Psalm 56, 9 Sammle meine Tränen in deinem Krug; ohne Zweifel, du zählst sie! Gnade sei mit euch Liebe Gemeinde, viele von Ihnen, die heute gekommen sind, sind unserer Einladung gefolgt, die wir an Sie geschickt haben, weil sie im Laufe des vergangenen Kirchenjahres einen Menschen verabschiedet haben, der gestorben ist. Gemeinsam haben wir ihm oder ihr die letzte Ehre erwiesen, haben uns in einem Trauergottesdienst an sein oder ihr Leben erinnert. Wie viele verschiedene Arten gibt es, zu sterben: Der Tod ist vielleicht in ihr Leben gekommen als ein Erlöser von Schmerzen, als guter Freund, der ihren Angehörigen in die Ruhe und den Frieden geführt hat, den er im Leben schon längst nicht mehr erleben konnte. Oder er ist gekommen als fürchterliche Bestie, hat sie bedroht mit großem Schrecken, viel Leid und Schmerz, hat Ihnen und dem Verstorbenen alles abverlangt und sie in großer Erschöpfung zurückgelassen. Oder er hat Sie überfallen in Form eines Unfalls oder unvorhersehbarem, plötzlichen Tod, ohne Chance, sich vorher zu verabschieden oder vorzubereiten. So vielfältig die Wege sind, die in den Tod führen können, so vielfältig sind auch unsere Gefühle, die er in uns auslöst. Tiefe Traurigkeit, aber auch gleichzeitige Freude und Erleichterung über das Ende einer großen Anstrengung können hier durchaus nebeneinander stehen und zusammen passen. Entsetzen, Fassungslosigkeit, aber auch große Teilnahmslosigkeit, die die großen Gefühle nicht an einen heranlässt, gehören zu möglichen Reaktionen. Jörg Zink hat einen Text für einen Trauernden geschrieben: Es mag durchaus sein, dass dir auf dieser Erde noch mehr zugedacht ist,
Neues und anderes, als du jetzt siehst. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, dass du nicht meinst, die Sonne sei untergegangen. Sie leuchtet nur anders und in einem anderen Raum. Wenn du so in das schneebedeckte Tal schaust, kannst du dir kaum vorstellen, dass um diese Hütte her in wenigen Monaten ein Meer von Blumen wogen wird. Wichtig ist, was in dir selbst geschieht. Denn die Liebe will das Tägliche stärker prägen, nicht schwächer als früher, so, dass du das Leid der Menschen besser verstehst und ein neues, warmes Leben für dich beginnt. Wichtig ist, dass du nicht karg wirst. Viele brauchen deine Erfahrung und deinen Frieden und alles, was in dir an Trost und Hilfe wächst. Denn die Erde, die durch das Leiden Christus erlöst wurde, braucht den Trost, der von den Trauernden ausgeht. Wichtig ist, dass Du nicht karg wirst, schreibt er. Denn das, was du an Trost und Frieden erfährst in deiner Trauer, soll nicht einfach nur bei dir landen und versacken, vielmehr werden deine Erfahrungen in deiner Trauer unendlich wichtig sein für andere Menschen, die noch vor sich haben, was Du schon erlebt hast. Wer sich in seiner Trauer erreichen lassen kann von der Liebe, hat ein tieferes Verständnis von Leid als einer, der kein Leid erfahren musste in seinem Leben. Und kann daher auch besser Trost spenden als der oder die, die nie selbst betroffen waren.
