Ein Bittgottesdienst für den Frieden. Frieden. Gerne wird behauptet, wir leben nun schon seit über 60 Jahren im Frieden. Wenn wir damit meinen, dass seit 1945 keine bewaffnete fremde Macht Bruchenbrücken, Friedberg und Frankfurt angegriffen hat, dann stimmt das auch. Nach dieser Definition gab es auch 1939 und die ersten fünf Monate 1940 noch keinen Krieg... in der Wetterau. Der erste Luftangriff auf Berlin fand erst in der Nacht vom 7. auf den 8. Juni 1940 statt, die verheerendsten Angriffe auf Frankfurt wurden am 18. und am 22. März 1944 geflogen. Die Innenstadt von Frankfurt wurde vollkommen zerstört. Tausende Menschen fanden in diesen beiden Nächten den Tod. Erst am 23. März 1945 überquerten amerikanische Soldaten den Rhein. Zur selben Zeit erreichte die Rote Armee Ostpreußen. Begann also der Zweite Weltkrieg aus deutscher Sicht erst im Juni 1940 mit den Bomben der Alliierten Luftwaffe oder gar erst fünf Jahre später mit dem Einmarsch der feindlicher Armeen im Frühjahr 1945? Nein, in der Schule haben wir gelernt, der Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 morgens um 5.45 mit dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen. Zurück zur Gegenwart. Leben wir jetzt im Frieden? Einen Friedensvertrag hat es bis heute nicht gegeben. Zunächst war Deutschland ein besetztes Land. In der unmittelbaren Nähe unseres Hauses in Frankfurt, gab es riesige Kasernen und ein Militärkrankenhaus. Auch der südliche Teil von Friedberg war ganz durch die Unterkünfte der amerikanischen Besatzungsmacht geprägt. Das Waldgebiet rund um den Winterstein war weiträumig gesperrt. Dort gab es verschiedenen Truppenübungsplätze für den Häuserkampf und den Panzerkrieg.
Man nennt die Zeit zwischen dem Kriegsende 1945 und dem Mauerfall 1989 auch nicht Friedenszeit sondern die Zeit des "Kalten Krieges". Alles war geprägt durch die Furcht vor einem Angriff durch die Sowjetunion. Immer neue Atomraketen zur Abschreckung wurden entwickelt und aufgestellt. Noch im Sommer 1989 hat hier kaum einer damit gerechnet, dass die so mächtige Sowjetunion zusammenfallen könnte wie ein Kartenhaus. Die Menschen, die am 9. November 1989 auf der Mauer standen, die sie Jahrzehnte lang eingeschlossen hatte, jubelten und konnten es selbst kaum glauben. War nun nach dem fürchterlichen Zweiten Weltkrieg auch der Kalte Krieg vorbei? Gingen wir auf eine neue Zeit des Friedens zu? Meine Erwartungen wurden enttäuscht. Ich weiß noch genau, wie wir Sylvester 1990, ein Jahr nach dem Mauerfall, in einer Partnergemeinde in Sachsen gefeiert haben. Die Stimmung im Gottesdienst war trübe. Alle wussten, dass wir uns am Vorabend eines neuen Krieges befanden. Präsident George Bush, der Vater von George W. Bush, hatte ein Ultimatum gestellt. Wenn sich Saddam Hussein nicht bis zum 16. Januar des neuen Jahres aus Kuweit zurückzieht, wird die US-Armee mit ihren Verbündeten das Land angreifen. 35 000 Menschen fanden in diesem Krieg den Tod. 392 davon auf Seiten der Alliierten. Die Mehrzahl der Getöteten waren keine Soldaten. Auch viele Tausend Kinder waren darunter. Damals waren in der Frankfurter Rundschau Berichte zu lesen über mögliche Ziele Irakischer Giftgasbomben in Frankfurt. Ich weiß noch, wie ich in dieser Zeit in Frankfurt eines Abends nach Hause von der Arbeit ging und plötzlich die Straßenlaternen ausfielen. Für einen Augenblick glaubte ich: Jetzt ist es soweit. Jetzt erfolgt ein Luftangriff aus dem Irak. Es gab große Demonstrationen in Frankfurt gegen diesen Krieg an denen ich teilgenommen habe.
