Rede des Ministers für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen Rainer Schmeltzer anlässlich der Abendveranstaltung zu 5 Jahre Teilhabe- und Integrationsgesetz NRW am 08. Februar 2017 in Düsseldorf Es gilt das gesprochene Wort (Redezeit 20 Minuten) Seite 1 von 19
Sehr geehrte Damen und Herren, Sehr geehrte Landtagsabgeordnete, Lieber Guntram Schneider, Liebe Gäste, ich begrüße Sie sehr herzlich im Namen der nordrheinwestfälischen Landesregierung. Ich freue mich, dass so viele Expertinnen und Experten für Integration, für Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit aus allen Teilen unseres Bundeslandes meiner Einladung nach Düsseldorf gefolgt sind. Am 8. Februar 2012 wurde das Gesetz zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration im nordrhein-westfälischen Landtag verabschiedet. Gemeinsam mit Ihnen möchte ich heute, auf den Tag genau 5 Jahre später, auf das Erreichte zurückblicken. Aber natürlich nicht nur das. Es geht gerade bei der Integration immer auch um den Blick nach vorn auf die Herausforderungen, die vor uns Seite 2 von 19
liegen, auf die Chancen, Erwartungen und Probleme, denen wir uns gemeinsam stellen müssen. Fangen wir mit der Frage nach dem Warum an. Warum überhaupt ein Landesgesetz für Integration und Teilhabe? Warum haben wir als erstes Flächenland diesen Schritt unternommen für den es bundesweit keine Vorbilder gab? Ich könnte jetzt sagen, weil wir eben in Nordrhein- Westfalen sind, und es hier zum guten Ton gehört, vor schwierigen Aufgaben nicht zurück zu schrecken, sondern anzupacken, zu tun und zu machen. Das ist eine Antwort. Aber es gab natürlich weitere gewichtige inhaltliche Gründe. Handlungsleitend war: Teilhabe- und Integrationspolitik sollte verbindlich werden. Wir wollten weg vom projekthaften, von den zeitlich befristeten Maßnahmen, weg vom Vorläufigen hin zur dauerhaften Förderung der Integration auf stabilem Fundament. Seite 3 von 19
Wir wollten das, weil die notwendige individuelle Bereitschaft, sich in die Gesellschaft einzubringen, ihre Werte und Normen anzuerkennen, als Gegenstück immer die öffentliche Bereitschaft benötigt, den Prozess der Integration auch institutionell abzusichern. Wer von Einwanderinnen und Einwanderern stets fordert und wieder nur fordert, aber als Staat nicht bereit ist, umfassend zu fördern und zu unterstützen, der hat nicht nur ein falsches Verständnis von Integration, der hat auch ein falsches Verständnis von politischer und sozialer Verantwortung. Es geschah aus Verantwortung diesem Land und seinen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gegenüber, dass wir 2010 federführend im Integrationsministerium das Teilhabe und Integrationsgesetz auf den Weg gebracht haben. Es ist dann vom Landtag unter aktiver Mitwirkung der im Gesetzgebungsverfahren angehörten Organisationen weiter entwickelt und weiter verbessert worden. Seite 4 von 19
Das Gesetz hat, wie könnte es anders sein, viele Väter und Mütter. Mein ganz persönlicher Dank an dieser Stelle gilt meinem Amtsvorgänger Guntram Schneider. Es waren seine Überzeugungskraft, sein Verhandlungstalent und seine Beharrlichkeit, die dazu beitrugen, dass in den schwierigen Zeiten der Minderheitsregierung das Gesetz vom Landtag ohne Gegenstimmen (bei Enthaltung der Linken) verabschiedet wurde. Von der ersten Idee bis zum Inkrafttreten noch vor den Neuwahlen 2012 vergingen weniger als 2 Jahre. Mein Dank geht insbesondere auch an das Parlament. Das Teilhabe- und Integrationsgesetz ist das Ergebnis eines intensiven, anspruchsvollen aber immer fairen Diskussionsprozesses im Landtag. Regierung und Opposition Hand in Hand, das hat damals deutlich gemacht: Wir in NRW sind uns über die Parteigrenzen hinweg ohne Wenn und Aber einig im Ziel der Integration derjenigen, die zu uns kommen und hier bleiben werden. Seite 5 von 19