Das habe ich sehr eindrücklich erfahren, als ich im letzten Jahr mit meinen Konfirmanden und Konfirmandinnen aus Anlass des Ewigkeitssonntags über das Thema Sterben, Tod und Bestattungen gesprochen habe. Schon vor dem Unterricht informierte mich ein Mädchen darüber, dass es sein könnte, dass sie evt. gar nicht mit uns auf den Friedhof kommen könnte. Es fiele ihr sehr schwer, daran zu denken, weil sie ihre Oma verloren hatte, an der sie sehr hing und auch, weil ein Elternteil ernsthaft gefährdet war aufgrund einer bestehenden Erkrankung. Oft ist es uns nicht deutlich, wie viele Jugendliche schon schwere Erfahrungen mit dem Tod machen müssen. Ich habe diesem Mädchen daher gesagt, dass es ok ist, wenn sie dann nicht mit auf den Friedhof ginge. Als es dann soweit war, ist sie mit einem anderen Mädchen auf dem Parkplatz zurückgeblieben. Ich bin dann noch einmal zu den beiden gegangen, weil ich sie nicht einfach allein stehen lassen wollte. Und dann fing auch das andere Mädchen an, von ihrer Erfahrung mit dem Tod ihrer Oma zu berichten, wie sehr sich das in ihr Gedächtnis eingeprägt hatte. Und während sie davon erzählte, haben wir beide diese erste Mädchen an die Hand genommen und sind zusammen auf den Friedhof gegangen. Das war für beide nicht einfach, sie haben geweint, aber haben sich in ihrer Traurigkeit gegenseitig gestärkt. Zusammen sind sie dann weiter gegangen, haben das Grab der Oma besucht, haben einander getröstet. Für uns alle war es gut und wichtig, dass wir am Ende mit der großen Gruppe zusammen stehen konnten und jeder und jede sagen konnte, an wen er denkt auf dem Friedhof. Nur wenige hatten noch keinen Verlust erlebt. Wir haben miteinander gebetet und gesungen: Bleibet hier und wachet mit mir. Und das war schön.
Ein Trauernder braucht den Trost, der von einem anderen Trauernden ausgeht. Was haben Sie erlebt seit der Trauerfeier? Vielleicht im letzten Jahr oder aber schon vor viel längerer Zeit? Haben Sie Trost erfahren? Haben Sie überhaupt Trost gesucht oder haben Sie sich verordnet, dass das Leben ganz einfach weiterzugehen hat? Ich habe heute Morgen einen Krug mitgebracht. Ein Krug ist normalerweise dafür da, um etwas auszugießen. Dieser Krug steht aber für etwas Anderes: er steht dafür, dass man etwas in ihm sammelt. Und wahrscheinlich ist er viel zu klein. Denn er steht dafür, dass er all die Tränen auffangen will, die Sie geweint haben. Dieser Krug vermag das nicht. Und ich glaube, niemand kann das. Aber Gott kann. Diese Zuversicht hören wir im Psalm 56: Dort spricht ein Mensch, der Leid in seinem Leben erfahren hat, zu ihm: Sammle meine Tränen in deinem Krug; ohne Zweifel, du zählst sie! Wie gut zu wissen. Gott sammelt nicht nur meine Tränen, nein, er zählt jede einzelne von ihnen! Und allein Gottes Krug ist so unendlich groß, dass er alle unsere Tränen fassen kann. Gleich werden wir Abendmahl miteinander feiern. Wir sind eingeladen an den Tisch Gottes. Und dürfen genau das erleben, wovon Jörg Zink in seinem Text gesprochen hat. Wenn wir miteinander Abendmahl feiern, dann werden wir Ihnen den Kelch reichen. Der Kelch erinnert uns daran, dass Gott selbst mit uns sein will. Wie viele Tränen Gott vergossen haben mag über den Tod seines Sohnes. Viel zu selten erinnern wir uns daran, dass Gott mit uns an dieser Welt leidet. Sie hat ihn seinen Sohn gekostet. Und wir waren es ihm wert.
Wenn wir das Brot und den Kelch miteinander teilen, so stelle ich mir vor, dass darin auch die Tränen enthalten sind, die Gott geweint hat um seinen Sohn. In seiner Trauer bietet Gott uns seinen Trost an. Weil er selbst geweint hat über den Tod seines Sohnes, können wir darauf vertrauen, dass er unser Leid versteht, wenn wir um den Verlust eines lieben Menschen trauern. Der Psalmbeter schließt seinen Psalm mit diesen Worten an Gott: Du hast mich vom Tode errettet, meine Füße vom Gleiten, dass ich wandeln kann vor Gott im Licht der Lebendigen. Der Psalmbeter hat geweint, geklagt und getrauert, wusste seine Tränen aufgehoben und gezählt bei Gott. Dieser Prozess der Trauer und der Klage ist unendlich wichtig. E gibt keine festgesetzte Zeit, in der sie abgeschlossen sein muss. Aber am Ende dürfen wir darauf vertrauen, dass wir mit Gottes Hilfe dem Zugriff des Todes entkommen dürfen, dass wir wieder teilhaben am Leben und im Licht der Lebendigen leben. Gott wird abwischen alle Tränen, heißt es im Buch der Johannesoffenbarung. Denn er sammelt sie in seinem Krug. Amen.