Nach dem Kalten Krieg, war nicht der Frieden gekommen, sondern im Gegenteil. Es schien mit dem Wegfall der atomaren Bedrohung leichter geworden zu sein, einen neuen Krieg anzufangen. Man ging kein Risiko mehr ein. Von der zarten Hoffnung auf den Weltfrieden musste ich mich damals verabschieden. Eine weitere Hoffnung starb zehn Jahre später. Wenigstens Deutschland, so glaubte ich, würde sich nicht wieder so leicht in einen Krieg hineinziehen lassen. Hatte es nicht nach 1945 geheißen "Nie wieder Krieg!" und hatte nicht sogar Franz Josef Strauß, damals gesagt, "wer in Deutschland jemals wieder ein Gewehr ergreift, dem soll die Hand abfallen?" War nicht die Friedensbewegung in Deutschland so stark wie in kaum einem anderen Land. Ich war in den achtziger Jahren auf einer Demonstration in Bonn mit 500.000 Menschen. Gemeinsam protestierten wir gegen die Aufstellung neuer Atomraketen in Deutschland. 1999, ich war gerade ein Jahr hier auf der Pfarrstelle in Bruchenbrücken, wurde die erste Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen gewählt. Joschka Fischer wurde Außenminister. Viele aus der Friedensbewegung hatten ihre politische Heimat bei den Grünen. Ausgerechnet diese Regierung war es, die den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr nach dem Zeiten Weltkrieg, damals gegen Jugoslawien angeordnet hat. Bomben wurden auf Belgrad geworfen, wie damals auf Berlin, Dresden und Frankfurt. Manche erinnern sich vielleicht daran, wie ich meiner Enttäuschung und Wut darüber Ausdruck verliehen habe, in meiner Predigt im Ossenheimer Wäldchen am Pfingstmontag 1999, und an die hitzigen Diskussionen, die es im Anschluss gab. Im Lexikon Wikipedia steht: "Am 24. März 1999 begannen die Luftangriffe der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, die mit dem Einsatz von zeitweise über 1.000
Kampfflugzeugen eine der massivsten Lufkriegesoperationen der Militärgeschichte bildeten; dabei setzten alleine die Vereinigten Staaten von Amerika einen größeren Prozentsatz ihrer Luftstreitkräfte gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ein, als während des gesamten Vietnam-Krieges und der Operation Desert Storm in Kuweit und im Irak. 1999, mitten in Europa, war der Himmel über Belgrad genauso dunkel wie 1944 über Dresden." Diesmal saßen die Deutschen mit in den Flugzeugen, die den Himmel verdunkelten. Wir haben es kaum bemerkt, seit dem 24. März 1999 befinden auch wir uns wieder im Krieg. Ende August diesen Jahres wurden 500 zusätzliche Deutsche Soldaten im Kosovo stationiert, (bis zu 3500 deutsche Soldaten sind ständig dort) weil diese Region auch zwölf Jahre nach den Luftangriffen und trotz massiver Präsenz der KAFOR-Truppen nicht zur Ruhe kommt. Nur selten liest man darüber in der Zeitung. Andere Kriege sind im Augenblick wichtiger. Manchmal habe ich den Eindruck, die Bundeswehr und die Nato seien eine gemeinnützige transatlantische Vereinigung zu weltweiten Durchsetzung von Mädchenschulen. Wenn man nur Fernsehen schaut, die Zeitung liest und selbst nicht weiter nachdenkt, kann man jedenfalls diesen Eindruck bekommen. Ich glaube, wenn all das Geld, das wir für die Rüstung ausgeben, tatsächlich in den Aufbau von Schulen investiert würde, könnten wir am Ende vielleicht tatsächlich auf das Militär verzichten. Allein für den Afghanistankrieg haben die Bundesbürger zwischen vierzig und fünfzig Milliarden Euro ausgegeben. Wie viele Schulen hätte man davon bauen können? Die meisten der zehn Millionen Schulkinder in Afghanistan haben nach wie vor kein Dach über dem Kopf sondern lernen auf der Straße. Oder sie besuchen überhaupt keine Schule, Jungen wie Mädchen. Margot Käsmann hatte recht, als sie sagte, "nichts ist gut in Afghanistan."
