Beitrag: Warum Integration scheitert Sprachlos in Deutschland

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Warum Integration scheitert Sprachlos in Deutschland Sendung vom 24. April 2018 von Beate Frenkel, Michael Haselrieder und Felix Klauser Anmoderation: Horst Seehofer ist für mehr Härte, sagt er. Härte gegenüber Flüchtlingen. Die sollen bitte schön Integrationswillen beweisen, zum Beispiel durch das Erlernen der deutschen Sprache. Im Umkehrschluss soll das wohl heißen. Wer kein Deutsch lernt, ist an Integration nicht interessiert. Dumm nur, dass der harte Bundesinnenminister auch für das Bundesamt für Migration, kurz BAMF, zuständig ist. Und auf dessen Sprachkurse müssen Flüchtlinge teils über ein Jahr warten. Wer versagt also bei der Integration? Michael Haselrieder und Beate Frenkel über Sprüche in der Politik und Sprachlosigkeit in der Praxis. Text: Seit Jahren arbeitet Thomas Sukop als Flüchtlingshelfer in Salzgitter. Doch manchmal könnte er an den Behörden verzweifeln. Er betreut Familien wie die Khaleds aus Syrien. Seit drei Jahren sind sie in Deutschland. Bis heute konnte der Vater keinen offiziellen Sprachkurs machen. O-Ton Thomas Sukop, Flüchtlingshelfer: Das ist furchtbar. Also, ich kann das nicht verstehen. Wenn er im ersten Jahr schon seinen Integrationskurs gehabt hätte, dann hätte er beruflich schon durchstarten können, und würde jetzt wahrscheinlich auf eigenen Füßen stehen, und würde nicht mehr auf Staatskosten leben müssen. Der 45-jährige Syrer ist Koch, würde gerne arbeiten. O-Ton Mehyadin Khaled, Flüchtling aus Syrien: Keine Chance, keine Chance. Auf Kurdisch erklärt er uns: Die einzigen, die ihm ein bisschen Deutsch beigebracht haben, waren ehrenamtliche Flüchtlingshelfer. Oft ist er auf seinen zwölfjährigen Sohn Ahmed angewiesen. Der geht inzwischen zur Realschule.

2 O-Ton Ahmed Khaled: Wenn ich zum Beispiel Zeit habe, keine Arbeit, keine Hausaufgaben, oder wenn ich alles fertig habe, sitze ich mit meinem Papa eine Stunde oder manchmal zwei Stunden. Ich hoffe, dass dann mein Papa lernt und dass wir dann hier bleiben, und ja. Hunderttausende Syrer sind nach Deutschland geflüchtet. Die meisten werden noch lange bleiben. Wie wichtig Deutschlernen ist, hat die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung erst kürzlich wieder betont. O-Ton Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin, am : Wer einen Aufenthaltsstatus hat, muss schnell vor Ort integriert werden. Das heißt, die Sprache erlernen, um Chancen für eine Ausbildung zu bekommen. Die Kinder sollen in Kindergärten und Schulen lernen können. Und dabei unterstützt der Bund die Länder und die Kommunen auch in den nächsten Jahren verlässlich. Salzgitters Oberbürgermeister erlebt das ganz anders. In den vergangenen Jahren kamen Flüchtlinge hierher. Der CDU- Politiker setzte einen Zuzugsstopp durch. Sein Signal an Merkel: Mehr schaffen wir nicht. O-Ton Frank Klingebiel, CDU, Oberbürgermeister Salzgitter: Wir hatten Wartezeiten von 16 Monaten für einen Alphabetisierungskurs und zwölf Monate für einen Integrationskurs. Das heißt, sie sind erst nach zwei Jahren dazu gekommen zu sagen: So jetzt kann ich mich um eine Ausbildung kümmern, um ein Praktikum kümmern. Das sind Zustände, da können Sie gar nicht eine Integration erfolgreich leisten. Verantwortlich für die Integrationskurse ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF. Frontal 21 liegt ein vertraulicher Bericht von Ende März vor. Darin räumt die Behörde selbst ein: Es gebe teilweise ein fehlendes Kursplatzangebot. Das betrifft insbesondere den Alphabetisierungskurs. Was sagt der neue Innenminister dazu? Horst Seehofer ist fürs BAMF verantwortlich und betont gerne, wie wichtig das Fordern und Fördern für eine gelungene Integration ist. O-Ton Horst Seehofer, CSU, Bundesinnenminister: Wir wissen, dass diese Integrationskurse aus den vergangenen Jahren dringend verbessert werden müssen. Und Sie sprechen ja das Thema an: Wenn dann jemand sehr lange hier ist und noch keinen Integrationskurs hatte, insbesondere keinen Sprachkurs, dann ist dies nicht gut und

