Operationelle Erfahrungen mit kombinierten Solarleistungsvorhersagen für deutsche ÜNBs und VNBs Jan Schmelter M.Sc. Dr. rer. nat. Ulrich Focken energy & meteo systems GmbH Marie-Curie-Str. 1, 26129 Oldenburg Tel.: +49 (0) 441-36116470 Fax.: +49 (0) 441-36116479 http://www.energymeteo.com Der wachsende Anteil an erneuerbaren Energien am Energiemarkt verlangt aufgrund der hohen Einspeisevolatilität von Solarenergie immer neue Kompetenzen im Bereich von Vorhersagesystemen. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der stetig steigenden installierten Leistung photovoltaischer Anlagen gewinnt ein präzises Vorhersagesystem für Netzbetreiber zur ökonomischen und ökologischen Kraftwerksplanung von immer höherer Bedeutung. Bereits Ende 2010 gab es in Deutschland bereits etwa 18 GW p installierter Solarleistung. Um die Netzstabilität auch langfristig unter Einbezug eines hohen Anteils erneuerbarer Energien garantieren zu können, ist es notwendig, neue Verfahren auf Basis statistischer und meteorologischer Konzepte in die Vorhersagesysteme zu integrieren. In diesem Beitrag werden Ansätze einer wetterklassenspezifischen Kombination von Solarleistungsvorhersagen diskutiert und auf Vorhersageverbesserungen dieser Methodik hingewiesen. Dazu werden Erfahrungen, die im operationellen Vorhersageeinsatz für deutsche ÜNBs und VNBs mit diesen Verfahren gesammelt wurden, dargestellt. Aktueller Standard Modelle zur Prognose von eingespeister Solarleistung arbeiten auf Basis der Strahlungsvorhersage numerischer Wettermodelle. Die Schnittstelle zwischen vorhergesagter Strahlung und erzeugter, elektrischer Leistung bildet ein auf physikalischen Grundlagen beruhendes Anlagenmodell. Hierbei bieten insbesondere post-processing-verfahren, die anhand von eingehenden Leistungsmessungen unterschiedlicher Referenzanlagen optimiert werden, eine Möglichkeit der Erhöhung der Vorhersagegüte. Zur Bestimmung regionaler Vorhersagen werden Methoden der statistischen Hochskalierung angewandt. Dieser Ablauf einer Leistungsvorhersage stellt den gewöhnlichen Standard der unterschiedlichen Prognoseverfahren dar.
Verfahren zur Vorhersageverbesserung Bereits in der Windleistungsvorhersage zeigte sich, dass die wesentliche Steigerung der Vorhersagegüte auf die Anwendung eines Systems, welches eine optimale Kombination von Leistungsvorhersagen auf Basis unterschiedlicher Wettermodelle durchführt, zurückzuführen ist (vgl. [2]). Diese Methodik ist durch unterschiedliche Anpassungen auf ein Solarleistungsvorhersagesystem übertragbar. Hierbei ist eine wichtige Anforderung an das Vorhersagesystem, dass Wetterklassen mit unterschiedlichen Einspeisecharakteristika, bei denen prägnante Vorhersageunterschiede zwischen verschiedenen numerischen Wettermodelle auftreten, automatisch detektiert werden. Für diese Verfahren eignen sich insbesondere strukturierende Verfahren der multivariaten Statistik (wie beispielsweise eine principal component analysis, mit anschließender Clusterbildung). Mit diesen Verfahren lassen sich auch große meteorologische Datenmengen zu handlichen Wetterklassen komprimieren. Bei energy & meteo systems wurde ein Verfahren entwickelt, welches eine effiziente Modellkombination durchführt. Die Grundzüge dieses Verfahrens werden im nachfolgenden Abschnitt kurz dargestellt. Wetterklassenspezifisches Modellkombinationsverfahren Der wesentliche Kern des automatischen Wetterklassifikations- und Kombinationsverfahrens ist die Integration von Leistungsmessungen photovoltaischer Anlagen und externen meteorologischen Daten (Messungen und Vorhersagen) in ein post-processing- Verfahren zur Optimierung der Leistungsvorhersagen. In der folgenden Abbildung 1 ist die Einbettung dieses Verfahren schematisch dargestellt. Abb. 1: Exemplarischer Ablauf eines wetterklassenspezifischen Kombinations- und Korrekturverfahrens auf Basis eines Ensembles aus mehreren numerischen Wettermodellen.
