Weinfelder Januar 2015 Nr. 761 Predigt Als Christ in der Welt leben aus Johannes 17,15-18 von Pfr. Johannes Bodmer gehalten am 28.12.2014
Johannes 17,15-18 Ich bitte dich nicht, sie aus der Welt wegzunehmen, aber sie vor dem Bösen in Schutz zu nehmen. Sie gehören nicht zu dieser Welt, so wie ich nicht zu ihr gehöre. Lass sie in deiner göttlichen Wirklichkeit leben.... Dein Wort erschliesst diese Wirklichkeit. Ich sende sie in die Welt, wie du mich in die Welt gesandt hast. Seite 2
Liebe Gemeinde Es ist auffallend, wie Jesus über die Welt spricht. Er redet ziemlich distanziert. Er zählt sich nicht zur Welt. Auch jene, die an ihn glauben, gehören nicht zur Welt. Doch weiss er sich von Gott in die Welt geschickt, wie auch wir in die Welt geschickt sind. Mit anderen Worten: Es besteht eine Spannung zwischen dem jenseitigen und dem irdischen Leben. Beides sind wichtige Bereiche, in denen es zu leben gilt, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung. Die deutliche Abgrenzung, die Jesus vornimmt, mag uns erstaunen. Wir haben doch gehört, dass er da ist für die Menschen, für alle, die zu ihm kommen. Ja, das ist er, aber nicht nur. Er weiss sich letztlich nicht auf der Erde beheimatet, sondern in der jenseitigen, für uns unsichtbaren Welt. Sehr schön können wir an dieser Sachlage erkennen, dass es durchaus christlich ist, sich weltanschaulich zu positionieren und eine klar begründete Meinung zu vertreten. Es ist nicht so, dass Jesus völlig aufgeht in der irdischen Welt. Er hält sich auf Distanz und zieht gegenüber der Welt eine klare Grenze. Daran sehen wir: Es ist wichtig, einen eigenen Standpunkt zu haben, eine begründete christliche Meinung zu vertreten und sich nicht jeder Weltanschauung in die Arme zu werfen, im Sinne von: "Wir haben ja alle den gleichen Gott!" Eine solche Aussage hätte Jesus niemals gemacht. Seine Ausrichtung geht exklusiv zu seinem Vater im Himmel. Das 17. Kapitel des Joh-Evangeliums zeigt Jesu Verbundenheit mit dem himmlischen Vater auf besondere Weise. Es ist sein Abschiedsgebet. Es schliesst an vier Kapitel an, in denen er seinen Jüngern noch möglichst viel Seite 3
mitteilt. Nach modernen pädagogischen Grundsätzen würden wir sagen: Er hat den Jüngern etwas viel aufs Mal mitgeteilt. Da konnten sie sich unmöglich an alles erinnern. Und doch: das Wichtigste, was die Jünger weitererzählt haben, ist zum Glück aufgeschrieben worden in den Evangelien, sodass wir recht gut informiert sind über die wichtigen Themen. Sie gehören nicht zu dieser Welt, so wie ich nicht zu ihr gehöre. Wie hat Jesus gelebt? Wie sollen wir leben? Wir sollen kritisch offen sein für die Menschen. Gleichzeitig sollen wir das klare Bewusstsein haben von dem, was unsere wirkliche Heimat ist, wo unsere Mitte und unsere Kraft herkommen: von Gott, unserem Schöpfer und Erlöser. Obwohl Jesus in dieser Welt lebt, betont er: "Es gibt noch eine andere Welt!" Von dieser ist er gekommen. In diese wird er zurückgehen, wenn seine Zeit gekommen ist. Als Christen können wir uns diesen Worten anschliessen und feststellen, was Christsein heisst: "Ich weiss, dass ich zu Jesus und damit zu Gott gehöre. Ich versuche immer wieder neu, mich auf ihn und sein Wort auszurichten und in seiner Wahrheit zu leben." Dass das Wort Gottes wichtig ist, hören wir hier von Jesus, der betet: Lass sie in deiner göttlichen Wirklichkeit leben... Dein Wort erschliesst diese Wirklichkeit. Zur Zeit Jesu ist das AT zu weiten Teilen fertiggestellt. Darum sagt er: Dein Wort erschliesst diese Wirklichkeit. Um in der göttlichen Wirklichkeit leben zu können, sind wir auf Gottes Wort als Hilfe angewiesen. In der Bibel aufgezeichnet, ist es ein unbezahlbarer Schatz. Meistens ist uns das zu wenig bewusst. Wir haben die Möglichkeit, Bibeln kaufen, soviel wir wollen, in den verschiedensten Übersetzungen. Doch in Ländern, wo der christ- Seite 4