Aber nicht nur das. Wir sind uns darüber hinaus auch weitgehend einig darin, wie wir dieses Ziel erreichen wollen. Dass wir nicht in allem einer Meinung sind, versteht sich von selbst und ist auch gut so. Auch über die Integrationspolitik dürfen und sollen wir streiten. Aber wir sollten es sachlich tun und ohne polemische Spitzen. Dieser integrationspolitische Grundkonsens in NRW ist alles andere als selbstverständlich. Andere Bundesländer kennen ihn nicht. Und, der Konsens hält bis heute und ich bin zuversichtlich, dass er auch in den kommenden Monaten des Wahlkampfs und darüber hinaus halten wird. Seitdem die sogenannte Alternative für Deutschland völlig enthemmt Hass, Hetze und Populismus verbreitet, ist dieser Konsens unter den demokratischen Parteien wichtiger denn je. Seite 6 von 19
Gerne zitiere ich an dieser Stelle den damaligen integrationspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, den Abgeordneten Solf, der im Landtag ausführte: Wir machen dieses Gesetz, um einen politischen Konsens zu dokumentieren. Wir beschreiben das Fundament, auf dem in Zukunft Integrationsfragen hier im Landtag diskutiert werden sollen. Für mich steht fest: Das Teilhabe- und Integrationsgesetz ist ein Meilenstein der nordrhein-westfälischen Integrationspolitik und, ich füge das selbstbewusst hinzu, auch der deutschen Integrationspolitik. Das Gesetz steht für eine konsequente, systematische und planvolle Integrationsarbeit. Mehrere Länder (Bayern, Baden-Württemberg) sind seit 2012 unserem Beispiel gefolgt und haben Integrationsgesetze ins Leben gerufen. Damit ist NRW ein Vorbild in der Integrationspolitik. Seite 7 von 19
Jetzt ist der Bund in der Pflicht. Vielleicht gibt es ja ein wirkliches Teilhabe- und Integrationsgesetz bald auch auf Bundesebene. Die Zeit dafür ist 62 Jahre nach dem ersten Anwerbeabkommen im Jahre 1955 zwischen Deutschland und Italien reif, ja überreif. Das im Bund am 6. August 2016 in Kraft getretene Integrationsgesetz kann allenfalls ein erster Schritt sein. Der Bund ist auch weiterhin in der kommenden Legislaturperiode gefordert. Anrede, was hatten wir uns 2012 vorgenommen, was haben wir erreicht? Was ist noch zu tun? Das Teilhabe- und Integrationsgesetz, so steht es programmatisch in 1 hat als Ziele 1. eine Grundlage für ein gedeihliches und friedvolles Zusammenleben der Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu schaffen, Seite 8 von 19
2. jede Form von Rassismus und Diskriminierung einzelner Bevölkerungsgruppen zu bekämpfen, 3. eine Kultur der Anerkennung und des gleichberechtigten Miteinanders auf der Basis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu prägen, 4. und Menschen mit Migrationshintergrund unabhängig von ihrer sozialen Lage, ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität, ihrer Religion oder Weltanschauung insbesondere bei ihrer Bildung, Ausbildung und Beschäftigung zu unterstützen und zu begleiten, und 5. die soziale, gesellschaftliche und politische Teilhabe der Menschen mit Migrationshintergrund zu fördern. Wir alle können stolz darauf sein, dass diese Verpflichtungen nicht abstrakt, nicht nur symbolhaft geblieben sind, sondern im Laufe der vergangenen 5 Jahre erfolgreich umgesetzt werden konnten. Seite 9 von 19
