufung gegen das Urteil des New Yorker Bezirksgerichts geht 2005 auch der Prozess gegen Apartheid-Konzerne in die zweite Runde. Genügend Anlässe, dass wir uns im nächsten Jahr als Kirchen, Bundesregierung und betroffene deutsche Unternehmen nicht mit einer billigen Versöhnung davonstehlen, damit die Menschen im Südlichen Afrika Zukunft haben. Dietrich Bonhoeffer sprach von billiger Gnade. Verzeihen und Versöhnung sind nicht billig. Diese Worte Desmond Tutus in oben erwähntem Heft der EKD (S:36) erinnern daran, dass es keine nachhaltige Versöhnung gibt, ohne dem Recht der Opfer und Überlebenden von Völkermord und schweren Menschenrechtsverbrechen auf Wiederherstellung ihrer Würde und auf angemessene Entschädigung zur Geltung zu verhelfen. Die Vergangenheit ist die Zukunft. (Zu obigem Fragekomplex s. Theo Kneifel. Von der Last des Erinnerns und dem Recht auf Entschädigung. Hundert Jahre deutscher Völkermord in Namibia. Plädoyer für eine politische Initiative. April 2004, unter www.kasa.woek.de)