Darüber hinaus ersetzt diese Stufe wartungsaufwendige und statische Verfahrensweisen (wie z.b. einfache lineare Regressionsverfahren). Die Grundidee basiert auf der Annahme, dass numerische Wettermodelle bei ähnlichen meteorologischen Situationen annähernd gleichartige Vorhersagefehler generieren. Für eine Schätzung ˆm einer Messung m zu einem Zeitpunkt t 0 werden alle N vorhandenen Parameter ν n, die eine kritische Wettersituation beschreiben, historisch analysiert. Diese Parameter können sowohl verschiedene numerische Wettervorhersagen, als auch charakteristische Vorhersageparameter wie Bedeckungsgrad, Sonnenstand, Bedeckungsart, uvm. sein. In den folgenden Gleichungen (1) und (2) ist dieser Zusammenhang in einer vereinfachten Form dargestellt. ˆm(t 0 ) = w(t 0 ) = t<t 0 1 w(t 0 ) N n=1 t<t 0 m(t) N n=1 γ (ν n (t), ν n (t 0 ), σ n ), wobei (1) γ (ν n (t), ν n (t 0 ), σ n ). (2) Da im historischen Zeitraum für gewöhnlich keine exakt identischen Parametersituationen gefunden werden, wird in einem Umkreis nach ähnlichen gesucht. Dies lässt sich exemplarisch durch eine Funktion γ realisieren (in diesem Beispiel ist γ eine Normal- Verteilung). Dabei wird diese Gewichtungsfunktion parameterabhängig eingestellt, hier beschrieben durch den Parameter σ n : γ (ν n (t), ν n (t 0 ), σ n ) = ( 1 exp 1 σ n 2π 2 ( ) ) 2 νn (t 0 ) ν n (t). (3) σ n lässt sich nun z.b. über ein heuristisches Optimierungsverfahren (Downhill-Simplex, simulated annealing) auf historischen Testdaten so einstellen, dass der Vorhersagefehler minimiert wird. Ein wesentlicher Vorteil ist, dass dieses System auch anwendbar ist, wenn wenig historische Daten vorliegen. Darüber hinaus ist es lernfähig. σ n Erfahrungen im operationellen Einsatz Das beschriebene Verfahren kommt in einer weit höheren Abstraktionsstufe und zusätzlichen algorithmischen Details bei energy & meteo systems bereits operationell zum Einsatz. In Abbildung 2 wurde dieses Verfahren auf die Vorhersage vom 8. Oktober 2010 für die Regelzone von 50Hertz angewendet. Hierbei ist erkennbar, dass sich die modellkombinierte Vorhersage im Intraday stark an der Vorhersage von Modell 1 orientiert. Hingegen liegt die kombinierte Dayahead-Vorhersage dicht an Modell 2. Die Gewich-
tung der einzelnen Modelle ist hierbei zeitlich und räumlich variabel. power_rated [MW] 800 600 400 200 0 Prediction:pred_hertz50 'Messung' 'Vorhersage' 'Modell 1' 'Modell 2' 'Modell 3' Zeit (UTC) 10/10/2010 Abb. 2: Exemplarischer, operationell ausgelieferter Vorhersagelauf (Intraday- und Dayahead-Vorhersage) für die Regelzone von 50Hertz vom 08.10.2010. Die modellkombinatorischen Unterschiede sind u.a. durch die gänzlich unterschiedlichen Bewölkungssituation am 8. und 9. Oktober 2010 in der Regelzone von 50Hertz begründbar (vgl. Abbildung 3). Abb. 3: IR-Satellitenbilder des 8. und 9. Oktober 2010 für 12 Uhr UTC (Quelle: EU- METSAT ). Die Ursache der Auflösung dieses Wolkenfeldes liegt an einem Hochdruckgebiet über dem Baltikum, das sich durch den Einfluss zweier Tiefdruckzonen über Skandinavien und über dem Schwarzen Meer zerteilt und damit das Wolkenbild über Ostdeutschland beeinflusst. In einem zweiten Beispiel zur Arbeitsweise der wetterklassenspezifischen Modellkombination in Abbildung 4 ist die Vorhersagesituation in der Regelzone von TenneT für den 30. November 2010 angegeben. Die einzelnen Modelle sagen eine relativ hohe eingespeiste Leistung vorher, die kombinierte Vorhersage weist jedoch einen kleinen Vorhersagefehler auf. Da zu diesem Zeitpunkt bereits ein hoher Anteil der Regelzone mit Schnee bedeckt war und dies in den Einstrahlungsvorhersagen der numerischen Wettermodelle natürlich nicht berücksichtigt wird, überschätzen die Einzelvorhersagen.
