Manuskript Beitrag: Flucht von Deutschland nach Syrien Das neue Geschäft der Schleuser Sendung vom 4. April 2017 von Anna Feist Mitarbeit: Y. Al Yaseen Anmoderation: Eigentlich gilt in Syrien Waffenruhe. Die ist jedoch brüchig, tödlich brüchig. Bei einem Luftangriff mit Giftgas im Nordwesten seien mindestens 58 Menschen getötet worden, meldeten heute Aktivisten, die den Rebellen nahestehen. Trotz der Gefahren kehren viele Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz fanden, zu ihren Familien nach Syrien zurück. Häufig auf illegalen Wegen, wie unsere Autorin Anna Feist herausgefunden hat. In Internetforen verkaufen Flüchtlinge ihre deutschen Dokumente an Schleuser. Die bringen die Syrer dann von Griechenland in die Türkei. Eine Reportage über die Route der Rückkehrer und das neue Geschäft der Schleuser. Die Flucht rückwärts. Text: Eine arabische Seite auf Facebook. Hier wird offen mit deutschen Aufenthaltsdokumenten für syrische Flüchtlinge gehandelt: Erhältlich: Deutsche Papiere für jemanden aus dem Jahrgang 1994. Hallo, ich gehe nächsten Monat zurück in die Türkei, ich biete die Reisepässe meiner Familie zum Verkauf an. Hier erhältlich: Ein deutscher Reiseausweis mit allen zugehörigen Dokumenten. Wir beobachten die Seite. Bis zu acht neue Pässe werden pro Tag angeboten. Wir wollen herausfinden, was hier vor sich geht, geben uns als interessierter Käufer aus. Unsere Legende: Omar, 23, aus Damaskus sucht einen deutschen Reisepass für seinen Cousin. Schnell schickt man uns ein Angebot. Wir geben uns interessiert:
Das Bild sieht aus wie mein Cousin. Ich biete dir 700 Euro für den Pass. Nein, das ist viel zu wenig. Ich würde den Pass eher in den Müll schmeißen. Bedenke, du bekommst ihn hier, obwohl es für mich sicherer ist, ihn erst in Griechenland zu verkaufen. Du kriegst ihn für 1.600. Ich bin ein Flüchtling wie du, ich biete 1.000. 1.600, das ist mein letztes Wort. Denk drüber nach. Wir verabreden uns mit dem Anbieter. [Düsseldorf, Hauptbahnhof] Und dokumentieren das Treffen mit versteckter Kamera. Wieso willst du deinen Pass verkaufen? O-Ton Syrischer Flüchtling, Gedächtnisprotokoll: Ich fühle mich hier zwar wohl, habe eine schöne Wohnung. Aber ich bin verheiratet und meine Familie ist in Idlib, in Syrien. Außerdem sind vor wenigen Monaten zwei meiner Brüder ermordet wurden. Ich muss zurück. Hier, mein Pass. Tatsächlich. Es ist der blaue Pass, den deutsche Behörden als Ersatzdokument für Geflüchtete ausstellen. O-Ton Syrischer Flüchtling, Gedächtnisprotokoll: Viele meiner Bekannten sind schon zurück, einige warten nur auf ihre deutschen Dokumente, um die dann zu verkaufen und zurückzukehren. Aber es fühlt sich echt bescheuert an, der Trip nach Deutschland war teuer und gefährlich und jetzt mache ich mich auf den Rückweg, muss mich wieder schmuggeln lassen. Kann das sein? Syrer, die in Deutschland Schutz suchten, kehren zurück in das Land, aus dem sie fliehen mussten? Und wieder machen Schleuser das Geschäft? Vom Staat werden Rückkehrer nach Syrien derzeit jedenfalls nicht unterstützt wegen der Sicherheitslage. Und Visa für benachbarte Länder wie die Türkei, den Libanon oder Jordanien bekommen syrische Flüchtlinge auch nur, wenn sie Kontaktpersonen und Geld-Rücklagen nachweisen können - für die meisten unmöglich. [München, Flughafen] Wir wollen die Route der Rückkehrer nachvollziehen, so als wären wir einer von ihnen. Griechenland, das wissen wir aus dem Facebook-Forum, ist der Zwischenstopp, von dem aus die Flucht