liche Glaube unterdrückt wird, schätzen die Christen es sehr, wenn sie eine Bibel erhalten. Sie spüren und erleben, was Jesus betet: Dein Wort erschliesst diese Wirklichkeit. Wenn wir in der göttlichen Wirklichkeit leben, hinterfragen wir weltliche Ansprüche, auch wenn sie noch so überzeugend daherkommen. Wir lassen uns auch nicht so leicht von Meldungen aus aller Welt entmutigen. Als Christen wissen wir: Wir leben in dieser Welt, so wie sie ist, für jene Jahrzehnte, die uns von Gott gegeben sind. Wir sind die Gäste unseres Schöpfers hier, die wissen, dass die Ewigkeit nicht zur Welt gehört, sondern zu Gottes Jenseits. Hören wir weiter auf Jesu Gebet: Ich bitte dich nicht, sie aus der Welt wegzunehmen, aber sie vor dem Bösen in Schutz zu nehmen. Der Gedanke, aus der Welt wegzugehen, um jetzt schon bei Gott zu sein, ist auch Jesus durch den Kopf gegangen. Er hätte sich einiges an Schmerz und Leid ersparen können. Auch Paulus schreibt davon, liebäugelt er doch auch mit der Vorstellung, bereits in Gottes Herrlichkeit zu sein, die so viel schöner ist als alles weltlich Vorstellbare. Solche Gedanken kommen vermutlich auch uns manchmal. Sie sind nicht zu verwerfen, sondern können Trost- und Kraftquellen sein. Der Glaube, einst bei Gott zu sein und die Welt weit hinter sich zu lassen zu können, muss nicht Angst auslösen, sondern ermutigt. Wenn wir daran glauben, dass wir nach dem Sterben bei Gott sein werden, dürfen wir uns auf das neue Leben freuen, das dem irdischen Leben folgt. Doch sollen wir in der Welt leben und unsere Frau oder unseren Mann stellen. Ich sende sie in die Welt, wie du Seite 5
mich in die Welt gesandt hast. Das zu wissen und zu glauben, gehört elementar zur christlichen Existenz. Ich bitte dich nicht, sie aus der Welt wegzunehmen, aber sie vor dem Bösen in Schutz zu nehmen. Es ist erstaunlich, wie deutlich Jesus über das Böse als Realität spricht. Er kennt keine Tabus. Über das Böse zu reden, fällt wahrscheinlich den meisten von uns nicht leicht. Wir sprechen lieber vom Guten und von den positiven Seiten der Menschen. Dass das Böse zu unserer Existenz gehört, ist eine von der Bibel belegte Tatsache, schon fast ab der ersten Seite, wo berichtet wird, dass Kain Abel umbringt. Wir sind auf Schutz vor dem Bösen angewiesen. Wer in der göttlichen Wirklichkeit lebt, weiss: Es gibt Dinge, von denen wir uns abwenden sollen. Sie wollen uns und unsere Beziehungen zerstören. Als Christen sind wir uns bewusst, dass düstere Möglichkeiten in uns schlummern, die geweckt werden können. Uns ist klar, wie abgründig unser Herz ist. Am besten aufgehoben ist es bei Gott, wenn wir es ihm übergeben. Doch auch dann haben wir keine Garantie, dass nicht doch böse Gedanken entstehen. Wenn solche Gedanken aufkommen, sollen wir sie nicht verdrängen, sondern wie Jesus feststellen, dass sie da sind. Gottes Massstäbe sind feiner als weltliche. Die Welt kann nur feststellen, was äusserlich ist. Durch Jesus erfahren wir, dass das Innere des Menschen entscheidend ist für sein Handeln und Versagen. Wenn Jesus Gott in seinem Abschiedsgebet bittet, er solle die Gläubigen vor dem Bösen schützen, so bedeutet das, dass wir aus eigener Kraft dem Bösen nicht widerstehen können. Wir brauchen Gottes Hilfe dazu. Diese Wahrheit deckt sich Seite 6
mit der Bitte des Unser Vaters: erlöse uns von dem Bösen. Als Christ in der Welt leben ist nicht so einfach. Aber es ist interessant. Wir dürfen wissen: Wir sind nicht allein. Gott ist mit uns, hat doch Jesus gesagt: Ich bin bei euch jeden Tag bis an das Ende der Welt (Mt 28). Er hat uns sein Wort gegeben als Rüstzeug für das Leben in der Welt. Amen. Seite 7