Wir haben heute in NRW eine bundesweit einzigartige, leistungsstarke und flächendeckende Infrastruktur für Integration. Und, ganz wichtig: wir haben eine enge, vernetzte Zusammenarbeit unserer Institutionen. Andere Bundesländer beneiden uns darum. Dass wir viel erreicht haben, möchte ich Ihnen nun anhand einiger ausgewählter Beispiele darstellen: A) Kommunale Integrationszentren Vielleicht geht es manchen von ihnen so wie mir, den Satz, Integration findet vor Ort statt, kann man schon nicht mehr hören. Aber auch ich verwende ihn hier, einfach deshalb, weil er richtig ist, weil er stimmt. Es sind unsere Städte und Gemeinden, in denen Integration konkret und praktisch wird. Und weil das so ist, ist die wichtigste Weichenstellung des Teilhabe- und Integrationsgesetzes die Stärkung der Integrationskraft der Kommunen. Seite 10 von 19
Heute verfügen 53 der 54 Kreise und kreisfreien Städte in NRW über ein Kommunales Integrationszentrum. Ich bin sehr zuversichtlich, dass der ein noch fehlender Kreis auch bald dabei sein wird. Die Arbeit der KI wird unterstützt durch die Landesweite Koordinierungsstelle bei der Bezirksregierung Arnsberg mit Sitz in Dortmund. Wir werden dieses kommunale Netz, das wir über unser Land gespannt haben, weiter personell und finanziell stärken. Ab 2017 erhalten alle KI zusätzliche Stellen. Kreisfreie Städte bekommen zusätzlich je eine abgeordnete Lehrkraft und können Zuwendungen für zwei weitere Personalstellen in meinem Haus beantragen. Weil die Arbeit in den Kreisen aber keineswegs einfacher, sondern der Abstimmungsbedarf mit den kreisangehörigen Städten und Gemeinden sogar größer geworden ist, erhalten KI in Kreisen 1,5 abgeordnete Lehrkräfte zusätzlich und Zuwendungen für drei weitere Personalstellen aus dem MAIS. Seite 11 von 19
Und wir haben verstanden, dass die Kommunen sich Sachkostenzuschüsse für ihr KI wünschen. Ein Problem, das sich in Folge der gestiegenen Neuzuwanderung landesweit überall vermehrt stellt, ist das der Sprachbarrieren beim Zugang zu Behörden, KiTas, Schulen oder Krankenhäusern. Daher stellen wir allen KI ab 2017 bis zu 50.000 Euro Sachkosten für Dolmetscherdienste und Integrationslotsenangebote bereit. Kein Land, und das wiederhole ich mit Stolz, hat eine so gut entwickelte kommunale Infrastruktur für Teilhabe und Integration wie Nordrhein-Westfalen. B) Die Integrationsagenturen Integrationsagenturen, die sich für die vielfältigen Belange von Menschen mit Migrationshintergrund und für ein friedliches Zusammenleben einsetzen, gibt es in NRW bereits seit 2007. Seite 12 von 19
Damals waren es 125 in Trägerschaft der 6 Mitgliedsverbände der Freien Wohlfahrtspflege. Für die Landesregierung war klar, dass dieses bundesweit einzigartige Förderprogramm weiter gestärkt und ausgebaut werden muss. Heute, 2017, arbeiten hier im Land insgesamt 163 Integrationsagenturen - 38 sind also in den vergangenen 10 Jahren hinzugekommen. Ich freue mich darüber, dass neben der Aufstockung der Fördermittel im Haushaltsjahr 2017 in Höhe von 1,7 Millionen Euro auch die Mittel für die Antidiskriminierungsarbeit durch den Landtag erhöht worden sind. Bald werden 10 statt jetzt 5 spezialisierte Integrationsagenturen für Antidiskriminierungsarbeit am Start sein. So werden wir Antisemitismus, Rassismus, Islamfeindlichkeit und Diskriminierung noch entschiedener bekämpfen können. C) Die Migrantenselbstorganisationen Seite 13 von 19
Das Teilhabe- und Integrationsgesetz hat auch der Arbeit von Migrantenselbstorganisationen einen herausragenden Stellenwert gegeben. Dazu gehört, dass die hier ankommenden Menschen von Anfang an auf Augenhöhe einbezogen und sie darin bestärkt wurden, ihre Interessen selbst wahrzunehmen und ihr neues Leben aktiv zu gestalten. Auch in diesem Bereich erhöhen wir unsere Förderung. Für 2017 stellt die Landesregierung rund 1,5 Millionen Euro zusätzlich für MSOs bereit. 83 Projekte konnten für den Zeitraum 2014/2015 bewilligt werden, für 2016/2017 zählen wir bis zum jetzigen Zeitpunkt bereits 100 genehmigte Anträge. Die Kommunalen Integrationszentren, die Integrationsagenturen in Trägerschaft der Freien Wohlfahrtspflege, die Migrantenselbstorganisationen, das Kompetenzzentrum für Integration, die Landesweite Koordinierungsstelle, Seite 14 von 19