3 es muss dringend verändert werden. Dabei sind die Probleme schon lange bekannt und noch immer nicht gelöst. Der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad beschreibt in seinem Buch die Folgen gescheiterter Integration: Wer kein Deutsch lernt, schotte sich ab. O-Ton Hamed Abdel-Samad, Politikwissenschaftler: Das hat zur Folge, dass wir die Leute, die eigentlich eine Chance für das Land hätten sein müssen, jetzt langsam zur Belastung für sich und für das Land werden. Frustrierte, enttäuschte junge Menschen, die die Sprache nicht können. Es gab kein Konzept von Anfang an. Ein Alphabetisierungskurs in Offenburg, Baden-Württemberg. Fast ein Jahr Unterricht ist vorbei: O-Ton Lehrerin: Hannah, schreiben Sie mal an die Tafel: eine Dose Tomaten, ja, eine Dose Tomaten. Vielen Teilnehmer fällt das Lesen und Schreiben nach wie vor schwer - kein Wunder, dass sie keinen Job finden. O-Ton Mahmoud Habach, Geflüchteter aus Syrien: Ich bin Glaser von Beruf, aber es gibt hier ja keine Glaser. Vielleicht suche ich in Fenster arbeiten. O-Ton Wael Alsayaleh, Geflüchteter aus Syrien: Ich möchte den Führerschein machen, ich möchte gerne arbeiten in Automechaniker. 900 Unterrichtsstunden dauert der Alphabetisierungskurs. Das reiche nicht aus, sagt ein hochrangiger Mitarbeiter des BAMF, der anonym bleiben möchte. Und im Amt wisse man das schon lange: O-Ton Leitender Mitarbeiter, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Originaltext nachgesprochen: Das Problem ist: Die Fachabteilung Integration hat nicht mehr das Sagen im BAMF, sondern mittlerweile wird fast alles von der Controlling-Abteilung gemacht. Und die haben natürlich keine Ahnung von der Integration und dadurch läuft vieles so schief. Also, die Bürokratie ist überbordend und man könnte viele Dinge erheblich einfacher machen. Ein Beispiel: Alle Sprachschulen müssen seit Januar die Fahrtkosten ganz exakt berechnen. Für 500 Kursteilnehmer in Offenburg muss die Strecke einzeln nachgezeichnet werden. O-Ton Tanja Henk, Leiterin Institut für deutsche Sprache;

4 Offenburg: Das ist der Weg von seinem Wohnort zum Unterrichtsort. Denn erst ab drei Kilometern erstattet das BAMF die Kosten. O-Ton Tanja Henk, stellvertretende Leiterin Institut für Deutsche Sprache, Offenburg: Da muss ich einfach noch gucken, weil es grenzwertig sein könnte, ist der Fußweg vielleicht über irgendeinen Acker doch kürzer, dass er eben unterhalb dieser drei Kilometer ist, dann bekommt er keine Fahrtkosten erstattet. O-Ton Frontal 21: Aber das kostet Sie doch total viel Zeit? O-Ton Tanja Henk, stellvertretende Leiterin Institut für Deutsche Sprache, Offenburg: Das kostet uns Unmengen von Zeit. Auf Nachfrage erklärt das BAMF dazu, Zitat: Auch wenn es in der Umstellungsphase zu Mehraufwand gekommen sein sollte, senkt die Systemumstellung den Aufwand für alle Beteiligten deutlich. Die Praxis aber sieht so aus: Die Schüler müssen die Fahrtkosten vorstrecken. Wer das nicht kann, breche den Kurs ab. Dem BAMF scheint das egal. O-Ton Wolfgang Eberhard, Leiter Institut für Deutsche Sprache, Offenburg: Die machen uns das Leben verdammt schwer. Es könnte Vieles einfacher sein und man muss schon sehr motiviert sein, wenn man dann diese Arbeit jeden Tag mit Freude weitermacht. In Salzgitter sind die Folgen mangelnder Integration schon zu besichtigen. In einigen Straßen leben fast nur Syrer, wird überwiegend Arabisch gesprochen. O-Ton Hamed Abdel-Samad, Politikwissenschaftler: Man hätte eigentlich die Flüchtlingskrise als Anlass nehmen müssen, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, dass man mit Sprachförderung und Integrationskursen, aber auch Maßnahmen frühzeitig beginnt, dass die Flüchtlinge sich schnell heimisch fühlen und mehr Kontakt zu der deutschen Gesellschaft aufbauen. Aber genau das Gegenteil ist passiert. Die Abschottung erzeugt Ängste:

5 O-Ton Bürger, Straßenumfrage in Salzgitter: Man traut sich kaum auf die Straße hier, teilweise, und so weiter. Die Leute sind misstrauisch, teilweise. O-Ton Bürger, Straßenumfrage in Salzgitter: Und wenn sie natürlich auch keine Arbeit haben, perspektivlos sind, wie Sie meinen, können sie ganz leicht abrutschen in die Kriminalität. O-Ton Bürger, Straßenumfrage in Salzgitter: Es sind Probleme da und unsere Regierung tut da herzlich wenig gegen. Profitiert von der Angst hat die AfD. In manchen Bezirken kam sie bei der Landtagswahl auf fast 40 Prozent. Salzgitters Oberbürgermeister fürchtet, dass die Stimmung weiter kippt. O-Ton: Frank Klingebiel, CDU, Oberbürgermeister Salzgitter: Integration, wenn man sie erfolgreich durchführen will, kostet am Ende Geld, Zeit und Kraft und Ressourcen, und die müssen zur Verfügung gestellt werden. Sonst werden wir in zehn Jahren die Ergebnisse von gescheiteter Integration feststellen. Und das möchte ich nicht verantworten. O-Ton Frontal 21: Wie kann man da den Kommunen helfen, das einfacher zu machen. Denn die müssen ja vor Ort die Integration am Ende organisieren? O-Ton Horst Seehofer, CSU, Bundesinnenminister: Das Beste ist, dass die Bürokratie, die da angeführt wird, reduziert wird oder gar beseitigt wird. Das heißt, ich kann alle Bürgermeister nur bitten, mir diese Hürden mitzuteilen. Ich werde mich dann postwendend darum kümmern, dass sie beseitigt werden. Ein Angebot, das gut klingt und an dem ihn die Bürgermeister messen werden. Markige Worte alleine werden nicht reichen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.