Prediction:pred_transpower power_rated [GW] 3.2 2.4 1.6 0.8 'Messung' 'Vorhersage' 'Modell 1' 'Modell 2' 'Modell 3' 0.0 Zeit (UTC) 02/12/2010 Abb. 4: Exemplarischer, operationell ausgelieferter Vorhersagelauf (Intraday- und Dayahead-Vorhersage) und fehlerhafte Modellvorhersagen für die mit Schnee bedeckte Regelzone von TenneT vom 30.11.2010. Die Schneebedeckung der Solaranlagen lässt sich durch eine zusätzliche Berücksichtigung von lokalen Vorhersagen der Schneehöhe, Bodenalbedo und Solareinstrahlung modellieren. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass wenn Situationen auftreten, die in dieser Form nicht in den historischen Trainingsdatensätzen vorkommen, automatische Kombinations- und Korrekturverfahren meist träge reagieren. Systeme die vollständig auf solchen Verfahren beruhen (z.b. Neuronale-Netze) liefern bei starken Fluktuationen im Wettergeschehen schlechte Ergebnisse. Bei Vorhersagesituationen mit Schneebedeckung, Nebelbildung und kritischer Bewölkung, die einen Einfluss auf die Leistungserzeugung haben, müssen zusätzliche Modelle eingesetzt werden. In der nachfolgenden Tabelle 1 sind die Ergebnisse einer Auswertung der kombinierten Vorhersagen der deutschlandweit eingespeisten Solarleistung für unterschiedliche Jahresabschnitte angegeben (Sommer mit unterschiedlicher Bewölkungsart und Winter mit Schneebedeckung). Hierbei wurden die Nachtwerte entfernt, da sie das Analyseergebnis verfälschen. Fehlermaß (15.06. - 30.08.2010) Modell 1 Modell 2 Modell 3 Kombination rmse pred,meas / % (kw / kw p ) 3,46 4,73 3,64 3,18 bias pred,meas / % (kw / kw p ) -0,02 0,74-0,33 0,02 corr pred,meas 0,986 0,976 0,988 0,989 Fehlermaß (15.12. - 31.12.2010) Modell 1 Modell 2 Modell 3 Kombination rmse pred,meas / % (kw / kw p ) 18,64 22,14 12,09 1,26 bias pred,meas / % (kw / kw p ) 17,13 20,86 11,51-0,09 corr pred,meas 0,584 0,552 0,629 0,822 Tabelle 1: Auf installierte Leistung normierte statistische Fehlermaße der Solarleistungsvorhersagen (Intraday) für Deutschland. oben: Zeitraum im Sommer: 15.06. - 30.08.2010. unten: Zeitraum mit Schneebedeckung: 15.12. - 31.12.2010. Bei der Auswertung wurden die Nachtwerte entfernt.
Der rmse und der bias der Vorhersagen wurden anhand der auf die installierte Solarleistung normierten Vorhersage und Messung bestimmt. Definitionen der Fehlermaße lassen sich u.a. in [1] nachschlagen. Verifikation durch Solarhochrechnung Zur Verifikation wurden Einspeisedaten von ca. 17.000 Solaranlagen verwendet, die durch Kooperation mit dem Wechselrichterhersteller SMA Solar Technology AG in Echtzeit zur Verfügung stehen. Mithilfe dieser Daten können Hochrechnungen der solaren Einspeisung auch für kleinere Regionen generiert und so die Vorhersage für z.b. PLZ-Bereiche evaluiert werden. Dieses Verfahren wurde bereits, u.a. in Zusammenarbeit mit E.ON Bayern, anhand abrechnungsscharfer PV-Lastgangdaten analysiert und bietet eine ausreichend hohe Genauigkeit, um als Referenzverfahren zu dienen. Zusammenfassung und Ausblick Die Anwendung von erweiterten statistischen Verfahren zur Vorhersageverbesserung ist eine sich lohnende Investition zur Entwicklung von Vorhersagesystemen. Hierbei sei nochmals angemerkt, dass die hierdurch erzielbaren Verbesserungen keinesfalls marginal sind. Insbesondere die Verknüpfung von zusätzlichen meteorologischen Informationen und Methoden auf Basis von Vorhersagen und Messungen bildet zusammen mit statistischen Verfahren ein hohes Potential zur Steigerung der Vorhersagegüte. Hierbei stellt insbesondere die Integration meteorologischer Kenntnisse in automatische Kombinations- und Korrekturverfahren des Vorhersagesystems eine hohe Anforderung. Literatur [1] M. Lange and U. Focken. Physical Approach to Short-Term Wind Power Prediction. Springer-Verlag, 2006. [2] M. Lange, U. Focken, R. Meyer, M. Denhardt, B. Ernst, and F. Berster. Optimal combination of different numerical weather models for improved wind power predictions. In 6th International Workshop on Large-Scale Integration of Wind Power and Transmission Networks for Offshore Wind Farms, 2006.