Mitgefühl, was beim Erobern eher eine Schwäche als eine Stärke zu sein schien. Peter sah zu, wie der Tankwart den Schlauch abmontierte. Dann spürte er etwas. Eine Frau, glaubte er. Konnte das die Frau sein, konnte SIE es sein? Er schaute auf und sah eine Frau. Eine Frau von vielleicht siebzig Jahren mit einer schwarzen Perücke. Wo normalerweise die Augenbrauen waren, wölbten sich zwei schwarze dünne Striche, und ihr Mund war überschminkt wie bei einem Clown. Peter sah ihr in die Augen. Ihre falschen Wimpern erinnerten ihn an Spinnenbeine. Oje!»Welche Reihe ist das?«, wollte die Frau jetzt von ihm wissen. Peter sagte es ihr. Sie schaute auf ihre Bordkarte und hob verzweifelt die Hände.»Ach«, sagte sie,»es gibt meine Reihe also gar nicht. Sie existiert nicht. Sie sagen einem die Reihe nur zum Spaß. Sie haben sie ausgelassen. Ich habe das
Flugzeug erwischt, in dem sie Reihen auslassen. Wenn mein Sohn mich besuchen kommen würde, dann hätte ich diese Probleme nicht. Aber nein. Die Frau seine Frau dehydriert beim Fliegen. Dehydriert, Sie wissen schon Wasser!«Sie starrte Peter an.»sind Sie verheiratet?«, fragte sie. Er schüttelte den Kopf.»Heiraten Sie ein nettes Mädchen.«Sie schaute Peter noch einen Augenblick streng an, um sicherzustellen, dass er ihren Rat ernst nahm, dann wandte sie sich ab und ging zurück in den vorderen Teil des Flugzeugs. Peter konnte keine weiteren Passagiere im Gang mehr entdecken. Ein Flugbegleiter ging vorbei und schloss die Klappen der Gepäckablage. Peter hörte die Motoren. Gleich würde sich das Flugzeug vom Gate lösen, die Bildschirme würden aus der Decke klappen und das Video mit den
Sicherheitshinweisen anfangen. Peter betrachtete den leeren Sitz neben sich. Seine Euphorie war verflogen, ihm blieb nur der schale Nachgeschmack einer zugegebenermaßen völlig irrationalen Enttäuschung. Er betrachtete den Sicherheitsgurt, zwei leblose Arme, die niemanden hielten. Natürlich war alles, was man aus der Absenz schließen konnte, die Absenz. Er wusste jetzt, wer neben ihm sitzen würde: niemand. Peter seufzte und zuckte mit den Achseln. Dann hielt er sich, wie ein Depressiver, der sich die Decke über den Kopf zog, die Zeitung vor das Gesicht und widmete sich einem Artikel mit der Überschrift»Gemeinderat widersetzt sich Bürgermeister bei Wellenschäden«. Er war sogar ganz interessant. Man versuchte, den Bootsverkehr zu begrenzen, um die Bauten am Ufer zu
schützen. Wie in Venedig. Peter hatte ein paar Minuten lang gelesen, als er eilige Schritte auf sich zukommen hörte, die leichten Schritte eines jungen Menschen höchstwahrscheinlich einer jungen Frau. Dann, als sie auf Höhe seiner Sitzreihe zu sein schienen, stoppten sie plötzlich. Peter bemerkte, dass jemand sich neben ihm zu schaffen machte. Aber wegen der Zeitung konnte er nicht sehen, wer es war. Er faltete die Zeitung gemächlich wieder zusammen und schaute nach rechts, und er sah, wie eine junge Frau eine Tasche im Gepäckfach verstaute. Als sie die Arme hob, blitzte ein Stück ihres gebräunten, schlanken Bauchs auf. Peters Herz begann zu flattern. Er konzentrierte sich auf seine Zeitung.»Im Süden durchleben die Gerichtsstädte Aufschwung und Veränderung.«
Die Frau setzte sich. Peter nahm sie so gut es ging in Augenschein, wobei er so tat, als sähe er sich in der Kabine um. Sie schien etwa in Peters Alter zu sein, und ihr langes rotblondes Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Sie trug eine dünne weiße Strickjacke und Bluejeans. Was Peter zuerst an ihrem Profil auffiel, war ihre sanft geschwungene Kieferlinie und wie diese in einem runden Kinn auslief. Es erinnerte Peter an eine der Idealkurven, die in alten Zeichenanleitungen zu finden waren. Sein Blick wanderte den Kiefer entlang zurück zum Ohr der Frau. Es war ein kleines beigefarbenes Ohr, das beinahe essbar wirkte, wie ein Keks. Ihre gerade Nase endete in einer ganz zarten runden Spitze, und die Stirn wölbte sich leicht wie die Seitenwände einer umgedrehten Schale; ihre Haut war glatt und von einem warmen Honigton. Sie war