besonderen Charme der Konditorei ausmacht. Durch den schwarz-weißen Mosaikfußboden, die auf gusseisernen Löwenfüßen stehende Vitrine, die gedrechselte Holztür mit den Butzenscheiben und das leicht angeschlagene Mobiliar wirkt mein Laden sehr nostalgisch, wie aus der Anfangszeit des vorigen Jahrhunderts. Er zieht Touristen aus Südostasien und aus englischsprachigen Ländern an, die neugierig durch die Scheiben lugen und fotografieren, sich aber dann beim Bäcker drei Häuser weiter mit den landestypischen Backwaren wie Rosinenschnecken und Quarktaschen eindecken. Hätte ich das nötige Kleingeld, würde ich vor dem Laden ein paar Stühle und Tische aufstellen, damit meine Kundschaft die besondere Atmosphäre der Heidelberger Altstadt hautnah erleben könnte. Ich würde die alte Auslage mit den trüben Scheiben
gegen eine neue Vitrine austauschen, in der meine süßen Kunstwerke besser zur Geltung kommen. Zudem würde ich zwei Bistrotische im Laden aufstellen und einen modernen Kaffeeautomaten anschaffen. Ich würde ach, Ideen hätte ich mehr als genug, doch leider fehlen mir die finanziellen Mittel, um sie in die Tat umzusetzen. Die soeben abgeschlossene Meisterschule hat meine gesamten Ersparnisse verschlungen. Trotzdem bin ich froh, mich für diese hervorragende, wenn auch kostspielige Ausbildung entschieden zu haben. Seufzend trage ich das Tablett mit dem kunterbunten Gebäck nach vorn und beginne, es als Blickfang in der viel zu kleinen Auslage anzuordnen, als die Türglocke erneut klingelt und der Briefträger hereinkommt.»bonjour, junge Frau!«, begrüßt er mich lächelnd. Wenigstens er hat gute Laune.
»Guten Morgen, Herr Zwanzger.«Ich lächele zurück.»ein Einschreiben für Sie.«Er trocknet sich die vom Regen nassen Hände an einem riesigen Taschentuch ab und reicht mir den Brief und ein Gerät, auf dessen Display ich mit meiner Unterschrift den Erhalt bestätige. Mir ist ein wenig flau im Magen, denn ein Einschreibebrief bedeutet sicher nichts Gutes.»Bei dem Wetter jagt man eigentlich keinen Hund vor die Tür«, meint der Briefträger.»Da haben Sie recht!«ich nicke zustimmend.»hier!«spontan greife ich mit der Zange nach einem Croissant und reiche es ihm über den Tresen.»Eine kleine kulinarische Aufmunterung!Vielen Dank, Fräulein Fabienne!«Er strahlt mich an, bevor er herzhaft in das Hörnchen beißt.»sie sind immer so
aufmerksam! Und Ihr Gebäck ist das beste weit und breit!«geräuschvoll verspeist er mit hastigen Bissen auch noch den Rest.»Ich komme heute nach Dienstschluss noch einmal vorbei. Legen Sie mir doch bitte zehn Stück von diesem gefüllten Eischaumgebäck zurück. Das isst meine Frau so gerne.«er wischt sich den Mund mit dem Riesentaschentuch ab.»sie meinen die Macarons? Das mache ich gern«, sage ich, greife in die Auslage und stapele die runden Baiserstücke in den dafür vorgesehenen Karton.»Vielen Dank, Fräulein Fabienne. Bis nachher also!«es klingelt erneut, und Herr Zwanzger verschwindet im Regen. Zögernd nehme ich den Brief in die Hand und betrachte ihn neugierig von allen Seiten. Kein Absender, nur das Einschreibeetikett auf der Vorderseite. Er sieht eigentlich nicht
nach einem offiziellen Schreiben aus. Mein Magen zieht sich vor Aufregung zusammen, und mir ist ganz mulmig zumute. Mit zitternden Händen reiße ich den Umschlag auf, nehme den Brief heraus und falte ihn auseinander. Während des Lesens stockt mir der Atem. Ich kann nicht glauben, was da geschrieben steht, und die Buchstaben tanzen wild vor meinen Augen. Ich atme tief ein und beginne noch einmal von vorn. Wir beglückwünschen Sie zu Ihrem Gewinn! steht da schwarz auf weiß. Absender ist die Süddeutsche Klassenlotterie, die mich auffordert, mit meinem Los und meinem Ausweis zu belegen, dass ich wirklich die glückliche Gewinnerin von 160.400 Euro bin.»das gibt es doch nicht!«ich kann mein Glück kaum fassen. Auf der Stelle renne ich nach hinten, wo meine Handtasche steht, und beginne, in ihren Tiefen zu wühlen, bis ich