Und auch unser ehemaliger Verteidigungsminister Gutenberg hatte recht, als er sagte, "auch wenn es nicht jedem gefällt, so kann man angesichts dessen, was sich in Teilen Afghanistans abspielt, von Krieg reden." Er war der erste deutsche Politiker, der den Krieg wieder beim Namen nannte. Vorher sprach man von "Missionen", als ob das Evangelium in die Welt gebracht würde oder allenfalls von "Einsätzen der Bundeswehr", als ginge es darum ein paar betrunkene Fußballfans ruhig zu stellen. Der Krieg ist eine traurige Wahrheit. Auch wenn es nicht jedem gefällt, und auch wenn wir das alle gar nicht so empfinden. Wer gestern bei der Tagesschau aufgepasst hat, dem ist nicht entgangen, dass die Kanzlerin deutsche Soldaten jetzt auch an die Grenze zwischen Syrien und der Türkei verlegt hat, um die die türkische Armee gegen Syrien zu unterstützen. Erdogan droht Syrien seit über einem Monat mit dem Einmarsch seiner Truppen. Das ist schon die dritte Front nach Afghanistan und dem Kosovo. Halt da war doch noch was. Erinnern sie sich noch an unseren vorletzten Bundespräsidenten? Horst Köhler? Es ist noch gar nicht lange her. Am 27. Mai 2010 hat er gesagt, die Bundeswehr kämpft auch für die Wahrung wirtschaftlicher Interessen unseres Landes vor der Küste von Somalia. Somalia, dort herrscht gerade die größte Hungersnot seit zwanzig Jahren. Vier Millionen Menschen sind direkt betroffen. Müssen in Deutschland erst wieder Bomben fallen, bevor einer merkt, dass zu Gutenberg recht hat, wenn er sagt: Es ist Krieg. Wahrscheinlich wird die Bombe nicht vom Himmel fallen, eher schon kommt es zu einem Terroranschlag. Wenn man die Plakate auf den Demonstrationen in Griechenland, in Portugal und in Spanien sieht, kann man davon ausgehen, dass es dort, mitten in Europa Menschen geben wird, die sich darüber sogar freuen würden. Unmittelbar nach dem 11. September 2001 hat George W. Bush den war on terrorism, den Krieg gegen den Terror erklärt. Ein lange Liste von Schurkenstaaten hat er mitgeliefert, damit die Kriegsgegner auch wissen, wer gemeint ist. Syrien steht seit 1976 auf dieser Liste.
Der Frieden scheint weiter entfernt zu sein als wir das 1945 gehofft und 1989 geglaubt haben. Der Nobelpreisträger Günther Grass hat unlängst lautstark darauf hingewiesen, sie erinnern sich. Können wir irgendetwas für den Frieden tun? Und wenn ja was? Kann Gott uns helfen? Kann die Bibel uns dabei helfen? Ich suche und finde ein Wort aus dem ersten Timotheusbrief. Dort heißt es: 4, 10 "Dafür arbeiten und kämpfen wir, dass wir die Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt haben, welcher ist der Heiland aller Menschen." Es scheint ein mächtiges Stück Arbeit und große Mühen vor uns zu liegen, wenn wir den Frieden erreichen wollen. Die Hoffnung setzten die Menschen im Neuen Testament auf den Lebendigen Gott. Das ist der Gott des Lebens und des Friedens. Der Gott des Krieges bringt Unfrieden und den Tod. Wenn dieser Gott der Heiland aller Menschen ist, dann schließt das auch die Schurken und Verbrecher ein. Sie erinnern sich vielleicht daran, dass Jesus zu einem der Verurteilten Verbrecher am Kreuz neben ihm gesagt hat: "Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein." Vielleicht denken Sie, das ist naiv und meinen, den Krieg wird es immer geben, und daran kann man nun mal nichts ändern. Das ist vielleicht realistisch, aber die Hoffnung der Christen sieht anders aus. Wir Christen erhoffen das Heil für alle Menschen, nicht nur für die Christen, nicht nur für die Guten. Wir können beten für den Frieden und wir können kämpfen und arbeiten für den Frieden überall: In unserer Familie in unserer Gemeinde in unserer Stadt in unserem Land und für den Frieden in der Welt. Wir können hoffen auf den Frieden und wir können versuchen Frieden zu schließen mit Menschen, die mit uns im Streit liegen. Das alles können wir tun. Nur eines sollten wir auf keinen Fall tun: Uns an den Krieg gewöhnen und zur Tagesordnung übergehen. Amen.