zurück organisiert wird. Wir wollen nach Thessaloniki. Am Gate kommen wir ins Gespräch mit zwei Syrern, die denselben Flug gebucht haben. Bilal und Youssef, zwei Brüder aus Aleppo auf dem Rückweg in die Heimat. O-Ton Youssef, syrischer Flüchtling, Gedächtnisprotokoll: Hier ging es uns sehr schlecht, alle Gesetze waren gegen uns. Wir waren 16 Monaten in Deutschland, aber erst seit drei Monaten Papiere. O-Ton Bilal, syrischer Flüchtling, Gedächtnisprotokoll: Meine Frau und meine zwei Kinder sind noch in Aleppo. Als klar war, dass es nahezu unmöglich ist, sie nach Deutschland zu holen, habe ich mich entschlossen Deutschland zu verlassen. Ob sie ihre deutschen Dokumente bereits verkauft haben oder in Griechenland verkaufen wollen, verraten sie uns nicht. [Thessaloniki, Flughafen] Ankunft am frühen Abend. Wir kontaktieren wieder das Facebook- Forum. Chatten einen Schmuggler an, der vor Ort seine Dienste anbietet: Hallo, ich bin hier in Thessaloniki mit zwei anderen Flüchtlingen. Wir wollen wissen wie wir an die Grenze kommen. Der Schmuggler hinterlässt eine Voicemail: Das ist die Nummer meines Cousins, ruft ihn an, sagt ihm Habboush schickt euch und dass ihr den Bus nach Didymoticho nehmen sollt. Didymoticho. Werden die Rückkehrer von der griechischen Grenzstadt aus weiter in die Türkei geschleust? Wir verabreden uns mit dem Cousin des Schmugglers. Fahren vom Flughafen zum Busbahnhof. [Thessaloniki, Busbahnhof] O-Ton Schmuggler, Gedächtnisprotokoll: Keine Angst. Es gibt ein paar Passagen, wo ihr laufen müsst, aber macht euch keine Sorgen, der Fluss ist nicht breit, wir bringen da jeden Tag Flüchtlinge rüber. Was machen wir, wenn die Polizei uns schnappt? O-Ton Schmuggler, Gedächtnisprotokoll:
Ihr kommt für ein paar Stunden ins Gefängnis, vielleicht schreddern sie eure Papiere. Dann bringen sie euch in die Nähe vom Fluss und lassen euch rübergehen. Die freuen sich doch, wenn Flüchtlinge weggehen. Das läuft immer so. Ist wirklich keine große Sache. Am Busbahnhof treffen wir auf zwei weitere Rückkehrer aus Deutschland, Ahmad und Hoger. Jetzt haben wir schon vier Syrer aus Deutschland getroffen, die zurück wollen. Offenbar hat sich die Route herumgesprochen. O-Ton Youssef, syrischer Flüchtling, Gedächtnisprotokoll: Allein im letzten Monat sollen 400 Leute zurückgegangen sein. Das ist normal, wir haben ja keine Wahl. Am nächsten Morgen fahren wir los, mit dem Bus Richtung Grenze. Die Fahrt wird acht Stunden dauern. Sie führt entlang des Evros, der Griechenland von der Türkei trennt. An vielen Stellen ersetzt der Fluss die Grenzzäune. Mindestens 1.500 Menschen sollen in den Fluss ihr Leben gelassen haben. Vor allem Minen und Stromschnellen gelten als gefährlich. Früher Nachmittag. Wir erreichen die Grenzstadt. [Didymoticho] Wieder kontaktieren wir den Schmuggler. Wir sind jetzt da, was sollen wir tun? Der Schmuggler sagt, wir sollen uns im Hotel Anises Zimmer nehmen, er würde uns nachts dort abholen und auf die andere Seite bringen. Wir folgen seinen Anweisungen, nehmen uns ein Zimmer. Warten. Wir nutzen die Zeit für unsere Recherchen, treffen Nikos Karadedos, einen Bauern. Bis vor einem Jahr schmuggelte er Syrer zurück. O-Ton Nikos Karadedos, Bauer: Ich spreche mit euch, weil ich niemanden was schuldig bin, ich war dafür im Gefängnis. Als immer mehr Rückkehrer kamen, nutzte Nikos Karadedos die Gelegenheit zum Geschäft. O-Ton Nikos Karadedos, Bauer: Ich habe einen Bekannten und die Sache lief über ihn. Er ist selber Syrer und wenn er von einem Syrer hörte, der zurück wollte, dann rief er mich an. Ich hatte ein Boot und ich hatte jemand, der von einem Baum aus mit einem Fernglas die andere Seite beobachtete. Und so wusste ich, dass alles sauber war, wenn ich dann mit dem Boot kam. Meistens war die Mittagszeit gut. Pro Person habe ich dann so 100 bis 200 Euro kassiert.