lieber Tayfun Keltek, ich vergesse das nicht: der Landesintegrationsrat der Landesbeirat für Vertriebenen-, Flüchtlings- und Spätaussiedlerfragen die Stiftungen oder auch die die 83 Integration Points im Land und viele weitere Organisationen: sie sind das Gesicht der nordrhein-westfälischen Teilhabe- und Integrationspolitik. Allen Männern und Frauen, die in und für diese Organisationen Verantwortung tragen, möchte ich an dieser Stelle im Namen der nordrhein-westfälischen Landesregierung für ihre Arbeit sehr herzlich danken. Ich habe bislang nicht über Flucht und über Flüchtlinge gesprochen. Bewusst! Denn wir dürfen die Debatte über Einwanderung und Integration nicht darauf verengen. NRW hat über 4,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Wir müssen alle in den Blick nehmen. Seite 15 von 19
Aber: Das Thema Flucht darf auch nicht ausgespart werden. Es war 2012 noch nicht möglich in unserem Teilhabe- und Integrationsgesetz explizit auch auf die Flüchtlinge einzugehen. Das wäre heute sicherlich anders, denn es ist offensichtlich, dass auch Flüchtlinge Integrationsangebote benötigen. Gerade hier haben wir in den vergangenen zwei Jahren enorm von unserer Integrationsinfrastruktur profitiert. Im Zuge der Fluchtmigration haben sie, liebe Anwesende, sich oft kurzfristig und unbürokratisch an dringend notwendigen Hilfemaßnahmen beteiligt und diese umgesetzt. Als Akteure vor Ort erkannten sie die Bedarfe und Herausforderungen und organisierten mit weiteren Partnern schnelle Hilfen. An diesen guten Kooperationen müssen wir weiter arbeiten, uns weiter vernetzen und voneinander profitieren. Denn nur gemeinsam können wir dafür sorgen, dass die Seite 16 von 19
guten Grundlagen, die mit dem Teilhabe- und Integrationsgesetz gelegt wurden, wirksam fortgeführt werden. Wenn wir schon beim Dank sind, dann möchte ich auch an dieser Stelle den vielen, vielen tausend Ehrenamtlichen Danke sagen, die in den vergangenen zwei Jahren großartige Arbeit geleistet haben und bis heute weiter leisten. Was wir an bürgerschaftlicher Hilfe und Unterstützung erlebt haben, beim Erlernen der Sprache, bei Behördengängen, im Alltag, das ist schon heute ein Stück großartige NRW-Geschichte. Anrede, das Teilhabe und Integrationsgesetz hat weit über die Landesgrenzen hinaus Zustimmung und Anerkennung gefunden. Denn es steht für tatkräftiges Handeln. Es steht für Verbindlichkeit und Klarheit in der Integrationspolitik und Integrationsförderung. Seite 17 von 19
Es hat das Bewusstsein der Menschen mit und ohne Migrationshintergrund für gegenseitige Offenheit, Toleranz und Respekt gefördert. Das Gesetz hat nicht alle Probleme der Integration gelöst. Aber es hat unser Land vorangebracht. Nordrhein- Westfalen hat damit seine integrationspolitische Führungsrolle bekräftigt und untermauert. Und das stimmt mich zuversichtlich für die Zukunft. Wir verfügen über die Struktur, über den Willen und über das Potential, die vor uns liegenden Herausforderungen gemeinsam zu meistern. NRW ist das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands. Jeder Vierte Einwohner verfügt über einen Migrationshintergrund. Wie oft haben wir schon von der kulturellen Vielfalt profitieren und unseren eigenen Horizont erweitern können? Ich bin der Meinung, wir können stolz auf unser Bundesland und unseren kulturellen Reichtum sein! Seite 18 von 19
Heute soll aber auch gefeiert werden. Daher lade ich sie alle schon einmal ein, im Anschluss bei einem Glas und einem kleinen Imbiss ins Gespräch zu kommen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf die Diskussionen. Seite 19 von 19