Während einer Schmuggel-Tour wird er von lokalen Polizeibeamten erwischt, ihm wird der Prozess gemacht. In der Region, das erzählen zumindest die Dorfbewohner, ist eine Gefängnisstrafe für Schleuser aber eine Seltenheit. O-Ton Nikos Karadedos, Bauer: Ich vermute, mich hat man eingebuchtet, weil ich mich nicht gut mit der Polizei gestellt habe. Sicher kann ich nichts sagen, aber ich gehe schon davon aus, dass die Polizei damit drin hängt. Wenn die auf Patrouille gehen, dann laufen die einfach in eine andere Richtung und geben vorab dem Schmuggler Bescheid: Bring sie hier rüber, wir werden nicht da sein. Wir verabreden uns mit einem Bürgermeister aus der Region. Wollen wissen, was der über das Geschäft mit den Flüchtlingen weiß. Offen will er zwar nicht mit uns reden, aber verdeckt lässt er sich auf ein Interview ein. O-Ton Bürgermeister aus dem Evros: Ich behaupte ja nicht, dass es keine Netzwerke auf unserer, wie auf der anderen Seite gibt. Natürlich arbeiten sie zusammen, damit Flüchtlinge geschleust werden. Aber in der überwiegenden Mehrheit sind es nicht Einheimische, die dabei beteiligt sind. Und sagen Sie mir, wo gibt es denn keine Verstrickungen! Obwohl auf beiden Seiten Felder bis ans Ufer reichen, ist die Zone militärisches Sperrgebiet. Filmen sei offiziell verboten, sagt uns der Bürgermeister, aber er mache da eine Ausnahme. Und er zeigt uns eine der Passagen, wo Flüchtlinge den Evros passieren. [Didymoticho] Zurück im Hotel. Wir chatten wieder mit dem Schmuggler: Mein Bruder, der Preis ist 200 Euro von Didimotichou bis Istanbul. Ich komme heute Nacht und hole euch ab. Ok, ich werde warten. Es wird alles gut. Keine Angst. Bleib einfach im Hotel, warte auf meinen Anruf und bete zu Gott. Dann ruft der Schmuggler an. Er bittet uns, noch eine neue Gruppe Syrer, die gerade angekommen ist, von der Busstation abzuholen. Auch sie sollen heute Nacht zurückgeschleust werden. Wir wollen nicht riskieren, aufzufliegen. Steigen aus. Stunden
später erreicht uns eine Nachricht von den Syrern, die wir auf unserer Reise zufällig getroffen hatten - Hoger, Bilal, Youssef und Ahmad: Wir haben es fast geschafft, wir stehen am Flussufer. Bete zu Gott für uns. Dann wird im Facebook-Forum ein Video gepostet: Jetzt geht s nach Istanbul, Türkei. Diese Jungs kommen aus Deutschland. Das ist die umgekehrte Immigration. Ich stelle das jetzt online. War es gut Jungs? Seid ihr zufrieden mit dem Schmuggler? - Ja, das war ein guter Trip. Ja, ihr Jungs seid auch nett - und das ist der Fluss. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.